Georg: Wir haben vor einigen Tagen von deinem Aufruf zur Massenklage gegen Hartz IV erfahren und würden uns gern in dieses Projekt einbringen. Aufgrund unserer Sozialberatungstätigkeit verfügen wir über zahlreiche Kontakte zu der betroffenen Klientel, auch über unseren Heimatkreis Kleve hinaus! Es ist durchaus vorstellbar, dass wir die Organisation und Realisierung der entsprechenden Klagen – hier für den Sozialgerichtsbezirk Duisburg – koordinierend übernehmen könnten. Hilfreich wären dabei alle verfügbaren Informationen über den Entwicklungsstand der Aktion und die Absprache der weiteren Vorgehensweise – bundesweit –, um die Betroffenen zu informieren und zu einer Teilnahme zu ermutigen. Der erforderliche „Background“ (betreuende Sozialrechtler) steht uns zur Verfügung!
Gerolf: In Bremen sind wir noch ganz am Anfang mit der Planung. Spenden für Hartz-IV-Prozesskosten sollen auf das Konto von Jobst Roselius mit der Nummer 2 83.773.918 4 bei der Postbank Hamburg (BLZ 201 100 22) eingezahlt werden. Ich habe bei einer Anwältin „vorgefühlt“ und als spontane Antwort erhalten, dass sie sich ein Mitmachen wohl vorstellen könne, etwa beim Verfassen einer Musterbegründung für eine Klägergruppe. Eine ähnliche Nachricht habe ich von einer politisch aktiven Bekannten aus Berlin-Neukölln bekommen.
Die Anwältin, mit der ich gesprochen habe, meinte, zu Jahresbeginn solle man nach § 44 SGB X eine verfassungskonforme Neubewilligung der Regelleistung beantragen. Man könne davon ausgehen, dass Prozesskostenhilfe bewilligt werde, weil viele Sozialrichter die Verfassungsmäßigkeit des Leyen’schen Gesetzentwurfs bezweifeln. Ansonsten brauchen wir noch einen kurz gefassten Klageaufruf, denn was ich bisher geschrieben habe, war mehr ein Brainstorming meinerseits.
Viele Leute sind mit dem Schreiben von Behördenbriefen überfordert. Es reicht daher nicht, eine Musterklage im Internet zu veröffentlichen. Man sollte es ihnen so einfach machen wie bei einer Unterschriftensammlung, dass sie also nur noch Name und Adresse in einen Vordruck eintragen müssen, für Klage und Anwaltsvollmacht. Eben bin ich in einem Medienbericht erstmals über das Stichwort „Massenklagen“ gestolpert, bisher hieß es „Klageflut“. Zu meinem entsprechenden Aufruf wurden mir zwischenzeitlich allerdings die folgenden Bedenken vorgetragen.
Erstens sei zu befürchten, dass wir doch keinen örtlichen Anwalt finden, um eine Klägergruppe zu betreuen. Auch die von mir angesprochene Anwältin werde nach Rücksprache mit ihrem Kanzleikollegen „abspringen“, weil Anwälte es sich nicht mit den örtlichen Sozialrichtern durch „Belästigung“ mit einer Massenklage „verderben“ wollten. Bei denen würden sie sonst später „keinen Stich mehr kriegen“. Man müsse solch ein Projekt daher allein durchziehen, ohne Anwalt.
Zweitens könnten „per Vordruck“ oder „nach Schema F“ eingereichte Klagen schnell ins Leere laufen. Das würde nur „für eine Aktion“ taugen, uns aber juristisch nicht weiterbringen. Zumindest einzelne Klagen müssten daher individuell, nicht nur „politisch“ oder „allgemein“ begründet werden. Der einzelne Kläger müsse konkret darlegen, weshalb er mehr Geld benötige, zum Beispiel mit einem Haushaltsbuch. Am meisten Erfolgsaussichten hätten Familien mit Kindern.
Drittens sei es wegen dieser Schwierigkeiten unwahrscheinlich, dass wir in Bremen 100 Kläger zusammenbekommen. Man könne zwar vor dem Jobcenter Flugblätter verteilen und den Termin einer Klageinfo-Veranstaltung bekannt geben, es würden aber nur wenige Leute kommen. Gemäß Vorschlag meiner Neuköllner Bekannten an Ort und Stelle einen Klagevordruck und womöglich eine Prozessvollmacht ausfüllen zu lassen wie bei einer Unterschriftensammlung, werde nicht funktionieren, weil die Leute ängstlich seien und sich nicht vorstellen könnten, was auf sie zukommt.
Diese Bedenken haben mir keine Ruhe gelassen, weil sie bedeuten, dass wir unser Vorgehen von vor fünf Jahren wiederholen und nicht weiterentwickeln. Daher habe ich heute in der Kanzlei der mir von einer Mitstreiterin empfohlenen Anwältin vorgesprochen, der ich letzte Woche bereits meinen Aufruf in die Hand gedrückt hatte, und sie gefragt, ob sie für eine Massenklage gegen den Hartz-IV-Regelsatz zur Verfügung stehen würde. Sie sagte: „Darüber können wir gern sprechen, aber nicht heute“ und gab mir einen Termin für nächsten Dienstag. Ich konnte ihr noch einen Ausdruck der obigen Bedenkenliste übergeben.
Norbert: Sicherlich wartest du schon einigermaßen ungeduldig auf eine erneute Rückmeldung. Ursache ist die Flut an Informationen, die uns in den letzten Tagen zur Regelsatzerhöhung und den geplanten Änderungen des SGB erreichten. Mit den in deiner Mail geäußerten Bedenken haben wir uns auch beschäftigt, können diese jedoch nicht teilen. Im Vorfeld gäbe es lediglich abzuklären, ob die Landesregierungen unter Beteiligung der Linkspartei wegen der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit den Gang vor das Bundesverfassungsgericht antreten werden. Dann könnten wir unsere Energie anderweitig einsetzen.
Aufgefallen ist uns, dass wir hier in anderen Dimensionen denken als ihr in Bremen. In Geldern, einer Stadt mit 35.000 Einwohnern, ist es für uns kein Problem, circa 100 Mitkläger oder mehr zu finden. Auch Sozialrechtsanwälte stehen uns gleich mehrere zur Verfügung. Wie viel mehr müsstet ihr im Stadtstaat Bremen auftun können! Woran liegt das? Wir sind ehrenamtlich in der Sozialberatung von Betroffenen tätig und stehen oft an der örtlichen „Tafel“-Einrichtung, um Informationen zur Selbsthilfe zu verteilen. Wir sind selber Betroffene und verfügen über eine Vielzahl an persönlichen Kontakten mit anderen Betroffenen sowie den örtlichen Sozialverbänden. Durch unsere Tätigkeit in der Selbsthilfe haben wir zugleich auch die Möglichkeit, in den Städten und Gemeinden unseres Landkreises die Massenklage in einem Umfang zu realisieren, der die beabsichtigten öffentlichen Wirkungen erzielt.
Die von uns angesprochenen Anwälte waren allesamt gerne bereit, dabei mitzuhelfen. Daher sind uns die von dir geschilderten „Leisetreterreaktionen“ echt unverständlich. Wir machen den Menschen immer wieder klar, dass nur dann, wenn wir selber etwas zur Verbesserung unserer Lage unternehmen, die Aussicht besteht, dass sich etwas ändert. Damit haben wir hier schon viele bewegen können, sich erst einmal über ihre Rechte zu informieren und diese dann auch durchzusetzen. Dies hat uns so viel Vertrauen eingebracht, dass unsere Angebote von Amtsbegleitung, Einzelberatung, Bescheidprüfung oder Informationstreffen immer stärker genutzt werden. Vor Ort ist eine Massenklage umzusetzen, wenn die Struktur in der prekären Bevölkerungsschicht genutzt wird. Nur für den Landkreis Kleve sind 2.000 Klagen ein durchaus realistisches Ziel.
Die koordinierte bundesweite Umsetzung von Massenklagen erfordert jedoch eine höhere Organisationsstufe in einem äußerst knappen Zeitrahmen. Daher fragen wir uns, wie der Stand an Rückmeldungen zu deinem Aufruf über Bremen hinaus eigentlich ist? Ein besonderes Schmankerl war für uns auch die Reaktion deines örtlichen Linksparteivorsitzenden. Wir sind selber Mitglieder, und uns führt kein Genosse seinen „Hinterkopf“ vor, ohne dass er sogleich die verbalen Einschläge zur Anregung seines Denkvermögens auf selbigem wahrnehmen muss.
Wie dem auch sei, unsere umfangreichen Kontakte in die Partei sind sicherlich ein gutes Instrument, um die Massenklage im vorgesehenen Rahmen auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus sind Querverbindungen zu Gewerkschaften ebenfalls nutzbar. Es stellt sich die Frage, wie wir nun weiter vorzugehen beabsichtigen. Ob die angesprochenen Länder Klage beim Bundesverfassungsgericht einlegen werden, könnten wir in den nächsten Tagen einmal abklären. Die von deinem Berlin-Kontakt vorgeschlagene Vorgehensweise halten wir für genau richtig. Daher unser Vorschlag, ihr mögt euch mal um Kontakte insbesondere zu Selbsthilfeorganisationen in Bremen bemühen, auch um geeignete Anwälte zu finden.
Gerolf: Ich danke dir für deine selbstbewusste und ermutigende Rückmeldung! Von dem für den Landkreis Kleve geschilderten Vernetzungs- und Organisierungsgrad kann ich hier in Bremen nur träumen. Leider hat es in der Vergangenheit zwischen den sozialpolitisch Aktiven oft mehr Animositäten als Solidarität gegeben. Die Anregung, auch an der „Tafel“ Informationsmaterial zu verteilen, sollten wir aufgreifen. Die Bremer Linkspartei hat offenbar so wenige Mitglieder, dass ihr Fraktionsvorsitzender auf meine Anregung, Hartz-IV-Beratung und „Begleitschutz“ beim Ämterbesuch anzubieten (auch, um dankbare Wähler zu gewinnen und dieses Terrain nicht der NPD zu überlassen), sagte, er könne „die Leute leider nicht machen“ – und es liegt mir fern, ihn dafür zu verspotten, denn dieses Problem haben wir bei der Montagsdemo und anderen Erwerbsloseninitiativen auch. Da legst du also den Finger in offene Wunden.
Eine weitere Anfrage kam aus Wiesbaden. Allerdings ist niemand auf mich angewiesen, wenn er in seiner Stadt Massenklagen organisieren möchte, und kann „autonom“ vorgehen, wie er es für richtig hält. Die Anregung allein müsste doch reichen! Relevante Informationen werde ich auf unsere Homepage stellen, sie werden kurz darauf wohl bei „Scharf links“ erscheinen. Aber auch darauf ist niemand angewiesen. Sollte es verstärkt Rückmeldungen geben, richte ich einen E-Mail-Verteiler ein. Was den Aufbau einer bundesweiten Koordinierung oder zumindest Vernetzung betrifft, so habt ihr vermutlich bereits mehr hierfür nutzbare Kontakte als wir, also geht voran!
Ansonsten hoffe ich, dass sich die bundesweite Montagsdemo des Themas annimmt. Zumindest hat ihr Webmaster schon mal einen Hinweis auf die Homepage gesetzt. Übrigens weiß ich nicht, weshalb der „Weser-Kurier“ für seinen Besuch eine 307. Bremer Montagsdemo abwartet, in einem Dezember, der bisher so klirrend kalt war, dass man keinen Hund vor die Tür jagen will. Ich persönlich möchte mit der Reporterin dieses Blattes nicht sprechen – auch wenn sie zweifellos sehr freundlich ist –, denn ich habe schlechte Erfahrungen mit den bürgerlichen Medien gemacht.
Von der 300. Montagsdemo gegen Hartz IV zeigte „Buten un binnen“ drei Rentner und einen Sonderling – auch für die ist Platz auf der Montagsdemo! –, blendete aber die vollzählig versammelte Linksfraktion der Bremischen Bürgerschaft und deren Beiträge aus. Im Sommer vorletzten Jahres drohte mir „Radio Bremens“ Chefin vom Dienst mit dem Hausjustiziar, wenn ich ihren patzigen Brief an eine Montagsdemonstrantin, die sich gegen Lobpreisung von Ein-Euro-Jobs durch die öffentlich-rechtliche Anstalt wandte, nicht von unserer Homepage entferne. Im Winter zwei Jahre zuvor erwarteten mich drei Fernsehteams im Gericht, als ich es wagte, eine Klage auf Erhöhung des Regelsatzes nicht nach Aktenlage vom Tisch fegen zu lassen, sondern erst nach mündlicher Verhandlung.
Die Reporterin von der „Deutschen Presse-Agentur“ fragte mich anschließend als erstes nach meinem Namen und als zweites: „Wie lange sind Sie schon arbeitslos?“ Ich sagte: „Gleich diese Frage geht mir zu weit. Das hat mich ja nicht mal der Richter gefragt! Sie können aber gern mit meinen Mitstreitern von der Montagsdemo reden.“ Da guckte die Dame sehr enttäuscht, und auch die Fernsehanstalten entschlossen sich, das gedrehte Filmmaterial nicht zu senden. Ich aber möchte meinen Menschenwert nicht nach der Dauer meiner Arbeitslosigkeit bemessen wissen.
Mit der geplanten Regelsatzreform stehen uns Monate der Rechtsunsicherheit bevor. Selbst wenn es, etwa durch die Länder Berlin, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen, zu einer Normenkontrollklage kommt: Wann wird das Urteil gesprochen? Sollen wir auf die „Genossen Pfarrer“ hören, unsere Hände in den Schoß legen und beten, dass alles gut geht? Der „Paritätische Wohlfahrtsverband“ ist nicht so zuversichtlich: Er will Hartz-IV-Betroffene beim Klagen vor den Sozialgerichten unterstützen. Lasst uns die Klagewilligen bei den Jobcentern, Beschäftigungseinrichtungen, „Tafeln“, Suppenküchen, Kleiderkammern und Obdachlosenheimen abholen und mit ihren Klagen die Sozialgerichte schottern!
Ich bitte deshalb die Bremer Montagsdemo, unsere Delegierten Hans-Dieter Wege und Manfred Seitz auf der nächsten Sitzung der Koordinierungsgruppe der bundesweiten Montagsdemo den Antrag stellen zu lassen, zu örtlich organisierten Massenklagen gegen den ab Januar voraussichtlich verfassungswidrigen Hartz-IV-Regelsatz aufzurufen und sie zu koordinieren.
Unser Antrag an die Koordinierungsgruppe lautet: „Sozialgerichte schottern! Die bundesweite Montagsdemo ruft zu örtlich organisierten Massenklagen gegen den ab Januar voraussichtlich verfassungswidrigen Hartz-IV-Regelsatz auf und koordiniert sie.“
Zur Erläuterung: Die örtlichen Montagsdemos können beispielsweise mit dem „Paritätischen Wohlfahrtsverband“ zusammenarbeiten, der zugesagt hat, Kläger zu unterstützen. Sie können aber auch Spenden sammeln und engagierte örtliche Anwälte beauftragen oder selbständig mithilfe von Klagemustern vorgehen. Klagewillige finden sie bei Jobcentern, Beschäftigungseinrichtungen, „Tafeln“, Suppenküchen, Kleiderkammern oder Obdachlosenheimen. Die Einreichung der Klagen wird von Kundgebungen begleitet, ebenso die stattfindenden Gerichtsverhandlungen.
„Tell sailor, tell me a story, tell me a story from Hartz IV“: Es war eine gemütliche Runde im Seemannsheim, in der jede(r) der Anwesenden zu Wort kam und schildern durfte, wieso er oder sie sich in die Montagsdemo einbringt. Ich habe über unseren einstimmigen Beschluss zu den Massenklagen berichtet und dargestellt, warum wir das überhaupt machen wollen. Des Weiteren habe ich von der Forderung der Bremer Montagsdemo zu Einheitsgrundeinkommen, Mindestlohn und radikaler Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit berichtet. Meiner Meinung nach muss weltweit ein totaler Umdenkungsprozess hinsichtlich Ökonomie und Ökologie erfolgen. Die Reporterin vom „Weser-Kurier“ hat geschrieben und geschrieben! Ich bin gespannt, wie viel ihr der Chefredakteur davon genehmigt. Hoffentlich schickt sie uns auch einen Link oder eine Kopie von ihrem Artikel zu. Er soll wohl erst im Januar erscheinen.
Was die Massenklagen gegen den Hartz-IV-Regelsatz angeht, meine ich, dass uns gute Klagebegründungen weiterbringen werden. Für Alleinlebende sollten wir uns auf das Gutachten von Rüdiger Böker stützen und für Kinder einheitlich feststellen lassen, dass Kindergeld kein Einkommen der Kinder ist, sondern der Eltern. Die mit der Einführung von Hartz IV aufgestellte Behauptung der Regierung, das Kindergeld sei Einkommen der Kinder, ist eindeutig verfassungswidrig. Weiterhin sollten wir fordern, dass gerade Kindergeld nicht mehr auf die Hartz-IV-Regelsätze in der Weise angerechnet wird, dass es für Ernährung und Bekleidung herangezogen werden muss, sondern dass es für alle Erziehenden ausschließlich für Erziehung und gute (Aus-)Bildung freigestellt wird. Nur so entspricht auch das Kindergeld, in die Zukunft gerichtet, dem Prinzip des „Forderns und Förderns“. Damit würden wir Familien und Alleinerziehende auf unsere Seite ziehen. Das sollten wir mit der Rechtsanwältin besprechen! Leider hat sie unseren Termin kurzfristig um eine Woche verschieben müssen, wegen eines wichtigen Prozesses an diesem Mittwoch. Sie habe „heute den Kopf nicht frei, um eine politische Strategie zu entwickeln“.
Das Bündnis „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ schlägt derweil vor, die Demonstration „Wir haben es satt“ von Landwirten, Umweltschützern und Verbrauchern am 22. Januar 2011 in Berlin zu unterstützen. Viele von uns könnten das bei einigen ihrer Forderungen im Prinzip tun. Die Frage, ob es sich gerade Erwerbslose momentan allerdings überhaupt leisten könnten, eventuelle Preiserhöhungen aufgrund solcher Forderungen mitzutragen, muss jede(r) für sich selbst beantworten. Der zentrale Grund, eine Teilnahme an der Demo unsererseits auszuschließen, muss allerdings sein, dass wieder einmal eine wichtige Hauptforderung der überparteilichen bundesweiten Montagsdemobewegung fehlt, nämlich jene nach radikaler Verkürzung der Lohnarbeitzeit.
Die Arbeitslosenzahl in Bremen lag nach Auskunft der Linksfraktion im November 2010 tatsächlich bei ungefähr 47.000 Menschen. Überträgt man dies auf Cuxhaven, wäre dort fast jede(r) Einwohner(in) erwerbslos. Viele Autohändler, Tankstellen, Elektrofachhändler oder Bekleidungsgeschäfte müssten schließen! Daher muss die Forderung nach radikaler Zeitverkürzung der Erwerbsarbeit und ihre gerechte Umverteilung auf alle erwerbsfähigen und -willigen Menschen in Deutschland unbedingt mit in einen Demonstrationsaufruf hinein. Genau dies ist die zentrale Forderung, die Erwerbslose stellen müssen: die gerechte Verteilung der Lohnarbeit – auf Kosten des Mehrwertes beziehungsweise der Profite der Unternehmer in Deutschland, nicht wieder auf Kosten der Nocherwerbstätigen. Ohne diese Forderungen sollte die Bremer Montagsdemo diese Aktion in meinen Augen nicht mehr unterstützen. Das Demobündnis sollte diese Forderungen solidarisch ergänzen, falls sie nur vergessen wurden.
Wir hören von einem erneuten Hartz-IV-Suizid in Höxter: Ein 43-Jähriger fühlte sich als Ein-Euro-Jobber im Altenheim nicht mehr ernst genommen. Unsere Mitkämpferin Katja von der Oldenburger Montagsdemo sprang bereits 2006 vom Dach der dortigen Universität. Sie konnte und wollte diese Politik nicht mehr ertragen. Andere gehen, auch ohne sich selbst das Leben zu nehmen, an dieser asozialen Gesetzgebung zugrunde, flüchten sich in Depression und Resignation oder sterben einfach von ganz allein, still und leise. Dies alles ist sehr traurig, und man muss selbst immer wieder dagegen ankämpfen. Aber die Betroffenen können sich nur selbst befreien, indem sie Widerstand leisten und sich solidarisieren. Niemand anders wird für sie diesen notwendigen Kampf führen! Sonst bleibt es dabei: Hartz IV macht frei, vogelfrei!
Es ist nicht nur die bundesweite Montagsdemo, die es bisher nicht schaffte, die Menschen in ausreichender Zahl zu mobilisieren, sondern die Erwerbslosenbewegung insgesamt. Wo können wir die Arbeitslosen und prekär Beschäftigten am besten erreichen? Natürlich vor Jobcentern, Arbeitsämtern und „Tafeln“. Wie könnten wir es erreichen, dass sie selbst aktiv werden? Wie finden wir zum Beispiel Betroffene, die sich als parteilose Vertreter(innen) für die Kommunen wählen lassen? Mit diesen müssten wir dann inhaltliche Zusammenarbeit organisieren, ohne gleich Parteien zu gründen. Wie wäre es, wenn jede(r) Mandatsträger(in) der Linkspartei einmal im Jahr einen Bus finanzieren würden, damit die von dieser asozialen Politik betroffenen Menschen kostenlos nach Berlin kommen können, um an einer Demonstration der bundesweiten Montagsdemo teilzunehmen? Das könnten Hunderte von Bussen werden, und es würde mit Sicherheit nicht die Armen im Lande treffen! Weiterhin sollten sich alle Mitkämpfer(innen) dem Aufruf der Bremer Montagsdemo anschließen und versuchen, in ihren Städten und Bundesländern Massenklagen zu organisieren – nicht allein gegen die Höhe der Regelsätze!
1. Das neue Jahr naht mit Brausen – und vielen Änderungen. Auszugweise haben wir darüber geredet. Schwerpunkt ist heute das alte Jahr 2010, insbesondere die Möglichkeit, mit einem Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X alle Entscheidungen, Bescheide und Widerspruchsbescheide bis zurück zum 1. Januar 2006 überprüfen zu lassen und anzufechten. Auch diese Möglichkeit soll eingeschränkt werden: Ab dem 1. Januar 2011 soll die Überprüfung nach § 44 SGB X nur noch ein Jahr rückwirkend möglich sein – somit nur noch rückwirkend bis zum 1. Januar 2010! Diese Änderung soll nur für SGB II und SGB XII gelten. Vorsichtshalber ist Eile geboten!
Die eventuell notwendigen Klagen vor dem Sozialgericht sind kostenlos. Eine Anwaltspflicht besteht erst ab den Bundessozialgericht. Dafür kann Prozesskostenhilfe beantragt werden. Wenn die Arge bei der Überprüfung eigene Fehler zugunsten des Antragstellers feststellt, so konnten diese Beträge bisher nicht zurückgefordert werden. Für 2011 ist dies anders geplant: Die Arge soll eigene Fehler auch rückwirkend berichtigen und den Betrag aufrechnen können. Dagegen ist Widerspruch möglich, wenn dieser Plan Wirklichkeit wird. Die Antragsstellung nach § 44 SGB X ist auch für Sozialhilfe und Grundsicherung möglich; alle Ausführungen gelten dann sinngemäß. Den Antrag nach § 44 SGB X sollte stellen, wer zu wenig Geld erhalten hat, also:
Die Aufzählung ist unvollständig! Wenn Sie den Termin für den Widerspruch verpasst haben, können Sie bis zum 31. Dezember 2010 mit einem Antrag nach § 44 SGB II das Rad zurückdrehen. Diesen Antrag nach § 44 SGB X können Sie auch stellen, wenn Ihr Widerspruch abgelehnt wurde und der Widerspruchsbescheid rechtskräftig ist. Vielleicht sind Sie ein Quotenopfer, denn die Arge darf nur 30 Prozent der eingehenden Widersprüche positiv entscheiden. Alle anderen Widersprüche sind abzulehnen – egal, was darin steht. Wie dies geht? Wir gehen mit!
An den Entscheidungen der Argen ist zu zweifeln, denn vielleicht sind Sie ein „Sparschwein“, weil die Arge per Zielvereinbarung von der Bundesregierung gezwungen ist, bei der Regelleistung circa fünf, ab 2011 sogar circa sieben Prozent einzusparen. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ist die Verhängung von Sanktionen und das Übersehen von Leistungsansprüchen. Sie können mit dem Antrag auf § 44 SGB X das Rad zurückdrehen. Diesen Antrag können Sie auch stellen, wenn die Frage noch nicht von den Gerichten geklärt wurde. Durch Antrag und notfalls Klage halten Sie Ihren Anspruch offen. Wie dies geht? Wir gehen mit!
Dieser Antrag nach § 44 SGB X kann auch allgemein formuliert werden, wenn Sie sich über den Sachverhalt noch nicht im Klaren sind. Was damals gesagt oder geschrieben wurde, lässt sich durch eine Akteneinsicht klären – aber vorher den Antrag nach § 44 SGB X stellen. Dabei können Sie auch die Akteneinsicht beantragen. Falls Sie mehr als eine Entscheidung konkret überprüfen lassen möchten, so stellen Sie für jede Entscheidung und jeden Sachverhalt einen Extraantrag. Schreiben Sie diese Anträge an unterschiedlichen Tagen, weil die Antwort der Arge oftmals nicht auf den Sachverhalt, sonder nur auf dessen Datum reagiert. Geben Sie jeden Antrag, auch mehrere, bei der Arge gegen Stempel ab, ncht per Post, auch nicht per Einschreiben. Für ein verlorenes Einschreiben gibt es circa 25 Euro Entschädigung. Dies ist wenig Geld für einen Antrag, der einiges ändern sollte. Ein verlorenes Einschreiben kann trotzdem wirken, aber das ist viel aufwendiger, als den Antrag gegen Stempel abzugeben. Persönlich muss der Antrag nicht abgegeben werden. Jeder Eingang ist von der Behörde gegenüber dem Überbringer zu bestätigen. Wie dies alles geht? Wir gehen mit!
Sie erhalten aufgrund Ihres Antrags nach § 44 SGB X einen Bescheid. Gegen diesen können Sie entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch einlegen. Gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid ist dann notfalls die Hilfe des Gerichts erbeten, also Klage erheben! Falls Sie auch aktuell monatlich zu wenig Geld erhalten, können Sie die Hilfe des Gerichts per einstweiligem Rechtsschutz beantragen und müssen nicht auf den Bescheid warten. Denkbar ist dies, wenn Sie auch laufend nur einen Teil Ihrer Kosten der Unterkunft (Miete und Heizung) erhalten. In diesem Fall können Sie auch sofort nach dem Antrag auf § 44 SGB X den einstweiligen Rechtsschutz beantragen, also die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen, selbst wenn Sie eine Verzichtserklärung für diesen Anteil der Miete unterschrieben haben, weil Sie die neue Wohnung brauchten. Wie dies alles geht? Wir gehen mit!
2. Wie geht es 2011 weiter? Die Neuerrechnung des Regelsatzes kann mensch nur als Betrug einstufen. Sozialrichter haben die Politik bereits auf die Folgen hingewiesen. Die fünf Euro sind ein Armutszeugnis, ein Beweis der Verantwortungslosigkeit! Selbst wenn die Regierung die Regelsatzerhöhung noch rechtzeitig fertig bringt, so ist auch dies keine Klaglosstellung – kein Grund, nicht eine sauber und transparent ermittelte Regelleistung mit gerichtlicher Hilfe einzufordern. Die Vielzahl der Hilfeschreie in Form von Klagen wird das Problem verdeutlichen! Außer den in vielen Stellungnahmen aufgezeigten Auswertungsfehlern fehlt die Vorsorge für die geplante Änderung der GEZ-Gebühr. Die Gebührenbefreiung soll beseitigt werden, jeder Haushalt soll zahlen. Wie soll dies gehen: circa 18 Euro aus diesem Regelsatz?
Die Kinderregelsätze werden als „überhöht“ dargestellt, Bildung und Teilnahme runtergerechnet auf zehn Euro. Das reicht für überhaupt gar nichts und wird wohl überwiegend verfallen, auch wegen der damit verbundenen Stigmatisierung. Wie die Vereine damit konfrontiert werden, ist sehr bürokratisch. Der Entwurf wurde komplett zurückgenommen (Geschäftsanweisung Nummer 39 der Bundesagentur). 1.300 zusätzliche Stellen sollen für diese Umsetzung bei den Argen eingerichtet werden. Das kostenlose Mittagessen wird anteilig vom Regelsatz abgezogen. Die Schulen et cetera müssen den Preis und die Anzahl der Tage ermitteln. Per Gutschein will das Jobcenter den Betrag regulieren und den im Regelsatz enthaltenen Betrag bei der Zahlung kürzen. Bereits jetzt werden über 50 Prozent der Aufwendungen für das Schulessen für die Verwaltung ausgegeben.
Ab 1. Januar 2011 soll die Bremer Arge, die Bagis, sich Jobcenter nennen. Eigentlich sollten dann alle Mitarbeiter(innen) einen gemeinsamen Arbeitgeber haben und infolgedessen einen gemeinsamen Betriebs- oder Personalrat. Das hat auch hier nicht geklappt. Es bleibt bei den bisherigen Arbeitgebern und den bisherigen Arbeitnehmervertretungen. Damit bleiben auch die bisherigen Ablaufhemmnisse erhalten. Der fragliche Referentenentwurf und damit der Entwurf für die Neufassung des SGB II und SGB XII beseitigt bewusst wieder alle von den Gerichten geschaffenen Klarheiten. Darunter leiden auch die Mitarbeiter in den Jobcentern. Die politische Führung erzwingt dieses unlautere Verhalten! Die einzelnen Mitarbeiter(innen) müssen weisungsgebunden arbeiten, der eine oder andere in kreativem vorauseilendem Gehorsam, aber eigentlich alle mit „Bauchschmerzen“ im Umgang mit den Hilfebedürftigen. Innerhalb der Behörde gibt es weiterhin befristete Arbeitsverträge, laufende EDV-gestützte Kontrollen und sehr unterschiedliche Gehaltshöhen.
Wie geht es 2011 weiter? Aus den Hilfebedürftigen werden Anspruchsberechtigte. Ansonsten heißt es abwarten. Bescheide und Zahlungseingang prüfen! Bei einer ausbleibenden oder verminderten Zahlung sofort reagieren. Einen weiteren Zwischenbericht gibt es nächsten Montag. Was bleibt? Es bleibt die Möglichkeit der Begleitung und die Freiheit, nicht vor Ort im Jobcenter zu unterschreiben, also Schriftliches mitzunehmen und in Ruhe zu überlegen. Sanktionen sollen allerdings ohne Eingliederungsvereinbarungen und Rechtsbehelfsbelehrungen möglich werden. Wie geht es 2011 weiter? Immer wieder montags: Bremer Montagsdemo! Kommt einfach her, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will eine friedliche Zukunft gestalten.
3. Was tut sich sonst in Bremen und Berlin?
Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!
1. Weil weder der Bremer Senat noch die Bundesregierung schlechte Meldungen gebrauchen können, werden die Arbeitslosenzahlen regelmäßig aufgehübscht. So werden bereits seit Längerem Arbeitslose, die krank sind, einen Ein-Euro-Job haben oder an Weiterbildungen teilnehmen, einfach nicht mehr als arbeitslos mitgezählt, obwohl sie dies definitiv noch immer sind! Ebenso erscheinen auch fast alle Arbeitslosen, die älter als 58 sind, nicht in der offiziellen Statistik. Als auch diese Trickserei nicht mehr ausreichte, kam im Mai 2009 flugs die nächste Ausnahme hinzu: Wenn private Arbeitsvermittler(innen) tätig werden, ist bitte der von ihnen „betreute“ Erwerbslose – Hokuspokus! – auf einmal gar nicht mehr arbeitslos, obwohl er keine Arbeit hat. In anderen Branchen würde von Betrug oder Verfälschung gesprochen werden, nicht so bei der Bundesagentur für Arbeit. Wer die tatsächliche Arbeitslosigkeit erfassen will, muss ehrlich rechnen. Für Bremen machte dies die zuständige Sprecherin der Partei „Die Linke“ und deckte auf, dass im November 2010 im Bundesland Bremen 48.673 Menschen arbeitslos sind und nicht nur – wie gemeldet – 37.053 Personen. Fast 25 Prozent der Erwerbslosen werden in Bremen also einfach unterschlagen, um sich am vermeintlichen Erfolg der Arbeitspolitik berauschen zu können. Ganz schön peinlich! Danke, Inga Nitz!
2. Das „Erwerbslosenforum Deutschland“ heißt die Entscheidung des Düsseldorfer Landtags willkommen, gegen die von der Bundesregierung vorgelegten Hartz-IV-Eckregelsätze vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Die Fraktionen von SPD und „Bündnis 90/Die Grünen“ folgten damit einem Antrag der Fraktion „Die Linke“, gegen die von der Bundesregierung vorgelegte Regelsatzverordnung zu klagen. Martin Behrsing, Sprecher des „Erwerbslosenforums Deutschland“, begrüßte diese Entscheidung als eine für alle Betroffenen äußerst positive Nachricht. Wenn nun die Bundesregierung mit ihrem offenbar rechtswidrigen Vorhaben durchkommen sollte, müssen Betroffene sich doch nicht erst jahrelang durch die Instanzen kämpfen. Damit wird ein langwieriger Weg erheblich verkürzt. Nicht nur nach Meinung des Forums grenzen die vorgelegten Berechnungen schon fast an Betrug gegen Betroffene. Das „Erwerbslosenforum Deutschland“ und andere bundesweite Erwerbslosennetzwerke setzten sich als Bündnis „Krach schlagen statt Kohldampf schieben! 80 Euro für Ernährung sofort!“ für einen Regelsatz ein, der sich auch an den Bedarfen den Menschen ausrichtet und nicht an der jeweils politisch gewollten, verarmten Haushaltslage. Sehr löblich finde ich es, dass auch der „Paritätische Wohlfahrtsverband“ den Bundesrat aufforderte, die Zustimmung zu dem Gesetzpaket zu verweigern und ankündigte, Betroffene bei Klagen gegen das Gesetz zu unterstützen.
3. In einer Langzeitstudie untersuchten Wissenschaftler seit 2002 die Ausmaße, Entwicklungen und Ursachen von Vorurteilen in Deutschland. Aktuell haben die Forscher die Folgen der Wirtschaftskrise unter die Lupe genommen – und dabei eine „deutliche Vereisung des sozialen Klimas“, rohe Bürgerlichkeit und einen zunehmenden Klassenkampf von oben beobachtet. Die Feindbilder in einer durchweg wirtschaftlich geprägten Gesellschaft seien Muslime und „wirtschaftlich Nutzlose“. Auf die Fragen, welche Auswirkung das Gefühl der Bedrohung durch die Wirtschaftskrise auf Einstellungen zu schwachen Gruppen hat, wie es um die Solidarität in unserer Gesellschaft steht und welche Entwicklung sich dabei abzeichnet, zeigte sich, dass in höheren Einkommensgruppen deutliche Anstiege hinsichtlich abwertender, menschenfeindlicher Einstellungen gegenüber verschiedenen schwachen Gruppen vorzufinden sind. Auch sprechen die Wissenschaftler von einer zunehmend „rohen Bürgerlichkeit“, die sich dadurch auszeichnet, dass es infolge von ökonomischen wie gesellschaftlichen Kriseneffekten deutliche Hinweise auf „Entsicherung“ und „Entkultivierung“ gebe, die auch über „angeblich liberale Tages- und Wochenzeitungen“ manipuliert, äh verbreitet werde.
Wenn die neue Formel des Abbaus von sozialstaatlichem Anrecht auf Unterstützung lautet: „Gnade durch Wohlhabende und Selbstverantwortung der sozial Schwachen“, dann nenne ich das die Arroganz und Selbstherrlichkeit der Satten, die dank bestimmter unterstützender Medien offenbar nicht mitbekommen wollen, dass nicht jeder seines Glückes Schmied sein kann, weil dies in Deutschland fast immer nur davon abhängt, wie viel Geld die Eltern im Portemonnaie hatten. Ab einem Haushaltseinkommen von 2.500 Euro pro Kopf scheint der gepflegte Konservatismus abgestreift zu werden, und zivilisierte, tolerante, differenzierte Einstellungen verwandeln sich offenbar in unzivilisierte und intolerante. Wenn sich die zum Beispiel die Islamfeindlichkeit insbesondere bei höheren Einkommensgruppen zeige, kann Bildung in diesem Fall nicht entgegenwirken! Auch die Entsolidarisierung der Besserverdienenden fällt bei den Ergebnissen der Studie ins Auge. Wohlhabendere fühlen sich ungerecht behandelt – obwohl es eine Umverteilung von unten nach oben gebe. Schrecklich, wie die ökonomistische Sichtweise immer mehr Einzug in sterile Köpfe erhält, weil Empathie offenbar als Sozialromantik abgewertet wird, und echte Menschen aus Fleisch, Blut, Herz und Seele nur noch nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen beurteilt werden! Ich empfinde es als sehr bedrohlich, wenn derartiges rechtspolitisches Gedanken-„Gut“ in alle gesellschaftlichen Gruppen vordringt und so den Boden dafür schafft, dass mit bestimmten „unwürdigen“ Menschen, die halt nicht mehr ökonomisch verwertbar sind, unmenschlich umgegangen werden darf. Ein Déjà-vu-Erlebnis?
4. Die Uno mahnte am Welttag zur Abschaffung der Sklaverei, dass diese Missstände noch des 21. Jahrhunderts – wie der Verkauf von Menschen an Sextouristen oder ihre Erniedrigung und Ausbeutung als Schuldknechte in Steinbrüchen und Garküchen – abgeschafft werden müssen. Wie viele Menschen mit falschen Versprechen, die ihnen das große Glück für sich und ihre verarmte Familie vorgaukeln, aus ihrer Heimat weggelockt und verschleppt werden, weiß niemand, weil es keine genauen Zahlen gibt. Die Ausbeutung findet oft im Verborgenen und immer in der Illegalität statt. Die Internationale Arbeitsorganisation kommt 2005 in einer Erhebung auf 12,3 Millionen Zwangsarbeiter weltweit, wobei etwa die Hälfte Kinder sind. Andere Menschenrechtsorganisationen kommen unter Einbeziehung der gigantischen Dunkelziffer sogar auf 27 Millionen Sklaven. Laut Europol gilt Menschenhandel als eines der am schnellsten wachsenden kriminellen Gewerbe überhaupt.
Historische Tiefstpreise auf dem Ausbeutungsmarkt machen das Geschäft mit der menschlichen Arbeitskraft besonders lukrativ. In einigen Teilen der Welt muss für einen Sklaven gerade einmal zehn Dollar gezahlt werden. Der weltweite Durchschnittspreis liegt bei 90 Dollar. Angepasst an den heutigen Dollarkurs ist ein moderner Sklave nur noch ein Tausendstel dessen wert, was ein Sklaventreiber des 19. Jahrhunderts für seine Arbeitskräfte zahlen musste. Abartig, Menschen zu verkaufen! Gemäß der neoliberalen Durchökonomisierung werden Leib und Leben der Zwangsarbeiter wesentlich weniger geschont als damals. Leider ist davon auszugehen, dass im derzeitigen finanziellen Klima Arbeitsausbeutung eher zunehmen als abnehmen werde. In nahezu jedem Land auf der Welt gibt es einen Markt für Sklavenhandel. In den Industrienationen gilt der Frauen- und Mädchenhandel als besonders profitabel. Dabei bedienen sich einige Sklavenhändler eines besonders perfiden Tricks, mit dem sie sich häufig Frauen aus schwarzafrikanischen Ländern gefügig machen: Vor ihrer Ausreise müssen sich die Zwangsprostituierten einem Voodoo-Ritual unterziehen und wagen es dann aus Furcht vor Tod oder Krankheiten nicht, aufzubegehren oder ihr Schweigegelübde zu brechen.
Ich finde, dass die Tendenz, Erwerbslose gegen ihren Willen in unbezahlte beziehungsweise nur mit einem Ein-Euro-Job oder Bürgerarbeit „honorierte“ Arbeit zu zwingen, ein Schritt in die gleiche Richtung ist, der Menschen um ihre Selbstbestimmtheit und einen angemessenen Lohn bringt. Hartz-IV-Bezieher werden von den zuständigen Behörden gezwungen umsonst zu arbeiten, als Null-Euro-Jobber, und das nicht in gemeinnützigen Einrichtungen, wie zum Beispiel angeblich die Ein-Euro-Kollegen, sondern in ganz normalen Unternehmen, auf ganz gewöhnlichen Arbeitsplätzen, oft monatelang. In dieser Zeit kommt der Steuerzahler für den Lebensunterhalt auf. Eine der Folgen ist, dass reguläre Arbeitsplätze verschwinden. Bezahlung gibt es nicht und wer sich weigert teilzunehmen, der bekommt halt 30 Prozent des Arbeitslosengeldes gekürzt. Das Wegducken des Bundesarbeitsministeriums ist übrigens ein Teil des Skandals. Dabei urteilte das Sozialgericht Aachen ganz eindeutig, dass unentgeltliche Arbeit nicht zumutbar ist.
5. Das von Schulden geplagte Spanien kündigte ein neues Anti-Krisen-Paket an, wobei die Regierung von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero die Großflughäfen in Madrid und Barcelona sowie die staatliche Lotteriegesellschaft teilweise privatisieren will. Um die Wirtschaft anzukurbeln, sollen kleine und mittlere Unternehmen außerdem Steuererleichterungen erhalten. Nur ganz am Rande wird eine furchtbare soziale Grausamkeit erwähnt: Eine Sonderhilfe für Langzeitarbeitslose in Höhe von 426 Euro pro Monat soll ab Februar 2011 nicht mehr gezahlt werden. Natürlich wird dieses menschenverachtende Maßnahmen-Paket, das den Erwerbslosen den Boden unter den Füßen wegzieht, von der EU-Kommission begrüßt. Wenn für über eine Million Betroffene die einzige Einnahmequelle einfach mal eben so ersatzlos wegfällt, dann geht die giftige Saat des Lissabonner Vertrages auf! Diese 426 Euro Sonderhilfe sind vergleichbar unserem Hartz IV, nur noch erheblich mieser als bei uns. Wenn die jetzt bei Erwerbslosen gestrichen werden, müssen sie eigentlich regelrecht verhungern, als Tagelöhner arbeiten oder auf Müllkippen sammeln. Wohl dem, der noch auf ein wenig Unterstützung durch Freunde und Verwandte bauen kann! Doch wird es ihre Not sicherlich besänftigen, wenn durch ihr Fallen durch die ehemals sozialen Maschen die Märkte wieder mehr Vertrauen in die öffentlichen Finanzen Spaniens gewinnen können. Was in Spanien passiert, ist eine Katastrophe, und wir sollten und müssen uns mit den Spaniern solidarisieren! Derlei Sauerei ist in Deutschland nicht möglich, weil in Deutschland der Sozialstaat im unveränderlichen Teil des Grundgesetzes festgeschrieben steht.
6. Letzte Woche vernahmen wir wenig überrascht, dass Heiner Geißler sich für „Stuttgart 21“ aussprach – weil ein Ausstieg zu teuer sei. Die Forderung nach Korrekturen an den Bahn-Plänen in mehreren Punkten stellte den Bau eines unterirdischen Bahnhofs nicht wirklich in Frage. Daher sind die Gegner des Projekts logischerweise trotzdem weiterhin unzufrieden. Ich kann es nicht nachvollziehen, wie Geißler den Bau des Tiefbahnhofs befürworten kann, auch wenn gleichzeitig die bei einer Untertunnelung freiwerdenden Gleisgrundstücke Immobilienspekulationen entzogen werden und gesunde Bäume im Schlossgarten erhalten bleiben müssen. Ich würde gerne mal dabei zugucken, wie mehrere Hundert Jahre alte Bäume verpflanzt werden, damit sie an den Umbauten keinen Schaden nehmen!
Dass die Mineralwasserquellen gefährdet werden, der Boden absacken könnte und die Bäume und Pflanzen nicht mehr an das abgesenkte Grundwasser herankommen, scheinen nicht bedacht zu werden, wenn es immer nur um das Thema Geld geht. Da der Bahnhof nun doch gebaut wird, muss der Widerstand natürlich weitergehen! Ob Geißler die Schlichtung allein deswegen als vollen Erfolg werten muss, um irgendwie doch einen Sinn in seinen Bemühungen sehen zu können? Dass die Gespräche offen und transparent gewesen seien, halte ich für ein Gerücht, angesichts der Tatsache, dass die Bahn den Projektgegnern in etliche Unterlagen keinen Einblick gewährte! Spätestens im März 2011 wird die Bevölkerung hoffentlich dem Ministerpräsidenten Stefan Mappus bei der Landtagswahl einen deutlichen „Schlag ins Gesicht“ geben, der endlich zu seiner Abwahl führt! Solche unsinnigen Großprojekte, die lediglich die Interessen einiger weniger Gruppen von Bauunternehmern und Investoren beglücken und „kein Geld“ mehr in den öffentlichen Kassen für die finanziell Ärmsten der Bevölkerung zur Verfügung stellen, gehören endlich abgeschafft und ihre neoliberalen Vertreter abgestraft ins politische Aus!
Heute Morgen hat Umweltminister Röttgen den Transport von sechs Castoren mit hochradioaktivem Atommüll aus Ahaus in den russischen Atomkomplex Majak abgesagt – nachdem er ihn in den letzten Wochen vehement verteidigt hatte. Majak ist eines der Gebiete mit der größten radioaktiven Verseuchung in der Welt. Die Explosion eines Tanks mit 80 Tonnen radioaktivem Material hat 1957 die Region wesentlich stärker vergiftet als die Region um Tschernobyl nach dem Unfall im Jahr 1986. In Majak lagern bis heute große Mengen Plutonium und hoch angereichertes Uran in unzureichenden Schutzräumen. Die Bevölkerung in der Umgebung wird seit Jahrzehnten als Versuchskaninchen verwendet, um die langfristige Entwicklung einer menschlichen Population nach einem schweren Atomunfall realistisch zu untersuchen.
Seit dem Unfall werden alle verseuchten Flüssigabfälle direkt in die Flüsse eingeleitet. Die Menschen leiden unter schweren Strahlenkrankheiten, und viele sterben an den Folgen ihrer verseuchten Umwelt. Die Zahl der Missbildungen bei Neugeborenen ist extrem hoch. Herr Röttgen sind diese Zustände schon lange bekannt, und er weiß, dass es verantwortungslos und kriminell ist, die Castoren nach Russland zu transportieren. Dennoch wollte er bis vor Kurzem den Atomtransport mit allen Mittel durchsetzen. Am 1. Dezember 2010 wurden in Ahaus mehrere Gefangenensammelkäfige mit einem Kran in die Tiefgarage der Ahauser Polizei eingelagert, um eine groß angelegte Verhaftung von blockierenden Atomkraftgegnern vorzubereiten.
Aber heute hat Röttgen sich dem politischen Druck des Widerstands vorerst gebeugt. 10.000 Menschen hatten sich im Wendland quergestellt, 40.000 haben innerhalb von sechs Tagen online einen Protestaufruf gegen die Regierung unterschrieben. Die Senatsregierungen in Hamburg und Bremen konnten die Atomtransporte über ihre Häfen nicht garantieren und wollten Massenproteste verhindern. Dieser Erfolg zeigt doch wieder einmal, dass wir erfolgreich kämpfen können! Das widerlegt die weit verbreitete Denkweise, „das bringt doch alles nichts, die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“.
Die Montagsdemo hat zu dem Erfolg auch ein Stück weit beigetragen. In den letzten Wochen haben wir immer wieder die Atompolitik angegriffen und das Verbot von Atomtransporten vom Bremer Senat gefordert. Aber es heißt wachsam bleiben und noch eine Schippe drauflegen! Die „schadlose Verwertung“, die das deutsche Atomgesetz vorschreibt, sei in Majak gegenwärtig nicht möglich, so argumentiert Atomminister Röttgen plötzlich und betont, seine Entscheidung sei „zunächst endgültig“. Damit hält er sich ein Hintertürchen offen, einen Transport nach Russland später noch mal zu prüfen und durchzuziehen, wenn sich die Wogen geglättet haben. Aber diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun!
Jetzt erst recht: Keine Verlängerung der Laufzeiten und keine weitere Produktion von Atommüll! Sofortige Abschaltung der Kernkraftwerke und vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien! Für ein Verbot des Transport radioaktiven Materials durch die Bremer Seehäfen! Keine Wiederinbetriebnahme des Pannenreaktors Krümmel bei Hamburg! Die Bundesregierung ist mit ihrer Atompolitik gescheitert. Sie kann gehen!
Die Abwälzung der Krisenlasten hat in Spanien eine neue Qualität erreicht. Am Freitag sind Fluglotsen in Streik getreten, weil ihnen die Jahresarbeitszeit um 60 Prozent heraufgesetzt und das Einkommen um 43 Prozent gekürzt wurde. Zum ersten Mal seit Ende des Faschismus im Jahr 1975 wurde der Notstand ausgerufen. Militär übernahm die Kontrolle, Lotsen wurden zwangsverpflichtet. Streik gilt vor dem Militärgericht nun als „Ungehorsam“ und wird mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bedroht. Auch wenn die Lotsen sehr viel verdienen, angeblich bis zu 300.000 Euro im Jahr: Es geht um den Grundsatz! Hier zeigt sich, wie die Regierungen vorgehen, wenn sie ihr Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bedroht sehen.
Wenn auch in Deutschland Notstandsgesetze ausgerufen werden, sind wir schon bei Führer und Gefolgschaft. Wehret den Anfängen! Was mit den Lotsen anfängt – weil sich vermeintlich niemand darüber aufregt, denn die sind ja so „reich“ –, wird beim Maschinenbediener, dem Lokführer, dem prekär Beschäftigten weitergehen. Auch in Portugal, Spanien, Griechenland und Irland wird brutal bei der Abwälzung der Bezahlung der Krise vorgegangen. In Portugal traten drei Millionen Menschen dagegen in Generalstreik, ähnlich in Spanien, Irland und Frankreich. Als nächstes droht der Staatsbankrott in Belgien.
Die Banken treiben das voran: Im ersten Schritt machten sie hochspekulative Geschäfte, zockten wie die Weltmeister auf fallende oder sinkende Kurse, bis die „Blase“ platzte – dann ließen sie sich mit Billionen Euro „retten“. Durch völlige Ausplünderung der Staatshaushalte für die „Bankenrettung“ kamen die Staatshaushalte an den Rand des Bankrotts! Jetzt wird schon wieder spekuliert, und zwar von denselben Banken wie Deutsche Bank, HRE oder HSH-Nord. Die Folge ist extremer Zinsanstieg für die von der Pleite bedrohten Staaten, was deren Zahlungsunfähigkeit besiegelt und wieder neue „Rettungspakete“ in Billionenhöhe nach sich zieht. All das wollen die Regierungen dann aus dem Volk herauspressen, etwa mit Steuern, Massenentlassungen und Lohnsenkungen.
Oberspekulant Nonnenmacher, Vorstandsvorsitzender der HSH-Nordbank, fordert jetzt dreist 4,8 Millionen Euro Abfindung. Gleichzeitig kam heraus, dass eben von dieser Bank die türkische Justiz mit Millionen geschmiert wurde. Nonnenmacher in den Knast! Derweil ist Umweltgipfel in Cancun, Mexiko. Die Verursacher der globalen Umweltkatastrophe machen aber keinerlei Schritte zur wirkungsvollen Eindämmung des Kohlendioxid- Ausstoßes, es zählt nur ihr schneller Profit. Hierzu Friedrich Engels: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ Dieses System muss weg!
Immer mehr Menschen müssen flüchten, weil sie durch Krieg und Umweltkatastrophen ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. Hier vegetieren sie dann unter unmenschlichen Bedingungen, zum Beispiel im Flüchtlingslager Zella-Mehlis: 170 Menschen, darunter viele Kinder, sind ohne warmes Wasser. Die Heizungsventile stehen nur knapp über Null. Viele haben Angst, zum Arzt zu gehen, weil dann vielleicht Abschiebung droht. In den Augsburger Asylbewerberheimen sind die Bewohner jetzt in einen „Streik“ getreten. Sie fordern Geld statt Essenspaketen und bessere medizinische Versorgung Dort müssen sich acht Menschen einen 25 Quadratmeter kleinen Raum teilen! Am Donnerstag sollen 80 Menschen von Düsseldorf aus nach Serbien abgeschoben werden. Dagegen protestieren Menschenrechtsorganisationen.
Der Kampf gegen „Stuttgart 21“ geht weiter. Nach Heiner Geißlers „Schlichterspruch“ von „S21 plus“ gibt es jetzt „Widerstand plus“ gegen das „Lügenpack plus“! Die Konsequenz nach dem blutigem Donnerstag lautet jetzt: In Baden-Württemberg werden 78 neue Wasserwerfer angeschafft. Nächster Samstag gibt es in Stuttgart eine überregionale Demo, mit einem Sonderzug aus Berlin. Es hat sich bewahrheitet, dass die „Schlichtung“ eine Farce war und den einzigen Zweck hatte, den Widerstand zu spalten und mit einer „Friedenspflicht“ zu lähmen. Grünen-Politiker Wölfle, der schon vor Längerem verkündet hatte, „S21 kritisch begleiten“ zu wollen, nennt das jetzt „besser als nichts“ und macht Wahlkampf. Entscheidend ist aber nicht das Stimmkreuz, sondern der aktive Widerstand! In Hamburg waren die Grünen vor der Wahl gegen das Kraftwerk Moorburg. Nach der Wahl war es dann „leider schon beschlossen“.
Die Hartz-Gesetze müssen weg! Der Regelsatz ist viel zu niedrig: Mit 364 Euro im Monat kann man sich nicht gesund ernähren und schon gar nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Deswegen unterstütze ich auch die Klagen gegen Hartz IV. Zu Fall bringen können wir es nur, wenn dagegen ein aktiver Widerstand wie gegen „S21“ entsteht. Dazu können wiederum die Klagen dienen, wenn sie mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit verbunden werden!
Geschenke sind bekanntlich nicht immer Anlass zu ungetrübter Freude. Erst recht nicht dann, wenn sie – aus Steuergeldern finanziert – der Rüstungsindustrie in den unersättlichen Rachen geworfen werden. Die in Rede stehenden Milliardensummen stammen sämtlich aus der staatlichen Spendierhose von „Verteidigungsminister“ Karl-Theodor zu Guttenberg und sind zur weihnachtlichen Beglückung des Rüstungskonzerns EADS gedacht. Zum Vergleich: Der Bremer Staatshaushalt muss mit 4,1 Milliarden Euro auskommen.
In einer Pressemitteilung vom 6. Dezember 2010 kritisiert das „Bremer Friedensforum“ diesen lockeren Geldfluss für den Rüstungsbetrieb. Das sei ein großzügiges Weihnachtsgeschäft für den Krieg! Minister zu Guttenberg wolle nach Informationen des „Spiegel“ EADS für den Militärtransporter A400M ein bedingt rückzahlbares Darlehen über 500 Millionen Euro gewähren. Außerdem müsse EADS 390 Millionen Euro, eine für den Konzern fällige Entschädigung wegen Lieferverzögerung, nicht zahlen. Zusammen mache das fast eine Milliarde Euro aus, welche die Steuerzahler dem Rüstungsunternehmen zu Weihnachten schenkten.
Dies sei noch nicht alles, denn zu Guttenberg habe entschieden, dass laut entgegengesetzter früherer Erwägungen nun auch die Entwicklung der europäischen Drohne „Talarion“ bei EADS laufen könne. Das sei ein Milliardenprojekt, und nach allen Erfahrungen werde es nicht bei drei Milliarden Euro bleiben. Das „Bremer Friedensforum“ stellt dazu fest, so Sprecher Hartmut Drewes, dass für Rüstung und Krieg das Geld aus dem Staatshaushalt immer lockerer fließe, entgegen der christlichen Weihnachtsbotschaft „Friede auf Erden“. Aber dies störe einen „christlichen“ Minister wohl wenig.
Die „Hartz-IV-Plattform“ appelliert an Linke und Grüne, nicht den Versuchungen von Machtpokerspielen zu erliegen. Eine Woche vor dem von der Bundesregierung angestrebten und hinter den Kulissen eingefädelten glatten Durchmarsch des neuen Hartz-IV-Gesetzes im Bundesrat nähert sich das Hin und Her der Oppositionsparteien um ein Jein seinem Höhepunkt. Nicht genug, dass die Grünen – besoffen vom Umfragehoch – kopflos ihr Hamburger Feld im Bundesrat geräumt haben. Jetzt sind auch noch von Gregor Gysi Signale des Einknickens hinsichtlich der Höhe des Regelsatzes zu vernehmen.
Wir appellieren an die Linksfraktion, nicht bereits im Vorfeld ihre Forderung von wenigstens 500 Euro ohne Not aufzugeben, wie Gysis Äußerungen laut Internetportal „Gegen Hartz“ zu entnehmen ist. Recht hat der Chef der Bundestagsfraktion nach Ansicht der Hartz-IV-Bürgerinitiative mit seiner Kritik an den Grünen, die in verblendeter Neuwahl-Euphorie den Hamburger Bettel ohne Not so früh hingeworfen haben, dass die ablehnende Bundesratsmehrheit der Opposition für die Abstimmung des menschenunwürdigen neuen Gesetzes Ursula von der Leyens auf der Kippe steht. Warum er zugleich aber ein Zustimmungsangebot formuliert, das die bisherige Forderung seiner Partei mit 420 Euro auf 80 Prozent zusammenschrumpfen lässt, entbehrt jeder Notwendigkeit und Verantwortung, an die er selber bei den Grünen so vehement appelliert.
Wir können nur hoffen, dass das nicht das letzte Wort seiner Partei ist, zumal Gysi sich in diesem Zusammenhang zwar für den für Arbeitslose aktuell nicht vorrangig unter den Nägeln brennenden Mindestlohn ausspricht, aber kein Wort verliert über die weit dramatischeren Folgen des Gesetzes, nämlich die bevorstehenden unzureichenden Mietpauschalen sowie die Existenzbedrohungskeule der Sanktionen. Mit Blick auf die Grünen teilen wir Gysis Empörung über das folgenschwere Wegwerfen der Bundesratsmehrheit vor der für Millionen Betroffene entscheidenden Abstimmung über das abermals verfassungswidrige Hartz IV-Gesetz am 17. Dezember 2010 – und das nur eine Woche vor dem „Fest der Liebe“ und des Schenkens, das nach dem Willen des christliberalen Gesetzgebers Hartz-IV-Betroffene dann auch weiterhin nicht mitfeiern sollen.