306. Bremer Montagsdemo
am 29. 11. 2010  I◄◄  ►►I

 

Willkürliche Regelsatzfestlegung bewirkt Kollaps der Sozialgerichte

Elisabeth Graf1. Im Streit um die neuen Hartz-IV-Regelsätze drängen Sozialrichter auf eine Einigung, damit das neue Gesetz – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – zum Januar in Kraft treten kann. Auch die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Monika Paulat, mahnt zur Eile, weil andernfalls den Sozialgerichten in Deutschland ein Kollaps drohe. Wenn die neuen Regelsätze dann noch nicht gelten würden, sei mit einer Flut von Anträgen der Leistungsbezieher auf einstweiligen Rechtsschutz zu rechnen. Diesem Ansturm wären die Sozialgerichte nicht mehr gewachsen. Paulat geht davon aus, dass die Politiker über Parteigrenzen hinweg alles daran setzen werden, um zu einem Kompromiss zu kommen.

Ich kann es ja verstehen, dass sie in ihrem eigenen Interesse einen Zusam­menbruch der Sozialgerichte verhindern möchte, aber uns allen wäre doch viel mehr damit gedient, wenn es klare Gesetze gäbe, die nicht mal eben husch, husch blubberig-schwammig und dazu mit heißer Nadel gestrickt sind, die dazu mal in der Regelsatzhöhe eine Summe nennen würden, von der auch nur annähernd so etwas wie eine echte Grundsicherung möglich wäre! Wenn die „Erhöhung“ von fünf Euro abgenickt würde, gibt es hoffentlich erst recht erneute Klagen vor dem Verfassungsgericht, weil es bei dieser Art von „Neuberechnung“ kaum mit rechten Dingen zugegangen sein kann: 364 Euro Regelsatz können unmöglich verfassungsfest sein! Auch wenn dieser ungeheuerliche Gesetzentwurf, der in meinen Augen jeglicher Menschenwürde spottet, in Kraft tritt und zum Beispiel die Kommunen nicht mehr die vollen Unterkunftsleistungen übernehmen müssten, sondern nur noch einen Zuschuss bezahlten, dann werden die Sozialgerichte wieder für die Überprüfung entsprechender Satzungen zuständig sein.

 

2. Die Diakonie stellte selbst eine Regelsatzstudie vor, in der die Wirtschaftswissenschaftlerin Irene Becker dieselben Zahlen verarbeitete, die auch dem Bundesarbeitsministerium vorlagen. So fordert die Diakonie eine Erhöhung des von der Bundesregierung geplanten Hartz-IV-Regelsatzes von 364 auf 433 Euro, ebenso eine Steigerung für Kinder unter sechs Jahren von 215 auf 245 Euro, bei Kindern von sechs bis 13 Jahren von 251 auf 314 Euro und für Kinder zwischen 14 und 17 Jahren von 287 auf 344 Euro. Es wurde kritisiert, dass das Bundesarbeitsministerium Alkohol, Tabak und Kraftstoff aus der Statistik herausgenommen habe, was nicht zu akzeptieren sei, weil es alle Leistungsbezieher benachteiligte, unabhängig davon, ob sie beispielsweise rauchen oder nicht. Dies entspreche einer unzulässigen Bevormundung der Hartz-IV-Bezieher.

Ich finde es sehr interessant, dass die Diakonie neuerdings ihre Aufgabe in der anwaltlichen Vertretung der Armen sieht und nun darauf hofft, dass ihre Zahlen bei der politischen Entscheidungsfindung diskutiert werden. Auch wenn 433 Euro schon ein bisschen mehr Menschenwürde bedeuten, so hoffe ich viel mehr, dass hier mal Zahlen auf den Tisch kommen, die zu einem völlig anderen Ergebnis kommen müssten, von über 600 Euro zusätzlich zu den Kosten der Unterkunft, bis es endlich ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt! Auch wage ich eine Anwaltschaft der Diakonie für die finanziell Schwächsten stark zu bezweifeln, die sie gleichzeitig als Ein-Euro-Jobber ausnutzt, selbstredend immer nur im Mäntelchen von ach so ungemein „sozial“ und auch noch „zusätzlich“!

 

3. Was die Regierungen Europas mit ihrer Bevölkerung noch an asozialen Sparmaßnahmen vorhaben, wird uns nicht nur vom eigenen schwarz-gelben Gruselkabinett vorgelebt, sondern das zeigt auch ein Blick über die Grenzen. Wenn Irlands Regierung in den nächsten vier Jahren 15 Milliarden Euro einsparen will und dies auf dem Rücken der Arbeitslosen und Sozialhilfebezieher gestemmt werden soll, dann muss uns das irgendwie bekannt vorkommen. Warum das so ist? Na klar: Irlands Arbeitslose haben gefälligst für das Zocken der Bankster geradezustehen und es zu finanzieren. Dafür will die irische Regierung den Sozialetat in den nächsten vier Jahren um 2,8 Milliarden Euro kürzen, also um sagenhafte 15 Prozent des Sozialbudgets. Binnen vier Jahren soll die Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken, obwohl sie derzeit bei mehr als dem Zehnfachen liegt.

Die Kürzungen im Sozialbereich sind nicht die einzigen – nein, auch im öffentlichen Dienst sollen 25.000 Stellen gestrichen werden, wodurch die Qualität der Dienstleistungen aber angeblich nicht beeinträchtigt werde. Durch eine Erhöhung der Einkommensteuer sollen 1,9 Milliarden zusätzlich in die Staatskasse fließen. Auch die Mehrwertsteuer soll um einen Prozentpunkt auf 22 Prozent erhöht werden, im Jahr darauf um einen weiteren Punkt. Es sollen Studiengebühren angehoben und Wassergebühren eingeführt werden. Bis es im Februar 2011 zu Neuwahlen kommt, müssen der Vierjahresplan sowie das Budget für 2011 unter Dach und Fach sein. Es stellt die Voraussetzung für die Hilfsgelder von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds in Höhe von 85 Milliarden Euro dar. Falls die vorgegebenen Sparziele nicht erreicht werden, könnten Irland weitere Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen auferlegt werden.

Wenn sich die maroden Banken weiteres Geld „pumpen“ müssen, könnte Irland bald „stolzer“ Besitzer von ihnen werden. Was wird das die Bevölkerung erfreuen! Dann kommen die Bankster von Portugal und bestimmt auch noch die von Spanien und halten ihre Hände auf, und die Menschen sollen durch Streichorgien im Sozialbereich dafür bluten, Hauptsache, die maroden Banken können unter dem EU-Rettungsschirm Schutz und Unterschlupf finden! Die Saat des Lissabonner Vertrages scheint aufzugehen und lässt Schlimmes befürchten. Zwischen 100.000 und 150.000 Menschen protestierten nach Angaben von Gewerkschaftsvertretern am Sonnabend in der irischen Hauptstadt Dublin gegen das Sparprogramm. Darüber, dass Irland 6,7 Prozent Zinsen zahlen soll, ist der Ärger groß, weil dies weit über dem Satz läge, den zum Beispiel Griechenland zu leisten hat. Am deutlichsten fällt die Ablehnung bei der Senkung des Mindestlohns um etwa zwölf Prozent aus, was ja auch ungeheuerlich ist.

 

4. Das Oberverwaltungsgericht in Weimar erklärte die verdeckte Beschattung einer Sozialgeldbezieherin für rechtswidrig. Letzte Woche entschied das Gericht, dass es mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar sei, dass ein „Sozialdetektiv“ etwa protokolliert habe, wie lange ihr Freund bei ihr war. Im konkreten Fall ging es um einen Streit mit der Stadt Eisenach um die Übernahme der Kindergartengebühr. Natürlich war es absolut unangemessen und völlig unverhältnismäßig, die Frau überwachen zu lassen, denn eine einfache Befragung hätte die ausstehenden Fragen beantworten können. Schön, dass es immer wieder Gerichte gibt, die nicht mit zweierlei Maß urteilen und die nicht so ein Menschenbild haben, wonach alle Transferleistungsbezieher eh nur betrügen! Das Urteil lässt sich aber nicht direkt auf Hartz-IV-Fälle übertragen, da für sie Sozialgerichte zuständig sind.

 

5. Die bayerische Lehrerin Sabine Czerny machte zu guten Unterricht und wurde dafür abgemahnt, weil sie keine Vieren, Fünfen und Sechsen als Noten geben musste. Czerny schrieb einen Erfahrungsbericht, den sie nun unter dem Titel „Was wir unseren Kindern in der Schule antun und wie wir das ändern können“ als Buch veröffentlichte. Sie hatte davon gehört, es sei politisch gar nicht erwünscht, dass alle Kinder gut lernen, konnte und wollte dies jedoch bis heute nicht glauben. Zum Schluss war der Streit zwischen Lehrerin und Vorgesetzten so eskaliert, dass Czerny nur noch im Beisein ihrer Anwältin mit der Schulleitung sprechen wollte. Weil sie auch das Angebot der Behörde ablehnte, mit Mitte 30 vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, wurde sie strafversetzt. Die Autorin gibt Einblick in ein System, das „in hohem und unverantwortlichem Maße Kinder zu Versagern und Verlierern macht“, ein System, in dem „alle Opfer“ seien, „Eltern, Lehrer und Schüler“, und das „der Gesellschaft schadet“. Mir gefällt, dass die Lehrerin für eine Schule ohne Noten und ohne Selektion, aber mit so viel Zeit zum Lernen, wie die Kinder sie jeweils brauchen, plädiert. Natürlich würde niemand offen zugeben, dass er diese frühe Selektion in Gewinner und Verlierer wolle, weil jeder seines Glückes Schmied sei und Ähnliches. Aber dieses dreigliedrige Schulsystem produziert eben nur dies.

 

6. Dass Volksentscheide nicht immer nur etwas Erstrebenswertes sind, bewies am Sonntag mal wieder die Schweiz: Eine von nationalkonservativen Kreisen vorgelegte Initiative bekam nach Berechnungen des Schweizer Fernsehens rund 53 Prozent Ja-Stimmen. Nun müssen straffällig gewordene Ausländer bei „schweren Delikten“ unmittelbar nach ihrer Verurteilung ohne Einzelfallprüfung die Schweiz verlassen. Offenbar ist sogar die wegen der Verfassungsänderung notwendige Zustimmung der Mehrheit der Kantone bereits ebenfalls gesichert. Neben Kapitalverbrechen sollen Schwarzarbeit oder Betrug bei der Sozialhilfe zur Abschiebung führen. Ich finde es erschreckend, wie die Rechten und Unsozialen in Europa Fuß gewinnen, und dass schreckliche Kapitalverbrechen mit „Betrug bei der Sozialhilfe“ gleichgesetzt wird, wobei ich das nicht nur vollkommen unangemessen finde, sondern es auch einem Willkürakt, der Denunziation, Tür und Tor öffnen kann. So widerspricht es dem Subsidiaritätsprinzip.

 

7. In der Region um das marode Atommülllager Asse wurde eine erhöhte Leukämierate festgestellt. Die Erkrankungsrate bei Frauen bei Schilddrüsenkrebs verdreifachte sich, und ihre Erkrankungshäufigkeit für Leukämien ist ebenfalls erhöht. Bei den Männern liege die Zahl der Neuerkrankungen im Untersuchungszeitraum bei zwölf. Statistisch erwartbar wären 5,2 – sie ist also ebenfalls mehr als doppelt so hoch. Dennoch erklärte der Sprecher, dass „der Krebs“ insgesamt für Männer und Frauen im Erwartungsbereich liege. Wahrscheinlich sind diese erhöhten Neuerkrankungen eben genauso „zufällig“ wie die vermehrten Leukämiefälle von Kindern unter fünf Jahren im näheren Umkreis von Atomkraftwerken wie Krümmel! Laut Sozialministerium sei bisher nicht bekannt, welchen Einfluss Lebensalter oder Berufstätigkeit auf die Erkrankungen haben, da bisher ausschließlich anonymisiertes Datenmaterial vorliege. Aber ich vermute mal, dass sich besonders kettenrauchende und zu viel Alkohol konsumierende Menschen gerne in der Nähe von atomarer Strahlung aufhalten und deswegen häufiger an Krebs erkranken. Diese Häufung kann dann natürlich nicht dem Standort der AKWs angelastet werden, sondern der Zusammenballung von ungesund lebenden Menschen. Transparenz ist dabei selbstverständlich oberstes Gebot!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Erneut Hartz-IV-Suizid in Höxter: 43-Jähriger fühlte sich als Ein-Euro-Jobber im Altenheim nicht mehr ernst genommen („Prekaer-Info“)

 

Solidarität ist unsere Stärke!

Bettina Fenzel Liebe Freundinnen und Freunde, ganz besonders herzlich möchte ich mich bei denen bedanken, die am 25. November 2010 im Amtsgericht waren, um mich solidarisch zu unterstützen. Es ging um eine Anhörung, bevor das Gericht entscheidet, ob ich komplett „betreut“ werden soll, was meine finanziellen, behördlichen und sonstigen Angelegenheiten angeht. Faktisch läuft so etwas auf eine Entmündigung hinaus! Der Grund hierfür war, dass ich gegen mehrere negative Bescheide der Sozialbehörde sofort Widerspruch eingelegt hatte. Nach einer Viertelstunde allerdings fegte die Richterin das „Betreuungsersuchen“ des Sozialamtes vom Tisch!

Frau Mann-Sanders vom psychiatrischen Dienst der Sozialbehörde hatte in ihrer „Anregungsbegründung“ an das Amtsgericht den markanten Satz hineingeschrieben: „Es fällt Frau Fenzel sehr schwer, sich mit unserem Prinzip des Sozialstaats adäquat auseinanderzusetzen. Sie hat eine grundsätzlich andere Vorstellung von Verteilung und Realisierbarkeit von Lebensumständen und kann sich deshalb auch nicht mit ihrer derzeitigen Situation nach einem Unfall im Januar arrangieren.“

Der Satz bedeutet, dass alle Menschen, die eine „andere Vorstellung“ von der Verteilung des Reichtums haben und sich aktiv für eine gerechte Umverteilung einsetzen, gegen ihren Willen „zwangsbetreut“ werden könnten – zum Beispiel die vielen Menschen, die sich beim Bremer „Solidaritätsbasar“ befanden und mit Spenden halfen, Hilfsprojekte in der sogenannten Dritten Welt solidarisch zu unterstützen, und die sich damit für eine Welt einsetzen, in der sozial, ökologisch und friedlich miteinander umgegangen wird im Sinne einer solidarischen Welt!

Ich möchte mich bei meinen Freundinnen und Freunden, bei meiner Anwältin, meiner Schwester, bei den Organisationen der „Solidarischen Hilfe“, dem „Bremer Erwerbslosenverband“, der Montagsdemo, dem „Sozialen Lebensbund“, der DFG-VK, dem „Friedensforum“, dem „Umsonstladen“, der „Internationalen Sozialistischen Linken“, der DKP, der Gewerkschaft Verdi und den Menschen in der Partei „Die Linke“ für ihre konkrete Solidarität bedanken! Ich war überwältigt, dass sie alle nach dem Prinzip gehandelt haben: „Solidarität ist unsere Stärke!“

Bettina Fenzel (parteilos)

Die Richterin fragte Bettina erstaunt: „Sind das alles Ihre Freunde?“ Die über 20 vor dem Saal Wartenden und erregt Diskutierenden mussten vom herbeigerufenen Gerichtspräsidenten höchstpersönlich in barschem Ton fortgejagt werden: „Dieser Flur ist kein Versammlungsraum!“ Wenn da oben im sechsten Stock so viele Menschen herumstehen, ist möglicherweise der Fußboden einsturzgefährdet. Zu unserer eigenen Sicherheit begaben wir uns deshalb in die etwas tiefer gelegene Cafeteria und konnten dort schon kurze Zeit später unsere Mitstreiterin glücklich in die Arme schließen.

Gerolf D. Brettschneider (parteilos)
 
Schäden an Augen und Nieren: Arge Breisgau streicht einem Diabetiker das ALG II und meldet ihn von der Krankenkasse ab („5 Jahre Hartz IV“)

 

Das Un-Wesen der Dialektik

Zugeschickt wurde uns eine kurze Geschichte mit dem Titel „Dialektik, die Kunst des Überzeugens“:

Es kommen Kolchosenbauern zum Pfarrer: „Genosse Pfarrer, unser Parteisekretär spricht täglich von Dialektik. Was ist das?“ Der Pfarrer sagt: „Das ist nicht so einfach zu erklären. Ich erzähle euch ein Beispiel: Es kommen zwei Genossen, der eine ist rein, der andere schmutzig. Ich biete ihnen ein Bad an. Welcher von beiden wird das Bad annehmen?“ Die Bauern sagen: „Der Schmutzige.“ Der Pfarrer sagt: „Nein, der Reine, denn der Reine ist gewohnt, zu baden, der Schmutzige legt keinen Wert darauf. Wer nimmt also das Bad an?“ Nun sagen die Bauern: „Der Reine.“

„Nein“, sagt der Pfarrer, „der Schmutzige, denn er bedarf das Bades. Also, wer nimmt das Bad an?“ Jetzt sagen die Bauern verdutzt: „Der Schmutzige.“ – „Nein, alle beide, denn der Reine ist gewohnt zu baden, und der Schmutzige bedarf des Bades. Wer nimmt also das Bad an?“ Die Bauern sagen verwundert: „Alle beide.“ – „Nein, keiner von beiden, denn der Schmutzige ist nicht gewohnt zu baden, und der Reine bedarf des Bades nicht.“ – „Aber Genosse Pfarrer, was soll das heißen? Jedes Mal sagst du etwas anderes, und jedes Mal drehst du es so, wie es dir passt.“ – „Ja“, sagt der Pfarrer, „das ist eben Dialektik.“

Unsinn! Was der Pfarrer da vorführt, ist bloße Sophistik, spitzfindige Wortklauberei. Am Beispiel von „der Reine badet (nicht), und der Schmutzige badet (nicht)“ dekliniert er wortreich die vier Fälle durch, die nach den Regeln der formalen Logik möglich sind – eine Trivialität. Er gelangt dabei nicht zu der Erkenntnis, dass seine Beobachtungen – „rein“ und „schmutzig“ – nicht ausreichen, um das Verhalten zweier Menschen vorherzusagen. Stattdessen nutzt er seine Redegewandtheit, um die Partei der Arbeiter und Bauern und den Kern ihrer Weltanschauung verächtlich zu machen.

Gerolf D. BrettschneiderDie Begriffsbestimmung der Dialektik als „Kunst des Überzeugens“ ist philosophiegeschichtlich zwar nicht falsch, bleibt aber dem Altertum verhaftet wie die Bibel. Der erhebliche Beitrag von Hegel und Marx wird ausgespart. Hegel will das Verständnis erweitern, um die Begriffe höherzuentwickeln. Marx will die Wirklichkeit erkennen, um sie zu verändern. Wenn es gelingt, wird das schon seine Überzeugungskraft entfalten! Dialektiker wollen eine Sache weiterentwickeln, nicht zerreden. Sie untersuchen dazu die gegensätzlichen Kräfte, die einer Sache innewohnen und sie bewegen, umformen, aufbrechen und neubilden.

Dialektik ist die Lehre von Kampf und Einheit der Gegensätze. Nichts davon in dieser Geschichte! Das Verbreiten reiner Desinformation über das Wesen der Dialektik zum Zwecke der Bauern- und Leserverarschung, damit sie bloß nicht lernen, selbst nachzudenken, und damit der Pfarrer als Weisheitsverkünder weiterbestehen kann, das ist das Ärgerliche und Reaktionäre an diesem lustigen Text, der so pseudo-didaktisch im Stil einer fernöstlichen Lehrgeschichte daherkommt. Kein Wunder, dass man ihn auf einer Rhetorik-Website für Management-Training findet.

Gerolf D. Brettschneider (parteilos)
 

 

Stellvertreter steigern Resignation

Hans-Dieter Wege So wie in der Geschichte mit dem Pfarrer läuft es doch, und bestimmt ist das inzwischen etwas, das die Menschen mit am meisten ablehnen: heute 500 Euro Regelsatzforderung, morgen 80 Euro mehr für Ernährung, übermorgen einen Heiermann und danach 359 Euro Regelsatz plus Inflationsausgleich. Alles ohne eine klare einheitliche linke Linie! Aber ohne ein vernünftiges Angebot an die „Prekären“ wird man niemanden überzeugen, selbst aktiv zu werden. Da nützt kein Jammern und Zetern, auch nicht das eines Martin Behrsing!

Die Umzingelung des Parlaments am Freitag in Berlin sei ein vorhersehbarer Flop gewesen, klagt der Sprecher des „Erwerbslosenforums Deutschland“. Man hätte besser rechtzeitig „die Notbremse gezogen“, sprich: die Aktion abgeblasen. Einzig die Demonstration der Erwerbslosen unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ in Oldenburg sei erfolgreich verlaufen. Ob Studentenrevolte, Ökologie- oder Friedensbewegung, AKW- oder „S21“-Gegnerschaft: erfolgreicher Protest sei hierzulande immer von der „bürgerlichen Mitte“ getragen worden, wenn die soziale Frage nicht im Vordergrund gestanden habe, denn „Deklassierte“ resignierten eher als sich zu wehren. Man müsse daher „exponierte Vertreter der bürgerlichen Mitte als Verbündete ins Boot holen und für das Anliegen der Deklassierten gewinnen“.

Martin Behrsing vergisst, dass in Oldenburg nur die üblichen „Verdächtigen“ mitdemonstrierten, aber nicht die betroffenen Arbeitslosen, die man eigentlich erreichen wollte. Das war in Berlin bei der Herbstdemonstration der Montagsdemobewegung schon eher der Fall, aber hier hält man es seitens der „Erwerbslosenbewegung“ ja lieber damit, diese Bewegung zu spalten. Aufrufe, gemeinsam Widerstand zu leisten, gehen in meinen Augen genauso in die falsche Richtung: Dann verlassen sich viel zu viele nur immer auf die anderen. Es muss heißen: Mach du mit und leiste du Widerstand! Nur so wird es eindeutig und nicht zur leeren Phrase. Amen! Und her mit dem bedingungslosen Grundeinkommen!

Um solchen Widerstand zu leisten, finde ich es auch richtig, dass die Betroffenen als Mitkläger(innen) den Massenklagen gegen den Hartz-IV-Regelsatz beitreten, sobald eine Musterklagebegründung vorliegt. Niemand wird „eine Katze im Sack kaufen“, aber einer guten Begründung werden viele beitreten. Mir ist nicht bekannt, ob man in den einzelnen Bundesländern aufgrund der dort zuständigen Landessozialgerichte jeweils eigene Massenklagen organisieren müsste. Ich vermag auch nicht zu beurteilen, ob wir hier und in anderen Städten einen Anwalt oder eine Kanzlei dafür finden. Allerdings wäre es ein Riesenskandal, wenn man niemanden fände!

Dass Anwälte einfach die Vertretung einer Klägergruppe ablehnen dürfen, kann ich mir nicht vorstellen. Die bürgerlichen Klagegemeinschaften, beispielsweise gegen den Gasversorger EWE und seine Wucherpreise, werden ja auch nicht abgelehnt. Es gibt zudem genügend Juristen in der Linkspartei. Oder sollen wieder nur Einzelne, in der gleichen Art und Weise wie bisher, juristisch und politisch vorgeführt werden? Mir persönlich wurde schon mal von einem Sozialrichter hier in Oldenburg eine „Mutwillensgebühr“ für den Fall angedroht, dass ich meine Klage nicht zurückziehe. Dabei ging es um die Kosten für eine Schülermonatskarte. Doch die Meinungen der Sozialrichter sollten uns hierzu am wenigsten interessieren! Wir werden ja sehen, ob wir genügend Mitklagewillige und eine vertretungswillige Anwaltskanzlei finden.

Vor Gericht geht es oft um die Anerkennung von Gutachten. Daher finde ich, die Sozialgerichte müssen aufgefordert werden, gerichtliche Gutachten zu den Regelsätzen zu veranlassen. Das wird auch in anderen Verfahren so gemacht. Wieso sollte es fürs SGB II oder SGB XII nicht gelten? Weiterhin verstößt Hartz IV in meinen Augen in vielen Fällen gegen die Bremer Landesverfassung. Nach unserem Grundgesetz sind die Bundesländer für die Höhe der Regelleistungen zuständig. Vielleicht muss man auch in dieser Richtung einmal juristisch nachprüfen lassen, was da zu machen wäre!

Natürlich muss sich die Partei, die sich „Die Linke“ nennt, weiterhin auch auf die „juristische Schiene“ begeben, denn politisch kommt ja nichts Konkretes. Oder wäre es für sie am besten, wenn alles weiterläuft wie bisher? Letztlich geht die Linkspartei konform mit diesem kapitalistischen System. Sie ist noch viel zu bürgerlich drauf und träumt von einem möglichen „Sozialaufbau“ oder „Wiederaufbau“. Ich bin davon überzeugt, dass dies eine falsche Sicht ist: Ein „Sozialaufbau“ in einem kapitalistischen System ist nicht möglich! Wir alle stellen das doch spätestens seit 2005 fest.

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner asozialer Politik)
 

 
Existenzminimum kleingerechnet: Wie Tricks und politisch gewollte Abschläge
den Hartz-IV-Regelsatz unter 500 Euro drücken („Linksfraktion“)
 
Null Cent für Lebensmittel: In die Regelsatzberechnung fließen Haushalte ein, die sich auch oder ausschließlich von der „Tafel“ ernähren („Linksfraktion“)
 
„Realitätsfern und völlig unzureichend“: „Paritätische Wohlfahrtsverband“ unterstützt Betroffene bei Klagen gegen Hartz-IV-Reformgesetz („Junge Welt“)
 
Rot-rot-grüner Antrag: NRW-Landesregierung soll vor dem Verfassungs­gericht gegen Hartz-IV-Regelsatzreform klagen („Elo-Forum“)

 

PR-Super-GAU Arbeitslosenschelte

Brigitte Vallenthin Was hat sich der Betreiber eines Bonner Arbeits­losenforums eigentlich dabei gedacht, so auf die einzuschlagen, deren Interessen er zu vertreten vorgibt? Warum ruft einer zu zivilem Ungehorsam und sogar Straftaten ausgerechnet diejenigen Menschen auf, die bereits von Amts wegen unter ständigem, unerträglichem Druck des Existenzverlusts stehen und mit dem Strafgesetzbuch bedroht werden? Welches Interesse hat ihn angetrieben – wenn er doch nach eigenem Bekunden den „Flop“ für „vorhersehbar“ hielt und „eher skeptisch“ war, dass „diese Aktion gelingen“ könne –, jetzt öffentlich das Scheitern der sozialen Bewegungen gegenüber der Presse zu erklären?

Mit der Veröffentlichung auf einem Internet-Presseportal, eigener Presseer­klärung und im Gespräch mit Medien hatte der Betreiber eines Internetforums für Hartz-IV-Betroffene, das sich durch den Zusatz „Deutschland“ aufwertet, mit vorwurfsvollem Tenor gefragt: „Was ist los mit den sozialen Bewegungen?“ und von einer „Ohnmacht des Sozialprotests“ gesprochen. Mit dem vorwurfsvollen Tenor „selber schuld!“ zieht er den Schluss: „In Berlin gibt es Hunderttausende, die in Armut leben. Warum bleiben die zu Hause, wenn es um ihre Interessen geht?“

Die „Hartz-IV-Plattform“ verurteilt aus Betroffenensicht diese Schelte gegen Arbeitslose, denn allein die Forderung nach Solidarität Dritter im Sinne von Almosen ist nicht viel mehr als die Unterstützung des Suppenküchenstaates. Die Hartz-IV-Bürgerinitiative stellt fest, dass die Betroffenen keineswegs Menschen sind, die sich nicht selber zu helfen wissen. Sie brauchen nicht noch jemanden, der sie bevormundet – wie schon Ministerin von der Leyen. Man muss ihnen endlich ihre freien Entscheidungen lassen! Aktionen wie die gescheiterten spielen dabei nur der von der Bundesregierung angestrebten Politik ihrer weiteren Ausgrenzung und Entmutigung in die Hand. Im Übrigen können die ständigen Aufrufe an Arbeitslose zu bundesweiten Demonstrationen doch nur von Leuten geplant sein, die nicht die geringste Ahnung davon haben, wie weit man mit knapp 20 Euro Fahrgeld aus dem Hartz-IV-Regelsatz kommt!

Für die „Hartz-IV-Plattform“ stellen sich da die Fragen: Wie kann – in Kenntnis der Verhältnisse mit dauerndem Druck auf Entzug des Existenzminimums und der Drohkeule des Strafgesetzbuches in den Argen – von Organisationen und sogar dem Vertreter eines Hartz-IV-Forums derart geschundenen Menschen zugemutet werden, öffentlich zivilen Ungehorsam bis hin zu strafrechtlich relevanten Taten zu demonstrieren? Wie kann man – laut Presseerklärung – Hartz-IV-geschundene Menschen beispielsweise dazu aufrufen, „in die Bannmeile des Bundestages einzudringen“, „Bundestagsbelagerung“ vorzunehmen oder die „CDU-Bundesparteizentrale“ zu „besetzen“ oder Banken zu „blockieren“? Wie kann man diese Menschen auf die Straße und in absehbar weitere Entmutigung locken? Nehmen die, die so aufrufen, die Betroffenen überhaupt ernst? Kennen sie eigentlich ihre Probleme wirklich?

Die Frage des Forumbetreibers „Warum finden die Aufrufe der sozialen Bewegungen so wenig Resonanz bei den Betroffenen?“ lässt sich nach Einschätzung der „Hartz-IV-Plattform“ ganz einfach beantworten: Es sind doch gar nicht die Aufrufe der Betroffenen. Vielmehr sind es Kopfgeburten von Organisationsfunktionären im sicheren Sessel, die die Betroffenen nur benutzen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Schon gar nicht sind es die Forderungen der Basis, die da – von wem auch immer – in Kampagnen gepackt werden. Vielmehr sind es durch parteipolitische oder andere Interessen gesteuerte Parolen. Man denke bloß an die ebenso wie von der Bundesregierung nur „ins Blaue“ geschätzten pauschalen Forderungen von 80 Euro mehr für Ernährung oder 500 Euro Regelsatz.

Die diese Parolen vorgeben, ignorieren einfach, dass an der Basis die von Sachverständigen – nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – tatsächlich transparent berechneten Größenordnungen um 600 Euro Regelsatz und auch das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert werden. Wenn der Forumbetreiber – der den Anschein erweckt, für alle Arbeitslosen sprechen zu können – nach den Lehren aus „Stuttgart 21“ fragt, kann die einzige Antwort doch nur lauten: Endlich die Betroffenen ernst nehmen und der betroffenen Basis zuhören! Nur die Erfahrungen und Interessen der Hartz-IV-Betroffenen selber können zu einer Bewegung in ihrem Sinne werden und daraus Kraft und Größe entwickeln.

Die öffentliche Erklärung zum angeblichen Scheitern von Bankenblockade und Bundestagsbelagerung seitens der sozialen Bewegungen ist ein PR-Super-GAU für die Hartz-IV-Geschädigten und -Missbrauchten. Mit Verlaub: Was sollen die sinnlosen Planspiele vom Schulterschluss mit der „bürgerlichen Mitte“? Hartz IV ist längst im Querschnitt der Bevölkerung angekommen. Statt scheinheilig Krokodilstränen über das selbst verursachte Desaster zu vergießen, sollten seine Verursacher lieber mal in den Spiegel schauen, ehe sie andere dafür verantwortlich machen. Der „Freitag“ bringt es auf den Punkt: „Für viele Erwerbslose findet die Krise nicht auf dem Börsenparkett statt, sondern bei Schikanen in Jobcentern und Beschäftigungsmaßnahmen. Ein Bündnis gegen diese Krisen im Leben vieler Menschen ist bisher nicht in Sicht.“

Zuschrift von Brigitte Vallenthin („Hartz-IV-Plattform“)

 

Autobahn-„Monsterknoten“ als rechtswidrig verworfen

Wieland von HodenbergDas Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat gesprochen und damit den Bürgerinitiativen in Bremen-Obervieland gegen den unmenschlichen „Monsterknoten“ allen Grund zu heller Freude gegeben! Die Klagen von Anwohner(inne)n in den Stadtteilen Kattenturm und Huckelriede gegen den Neubau der A281 zwischen Neuenlander Ring und Kattenturmer Heerstraße hatten einen weitgehenden Erfolg. Das Gericht verwarf entscheidende Teile der Planungen als rechtswidrig, vor allem die sogenannte Querspange zum Autobahnzubringer Brinkum, die unsere Stadtteilstruktur rücksichtslos und menschenverachtend mitten durchgeschnitten hätte. Die Abwägung zur Querspange, so das BVG, sei abwegig gewesen. Sinnvolle Alternativen, die von den Bürgerinitiativen aufgezeigt wurden, seien von den Planern gar nicht erst in Betracht gezogen worden. Hier müsse korrigiert werden!

Nach dem Urteilsspruch waren etwa 250 Anwohner(innen) im Gemeindesaal der Sankt-Marcus-Gemeinde in Kattenturm zusammen gekommen, um die Folgen des Urteils zu beraten und ihren Erfolg gebührend zu feiern. Norbert Breeger, Sprecher der Bürgerinitiativen, resümierte das Ergebnis unter großem Beifall aller Anwesenden wie folgt: „Ohne die Unterstützung der vielen Anwohner(innen) wären wir nie so weit gekommen und hätten den Prozess vor dem Leipziger Gericht nie gewonnen!“

Scharfe Kritik wurde indes an der Bremer Handelskammer laut. In Sachen Trassenführung mache sie lediglich große Sprüche, um ihre Macht zu legitimieren, doch in Wahrheit vertrete sie die Interessen der Wirtschaft damit auch nicht. Die Bürgerinitiativen sehen in dem Richterspruch ein Urteil für mehr Demokratie und fordern von der Handelskammer und dem Bremer Senat in Zukunft eine konstruktive Politik. Von der Verkehrsbehörde wird eine völlig andere Planungskultur mit wesentlich mehr Bürgerbeteiligung angemahnt. Vor allem die Stadtteilbeiräte müssten stärker in die Planungen einbezogen werden. Herauskommen müsse endlich eine „menschengerechte“ Autobahn, sofern es so etwas überhaupt geben kann!

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)
 
Verbesserung vorgeschlagen: Wird „Stuttgart 21“ teuer genug,
um zu scheitern? („Spiegel-Online“)
 
Schutzkleidung eingespart: Dortmunder Recyclingunternehmen verseucht jahrelang Billigjobber und Anwohner mit Dioxin („Tageszeitung“)
 
„Arbeit macht frei“: Schwedischer „Altmetall“-Hehler muss wegen „Ortsentweihung“ knapp drei Jahre ins Gefängnis („Spiegel-Online“)
 
Peinlich berührt: Vergewaltigungsvorwürfe gegen den „Wikileaks“-Chef kranken daran, dass die US-Regierung den Enthüller ausschalten will („Bild“-Zeitung)
 
Beschwerde abgebügelt: Presserat sieht in Verunstaltung eines Leserbriefs
an den „Weser-Kurier“ keinen Verstoß gegen „presseethische Grundsätze“
 
Zur 307. Bremer Montagsdemo am Nikolaustag, dem 6. Dezember 2011, hat sich eine Redakteurin des „Weser-Kuriers“ zum Besuch angekündigt. Wir freuen uns über besonders rege Teilnahme an unserer Veranstaltung! – In der Vorweihnachtszeit beginnt die Montagsdemo, da der Marktplatz belegt ist, um 17:30 Uhr an der Domsheide. Von dort ziehen wir weiter zum Hanseatenatenhof und später zum Bahnhofsvorplatz, um ab 18:45 Uhr
am Schwabenstreich teilzunehmen.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz