349. Bremer Montagsdemo
am 24. 10. 2011  I◄◄  ►►I

 

Kostenlose Pflegekräfte
auf Kosten der Steuerzahler?

Elisabeth Graf1. Letzte Woche zeigte der NDR in einer Dokumentation mit dem Titel „Verloren im Hartz-IV-Dschungel“ die Schicksale und Notlagen von ALG-II-Beziehern und informierte über die tägliche Arbeit einer auf Sozialrecht und Behindertenrecht spezialisierten Anwaltskanzlei in Oldenburg. Da ist zum Beispiel die 37-jährige Handwerksmeisterin Sylvia P., die über 13 Jahre eine chemische Reinigung besaß, nebenher zwei Kinder großzog und dann durch Krankheit, Schulden und Scheidung in die Arbeitslosigkeit abstürzte. Mit der Arbeitslosigkeit gehen leider nur allzu oft verniedlichte „Probleme“ mit der Hartz-IV-Behörde einher, die die Betroffenen zumeist in Form von falschen Bescheiden zu ihren Ungunsten als Schikane ertragen sollen.

Als Sylvia P. jahrelang ein ihr zustehender Heizkostenzuschuss verweigert wurde, begann ein aufreibender Kampf mit dem Sozialgericht. Ohne ihren Rechtsanwalt Alfred Kroll hätte P. diese schwere Zeit sicher nicht durchgehalten. Kroll vertritt jährlich etwa 1.000 Klienten wie Sylvia P., die sonst wohl kaum ihr Recht bekämen. Denn die Hartz-Gesetze wurden absichtlich mit so heißer Nadel gestrickt, dass sie oft nur sehr vage, selten konkret sagen, was Recht ist. Zuweilen wird dieses durch bewusste Falschbescheidung mancher Fallmanager, die eine heimliche Sparquote erfüllen wollen, noch verworrener.

Das Ziel, bei den Ärmsten der Armen, den leider ökonomisch nicht mehr Verwertbaren zu sparen, wird auf diese Weise ganz fein, aber gemein erreicht. Durch die Hartz-Gesetze haben nur die Richter mehr Arbeitsplätze bekommen, allerdings anders als die aufstockenden ALG-II-Bezieher nicht zu Dumpinglöhnen. Rechtsanwälte wie Alfred Kroll kann es gar nicht genug geben. Ich bedanke mich für seinen engagierten Einsatz! Da in zwei Dritteln der Fälle die Kläger Recht bekommen, zeigt sich, wie wichtig es für einen Rechtsstaat ist, der seinen Namen zu Recht tragen sollen darf, dass alle Bürger ein Recht darauf haben, sich ihr Recht einzuklagen.

 

2. Die sogenannten Hartz-Gesetze verändern sich permanent, eine Reform jagt die andere und macht dabei der neuen Definition von „Reform“ alle Ehre: Der Begriff bedeutet nun, dass es vielen viel schlechter geht! Nachdem das Bundesverfassungsgericht Verfassungswidrigkeit bei der „Berechnung“ des Hartz-IV-Regelsatzes festgestellt hatte, erdreistete sich das schwarz-gelbe Gruselkabinett nach zähen Endlossitzungen über unzählige Monate hinaus, mit einer „Erhöhung“ von fünf Euro als Neuregelung daherzukommen – nicht zu vergessen das undurchsichtige, viel zu bürokratische Diskriminierungspaket gegen, äh: für die kulturelle Teilhabe für Kinder von Hartz-IV-Beziehern, dessen Nichtanklang bei den Eltern selbigen als vermeintliche „Bildungsferne“ vorgeworfen wurde.

Neben der letztgenannten Frechheit gab es eine ganze Palette einschneidender Änderungen, die in der Öffentlichkeit kaum Beachtung fanden. Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als ob der Hartz IV-Regelsatz rückwirkend zum ersten Januar 2011 auf 364 Euro pro Person angestiegen wäre, zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass es in Wirklichkeit drastische Einsparungen von bis zu 30 Prozent gab! Die Bevormundung im Umgang mit Alkohol und Tabakwaren brachte beispielsweise eine Ersparnis von 4,37 Euro und bestrafte alle Abstinenzler gleich mit, die nun weniger Geld für Lebensmittel zur Verfügung haben. Im Bereich Kleidung und Schuhe wurden direkt 5,50 Euro weggekürzt, bei vielen unbegründeten Streichungen wie dem Geld für Zimmerpflanzen, Campingausrüstung, Übernachtungskosten und so weiter wurde gar nicht erst ein unglaubwürdiger Versuch einer Begründung unternommen.

Nahezu klammheimlich wird nun auch die komplette Leistung zur gesetzlichen Rentenversicherung gestrichen, wodurch der Altersarmut Türen und Tore sperrangelweit aufgerissen werden. Die Entrechtung Erwerbsloser als Menschen zweiter Klasse schreitet weiter voran, indem dieser Gruppe der Paragraf 44 des SGB X so geändert wurde, dass eine Überprüfung behördlicher Bescheide nicht mehr vier Jahre lang möglich ist: Dieser Zeitraum wurde nun auf nur noch ein Jahr begrenzt. Für eine Sanktion, die das fragwürdige Ziel hat, die angebliche Grundsicherung zu unterschreiten, muss dem Betroffenen keine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung mehr zukommen: Es reicht die unüberprüfte Annahme, dass der Erwerbsfähige Kenntnis über die Rechtsfolgen besitze. Kaum jemand außer den direkt Betroffenen bekommt die fragwürdigen Änderungen bei den Unterkunftskosten mit: Jetzt dürfen plötzlich die durch sinkende Einnahmen klamm gemachten Kommunen über die „Angemessenheit“ der Mietobergrenze entscheiden, völlig unabhängig davon, ob derlei günstiger Wohnraum überhaupt in ausreichendem Maße vorhanden ist. Bei Hartz IV von einer „Erhöhung“ zu sprechen, ist nichts weiter als eine Farce!

 

3. Scheinbar wachsen schwachsinnige Ideen von selbst nach oder werden immer wieder neu aufgelegt. Arbeitsagentur-Vorstand Heinrich Alt möchte, dass Langzeitarbeitslose „freiwillig“ mittels eines vier- bis sechswöchigen, von der Arbeitsagentur „bezahlten“ Praktikums prüfen können, ob der Pflegeberuf „etwas für sie“ sei. Wenn einem Probanden durch ein Zertifikat bescheinigt wird, dass er für diesen Beruf „geeignet“ ist, wolle die Bundesagentur dem Praktikanten eine Ausbildung zur Pflegefachkraft bezahlen. Angeblich fehlen schon heute gut 41.600 Arbeitskräfte in der Pflege, bis 2025 sogar 150.000. Aus welchem Märchenbuch soll das denn stammen? Es gibt doch genügend Altenpfleger, die nur nicht eingestellt werden, weil sie trotz Hungerlöhnen angeblich noch immer zu teuer oder zu alt seien!

Ob dies wieder so ein „freiwilliges“ Zwangsangebot ist, nach dem Motto „friss oder stirb“? Kostenlose Arbeitskräfte auf Kosten der Steuerzahler? Sollen nur weitere Erwerbslose aus der Statistik verschwinden, indem sie wochenlang Praktika leisten, bis sie – natürlich notgedrungen untauglich für den Pflegeberuf – durch neue kostenlose Praktikanten ausgewechselt werden? Was für ein tolles Geschenk an die „Pflegeindustrie“, die sich bisher ja damit schwer tat, genügend Personal einzustellen, und die vorhandene Lücken mal eben mit Zivildienstleistenden auffüllte. Jetzt aber hat die Bundeswehrreform den sozialen Trägern personell ein Loch geschlagen. Nun wird gern auf die Reserve zurückgegriffen, mit der man meint, sowieso alles machen zu können!

Also wird flugs ein neues Instrument gestrickt und ganz fein verpackt, wobei den Langzeiterwerbslosen, völlig selbstlos seitens der Bundesagentur, eine „Chance“ gegeben werden soll, bei der sie sich „bewähren“ können! Wer das freiwillige Praktikum nicht absolvieren möchte, wird dann bestimmt zum Schneeschaufeln, Laubsaugen oder Rattenfangen abkommandiert. Meine Hochachtung, wenn jemand den Beruf von sich aus lernen möchte, aber dazu sollte niemand überredet, gar gezwungen werden! Warum sagt Heinrich Alt nicht einfach, worum es ihm wirklich geht? Wenn sich sein herzallerliebster Vorschlag durchsetzen sollte, können die Pflegedienstanbieter erneut ganz prima kostenlose Arbeitskräfte als „Praktikanten“ auf allen vakanten Stellen einsetzen. Weil die Agentur beständig Nachschub bieten wird, kommen auch fast keine neuen regulären Arbeitsplätze zustande. Praktikanten dienen als Nachschub für die „auslaufenden“ Ein-Euro-Jobber! Meiner Meinung nach gehören Praktika abgeschafft und durch eine anständig bezahlte Probezeit ersetzt.

 

4. Wie frech ist das denn? Die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima hat die Welt erschüttert und den Ruf des Betreibers Tepco ruiniert, doch nun fordert die Firma 6,7 Milliarden Euro vom Staat, unter anderem für die Entschädigung der Opfer. Es wird erwartet, dass dies nur die erste von mehreren Finanzspritzen für Tepco sein wird. Ich fühle mich ganz stark an die unmäßigen Forderungen der Bankster nach Unsummen etwa für griechische Staatsschulden erinnert. Diese Gelder sind keineswegs für die griechische Bevölkerung bestimmt, die teilweise auf bis zu 40 Prozent ihres Lohnes verzichten soll! Es ist nicht nur frech, sondern in meinen Augen größenwahnsinnig und unverschämt, wenn die Verursacher nicht für die Konsequenzen geradestehen wollen.

Schließlich war Tepco nicht nur wegen der mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen gegen Tsunamis kritisiert worden, sondern auch das Krisenmanagement sorgte für große Empörung. Es wäre natürlich toll, wenn die Katastrophe ein Umdenken in der japanischen Politik bewirkt hätte und die Regierung einen kompletten Ausstieg aus der Atomenergie auch dauerhaft nicht mehr ausschließt. Aber ich lese immer so ein Hü und Hott – mal so, dann wieder das Gegenteil – aus den Zeilen heraus: Einerseits sei man „sicher“, den Anteil der Atomenergie verringern zu können, andererseits könne die Kernkraft noch über Jahrzehnte „wichtig“ für das Land sein. Sich bloß nicht festlegen, es scheinbar allen Recht machen, aber dann diese wahnsinnigen Geldforderungen stellen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Für ein völlig neues, durch die Menschen selbst kontrolliertes Wirtschafts- und Politiksystem!

Hans-Dieter WegeBeim Bundestag ist eine Petition zum Kindergeld anhängig: Es möge beschlossen werden, dass beim Arbeitslosengeld II Kindergeld und Unterhaltsvorschuss nicht mit angerechnet werden. Eine Beschwerde hierzu beim Bundesverfassungsgericht wurde nicht zur Entscheidung zugelassen, denn das Grundgesetz verlange keine Sozialleistungen, die den Betreuungs- und Ausbildungsbedarf in gleichem Maße berücksichtigten wie das Steuerrecht. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht diese Entscheidung jedenfalls nicht, und dem Bedarf von Kindern und Jugendlichen schon gar nicht.

Das sächliche Existenzminimum des Steuerrechtes von derzeit 364 Euro für einen Alleinlebenden leitet sich ja gerade aus dem SGB II ab. Dies muss im Umkehrschluss bedeuten, dass es auch für den Ausbildungs-, Erziehungs- und Betreuungsbedarf gilt, um der Gleichbehandlung aller Kinder zu entsprechen. Wenn Verfassungsrichter in Deutschland behaupten, Kinder von auf Transferleistungen angewiesener Eltern hätten nicht den gleichen Anspruch für diese drei Bereiche, wird damit den Anforderungen des Sozialgesetzbuches nach dem Prinzip des Forderns und Förderns widersprochen. Diese gelten zumindest für jeden jungen Erwachsenen ab 15 Jahren im SGB II.

Auf ihrem Erfurter Parteitag hat nun „Die Linke“ ein neues Programm beschlossen und laut Presseberichten die „Systemfrage“ gestellt. Britta Littke-Skiera aus Bremen-Nord kommentiert: „Hartz IV ‚überwinden‘? Was soll das denn bitte? Wann denn überwinden, am Sankt-Nimmerleins-Tag? ‚Die Linke‘ muss für eine sofortige Abschaffung der verbrecherischen Hartz-IV-Gesetze einstehen! Dass die Partei ‚eigentlich‘ für die Abschaffung von Hartz IV sei, ist mir zu wenig beziehungsweise nicht eindeutig genug! Von der Führungsspitze unserer Partei erwarte ich da eindeutige, klare Aussagen, auch im Sinne der im Niedriglohnsektor Beschäftigten und der Aufstocker(innen). Die Betroffenen leiden Höllenqualen! Die Erwerbslosenverbände geben reichlich Auskunft über die gesetzeswidrigen Auswüchse in den Jobcentern.“

Ich muss Britta hier klar unterstützen: Hartz IV muss weg, das dürfte für Millionen Betroffene eine ganz eindeutige Forderung sein! Man muss von der „Linken“ verlangen dürfen, dass sie als sozialistische Partei sofort eine genaue und gründliche Analyse der in Deutschland im Jahr bezahlten Arbeit unternimmt und feststellt, wie sich die Arbeitsstunden auf alle möglichen Erwerbsfähigen verteilt. Hier hat die Partei die Verpflichtung, eine gerechte Verteilung dieser Arbeit innerhalb dieses System zu fordern. Können die Arbeitnehmer(innen) insgesamt nicht mehr allein von ihrer Arbeit leben – und das dürfte zurzeit für die meisten der Fall sein –, dann ist dieses Erwerbseinkommen durch ein Grundeinkommen zu ergänzen, beziehungsweise dieses ist dem Erwerbseinkommen vorzuschalten. Nur so kann eine Partei wie „Die Linke“ überhaupt zu einer glaubwürdigen Strategie zur Abschaffung von Hartz IV kommen. Das ist das Mindeste, was alle Mitglieder von dieser Partei zur Arbeits- und Sozialpolitik fordern müssen, notfalls im Rahmen der geplanten Urabstimmung. Nur so kann das ein Weg zur Überwindung dieses Systems werden. In meinen Augen wäre das ein wirklicher guter Anfang!

Der MLPD möchte ich sagen: „Nieder mit dem Lohnsystem“ muss doch eigentlich die Forderung einer kommunistischen Partei sein, selbst wenn es heute viele Menschen vielleicht noch nicht so gerne hören wollen. Auch die Sofortforderung nach 500 Euro Regelsatz und zehn Euro Mindestlohn wird nicht ausreichen, weil man hiermit in diesem System verbleibt. Das gleiche gilt für die unterschiedlichen Forderungen bezüglich der Einführung von Grundeinkommen. Dies können höchstens Übergangsforderungen sein auf dem Weg in eine neue wirklich demokratische internationale Gesellschaft. Auch die Bewegung zur direkten Demokratie sollte nicht beginnen, den Eindruck zu erwecken, man könne den globalen Kapitalismus zähmen, denn dann würden alle Menschen, die sich jetzt dieser Bewegung anschließen, eines Tages maßlos enttäuscht sein.

Man muss nicht unbedingt die „Sozialismus- oder Kommunismuskeule“ schwingen, denn davor haben viele Menschen regelrecht Angst. Trotzdem muss man den Menschen ein völlig neues und durch die Menschen selbst kontrolliertes Wirtschafts- und Politiksystem anbieten. Es ist anscheinend wie ein Spagat, aber dieser muss eines Tages gelingen, sonst werden alle Bewegungen ohne Erfolg bleiben. Eine solidarische Forderung in diesem System darf doch erst einmal nur lauten: einheitliches Grundeinkommen mit dem Tag der Geburt und gerechte Verteilung aller bezahlten Arbeit auf alle erwerbswilligen Menschen, und zwar ohne Androhung irgendwelcher Sanktionen gegen Menschen, die bestimmte Arbeiten ablehnen!

Viele Menschen behaupten: Wer arbeiten will, der bekommt auch Arbeit. Keine Partei sagt, dass ungefähr 20 Millionen Vollzeitbeschäftigte ungefähr 36 Milliarden bezahlter Arbeitstunden in Deutschland verrichten. Keine Partei sagt, dass für zusätzliche 36 Millionen mögliche Erwerbsfähige nur noch ungefähr zwölf Milliarden bezahlte Erwerbsarbeitstunden verbleiben. Keine Partei sagt, dass das nur noch 333 Stunden im Jahr für jeden möglichen Erwerbsfähigen sind, also rund 28 Stunden pro Monat. Aber alle Parteien dulden trotzdem die Drangsalierung von Erwerbslosen! Bis heute hat noch keine der im Bundestag vertretenen Parteien die Normenkontrollklage gegen die Änderungen der Hartz-Gesetze eingereicht. Muss nicht „Die Linke“ als Anti-Hartz-IV-Partei den entsprechenden Druck machen, zumindest dort, wo sie es könnte, nämlich in Brandenburg? Darf man Parteien wirklich noch wählen?

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)
 
Nichts gegen Merkels Kehrtwenden: Nun noch zwei bei Afghanistan-Einsatz und bei „Bildungspäckchen statt Kinderregelsatzerhöhung“! („Spiegel-Online“)
 
Das macht Sinn: Mit dem „Hebel“ knacken die Bankster
den 780-Milliarden-Euro-Rettungsjackpot („Focus“)

 

Solidarität mit dem Kampf
des griechischen Volkes!

Harald Braun1. Aus Protest gegen die massive Verschlechterung ihrer Lebenslage protestierten letzte Woche Hunderttausende Menschen in Griechenland. Viele leben schon in Armut. Die Regierung Papandreou will jetzt im Auftrag des internationalen Finanzkapitals die nächste Welle an Angriffen starten: Im öffentlichen Dienst sollen 30.000 Beschäftigte entlassen werden und alle anderen eine Lohnkürzung von 20 Prozent akzeptieren. Die „Troika“ aus IWF, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank reist wie ein König durchs Land und erpresst die Zusage zu neuen Krediten: „Was kann noch als Tafelsilber verkauft werden? Können nicht noch mehr Arbeitsplätze, Löhne und Renten abgebaut werden?“ Damit bringen sie immer breitere Bevölkerungsschichten gegen sich auf.

Letzte Woche fand der größte Generalstreik statt, den Griechenland je erlebt hat. Ministerpräsident Papandreou reagierte mit dem Aufmarsch des staatlichen Gewaltapparats und sprach von „Kriegszustand“. Bereits am Vormittag des 18. Oktober 2011 standen vor dem Athener Parlament große Polizeieinheiten für den Einsatz gegen Streikende und Demonstranten bereit. Den Angriff von vermummten Autonomen oder auch von Provokateuren auf Demonstranten nahm die Polizei zum Vorwand für einen massiven Knüppel- und Tränengaseinsatz. Ein 50 Jahre alter Maurer erlag einem Herzinfarkt, den er dabei erlitten hatte. Von diesem Terror ließen sich die Demonstranten aber nicht abhalten. Immer wieder gerufen wurden die Slogans „Die Regierung muss stürzen!“ und „Die Macht dem Volke!“

Hier in Deutschland erleben wir eine permanente Hetze, vor allem der „Bild“-Zeitung, gegen die „Pleite-Griechen“. Damit soll die kämpferische Solidarität in Europa verhindert werden. Wir sollen uns auf keinen Fall ein Beispiel am griechischen Volk nehmen, das sich mit großer Hartnäckigkeit weigert, die Lasten einer Krise zu tragen, die andere zu verantworten haben. Das internationale Finanzkapital hat durch teure Kredite den Staatsbankrott Griechenlands provoziert und dabei Milliardengewinne eingefahren. Auch die Bundesregierung ist an diesen dreckigen Geschäften beteiligt, indem Griechenland Kapital zu Zinsen von 5,9 Prozent geliehen wurde, das vorher auf dem Kapitalmarkt für 3,2 Prozent aufgenommen worden ist. Damit hat die Merkel-Regierung bis heute bereits 25 Milliarden Euro Gewinn abgeschöpft. Künftig soll durch eine „europäische Wirtschaftsregierung“ die Vorherrschaft von Frankreich und Deutschland in der EU weiter ausgebaut werden. Ihr Ziel ist es, die nationale Souveränität der kleineren EU-Länder zu beschneiden oder ganz abzuschaffen.

Nachdem ein Schuldenschnitt für Griechenland bisher am Widerstand der Banken gescheitert war, kommt er nun doch. Aber das internationale Finanzkapital will dafür natürlich einen lukrativen Ausgleich: Die EU- Regierungen werden das Eigenkapital ihrer Banken mit Steuergeldern in Höhe von 108 Milliarden Euro ausstatten. Außerdem wollen sie den Euro- Rettungsschirm EFSF mit einem „Finanzhebel“ aufblasen, sodass er ein bis zwei Billionen Euro ausleihen kann, um das Weltfinanzsystem zu retten. Die „Rettungsschirme“ dienen nicht der Bevölkerung, auch wenn Merkel und Sarkozy diesen Eindruck erwecken wollen. Kein Cent wird zum Beispiel an die griechischen Arbeiter gehen, die teilweise seit Monaten um die Bezahlung ihrer Löhne kämpfen. Das griechische Volk will nicht als neue Kolonie in Europa leben und rebelliert gegen den Ausverkauf seines Landes an die Banken und Konzerne!

Viele Menschen suchen nach einem Weg und nach einer Lösung über den Kapitalismus hinaus. Der Kapitalismus verstrickt sich immer mehr in seinem Krisenstrudel und findet keinen Ausweg. Ein Krisengipfel jagt den andern, doch alle Maßnahmen können der Weltfinanzkrise nur kurzfristig Luft verschaffen, verstärken aber gleichzeitig die unlösbaren Probleme. Dem internationalen Finanzkapital kann man keine Zügel anlegen! Die Finanztransaktionssteuer, die SPD, Grüne und auch „Attac“ fordern, verändert überhaupt nichts grundlegend. Sie wird von den Großbanken aus der Portokasse bezahlt. Die Zeit ist reif, das Übel der kapitalistischen Profitwirtschaft an der Wurzel zu packen und die internationale, sozialistische Revolution vorzubereiten. Es lebe die internationale Solidarität! Das Volk sind wir! Wir sind die „99 Prozent“!

 

2.Bahnlärm macht krank“: Das war das Thema des 60. Schwabenstreichs Bremen-Oldenburg, der zum Abschluss der 349. Montagsdemo auf dem Hanseatenhof stattfand. Seit Jahren ist der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven im Bau, ohne dass das Bundesverkehrsministerium und die Deutsche Bahn Maßnahmen gegen den gesundheitsschädlichen Bahnlärm getroffen hätten. Ab 2012 sind die Anwohner an der Bahnstrecke Wilhelmshaven-Oldenburg-Bremen-Hannover massiv vom wachsenden Lärm der Güterzüge betroffen. Im Abschnitt Oldenburg verzehnfacht sich die Anzahl der Züge. Die 1.000 Anwohner der Roonstraße in Bremen leiden heute schon darunter, dass es keine Schallschutzwände gibt. In Zukunft werden ihnen jede Nacht alle drei Minuten donnernde Güterzüge den Schlaf rauben! Der Schwabenstreich unterstützt die Proteste gegen Bahnlärm, insbesondere die Überprüfung von Umgehungsstrecken um Oldenburg und Bremen und den sofortigen Bau von Schallschutzwänden auf Kosten der Bahn.

Harald Braun
 
Arm gerechnet: Hypo Real Estate lässt 50 Milliarden Euro verschwinden, um sich den Schutz eines „Rettungsschirms“ zu erschwindeln („Stern“)
 
Schulden des Staates sind Vermögen der Reichen: Wie einst
für Kaisers Kriegskredite stimmt die SPD heute für
Ackermanns Rettungspakete („Spiegel-Online“)

 

Ohne zivilen Ungehorsam ist Widerstand ein Kindergeburtstag

Zu einer gemeinsamen Demonstration mit anschließendem Schwabenstreich in Rüdesheim/Rhein, zu dem die Bürgerinitiative „Rheintal 21“ und der Schwabenstreich Bremen-Oldenburg eingeladen hatten, kamen Willi Pusch, Vorsitzender der Bürgerinitiative, und etwa 40 bis 50 Gegner des Bahnlärmes im Mittelrheintal gegen 16 Uhr an den Rüdesheimer Bahnhof. Im Verlauf der Veranstaltung passierten etwa zwölf schwere Güterzüge den Bahnübergang.

Gernot-Peter Schulz Ich freue mich, dass zu dieser unüblichen Zeit für eine solche Veranstaltung so viele Leute aus dem gesamten Mittelrheintal nach Rüdesheim gekommen sind! Es macht mich sehr zufrieden, dass diese Veranstaltung in Rüdesheim zustande gekommen ist und dass das Wort Solidarität zumindest hier noch bekannt ist. Ich mache mir nämlich wenig Hoffnung, dass die Bahnlärmgegner aus Bremen, Oldenburg und Bremerhaven sowie von der Y-Trasse sich der Veranstaltung anschließen werden, da es seitens der Bremer Gruppe eine starke Opposition gegen den Schwabenstreich gibt. Mir fehlt das Verständnis für diese Haltung, weil nur geeinter Widerstand und geeinte Solidarität zwischen den einzelnen Gruppen einen konstruktiven Widerstand ergibt. Deshalb lade ich Willi Pusch und seine Bürgerinitiative nach Bremen ein!

Wer glaubt, dass „Stuttgart 21“, die feste Fehmarnbelt-Querung, die Y-Trasse oder die Neubaustrecken Nürnberg-Erfurt und Wendlingen-Ulm nichts mit dem Problem Bahnlärm zu tun hätten, der irrt sich. Alle diese Irrsinnsprojekte dienen nicht der Verbesserung der Bahninfrastruktur, sondern verschwenden Geld, das beim sinnvollen Aus- und Neubau von Bahnstrecken fehlt. Die Betuwe-Linie Arnheim-Emmerich-Oberhausen, die Mittelrheintalstrecke und die neue Alpentransversale Karlsruhe-Basel sind wichtige Aus- und Neubaustrecken zur Entlastung der Bevölkerung gegen gesundheitsschädlichen Bahnlärm durch den Güterverkehr auf der Rheinachse in die Schweiz und nach Italien. Diese Projekte müssen vorrangig behandelt werden! Durch den Bau der jetzigen Neubaustrecke Köln-Frankfurt wurde die einmalige Chance vertan, das Mittelrheintal gänzlich von Güterverkehr zu befreien. Das Planungsbüro Visslegg & Rössler hatte entsprechende Varianten angeboten, die Deutsche Bahn aber die jetzige Streckenführung bevorzugt, um höhere Trassenpreise verlangen zu können.

Ein weiteres Thema unserer Veranstaltung ist die Frage, wie der Widerstand noch konstruktiver geführt werden kann, ohne bei den gesetzlichen Vorschriften über die Stränge zu schlagen. Der zivile Ungehorsam muss so weit, wie es geht, ausgenutzt werden, sonst ist Widerstand ein Kindergeburtstag! Über die Frage, ob ich Berufsdemonstrant sei, kann ich nur lächeln. Der Button „Berufsdemonstrant“ ist die kreative Antwort der Parkschützer in Stuttgart auf die Verhöhnung des ehemaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, dass sich der Stuttgarter Widerstand gegen „S21“ ausschließlich aus „Berufsdemonstranten“ zusammensetze. Anhand meiner mitgeführten Buttons kann ich den Mitstreitern vom Mittelrhein meine Kontakte in Deutschland und dem europäischen Ausland zeigen. Das politische Kalkül der Verdummung der Menschen wirkt europaweit! Politikerwillkür und rein wirtschaftliche Interessen nehmen nicht nur in Deutschland überhand. Ich fordere mehr freien Bürgerwillen und Demokratie anstelle der Wirtschaftsdiktatur durch Banken und Industrie!

Gernot-Peter Schulz (parteilos)

Bürgerinitiative 'Rheintal 21'
Bürgerinitiative „Rheintal 21“

Zwischen Freimarkt- und Weihnachtsmarktzeit beginnt die Montagsdemo
ganz regulär um 17:30 Uhr am Marktplatz.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz