154. Bremer Montagsdemo
am 15. 10. 2007  I◄◄  ►►I

 

Hartz IV kippt um drei Ecken

Ursula GatzkeMein Hut, der hat drei Ecken, und ich hab große Wut! Viel Geld wird heut’ verschleudert – man nichts für Rentner tut!

Erst gab man uns Null-Runden und nahm uns noch was weg. Dann kam die Schein-Erhöhung, die war wie Fliegendreck!

Null Komma fünfundfünfzig, die hat man uns beschert – und redet von „Erhöhung“, das ist total verkehrt!

Wir Rentner, wir sind sauer: Das ist ein Schlag ans Ohr! Drum seht ihr uns hier stehen, am Roland und davor!

Ursula Gatzke (parteilos)
 
Die 45. Untreue des Peter Hartz: Was man den Rentnern verweigert,
wird auch allen Arbeitslosen vorenthalten (G. D. Brettschneider)
 
Ergänzung in Auftrag gegeben: „Hartz IV kippt um drei Ecken, da bin ich sicher mir! Denn kippt’s nicht um drei Ecken, dann wär es nicht Hartz IV.“
 
Na bitte, geht doch auch so: Wozu braucht der
Prekarianer einen Zahnarzt? („Spiegel-Online“)
 
„Ich habe heute den ganzen Tag nur ein Würstchen gegessen“: Bremer Finanzsenatorin Linnert stellt sich erneut den Montagsdemonstranten – und kündigt Bremer Initiative zur Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze an
 
Presse geschockt über Volksnähe: Umgibt sich Bundespräsident Köhler
mit „verwirrten Menschen?“ („Spiegel-Online“)

 

Die Bevölkerung will endlich Schluss mit der Agenda-Politik

Wolfgang LangeVergangenen Samstag gab es eine begeis­ternde Demonstration in Berlin gegen die Regierung! Den Herrschenden ist es nicht gelungen, der Bevölkerung die Hartz-Gesetze schmackhafter zu machen – und das ist ein Verdienst der Montagsdemo-Bewegung! Und nicht nur das: Die SPD zerfleischt sich über die Agenda 2010. Wobei auch eine Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I noch keine grundsätzliche Abkehr von der volksfeindlichen Politik ist.

Bei der Post wurden bereits Mindestlöhne durchgesetzt – wenngleich mit 9,50 beziehungsweise 9,80 Euro viel zu niedrig. Doch schon jaulen in riesigen Anzeigen die Drahtzieher der Privatpost auf, unterstützt von Verlagen wie Springer, aber auch Unternehmen wie SWB: Sie wollen keine Mindest-, sondern Dumpinglöhne! Die ganze Politik der Bundesregierung läuft auf Billigstlöhne, Minijobs und Armut hinaus. Deshalb müssen die Hartz-Gesetze samt und sonders vom Tisch! Das wird jetzt auch vom Verdi-Kongress gefordert.

2006 gibt es acht Prozent mehr Sozialhilfeempfänger als 2005 – und 56 Prozent mehr gegenüber 2003. Zwei Millionen Kinder leben in Hartz-IV-Bedarfs­gemeinschaften. Nur gut zwei Euro werden dabei pro Kind am Tag für Ernährung einkalkuliert. In deutlicher Sprache reden diese Zahlen von Armut und Hunger in Deutschland. Inzwischen gibt es über eine Millionen Leiharbeiter, und anderthalb Millionen Menschen können von ihrem Lohn nicht leben.

Derweil steigen die Managergehälter weiter: 16,6 Millionen Euro im Jahr gab es für RWE-Chef Roels, 13,2 für DB-Chef Ackermann. Das sind über eine Million Euro im Monat nur als Gehalt – nicht gerechnet, was an Vermögensgewinnen noch dazu kommt. Wenn die Lokführer 31 Prozent mehr Lohn fordern, ist das völlig richtig – haben sich doch Bahnchef Mehdorn und Konsorten letztes Jahr 62 Prozent Erhöhung gegönnt! Mehdorn spricht nun von „Krieg“ und nennt die Lokführer „Terroristen“ und „Geiselnehmer“.

Jetzt wird auch klar, gegen wen Schäuble in den Krieg zieht: gegen die kämpferische Arbeiter- und Volksbewegung, streikende Arbeiter – und natürlich die bösen Kommunisten. Hat Innensenator Lemke dafür neue Schlagstöcke geordert – Metallstöcke, ausziehbar, offiziell als gefährliche Waffe eingestuft? Will er vielleicht in dieser Disziplin groß rauskommen, nachdem er als Bildungssenator so kläglich gescheitert ist? Mit Metallstöcken gegen Demonstranten? Vielleicht gegen demonstrierende Schüler?

Man sieht: Die da oben werden schon mächtig nervös, und dazu haben sie auch allen Grund. Die Demo am Samstag in Berlin hat gezeigt: Wir sind hier, wir sind laut, wenn man uns die Zukunft klaut! Und wir sind quicklebendig! Wir stehen in den Startlöchern, eine noch viel größere soziale Protestbewegung zu organisieren, die, mit den Kämpfen der Arbeiter aus den Betrieben zusammengeführt, so ziemlich alles erreichen kann!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
Schuld sind neoliberale Eliten: Verfolgungsbetreuung nach Art der Hartz-Gesetze ist wichtiges Element beim Aufbau autoritärer Staaten („Junge Welt“)

 

Zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Al Gore und UN-Klimarat

Wieland von HodenbergMit den solchermaßen Geehrten wie auch mit den Begründungen des Preiskomitees habe ich zuweilen erhebliche Probleme. Abgesehen davon, dass wir dieser Tage mit allen möglichen Friedenspreisen geradezu überschwemmt werden. Diese inflationäre Entwicklung hat wohl etwas damit zu tun, dass millionenschwere Sponsoren sich hier gern profilieren – siehe Frankfurter Buchmesse und der vermutlich dahinterstehende Bertelsmann-Konzern. Eine erfreuliche Ausnahme bildet der alternative „Aachener Friedenspreis“, der nur an Menschen oder Organisationen verliehen wird, die sich auch wirklich um Frieden und gewaltfreie Konfliktlösung verdient machen.

Nun zurück zum Nobelpreisträger. Mister Al Gore ist gewiss ein ehrenwerter Mensch. Mit seinem Buch und dem gleichnamigen Film „Eine unbequeme Wahrheit“ ist es ihm gelungen, eine breite Öffentlichkeit in Europa und den USA für das Thema Klimaschutz zu sensibilisieren. Das ist ein großes Verdienst – aber reicht das schon für den Friedensnobelpreis? Den Irak-Krieg nur verbal zu verurteilen, genügt wohl nicht ganz. Hat nicht der smarte Oberschichtenmensch Al Gore seinerzeit als Vizepräsident Bill Clintons dessen Kriegskurs und seine „lausige Umweltpolitik“ („Frankfurter Rundschau“ vom 13. Oktober 2007) mitgetragen?

Und ist das schwedische Nobelpreiskomitee wirklich ein neutrales, über alle globalkapitalistischen Dunstwolken erhabenes Organ? Wohl kaum, denn sein Begründer Alfred Nobel, der erst in der Spätphase seines Lebens den Krieg ächtete, erfand zuvor das Dynamit und war einer der größten Waffenproduzenten seiner Zeit. Die heutige Nähe des Komitees zu den weltweit herrschenden Kreisen ist nicht ganz unbekannt. Allerdings ist die jetzige Preisvergabe an Al Gore ein Wink mit dem Zaunpfahl auch an Präsident Bush.

Die Begründung der Preis-Juroren lautete: Umfassende Klimaänderungen können die Lebensbedingungen für einen großen Teil der Menschheit bedrohen. Dies werde den Kampf um die Ressourcen verschärfen und vergrößere die Gefahr für gewaltsame Konflikte und Kriege. So leisteten Gore und der ebenfalls ausgezeichnete UN-Klimarat einen Beitrag zum Frieden. Die „Frankfurter Rundschau“ behauptete sogar, der Klimawandel sei ein „potenzieller Kriegtreiber“. Diese Feststellung greift viel zu kurz und ist außerdem völlig falsch, denn die Klimakatastrophe ist nicht Ursache, sondern Auswirkung.

Die wirklichen Verursacher und Kriegstreiber – Ölmultis, Autokonzerne, Flugzeug- und Rüstungsindustrie – lassen die Preisverleiher natürlich völlig außen vor. Daher zum Schluss eine Aussage aus Al Gores Buch: „Unbequeme Wahrheiten verschwinden nicht einfach, indem man die Augen vor ihnen verschließt. Im Gegenteil: Je länger wir sie ignorieren, umso schlimmere Konsequenzen drohen uns.“ So ist es, und dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)
 
Reformen der Agenda 2010 sind nicht die Zehn Gebote“: Wie kann das „Fordern und Fördern“ dann Gebot Nummer 11 sein? („Spiegel-Online“)

 

Wer nichts hat, braucht
auch kein Schonvermögen

Elisabeth Graf1. Ergebnisse der Studie des „Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche“ bringen es an den Tag: Ein-Euro-Jobs erschweren die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen. Wer nur zeitlich begrenzt, etwa im Ein-Euro-Job für einige Monate tätig ist, hat zwar das Gefühl, kurzfristig „Glück gehabt“ zu haben, entwickelt aber keine neue Einstellung zu Erwerbstätigkeit und entsprechender Lebenssituation. Möglicherweise erschweren derartige Hilfen die Teilhabe sogar insofern, als sie die Sichtweise verfestigen, es gebe „in Wirklichkeit keine angemessene Arbeit und darum keine echte Chance auf mehr Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen“.

Für diese Studie wurde die Situation von Menschen untersucht, die in die Hartz-IV-Armutsfalle geraten sind. Demnach sehen solche Menschen oft keine Möglichkeit mehr, aus der Armut herauszukommen. Eine Mitarbeiterin des Instituts schilderte, die Betroffenen gingen davon aus, auch künftig von staatlicher Unterstützung leben zu müssen. Sie hielten ihre momentane Bedürftigkeit für unüberwindbar, weshalb die Unterstützung als eine Art Abfindung fungiere. Die „Über­flüssigen, Unbrauch- und Nichtintegrierbaren“ würden nach eigener Wahrnehmung „versorgt und entsorgt“. Sie verlören ihren Anspruch, sich auch mit Kindern oder in einem Alter jenseits des „Verfallsdatums“ von 35 Jahren je wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Hier bestätige sich Armut in vorrangiger Bedeutung als Perspektivarmut. Wer fühle, dass ihm etwas offensteht, habe auch das Potential, sich Optionen vorzustellen und positive Veränderungen für möglich zu halten – und sei einer verstärkten Teilhabe und damit dem Weg aus der Armut deutlich näher. Die Dynamik der Ausgrenzung werde am ehesten dort durchbrochen, wo sich Menschen über einen Arbeitsplatz oder die Verantwortung für ihre Kinder neue Netzwerke und Perspektiven von Teilhabe erschließen. Offenbar wirke eine Mitarbeit dort für die Teilhabe förderlich, wo sie als ehrenamtliche Arbeit stattfindet und eine Einbindung in ein soziales Netzwerk der Aktiven bedeutet.

Diese Sichtweise ist leider allzu oft sehr realistisch, zumal die Ein-Euro-Jobs die sozialversicherungspflichtigen Stellen noch weiter begrenzen und minimieren! Diese Jobs dienen der Disziplinierung und Abschreckung, keinesfalls der Rückführung auf den ersten Arbeitsmarkt. Viele Betroffene sind zwar froh darüber, etwas mehr Geld im kargen Portemonnaie zu haben, aber es kann doch niemand ernsthaft glauben, damit wirklich weiterzukommen!

 

2. Der frühere Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hat sich dafür ausgesprochen, an den Hartz-IV-Gesetzen „nichts zu ändern“. Der Vorschlag Becks solle sozial erscheinen, sei aber sachlich nicht nachvollziehbar. Angesichts des sich abzeichnenden konjunkturellen Abschwungs sei es wichtiger, „strukturelle Verbesserungen“ vorzunehmen.

Seiner Ansicht nach begönnen die sogenannten Hartz-IV-Reformen gerade zu wirken. Die Zahl der älteren Arbeitslosen sei in den letzten zwei Jahren um 250.000 zurückgegangen. Auch in der Frage des Schonvermögens bei Hartz IV sprach sich Clement gegen eine Erhöhung aus. Wenn man alle Regelungen zusammennehme, sei es vor allen Dingen für Familien mit Kindern ein Vermögen, „das die meisten nicht haben, das kaum jemand von denen hat, die davon betroffen sind“.

Mit solch einer perfiden Argumentation könnte man gleich dazu aufrufen, das Schonvermögen ganz zu streichen, weil die Obdachlosen auf der Strasse auch kein Vermögen haben. Sollte das sein Ziel sein? Warum fordert er keine derartigen Einschränkungen bei seinen Kollegen, warum setzt er sich nicht für eine Tobin-Steuer ein oder für eine Begrenzung der Spekulationserträge, damit diese gigantische Schieflage zwischen Kapital und Arbeit wieder ins Lot kommen könnte? Herr Clement, dieser abgehalfterte Superminister, hat erst Nordrhein-Westfalen ruiniert, anschließend die erwerbslose Bevölkerung in ganz Deutschland! Jetzt macht er sich bei der Leiharbeit breit und fürchtet um sein Scherflein, ergo meldet sich der Super-GAU, äh -Minister a.D. zu Wort!

 

3. Gab es das schon einmal, dass in Deutschland für weniger Geld demonstriert worden wäre? Die Gewerkschaft Verdi kritisiert die geplante „Demonstration“ der privaten Postdienstleister gegen die sofortige Einführung eines Mindestlohns in der Branche scharf: Die PIN AG fordere ihre Beschäftigten auf, am Dienstag in Berlin mit Behauptungen wie „Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze“ gegen den Mindestlohntarifvertrag auf die Straße zu gehen.

Ein Verdi-Sprecher sagte der „Tagesszeitung“, diese Vorgehensweise sei ein Akt des blanken Zynismus, denn die PIN AG Berlin speise ihre Beschäftigten mit Dumpinglöhnen ab. In einer internen E-Mail des Unternehmens, die dem Blatt vorliege, würden die Beschäftigten zur Teilnahme an der Demonstration mit den Worten aufgefordert, sie würden trotzdem als anwesend geführt und bekämen die Zeit voll bezahlt. Ob hier wohl ebenso Demonstranten angeheuert werden sollen wie letztens beim „Ärztestreik“?

 

4. Ältere Hartz-IV-Empfänger müssen ab 2008 damit rechnen, dass sie vorzeitig ihre Rente in Anspruch nehmen und dabei Abschläge bis zu 18 Prozent hinnehmen müssen. SPD und Union sehen darin selbstverständlich keine Zwangsverrentung, sondern begründen dies mit dem „Nachhaltigkeitsprinzip“ von Hartz IV. Dies besagt, dass ALG-II-Leistungen immer nachrangig sind und vorher alles vorhandene Vermögen ausgeschöpft werden muss. Dazu zählen auch Rentenansprüche. Der Weg zur Alterarmut ist somit freigemacht.

Wer arbeitslos ist, darf heute mit 61 in Rente gehen, bekommt dann allerdings nicht das volle Ruhegeld: Die Abschläge betragen dabei knapp 15 Prozent. Viele Arbeitslose nehmen das freiwillig in Kauf. Vor allem bei Männern, die meist lange eingezahlt haben, ist selbst die reduzierte Rente oft höher als Hartz IV. Viele wollen lieber sofort mehr Geld als später eine höhere Rente. Anders ist die Situation der Frauen: Ihre durchschnittliche Rente ist nur etwa halb so hoch wie die der Männer. Sie können sich die Abschläge meist nicht leisten. Die Rente reicht dann nicht mehr zum Leben. Sie können ihr Alter nicht in Würde verbringen.

Die noch bis Ende 2007 geltende 58er-Regelung eröffnet Arbeitslosen, die mindestens 58 Jahre alt sind, bisher noch die Möglichkeit, weiterhin Arbeitslosengeld zu beziehen, ohne aber dem Arbeitsmarkt tatsächlich weiter zur Verfügung zu stehen. Danach ist es möglich, auch ohne Abschläge in Rente zu gehen. Die CDU sieht derzeit eine „deutlich verbesserte Arbeitsmarktsituation“ für ältere Arbeitnehmer. Das sei immer ein Ziel des Zweiten Sozialgesetzbuches gewesen. Darin sei allerdings auch das „Grundprinzip der Nachhaltigkeit“ enthalten. Demnach müsse vorhandenes Vermögen zur Sicherung des Lebensunterhalts eingesetzt werden. Dies könnten auch erworbene Rentenansprüche sein.

So wird schon jetzt zur Verarmung der künftigen Rentner beigetragen! Ein Beispiel: Jemand arbeitet 30 Jahre und hat gut eingezahlt. Die nächsten 20 Jahre bekommt er keinen Job, und die unter Hartz IV eingezahlen Beiträge sind ein Fliegenschiss! Folglich verringern sich auch die vorher gezahlten Beiträge. Der Betroffene bezieht so oder so eine lebensunwürdige Rente! Ab 2008 haben dann die Sozialgerichte auch noch mit den Zwangsrentnern zu tun, denn ich hoffe nicht, dass jemand mit 18 Prozent Abschlag in Rente geht, ohne zumindest den Versuch gemacht zu haben, sich dagegen zu wehren!

Nach Vorstellungen der Bundesregierung müssen auch Ehepartner von ALG-II-Beziehern notfalls früher in Rente gehen, wenn dadurch der Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft gesichert werden kann. Den Punkt halte ich für keinesfalls durchsetzbar. Auf der Basis welches Rechts will man jemanden, der keine ALG-II-Leistungen bezieht, in die Rente zwingen? Nur weil der Ehepartner Leistungsempfänger ist? Die Rechtsgrundlage dafür würde ich gerne sehen! Auf jeden Fall wissen wir jetzt endlich, wohin „die Älteren“ aus der Statistik verschwinden werden, die selbstverständlich alle „in Arbeit“ gebracht worden sind.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)
 
Streiks nur im Nahverkehr treffen die Bahn nicht: GDL will Streikrecht
im Fern- und Güterverkehr erkämpfen („Spiegel-Online“)
 
Bahn-Angebot unzureichend: Streiken am Donnerstag deutsche und französische Eisenbahner gemeinsam? („Spiegel-Online“)
 
Beck’s K.o.-Sieg über Münte: SPD übernimmt DGB-Forderung
nach ALG-I-Verlängerung („Spiegel-Online“)

 

Sechsmonatsverträge
gelten jetzt als „unbefristet“

1. Münte – der einer verlängerten Zahlung von Arbeitslosengeld I an Ältere nur zustimmen wollte, wenn diese eine Weiterbildung machen – weiß nicht, dass Weiterbildung für ältere Arbeitslose von der Agentur für Arbeit nur selten genehmigt wird. 17 Millionen Euro sind hier noch im Topf! Oder brauchte er nur erneut Argumente zur Untermauerung der Vorurteile? Es werden in Bremen und anderswo reihenweise Weiterbildungen abgelehnt.

Einerseits wird Weiterbildung nur noch aufgrund von bundesweiter Ausschreibung bewilligt – und dies auch nur, wenn dadurch konkret ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Dies ist die offizielle Linie – sogar die Bremer DGB-Chefin Helga Ziegert hat die Einschränkungen verteidigt und zum Beispiel einen Gabelstaplerschein als „nicht förderungswürdig“ bezeichnet. Diese Verknüpfung ist eine erneute Verhöhnung der Erwerbslosen! Aber nehmen wir dies zum Anlass, endlich die gewünschte Weiterbildung einzufordern. Notfalls mit Widerspruch und Klage! Wir gehen mit!

Hans-Dieter BinderDie Politiker werden sich auf eine längere Bezugsdauer einigen, um den Richtern zuvorzu­kom­men. Die bisherigen Bescheide, auch für die weiteren Einschränkungen, kann und muss jeder, der diesen Nachteil vermeiden will, mit Widerspruch belegen! Wer dies tun sollte, wie dies geht: Wir gehen mit!

Auf der bundesweiten Montagsdemo in Berlin haben sich zwei Kinder über das Essen unterhalten. Zuerst sind sie zu der Familie ohne Transferleistungen gegangen und haben die Mutter gefragt: „Wie viel gibst du im Monat für mich für Essen aus?“ Der Junge hat eine sehr detaillierte Antwort erhalten. Damit sind sie zur Mutter des anderen gegangen. Diese Familie lebt von ALG II. Die Mutter erläuterte, was sie für die Ernährung zur Verfügung hat. Die nüchterne Erklärung des Sohnes lautete: „Dann darf ich nur die Hälfte essen!“

Sie können es selbst nachrechnen, die Regelsätze für Kinder stehen im Netz und die Auswirkungen fast jeden Tag in der Zeitung! Ein zuhörender Tourist sagte jedoch zu seiner Begleiterin: „Die haben ja noch das Kindergeld zur Verfügung“. Ich konnte dies richtigstellen: Das Kindergeld wird voll angerechnet, ohne jeglichem Freibetrag. Wer dies nachliest, stößt auch auf die anhängige Klage auf Ermöglichung einer Haftpflichtversicherung für die Kinder!

Nochmals zum Arbeitsmarkt für Ältere: Diese Bundesregierung muss Erfolge vorweisen! Nachhaltig wäre die Vermittlung in ein unbefristetes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Ein solches wird durch entsprechende Umstellung der Förderbedingungen erreicht. Das kostet zwar viel Geld, aber der Erfolg ist da. Doch mit den unbefristeten Verträgen wollte es nicht so recht klappen.

Die Förderprogramme in Bremen und anderswo sehen ausdrücklich eine Höchstförderungsdauer vor. Die Arbeitsverträge sind entsprechend befristet. Bei dem Förderprogramm für alle – mit 1.200 Euro Entgelt brutto, ohne Begrenzung auf Gemeinnützigkeit – wird sogar die Förderung von einem befristeten Arbeitsvertrag über längstens neun Monate abhängig gemacht: damit kein Anspruch auf ALG I entsteht, so die offizielle Begründung.

Die Bundesregierung hat nun eine „Lösung“ des Problems gefunden: Als „unbefristet“ gilt jeder Arbeitsvertrag, der für sechs Monate abgeschlossen wurde! So lassen sich Erfolge herbeizaubern. Die Arbeitgeber können sich freuen, denn jede Förderzusage, die an einen „unbefristeten“ Arbeitsvertrag gebunden ist, bedeutet jetzt: sechs Monate genügen! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

 

2. Wer erinnert sich? Die „Gesellschaft für Bildungsinfrastruktur“ sollte Einsparungsmöglichkeiten bei der Bildungsbehörde finden. Acht Millionen Euro pro Jahr sollten so eingespart werden. Mit Unternehmensberatung wurde ein Konzept erstellt – und mit Personalberatung ein Geschäftsführer gesucht. Eingestellt wurde Herr Jürgen Mumdey. Nun ist das Geld weg, 25 Millionen Euro. „Ich war es nicht“, sagt der Geschäftsführer, dessen Arbeitsvertrag mit der Probezeit ausgelaufen ist. „Nicht einmal mein Konzept hat sich die senatorische Dienststelle angesehen.“

Im „Weser-Kurier“ heißt es jetzt: Die Bildungs-GmbH war ein Haushaltstrick! Der ist auch gelungen, das Geld ist weg! Warum aber wurden für Konzept mit Unternehmensberatung, Personalsuche mit Personalberatung und Geschäftsführergehalt für sechs Monate über 200.000 Euro verplempert? Es wäre sicherlich billiger gewesen, diese Einnahmen und auch diese Ausgaben über das Parlament und den Haushalt laufen zu lassen!

Wer hat hier kein Vertrauen zur eigenen Mehrheit gehabt? Wer hat diesen Haushaltstrick zu vertreten? Wer hat letztlich diese Verschwendung von Steuergeldern zu verantworten? Wer hat die parlamentarischen Kontrollen unterlaufen? Wer hat dies gedeckt? Bürgerschaftspräsident Christian Weber hat seinen Skulpturengarten schließlich schon aufgrund der „Spende“ für Günther Grass und die Freie Universität erhalten! Pfui! Wenn Ex-Geschäftsführer Mumdey diesen Sachverhalt zum Anlass nimmt, auf Schadenersatz zu klagen, hat er sehr gute Aussichten auf Erfolg. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

 

3. Die Bremer Kliniken sind mehrfach negativ aufgefallen. Nicht aufgrund der Arbeitsqualität der Mitarbeiter(innen), sondern wegen der Ressortleitung und der Art der Geschäftsführung. Bei uns nachzulesen war folgender Sachverhalt, der inzwischen auch im „Weser-Kurier“ angekommen ist: In den Aufsichtsrat der Kliniken wurden Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft berufen. Diese Parlamentarier mussten sich vorher verpflichten, so abzustimmen, wie die senatorische Dienststelle es wünschte! Die Forderung im Wahlkampf lautete: Die Parlamentarier im Aufsichtsrat der Kliniken sollen nicht mehr an die Weisungen der senatorischen Dienststelle gebunden sein!

Jetzt wird ein Klinikausschuss gebildet, in den auch Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft berufen werden. Wie viel Macht und Mitbestimmungsrechte dieser Ausschuss erhält, ist noch unklar! Die Aufsichtsratsmandate für die Bremer Bürgerschaftsabgeordneten wurden allerdings nicht besetzt, es gibt keine Abgeordneten mehr im Aufsichtsrat der Klinik. Damit wurde die Zusage „Wir schaffen diesen Maulkorb für Abgeordnete ab“ eingehalten! Oder? Nein, so ist Politik unglaubwürdig! Ein Aufsichtsrat hat viel Einfluss und auch Verantwortung! Genau dies ist der Gestaltungsraum eines Abgeordneten! Die Kliniken stehen vor enormen Veränderungen. Bisher haben sowohl die Politik als auch die Geschäftsführung versagt. Umso wichtiger ist die Stärkung unserer Volksvertreter!

Das Klinikum Mitte hat eine neue Küche erhalten. Die Baukostenüberschreitung und andere Details schaffen kein Vertrauen in den Gesamtplan! Der Investor soll eine „sicherungsfähige Zusage“ der Freien Hansestadt Bremen erhalten. Alle Risiken der Planung und Umsetzung trägt die öffentliche Hand, nur die Erträge sind privat? So nicht! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

 

4. Wir sind uns darüber einig, dass die neue Regelung über angemessene Mieten für Hartz-IV-Betroffene ebenfalls nicht fair ist. Die Mietobergrenzen sind nicht entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichts ermittelt worden! Dadurch ist es ist aber möglich, seine Wohnung zu verteidigen – und natürlich seinen Lebensunterhalt! Auch die bisherigen Eigenanteile an der Miete, die verweigerten Heizkosten, Deponate, Renovierungen oder Umzugskosten sind jetzt rückwirkend einzufordern! Wir wissen, wie dies geht. Wir gehen mit! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Konjunktur der Missbrauchsdebatten: Arbeitslose müssen als
Sündenböcke für verfehlte Beschäftigungspolitik herhalten
(„Bundeszentrale für politische Bildung“)
 
Scheinangebot vorgelegt: Bahn verweigert Lokführer-Gewerkschaft
weiterhin tarifliche Verhandlungshoheit („Spiegel-Online“)

 

„Ich habe heute den ganzen Tag nur ein Würstchen gegessen“

Finanzsenatorin Linnert kündigt Bremer Initiative
zur Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze an

 

Hans-Dieter Binder: Wer unter der neuen Mietobergrenze leidet, soll wissen: Das ist nur eine neue Mogelei! Wer nicht damit einverstanden ist, weil sie zu niedrig ist, dem helfen wir! Aber da kommt unsere Finanzsenatorin ja gerade über den Marktplatz! Frau Linnert, möchten Sie etwas zur neuen Mietobergrenze sagen? Und zu „Gewos“?

Frank Kleinschmidt: Vor allen Dingen sind wir neugierig auf ein Statement zu „Appartement-Horst“! Ich meine den sozialpolitischen Sprecher der Bremer Grünen, Herrn Horst Frehe, Erfinder des „Appartement-Helmut“.

Karoline LinnertKaroline Linnert: Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, ich weiß, was mit „Appartement-Horst“ gemeint ist. Herr Frehe hat in der Bremischen Bürgerschaft, in der Debatte über die Mietgrenzen, gesagt, er will nicht, dass nach „Florida-Rolf“ ein „Appartement-Horst“ – war das so? – durch die Presse geht. Ich finde, er hat da recht. Wenn sich jemand gekränkt fühlt, war das nicht die Absicht. Er wollte sagen, dass man es in wunderbarer Art und Weise zulasten sozial Benachteiligter skandalisieren kann, wenn wir keine Mietgrenze haben und der Staat verpflichtet ist, völlig unabhängig von der Miethöhe eine Wohnung zu finanzieren, und dass wir – es war ja zum Teil von der Linkspartei auch beantragt – das nicht machen können. Wir müssen eine Grenze einziehen. Man muss darüber reden, wie hoch sie ist, aber es kann nicht sein, dass völlig unabhängig von der Höhe mit Staatsknete Mieten finanziert werden, für Menschen, die in Armut leben. Das geht nicht. Das wollte er damit sagen, und ich finde, dass er recht hat.

Hans-Dieter Binder: Frau Linnert, vielen Dank für die Worte. Aber Sie wissen, dass „Gewos“ kein Gutachten ist, sondern nur ein Bericht?

Karoline Linnert: Ja, natürlich weiß ich das. Niemand hat so sehr wie ich dafür gekämpft, dass man sich nicht die Aussagen des „Gewos-Gutachtens“ zu eigen macht. Das hätte sonst dazu geführt, dass ich einem riesigen Druck ausgesetzt worden wäre, nein zu sagen, mit der Begründung: Es erzeugt zu hohe Schäden im Finanzhaushalt. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, diese Expertise für bare Münze zu nehmen, sondern gesagt: Wir müssen unseren eigenen Kopf anstrengen. Was ist in Bremen vertretbar, was kann man machen, was sind die speziellen Bedingungen hier? Ich habe mich zum Beispiel auch überhaupt nicht den Zahlen angeschlossen, was das für meinen Haushalt bedeutet. In dem Punkt sitzen wir zusammen in einem Boot.

Hans-Dieter Binder: Aber „Gewos“ hat falsch gerechnet und tut es immer noch. Die festgestellten Mieten entsprechen nicht den Ausführungen des Bundessozialgerichts. Sie sind damit zu niedrig, denn „Gewos“ hat die Bestandsmieten mit reingenommen. Die sind aber nicht zu berücksichtigen, nur die Neuvermietungen.

Karoline Linnert: Ich bin nicht die absolute Fachfrau in Mietgrenzen. Ich habe in der Opposition dafür gekämpft, dass sie deutlich erhöht werden. Das ist jetzt auch passiert. Rot-Grün hat das Versprechen eingehalten. Ich kann verstehen, dass man es aus Ihrer Sicht noch besser machen kann, aber ich sage Ihnen auch, wir stehen unter hoher Beobachtung: Was machen wir hier eigentlich finanziell? Bremen ist arm. Wir müssen gucken, wie man allen Ecken – und auch bei Ihnen, das ist völlig klar – guckt: Was kann man vertreten? Diese Mietgrenzen werden jetzt in Kraft gesetzt, die Sozialdeputation hat sie beschlossen. Wir versuchen jetzt, damit umzugehen. Wenn sich dann – wider Erwarten aus meiner Sicht, weil ich glaube, dass die Bremer Regelung nun ganz in Ordnung ist – rausstellt, es kommt immer noch dazu, dass Menschen in Angst und Schrecken versetzt werden oder – was ich viel wichtiger finde – keine Hilfe erhalten, wenn sie denn umziehen müssen – denn ich möchte nicht, dass der Sozialstaat Ihnen einfach nur einen Bescheid schickt, und Sie können dann sehen, wie Sie damit zurecht kommen – wenn sich das rausstellt, komme ich wieder hierher, wir reden darüber, und dann ändern wir auch was! Aber erst mal ist das so beschlossen, und ich finde: Wir versuchen, das jetzt auch umzusetzen.

Peter Kubiak: Ich hatte vor gut einem Jahr das Gespräch mit der damaligen Sozialsenatorin, Frau Röpke. Da habe ich dieselben Versprechungen gehört. Die werden nur nicht umgesetzt. Bei unseren Parlamentariern – auch hier, ich habe mir letztens die Dabatten angehört – gibt es Eiereien um irgendwelche Sprüche herum. Es wird an der Basis nicht umgesetzt. Uns laufen die Kosten davon! Es nützt nichts, wenn man sagt, wir hätten dieses Jahr angeblich zwei Euro mehr bekommen – aber im Grunde sind uns die Preise um etwa 16 Euro im Monat davongelaufen. Eines muss ich auch an Sie sagen, als Parlamentarierin: Wer hat uns das aufvergewohltätigt, den Verkauf unserer Energieversorger? Wir werden nach Strich und Faden ausgeraubt und ausgeplündert, mit ständig steigenden Energiekosten!

Karoline Linnert: Bei dem letzten Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht. Es war ein riesiger Fehler, die Energieversorger zu verkaufen. Im Moment geht es darum: Werden Krankenhäuser privatisiert? Vielleicht haben Sie dazu eine Meinung? Ich habe eine: Man darf das nicht wieder machen. Und zu den „Sprüchen“: Ich weiß nicht, was Frau Röpke versprochen hat – jetzt hat die Sozialdeputation die Mietgrenzen erhöht. Das sind nicht nur Sprüche, sondern ist auch wirklich passiert. Und der Satz „Ihnen laufen die Kosten weg“: Bremen wird zusammen mit Baden-Württemberg eine Initiative ergreifen – nicht erst 2009, sondern jetzt –, die Hartz-IV-Kosten neu zu berechnen. Ich sehe das auch so wie Sie: Die alten Erhebungsgrundlagen haben sich stark verändert, und man wird zu einer Erhöhung der Regelsätze, besonders für Kinder, kommen müssen, weil das Geld zu wenig ist. Dafür setzt sich Bremen ein, obwohl wir unter besonderer Beachtung der Bundesländer stehen, die uns vorwerfen, dass wir nicht nett zu unseren Armen sein dürfen. Es gibt also nicht schwarz und weiß, sondern ich nehme für mich ein ganz kleines Dunkelgrau in Anspruch.

Peter Kubiak: Ich möchte noch einen Punkt ansprechen: unsere öffentlichen Verkehrsmittel, deren Preise ständig steigen. Es gibt Bundesländer, die den Sozialhilfeempfängern und Hartz-IV-Betroffenen Geld dazugeben, damit sie für den halben Preis oder jedenfalls etwas günstiger die Monatskarten erwerben können. Wir haben aber auch in Bremen enorme Kosten und sind auf Arbeitssuche. Wir müssen uns bewegen, sind nicht auf einer Stelle festgenagelt. Autos können wir uns nicht mehr leisten, die Spritpreise steigen. Es wäre eine große Hilfe, wenn wir die Hälfte der Kosten für unsere Straßenbahnkarten dazubekommen würden.

Karoline Linnert: Völlig richtig, was Sie sagen. Ich kämpfe seit 20 Jahren dafür, ein Sozialticket einzuführen. Das ist ein total dickes Brett, weil die Bremer Straßenbahn AG in einem Verbund mit den Verkehrbetrieben in Niedersachen steht, und deren Tarifgestaltung ist gemeinsam. Bremen ist nur ein Teil dieser Tarifgemeinschaft. Was glauben Sie, was die mir erzählen, wenn ich sage, ich will dieses Ticket haben? Dann sagen sie erstens nein, und zweitend sagen sie, dass sie unheimliche Mengen Geld aus dem Haushalt haben wollen. Dieses Gezerre hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass nichts passiert ist. Wir machen einen neuen Anlauf, das verpreche ich, es steht im Koalitionsvertrag. Ich finde, was Sie gesagt haben, völlig richtig. Wir müssen Interesse daran haben, dass arme Menschen mobil bleiben und sich in der Stadt bewegen können, sich nicht in ihren Wohnungen verkriechen, und dass sie die Angebote in dieser Stadt auch nutzen können. Wir werden uns dafür einsetzen, aber ich sage Ihnen: Das ist total hart und schwierig, weil die das einfach nicht wollen, und weil sie es verstanden haben, dass man auf diese Art und Weise Ansprüche gegen den Haushalt – wir haben aber nichts! – verkünden kann. Wenn Sie sich zu diesem Gezerre laut und deutlich äußern, empfinde ich das als Unterstützung. Dann machen Sie das mal.

Wolfgang Lange: Als Moderator möchte ich auch noch etwas sagen. Ich finde es ja ganz toll, dass Sie uns hier Rede und Antwort stehen. Nur in einem Punkt gab es doch eine Eierei. Es geht ja nicht nur darum, dass die Mietobergrenzen höhergesetzt werden, sondern dass wir verbindlich wissen wollen, dass es keine Zwangsumzüge geben wird. Wir kämpfen klar gegen jegliche Zwangsumzüge. Zweitens hatten Sie angesprochen, dass Sie sich auch bei Hartz IV ein bisschen für Verbesserungen einsetzen. Unser Standpunkt hier auf der Montagsdemo ist, dass die Hartz-Gesetze abgeschafft werden müssen und dorthin gehören, wo auch ihr Erschaffer, der Herr Peter Hartz, gelandet ist, nämlich letzten Endes auf dem Misthaufen!

Karoline Linnert: Ich glaube, es gibt wenige, die so sehr gegen die Hartz-Gesetze gekämpft haben wie ich, jedenfalls nehme ich das für mich in Anspruch. Sie sind jetzt aber da, und wir müssen damit umgehen. Dass da viele Fehler drin sind, teile ich. Ich finde, dass alle, die hier stehen, sich selber mal überlegen können, ob nicht ein unkritischer Umgang mit dem Bundessozialhilfegesetz, das ich für das viel bessere Gesetz empfunden habe, vielleicht mit dazu beigetragen hat, dass wir diese Misere jetzt haben. Aber das ist nun die Vergangenheit, das ist jetzt so. Ihre Bitte, dass es keine Zwangsumzüge geben wird, kann ich nicht erfüllen. Nein, es muss eine Grenze geben. Wir können nicht von denjenigen, die erwerbstätig sind, verlangen, dass sie für Menschen, die von Hartz IV leben, Wohnungen finanzieren, die weit über dem Standard liegen.

Zwischenruferin: Aber von den Leuten, die Geld haben, vielleicht von den Bankleuten und Wirtschaftslobbyisten!

Karoline Linnert: Ja, das finde ich auch. Im Moment gibt es eine sehr interessante Debatte in Deutschland über die Erbschaftsteuer. Aber hier war ja die Frage: Kann man es verhindern, dass es überhaupt zu Zwangsumzügen kommt? Das kann man nicht, weil die Gesetze vorsehen, dass Menschen, die Transferleistungen erhalten, auf ein anderes Niveau gestellt werden als diejenigen, die arbeiten. Da kann ich Ihnen auch nicht helfen. Die Frage, die die Dame hinter mir anspricht – Wie gerecht ist unser Steuersystem, und wie schaffen wir es eigentlich, der steigenden Spaltung unserer Gesellschaft in wenige immer Reichere und viele immer Ärmere entgegenzuwirken? –, ist ein tiefer Tanker. Allein mit der Steuer wird man das nicht schaffen.

Abidin Bozdag: Wir müssen doch auch mal darüber sprechen, dass wir Arbeitsplätze brauchen, um überhaupt mal zu arbeiten. Dafür brauchten wir doch angeblich diese Hartz-Gesetze und die ganzen Gelder. Was wir hier machen ist, dass andere arbeiten, und es werden überhaupt keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern wir sitzen nach einem Jahr wieder auf der Straße und müssen wieder Hartz IV bekommen. Welche Pläne gibt es da jetzt bei Rot-Grün?

Karoline Linnert: Ich komme gerade aus der Handelskammer, da wurde ich so etwas Ähnliches gefragt. Arbeitsplätze schafft im Kapitalismus die Wirtschaft. Einverstanden? Jetzt ist die Frage: Kriegt Bremen es hin, für „die Wirtschaft“ – die ist ja auch unterschiedlich – so gute Bedingungen zu schaffen, dass Unternehmen bereit sind, sich hier niederzulassen und Arbeitsplätze zu schaffen? So funktioniert unser Wirtschaftssystem, das kann man gut finden oder nicht. Ich habe eine andere politische Vergangenheit, aber ich nehme zur Kenntnis, dass es so ist. Wir müssen versuchen, in Bremen die Balance zu halten, also gute Bedingungen für die Wirtschaft schaffen, damit sie Arbeitsplätze schafft, und gleichzeitig das tun, was wir tun wollen und müssen, nämlich für benachteiligte Menschen mehr machen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Ihre Kritik an den Hartz-Gesetzen und der Arbeitsförderung teile ich. Die Grünen haben in den letzten Jahren massiv Opposition betrieben gegen die Ein-Euro-Jobs. Ich finde es menschenverachtend, das so zu machen: Die Träger der Beschäftigung verdienen mehr als diejenigen, die da für einen Euro pro Stunde arbeiten. Man macht Menschen damit fertig, weil man ihnen zeigt, dass sie nichts wert sind. So geht das nicht. Die Koalition hat sich fest vorgenommen, dieses Instrument nur noch in Ausnahmefällen zu benutzen. Wir wollen stattdessen das Geld, das wir von der Bundesagentur für Arbeitsplätze bekommen, umwandeln in längerfristige und tarifgemäße Beschäftigung mit richtigen Verträgen, damit man zum Beispiel auch Geld bekommt, wenn man krank ist. Das gehört ja mit zu den Absonderlichkeiten dieser Hartz-Gesetze. Wir können dann weniger Menschen fördern, aber es verliert wenigstens zum Teil diesen entwürdigenden Zwangscharakter. Ich möchte es gerne schaffen, auch in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, dass man Menschen über längere Zeiträume Verträge gibt, auch in Firmen des sogenannten ersten Arbeitsmarktes, und die öffentliche Förderung dann degressiv, also abschmelzend gestaltet, damit sie über einen längeren Zeitraum in Beschäftigung sind. Das wird gerade „ausgebraten“. Wir sind 100 Tage im Amt, aber ich sage Ihnen: Es ist meine feste Überzeugung, dass man mit den Ein Euro-Jobs mehr Schaden anrichtet als alles andere, und dass man da raus muss.

Wolfgang Lange: Schönen Dank, das war jetzt eine klare Aussage, dass Ein-Euro-Jobs abgeschafft werden müssen. Nur eines, Frau Linnert: Sie sagen, „wir waren in der Opposition“. Aber Ihre grüne Partei war ja nur in der Bürgerschaft in der Opposition! Die Hartz-Gesetze sind von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht worden, und die Grünen haben sie voll mit zu verantworten. Deshalb bin ich auch nicht damit einverstanden zu sagen: „das wird ein tiefer Tanker“, oder: „da muss man lange bohren“. Nein, setzen Sie sich dafür ein, dass die Hartz-Gesetze ersatzlos gestrichen werden beziehungsweise die alte Gesetzgebung erst mal wieder in Kraft gesetzt wird! Dadurch würden die Betroffenen sofort bessergestellt. Es ist doch so, dass gerade durch die Hartz-Gesetze nicht nur die Ein-Euro-Jobs, sondern überhaupt erst Niedrigstlohnsektoren geschaffen wurden und die Armut in Deutschland gesteigert worden ist, índem der Druck auf die Löhne ungeheuer erhöht wurde. Es sind keine wirklichen Arbeitsplätze geschaffen worden, sondern Minijobs und Leiharbeit. Sie haben eben gesagt: „Ich lehne das ab, und ich kämpfe mit allem, was ich habe, gegen die Hartz-Gesetze“!

Karoline Linnert: Sie haben völlig recht, die Grünen haben auf Bundesebene die Hartz-Gesetze mitbeschlossen, aus meiner Sicht: leider. Es gab eine politische Konstellation. Es gibt übrigens auch richtige Bestandteile der Hartz-Gesetze: Es ist erstmalig in der Geschichte Deutschlands gelungen, dass der Bund einen Teil der Armutskosten mitfinanziert. Bremen verblutet daran. Es kommt nicht in Ihrem Alltagserleben an, das weiß ich, aber es ist erstmals dazu gekommen, dass mit dem „reichen Süden“ – der sich auf Kosten des „armen Nordens“ einen lauen Lenz macht, wenn ich das mal standortpolitisch sagen darf – auf diese Art und Weise ein Ausgleich stattfindet. Das ist ein totaler Fortschritt, der sich auch in diesen ansonsten ziemlich brutalen Hartz-Gesetzen wiederfindet. Auch die Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat meiner Meinung nach viele Vorteile, weil es überhaupt nicht mehr nachvollziehbar war, welcher Mensch in welchem Sicherungssystem landet. So einfach finde ich das nicht. Trotzdem halte ich letztendlich die ganze Frage, dass man alle Menschen über einen Kamm schert und den Kommunen keine Möglichkeit mehr gibt, begleitende Hilfen zu leisten, für einen großen Fehler. Das macht unsere kommunale Sozialpolitik kaputt. Deshalb ist das für mich differenzierter. Es gibt aus meiner Sicht keine politische Chance in Deutschland, die Hartz-Gesetze jetzt wegzukriegen, aber man wird an ihnen rumreformieren müssen, wie man sowieso in der Politik ständig an allem Möglichem rumreformiert. Dann ist die Frage, in welche Richtung das geht. Da sage ich Ihnen ganz klar: Die Regelsätze sind zu niedrig, vor allem für Kinder. Was ich auch als völlig unbefriedigend empfinde, ist die Tatsache, dass wir als Kommune keine einmaligen Beihilfen mehr gewähren dürfen, um Leuten aus akuten Notlagen herauszuhelfen. Das muss man ändern. Dafür setzt sich Gott sei Dank in Deutschland wieder ein Bewusstsein durch, dass das ein großer Fehler gewesen ist. Helfen Sie, tragen Sie mit dazu bei! Was nun Ursache und Wirkung der Hartz-Gesetze war, das ist, glaube ich, schwer zu beantworten. Sicher ist aber, dass es auch im Rahmen der Sozialhilfe eine Riesenunzufriedenheit gegeben hat. Die Ein-Euro-Jobs sind keine Erfindung von Hartz IV. Neu ist, dass sie in so einer Massivität eingesetzt werden. Aber auch vorher – ich war ja Sozialpolitikerin – hat es natürlich solche Stellen gegen, die mit einem Euro pro Stunde finanziert wurden, nach § 19 BSHG. Das macht es nicht besser, aber ich glaube, man muss sich damit etwas differenzierter auseinandersetzen.

Helmut Gehlen: Ich sage mal Karo zu dir, weil wir uns ja lange kennen. Ich war auch bei den Grünen und habe bei ihnen mitgearbeitet, über die Bürgerinitiativen. Ich muss schlichtweg sagen, Karo: Ihr habt als Landesverband der Grünen jahrelang keinen Protest gemacht! Es gab ein Landesvorstandmitglied, von „Rat und Tat“, der ist zurückgetreten, weil die Bremer Grünen keinen Protest gegen diese Sauereien gemacht haben, die auf Bundesebene entwickelt wurden. Du hast da sehr spät reagiert! Du hast sicher ehrenwert reagiert, das wird auch überhaupt nicht unterdrückt, ich denke, da kann man dir sehr dankbar sein. Aber ich sage ganz klar: Es findet ein Verfolgungsdruck statt, eine Verbürokratisierung, und der Rechnungshof stellt fest, dass 60 Prozent falsche Bescheide ausgegeben werden, dass ein hoher Prozentsatz falscher Auskünfte erteilt wird! Die Bürger werden verscheißert, verarscht, belogen und betrogen! Es müssen wahnsinnig viele deswegen vor die Gerichte latschen! Jetzt kommt ihr mit einem neuen Regelungspapier, wo eine Verkomplizierung stattfindet, wo es unheimlich schwieriger wird, dass die Bürger noch kapieren, was überhaupt mit ihnen ist, wo ihre Rechte sind. Es droht wieder, dass die Bürger schlecht informiert werden, oder nur zum Teil oder sogar falsch. Siehst du den weiteren Verfolgungsdruck und die Resignation der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, Karo? Ich weiß, dass du in der Sache engagiert bist, das spreche ich dir überhaupt nicht ab. Aber sorge dafür, dass ihr alle bei den Grünen das Ding in die Tonne steckt! Das ist nicht ertragbar hier! Das ist die Herabwürdigung, die Geringschätzung von ganz vielen Menschen in Deutschland! Es ist unglaublich, wie gegen die Grundrechte verstoßen wird! Ihr Grünen wart eingetreten für die Bürgerrechte! Alle, die ihr hier steht: Differenziert bitte wirklich. Bei Karo differenziere ich, ich würde das nicht bei jedem Grünen sagen. Ich spreche dich an, Karo, weil ich die Hoffnung habe, dass du empfindlicher und sensibler bist, dass du dichter dran bist, auch an den Einzelschicksalen, dass du sie würdigst und dass du mithilfst, die Geschichte zu kippen!

Christine Wegener: Ich habe nur eine Frage! Ich muss wieder zum Arbeitsamt, weil ich arbeitslos geworden bin. Ich bin „50 plus“: Wir kriegen oft kurz bevor die sechs Monate um sind einen Laufpass! Dann heißt es immer „fördern und fordern“. Mir stehen jetzt schon die Haare zu Berge: Bis zum 67. Lebensjahr soll ich nach Arbeit suchen, die gar nicht da ist, und werde im selben Atemzug unter Druck gesetzt, ich soll mich um Arbeit bemühen! Wo? Nach was soll ich suchen? In Deutschland nimmt keiner eine Frau über 50, im Kindergarten sowieso nicht. Wenn ich demnächst einen Termin habe, zu dieser hirnrissigen „Beratung“ – ich habe schon mal gefragt: Wie sieht es denn aus mit den „50-plus-Förderprogrammen“? –, dann heißt es wieder: „Das kommt für Sie nicht in Frage!“ – Ich sage: Wieso denn nicht? Ich werde 54! – „Nein, das kommt für Sie nicht in Frage.“ – Man kommt einem überhaupt nicht entgegen! – „Ja, Sie müssen sich um Arbeit bemühen.“ – Und dann bekomme ich Auflagen: Zehn Bewerbungen soll ich schreiben. Wohin? Ich weiß nicht mehr, wohin! Ich habe aber Jahrzehnte gearbeitet, wie die meisten, das darf man nicht vergessen! Wo bleibt die Würde des Menschen?

Karoline Linnert: Was Sie geschildert haben, finde ich nicht richtig, das habe ich auch deutlich gesagt. Ich finde es nicht richtig, dass man Menschen mit Unsinn beschäftigt, ohne dass sie eine Perspektive haben. Richtig ist, dass Ihnen gegenüber ein gewisses Maß an Ehrlichkeit herrscht: Habe ich etwas für Sie, oder habe ich nichts für Sie, so ist es nun mal? Dann muss man Sie auch nicht ständig piesacken, sondern denen, für die man es schaffen kann, Förderketten zusammenstricken, die wenigstens noch für ein paar Jahre eine sinnvolle Beschäftigung nach sich ziehen. Wenn man das nicht schafft für Sie, muss man Ihnen auch die Wahrheit sagen. Ich teile diese Praxis nicht. Sie hängt aber auch damit zusammen, dass man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen möglichen Verwaltungen zusammengestopft hat, die dann völlig überfordert waren mit dieser Aufgabe. Es gehört mit zu den großen Fehlern, dass man es völlig geringgeschätzt hat, dass die Menschen, die vorher beim Arbeits- oder Sozialamt gearbeitet haben, sich eine Qualifikation erworben haben. Man dachte, jeder Eisenbahner kann das. Mit diesen Folgen müssen Sie sich jetzt in schlimmer Weise rumplagen, und das finde ich bestimmt nicht richtig.

Wolfgang Lange: Will noch jemand ganz kurz etwas sagen? Frau Linnert möchte wohl gerne nach Hause gehen. Oder haben Sie einen Termin?

Ursula Gatzke: Frau Linnert, ich schätze Sie wirklich! Ich war ja damals auch mit in Ihrem Büro, wir haben schon mal Kaffee getrunken. Aber die Grünen haben es genehmigt, dass wir die Hartz-Gesetze bekommen. Die Rentner werden durch diese Ein-Euro-Jobs mit in die Armut gerissen! Erst die Nullrunden, dann die Scheinerhöhung von 0,54 Prozent. Es ist grausam, vor allem für Frauen, die so eine kleine Rente haben! Aber man hört nichts, nur von allen möglichen anderen Sachen, aber nicht, dass sich irgend etwas für die Rentner tut oder sich irgend jemand für sie einsetzt!

Peter Kubiak: Ich möchte auch für unsere Parlamentarierin hier eines richtigstellen: Die Karre ist über Jahrzehnte festgefahren, und wir haben zwei elementare Punkte, die am Ende diese Katastrophe verursacht haben. Seit über vierzig Jahren weiß man, dass unser Steuerrecht nicht in Ordnung ist. Kein Politiker wagt es, sich direkt zu bewegen, auch nach den Worten des Herrn Stoiber. Der sagte: „Es wird geredet, reden darf man ja, aber wenn man versucht zu handeln, trifft einen das Parteimobbing.“ Das ist das eine. Das zweite sind die uns nach dem Krieg aufvergewaltigten Länderregierungen. Sie kosten uns ein Heidengeld! Ungefähr 130 Ministerien müssen unterhalten werden. Wir bezahlen jeden Monat etwa 1,6 Milliarden sinnlose Gehälter. Wir unterhalten 16 Regierungen, die zu nichts nütze sind! Es reicht eine Regierung in Berlin!

Karoline Linnert: Oder vielleicht ’ne kleine Diktatur?

Peter Kubiak: Ich glaube, Sie verkehren hier die Tatsachen. Ich spreche davon, dass man einen Staat mit einer schlankeren Bürokratie verwalten kann. Der Staat hat sich verschuldet, mit diesen ganzen Länderregierungen, ihrem Wahlzirkus, politischen Affentanz, Karriere-Bingo und Ämter-Mobbing. Das kostet uns Milliarden, auch weiterhin. Also sind die Politiker drangegangen, sich zu retten, und haben Volkseigentum meistbietend verscheuert, zum Beispiel die Elektrizitäts- und Wasserversorgungsbetriebe, Müllabfuhr, Kanal und was es alles gibt. Jetzt werden wir von mafiösen Strukturen ausgebeutet. Ungefähr 1.600 Milliarden Euro Schulden hat der Staat angehäuft, das ist praktisch nicht mehr zu finanzieren. Wenn wir uns persönlich so verzetteln und verschulden würden, müssten wir sofort den Offenbarungseid leisten! Der Staat kann das nicht, es wird weitergemacht. 40 Prozent unserer gesamten Steuereinnahmen gehen dafür weg – an die Spekulanten, die dem Staat Geld geliehen haben –, um allein die Verzinsung zu bezahlen. Das ist doch ein Wahnsinn! So ein Staat ist normalerweise bankrott. Und wir müssen dafür büßen! Wir müssen das bezahlen, die Politiker nicht! Die erhöhen sich ihre Diäten, ihre Gehälter, die fahren zu ihren Edelhuren, die machen Fressgelage bis zum Gehtnichtmehr!

Karoline Linnert: Ich habe heute nur ein Bratwürstchen gekriegt, und ich kann jetzt nicht mehr, ich muss echt ins Rathaus gehen!

Wolfgang Lange: Frau Linnert, es ist sehr dankenswert, uns hier so lange Rede und Antwort zu stehen, auf dem Marktplatz! Sie sind natürlich auch weiterhin eingeladen, zur Montagsdemo zu kommen. Allerdings müssen wir noch lernen, dass jeder am Offenen Mikrofon zu Wort kommen kann, damit es viele Beiträge gibt und nicht so lange Zwiegespräche. Ich danke aber, man kann klar sagen: Wir lassen es nicht zu, dass man sich hier irgendwie rauswindet. Wir wollen die Hartz-Gesetze weghaben und nicht nur so ein bisschen kosmetische Schönheitsreparaturen!

Finanzsenatorin Karoline Linnert („Die Grünen“) – Tonaufnahme (MP3)
 
Lernen wie Harry Potter: Bremer Eltern aus links-alternativem
Bildungs-Kleinbürgertum betreiben 28 Jahre lang eine „illegale
Geisterschule“ mit hohem Niveau („Spiegel-Online“)
 
Lemke schämt sich zu Recht: Als Bildungssenator wollte er den
Vorfall vor der Wahl nicht bekanntmachen („Weser-Kurier“)
 
Ungenießbare Buletten: Schell für drei Wochen zur Kur –
Lokführer ab Donnerstag im Streik („Spiegel-Online“)
 
GDL soll zerschlagen werden: Bahn will keine
„Splittergewerkschaften“ („Die Welt“)
 
Presse faselt von Machtkampf: Tatsächlich ziehen Schell und
sein Vize Weselsky an einem Strang („Spiegel-Online“)

 

Wenn Journalisten zu wenig wissen, um der Arge Paroli zu bieten

Hans-Dieter Binder Der „Deutschlandfunk“ ist für mich eine gute Informationsquelle. Im „Journal am Vormittag“ hörte ich die Sendung „Länderzeit“ mit dem Thema „Druck machen mit Sanktionen – Wie erfolgreich ist die strengste Arbeitsagentur?“ Die Sendung kam live aus der Agentur für Arbeit in Donauwörth. Leider hatten diesmal die DLF-Mitarbeiter zu wenig Wissen, um der Arge Paroli bieten zu können. Oder wurde alles für den Schluss der Sendung aufgespart? Ich habe leider nicht alles hören können. Meine Wiedergabe erfolgt aus dem Gedächtnis und nach Stichworten.

Die Mitarbeiterin der Arge für junge Leute unter 25 Jahren hat die Sanktionen von bis zu 100 Prozent der Regelleistung geschildert: „Ich sage dann immer: Verhungern muss in Deutschland keiner! Gehen Sie doch zur ‚Tafel‘.“ – Ohne auf die Rechtmäßigkeit von Sanktionen einzugehen, ist folgendes unrichtig oder unvollständig: Ein Verweis auf die Tafel ist nicht statthaft, aber hilfreich. Zusätzlich sind für den Bedarf an Lebensmitteln und Körperpflegemitteln Gutscheine auszuhändigen. Diese müssen in verwendungsfähigen Stückelungen erstellt werden, zu fünf oder zehn Euro oder wunsch- beziehungsweise verwendungsgemäß, denn allein durch die ‚Tafel‘ kann der Lebensunterhalt nicht gesichert werden!

100 Prozent Sanktion bedeutet aber, die gesamte Leistung wird auf null Euro gekürzt, das heißt der Jugendliche kann auch seine Miete nicht mehr bezahlen. Damit wird er in die Obdachlosigkeit gedrängt! Nur die Gutscheine schützen ihn vor dem Verhungern. Mit diesem Jugendlichen ist eventuell auch die Wohnung für die Bedarfsgemeinschaft gefährdet! Darauf gehe ich weiter unten ein. Jugendliche unter 25 Jahren dürfen nur mit Zustimmung der Arge von zu Hause ausziehen. Ob dies der „Eingliederung“ förderlich ist?

Zugeschaltet wurde ein aufgezeichnetes Gespräch mit einer sanktionierten Betroffenen. Bei dieser Frau hatte sich viel angesammelt: „Ich erhalte ALG II von Anfang an, seit 2003 bin ich arbeitslos. Ich wohne zur Untermiete. Diese Unterkunft muss ich bis zum 31. Dezember 2007 verlassen haben, sonst erhalte ich von der Arge kein Geld mehr.“ – Nachfrage der Reporterin: „Kein Geld mehr für die Wohnung, oder überhaupt kein Geld mehr?“ – „Überhaupt kein Geld mehr“, war die Antwort. „Ich wohne bei einem Mann, der arbeiten geht. Ich habe nach einer Wohnung gesucht und auch eine gefunden. Die Miete lag etwas über dem Satz. Die Arge hat mir schriftlich verboten, diese Wohnung zu mieten. Aber zu den Sätzen gibt es keine Wohnung, und ich muss zum Jahresende raus! Die Arge hat gesagt, dann gehen Sie eben ins Obdachlosenheim!

Ich stehe öfters ohne Geld da. Mal soll ich Kontoauszüge vorlegen, oder auch andere Unterlagen, die ich überhaupt nicht habe. Die Beschaffung dauert eventuell etwas länger. Schon erhalte ich kein Geld, und bis die Überweisungen wieder laufen, dauert es einige Zeit. Ich habe auch eine Sanktion erhalten, weil ich zu einen Termin nicht erschienen bin. Ich war auf dem Amt. Ich habe mich im Zimmer vertan und auf den falschen Sachbearbeiter gewartet. Es war der gleiche Flur, der richtige Sachbearbeiter ist vorbeigekommen. Er hat mich auch gesehen. Der Abzug erfolgte trotzdem: Ich sei zu spät gekommen, ohne Entschuldigung.“

Jetzt wurden die Vertreter der Arge um Antwort gebeten. Die Frau hat viel durcheinander gebracht. Eine Sanktion wegen verspätet vorgelegter Unterlagen gibt es überhaupt nicht im SGB II, dies muss zur Zeit des ALG I (SGB III) gewesen sein. Dadurch wurde ihr kein Geld abgezogen. Bis hierhin konnte ich die Sendung verfolgen. Im Folgenden meine Einschätzung zu den einzelnen Punkten:

„Ich wohne zur Untermiete. Diese Unterkunft muss sie bis zum 31. Dezember 2007 verlassen haben, sonst erhalte ich von der Arge kein Geld mehr.“ – Die Arge hat wahrscheinlich eine Einstandsgemeinschaft unterstellt und als Gegenbeweis den Auszug gefordert. Dies ist unzulässig!

„Ich habe nach einer Wohnung gesucht und auch eine Wohnung gefunden. Die Miete lag etwas über dem Satz. Die Arge hat mir schriftlich verboten, diese Wohnung zu mieten. Aber zu den Sätzen gibt es keine Wohnung, und ich muss bis zum Jahresende raus!“ – Eine Mietobergrenze ist unzulässig. Die angemessene Miete ist von der Arge zu ermitteln, in jedem Einzelfall und nach den Vorgaben des Bundessozialgerichts vom November 2006. Eine entsprechende Anleitung kann die Arge dem Aufsatz von Dr. Christian Link, Richter am Sozialgericht, zurzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundessozialgericht Stuttgart/Kassel, „Hartz IV vor dem BSG. Schutz von Eigentum und Mietwohnraum“, erschienen in der Zeitung „Sozialrecht aktuell“, Ausgabe 1/2007 entnehmen. Hier werden die Rahmenbedingungen für angemessene Kosten der Unterkunft verständlich dargelegt (siehe 147. Bremer Montagsdemo).

„Die Arge hat gesagt: Dann gehen Sie eben ins Obdachlosenheim.“ – Das SGB II verpflichtet die Argen, Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Darum sind unter anderem auch die Amtsgerichte verpflichtet, jede Räumungsklage sofort der zuständigen Arge mitzuteilen! Die Arge hat dann besondere Hilfen und Unterstützung zur Abwendung der Wohnungslosigkeit zu gewähren. Wobei hier die Arge einfach das eigene Ultimatum ändern und wie im Absatz zuvor die angemessene Miete ermitteln muss.

„Ich stehe öfters ohne Geld da.“ – Hier hat die Betroffene auch keine Mittelkürzung beklagt. Es wird bei diesen Aufforderungen, etwas vorzulegen, die Überweisung des Geldes als Druckmittel eingesetzt. Das Geld wird ungekürzt überwiesen. Aber bis zum Eingang der Zahlung hat dies verherende Auswirkungen. Der Einsatz der verzögerten Geldzahlung als Druckmittel durch die Bagis, die Arge in Bremen, wird auch im Untersuchungsbericht zum Fall Kevin dargestellt. Für eilige Zahlungen haben die Argen die Möglichkeit von „Blitzzahlungen“, das heißt den Geldeingang innerhalb von drei Tagen! Allein dies zeigt die Willkür der Arge. Überhaupt, die Aufforderung bestimmte Unterlagen wie Kontoauszüge für drei Monate bei laufendem ALG-II-Bezug ist bereits unrechtmäßig, wenn nicht ein begründeter Verdacht vorliegt.

„Ich habe auch eine Sanktion erhalten, weil ich zu einem Termin nicht erschienen bin. Ich war auf dem Amt. Ich habe mich im Zimmer vertan und auf den falschen Sachbearbeiter gewartet. Es war der gleiche Flur, der richtige Sachbearbeiter ist vorbeigekommen. Er hat mich auch gesehen. Der Abzug erfolgte trotzdem. Ich sei zu spät gekommen, ohne Entschuldigung.“ – Dass dies nicht richtig ist, weiß auch der Laie. Die Rücknahme dieser Sanktion kann unabhängig von der Widerspruchsfrist beantragt werden.

Zusammenfassung: Gerne würde ich all dieses mit den Machern der Sendung aufbröseln und dann die Arge nochmals um Stellungnahme bitten. Alle „Schicksalsschläge“ gegen die Betroffene Frau sind schlicht und einfach rechtswidrig! Die Sanktionen gegen die Jugendlichen müssten im Detail geprüft werden. Wenn dabei die Anforderungen an eine Eingliederungsvereinbarung berücksichtigt werden, so sind die meisten dieser Sanktionen aufzuheben! In Donauwörth wird die Rechtsberatung zu ALG II scheinbar von der Stadt und somit von der Arge durchgeführt! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Lokführer lassen sich nicht einschüchtern: Presse ohne Verständnis
für erneuten Streik („Spiegel-Online“)
 
165 Kilometer Stau um Paris: Schwerste Bahnstreiks seit Jahren
legen Verkehr in Frankreich lahm („Spiegel-Online“)
 
Unerwünschte Stimmen aus dem Volk: Konfrontation mit Betroffenen
entwaffnet neoliberale Ideologen („Spiegel-Online“)

 

Demo in Berlin
macht den Menschen Mut

MuckefuckGestärkt von der kämpferischen „Weg-mit-Hartz-IV-Demo“ am 13. Oktober 2007 in Berlin und dem erstmals zum Teil sachlichen Medienecho darauf, fand die 154. Montagsdemo in Bremen am 15. Oktober um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz eine aktive Beteiligung. Der Kreis von Menschen um das Offene Mikrofon war recht groß, insgesamt sicher an die 70 Teilnehmer. Mehrere Betroffene und andere Kollegen wollten und konnten sprechen.

Es gab eine klare Absage an die Regierung: Weg mit der Agenda 2010 und der ganzen Hartz-Gesetzgebung! Arbeitende und Arbeitslose haben genug von Leiharbeit, Minijobs und Hungerlöhnen. Das Herumgeeiere von SPD, Beck und der stockreaktionäre Widerstand von Müntefering gegen alle Forderungen, die Lebenslage der Menschen zu verbessern, kennzeichnen die Hilflosigkeit der Regierenden.

Da war es gut, etwas aus Frankreich zu hören. Ein Airbus-Kollege aus Toulouse, gerade in Bremen, berichtete, dass sich in Frankreich eine neue breite Bewegung zusammenschließt, um einen Generalstreik vorzubereiten. Auch in Deutschland müssen sich die Menschen – Arbeiter, Arbeitslose und alle, die etwas ändern wollen – über alle trennenden Positionen hinweg auf antifaschistischer Grundlage zusammenschließen.

Als wir dann mehr zu Bremer Themen kamen, dem Krankenhaus-Ausschuss und dem kriminellen Vorbeiregieren des alten SPD/CDU-Senats an der Bürgerschaft, da tauchte, von der Handelskammer kommend, die Bürgermeisterin und Finanzsenatorin Frau Linnert auf. Wir sprachen sie an, und sie kam zu uns, nachdem zuvor Ex-Senator Perschau, einer der Hauptverursacher bei den Finanzkatastrophen Musical-Theater und Space-Park, weit entfernt an uns vorbeigeschlichen war. Wir diskutierten eine halbe Stunde lang mit ihr. Sie gab uns in vielen Punkten recht, aber lenkte auch ab auf Gesetze und Machtverhältnisse, die sie beziehungsweise die Grünen nicht beeinflussen könnten, zum Beispiel bei den Mietobergrenzen.

Das ließen wir jedoch nicht gelten. Ihren persönlichen Mut und ihre Offenheit, mit uns zu diskutieren, erkennen wir sehr an, aber das Ableugnen der Verantwortung für den Beschluss und die Umsetzung der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze unter der Schröder/Fischer-Regierung mussten wir ebenfalls zurückweisen. Frau Linnert war bereits zum dritten Mal bereit, mit uns zu sprechen. Von Bürgermeister Böhrnsen oder Bürgerschaftspräsident Weber sieht man nichts. Sie trauen sich nicht vor die Menschen!

Nun kommt der Freimarkt, und wir müssen zweimal ausweichen. Am 22. und 29. Oktober 2007 treffen wir uns dann um 17:30 Uhr an der Domtreppe zur Montagsdemo, beim Reiterdenkmal des Erzreaktionärs Bismarck. Vielleicht hat ja Herr Böhrnsen noch Licht und Zeit und wagt es, uns etwas zuzuhören?

Nachzutragen bleiben noch drei Angaben zur Statistik. Es kamen etwa 40 Teilnehmer zur 153. Montagsdemo am 8. Oktober 2007 in Bremen um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz zusammen. Die 152. am 1. Oktober hatte ungefähr 50 Besucher. Zur 151. Montagsdemonstration am 24. September fanden sich etwa 60 Teilnehmer und Zuhörer ein.

Jobst Roselius für die „Bundesweite Montagsdemo
 
Meinungsfreiheit beschnitten: Hartz-IV-Betroffene dürfen nicht über Verzweiflungstaten der Verfolgungsbetreuten diskutieren („Erwerbslosenforum“)
 
Nachrichten unterdrückt: 200.000 Menschen demonstrieren in Lissabon gegen
Einführung einer neoliberalen EU-„Verfassung“ („Politikblog“)
 
Christlich-soziale Umverteilung: Huber will Verlängerung der ALG-I-Bezugs­dauer aus Sanktionen für Arbeitslose finanzieren („Spiegel-Online“)
 
Erwünschte Fehlentwicklung: Leiharbeit soll keine Produktionsspitzen abdecken, sondern reguläre Arbeitsverhältnisse ersetzen („Berliner Zeitung“)
 
Dreßler rügt Manipulation: SPD feiert Statistik,
die sie selbst bereinigt hat („Spiegel-Online“)
 
Ypsilanti fordert Regelsatz-Erhöhung: Ältere Beschäftigte müssten Ersparnisse zur Altersvorsorge aufbrauchen, bevor sie ALG II bekämen („Spiegel-Online“)
 
Bahn unter Hochspannung: Wird das Gericht den Lokführern erlauben, gegen
die Arbeitgeber zu kämpfen statt gegen Pendler? („Bild“-Zeitung)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz