432. Bremer Montagsdemo
am 22. 07. 2013  I◄◄  ►►I

 

Amtliche Volksverarschung mit zahlreichen Rechtsfehlern

Elisabeth GrafEigentlich will das Jobcenter Pinneberg mit bunten Bildern und einer „einfachen Sprache“ ja nur Hartz-IV-Bezieher zum Sparen erziehen und die komplizierten Regeln des Arbeitslosengeldes II mithilfe einer lustigen Comicgeschichte anhand der fiktiven Familie Fischer erklären. Da werden Spartipps verteilt, zum Beispiel Steine in Spülkästen zu legen, auf Fleisch zu verzichten, weniger zu heizen oder Möbel zu verkaufen. Dazu ist die Atmosphäre in der Broschüre permanent in rüschenrosarotem Plüsch euphemistisch überzeichnet, sind die Jobcenter-Mitarbeiter nämlich immer freundlich und geduldig, lässt sich das Leben durch die Lust am Sparen und Arbeiten einfach schöner gestalten, verkündet Tochter Lara schon wieder bester Laune, dass sie sowieso Vegetarierin werden wolle.

Fröhlich nimmt die Comic-Familie zudem in Kauf, dass sie in eine Wohnung von geringerem Ausmaß umziehen müsse, und findet sogar prompt eine, die mit ihren 84 Quadratmetern zwar deutlich kleiner, aber mit dem zierlichen Gärtlein doch geradezu perfekt ist, zumal die Kinder weiterhin beide ihr eigenes Zimmer behalten können. Die Wohnung muss renoviert werden, was Familie Fischer natürlich nur allzu gerne erledigt. Wie sollte es auch anders sein: Die Familie hat nun eine Beschäftigung – und das scheint Spaß zu machen. Mutter Sylvia geht mit ihrer Freundin, die sich das Sparen schon angeeignet hat, in einen Discounter und lernt, dass man sich halt an das neue Essen und Trinken gewöhnen müsse.

Statt des gewohnten Mineralwassers und der obligatorischen Cola für Sohn Ben wird Familie Fischer nun wohlgemut auf Leitungswasser umsteigen. Mutter Sylvia erfährt zudem von ihrer klugen Freundin, dass Leitungswasser ohnehin oft eine bessere Qualität als Mineralwasser habe. Es dauert gar nicht lange, da ist auch wieder Arbeit für Vater Knut in Sicht. Nein, nichts Prekäres oder Ehrenamtliches natürlich und auch weder Praktikum noch Leiharbeit, sondern eine ganz reguläre Arbeitsstelle: Der Vater erhält seine Stelle aufgrund des Bewerbungstrainings und der SAP-Schulung. Das Jobcenter hat selbstverständlich alles nur ganz prima und richtig gemacht. Natürlich wird auch Mutter Sylvias Weiterbildung zum Traumjob Altenpflegerin erfolgreich sein. Alles eine Frage der Selbstorganisation!

Muss ich es noch erwähnen, was die Broschüre für ein Lob von höchster Stelle erhielt? Der für Hartz IV zuständige Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, tirilierte, zwitscherte, äh, twitterte: „Jobcenter Pinneberg hat einen tollen ALG-II-Ratgeber herausgegeben. Hartz IV einfach erklärt, auch zum Download“. Martin Behrsing, Sprecher des „Erwerbslosenforums Deutschland“, mutmaßt hingegen, dass es wohl äußerst schlechte Drogen gewesen sein müssten, die die Macher dieser Broschüre eingenommen hätten, um auf 112 Seiten so viel geschmacklosen Unsinn zu verbreiten. Als ob die Situation für Menschen, die Hartz IV beantragen müssen, nicht schon schlimm genug sei, würden sie mit dieser Broschüre geradezu verhöhnt, und gleichzeitig werde ein verachtendes Menschenbild transportiert, das Thilo Sarrazin kaum überbieten könne.

Bei Hartz IV gehe es ganz bestimmt nicht um dümmliche Spartipps, sondern um ein menschenwürdiges Existenzminimum, wovon Hartz IV weit entfernt sei. Besonders Kindern werde hier deutlich gemacht, dass sie nun verzichten müssen, weil ihr Vater 51 Jahre alt und arbeitslos ist. Allerdings dürfe bezweifelt werden, dass Pinneberger üblicherweise so schnell eine Arbeitsstelle fänden, wie es uns die Broschüre suggerieren wolle. Da nicht nur auf Sozialkaufhäuser und Werbestrategien der Supermärkte hingewiesen, sondern auch dazu geraten wird, nie hungrig in den Supermarkt gehen, weil dann oft zu viel eingekauft werde, empfehle die Broschüre, Eltern sollten ihren Kindern deutlich machen, dass während der Arbeitslosigkeit gespart werden müsse, womit letztlich eingeräumt werde, dass Hartz IV „hinten und vorne nicht reicht“.

Der Hauptgeschäftsführer des „Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“, Ulrich Schneider, findet die Broschüre albern und mit dieser romantisierenden Bildergeschichte eine „pure Provokation“ für Betroffene. Die skizzierten Szenen seien wirklich peinlich. Schneider glaubt nicht, dass den zu Beratenden mit dieser Rührgeschichte der Eindruck vermittelt werden könne, dass sie in ihrer Realität gesehen werden. Offenbar scheine „arbeitslos mit Hartz IV“ das Beste zu sein, was einem passieren könne, wenn durch den Verkauf der alten Möbel vom Dachboden endlich mal nicht anrechenbares Geld ins Haus fließe, die Tochter endlich mal Volleyballschuhe, der Sohn endlich mal eine E-Gitarre bekomme, endlich die Wohnung mit Garten bezogen werden könne, in dem der Vater endlich sein Gemüse anbauen dürfe.

Der Kommentar von Katja Kipping bei „Twitter“ sprach mir aus der Seele: „Nicht die Reichen sollen ihre Jachten, sondern die Armen ihre Möbel verkaufen und Leitungswasser trinken? Unglaublich!“ Wenn das Job-Center Pinneberg mit seiner herzallerliebsten Schmonzette eigentlich nur mit Hartz-IV-Beziehern wie mit kleinen Kindern reden, äh: zum Sparen erziehen und die Regeln des Arbeitslosengeldes II einfach erklären will, dann frage ich mich allerdings, was uns da wohl so ganz uneigentlich von hinten durch die Brust ins Auge vermittelt werden soll. Auf der Seite „Gegen Hartz“ wird erfrischend wunderbar dargestellt, dass sich im Pinneberger Hartz-IV-Ratgeber wie in einer brüchigen Glasperlenkette ein stumpfer Rechtsfehler an den anderen reiht. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt? Ich liste mal einen unvollständigen Auszug daraus auf:

Der Autor musste feststellen, dass das Jobcenter Kreis Pinneberg oftmals wichtige Informationen unterschlage und falsche Pflichten sowohl suggeriere als auch klar benenne, leider immer zum Nachteil des ALG-II-Beziehers. Halbwahrheiten und glatte Falschinformationen seien mit Wahrheit derart verquirlt worden, dass der geneigte Leser diese frei nach dem Motto „Wenn das eine stimmt, kann das andere ja nicht falsch sein“ untergeschoben bekomme. Also bitte: Forderungen und Handlungen des Jobcenters Kreis Pinneberg sollen von ALG-II-Beziehern nicht in Frage gestellt werden. Alles klar? Vielleicht lassen sich die Comic-Geschichten dieser unsäglichen Broschüre als kostenlose Malvorlagen für kleine Kinder von Hartz-IV-Beziehern nutzen, oder es eignen sich die Figuren zum Ausschneiden und lassen sich zum Spielen auf Pappe aufkleben?

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Fifi muss auch mal ins Wasser: Bremer Stadtwaldsee ist der zweitschmutzigste Badesee Deutschlands („Spiegel-Online“)

 

Wer den Riestervertrag durchhält, bekommt weniger Grundsicherung

Hans-Dieter Binder1. Edward Snowden sei Dank: Noch nie waren die Aussagen der Bundesregierung so widersprüchlich, wurden Lügen so schnell aufgedeckt. Ich hoffe, dass die Sommerpause zum Entfernen der Abhöranlagen in den Konferenzzimmern der Macht genutzt wird. Inzwischen wird in Wiesbaden ein neues Objekt fertig gestellt. Der Verwendungszweck NSA wurde kurzfristig widerrufen – jetzt sind es Informationen für die amerikanischen Streitkräfte. Das brauchen wir aber auch nicht unbedingt.

Was eine Drohne anrichtet und wie die Menschen dies empfinden, lässt die ARD in der Sendung „Töten per Joystick“ erahnen. Der nichtwissende Verteidigungsminister muss sein Gedächtnis aufräumen, in Papierform liegt schon alles vor. Ihm hilft wohl das „Ich weiß nicht“ nichts. Bei der Anhörung im Un­ter­su­chungs­aus­schuss wird sicher nebenbei klar werden: Wir wollen eine Droh­ne, auch zum Töten! Was wäre, wenn die verlorenen Drohnen Tötungsdrohnen gewesen wären? Der Verteidigungsminister hat aber noch ein weiteres Problem: Für das neue Flugzeug, den Militärtransporter, wurde offensichtlich die Zulassung verschlafen. Nun sollen die spanischen Kollegen dies für den deutschen Minister richten.

Noch immer melden sich auch in Deutschland junge Menschen freiwillig zum Kriegsdienst. Hartz IV wirkt! Selbst Aufstocker schaffen es immer seltener, sich aus der Hartz-IV-Abhängigkeit zu befreien. Die Zermürbungstaktik bewirkt oftmals die Befreiung durch Leistungsverzicht. Sie öffnet eine Sackgasse in die Verschuldung und ist in jedem Fall die falsche Lösung. Kommt zur Bremer Montagsdemo! Das hilft!

 

2. Die Steuereinnahmen sprudeln wie selten zuvor. Die Zahl der Selbstanzeigen von Steuerbetrügern ist bereits jetzt so hoch wie im gesamten vorherigen Jahr. Die Meldungen ergänzen sich. Wer sich selbst anzeigt, um einer Bestrafung zu entgehen, muss die Nachzahlung leisten und sich auch aktuell steuerehrlich verhalten. Das bringt Geld in die Kasse. Der Anstieg der Lohnsteuer mag ein weiterer Faktor sein oder nur eine gegriffene Erklärung.

Auch die Rentenkassen laufen über, obwohl die Zuweisung um fünf Milliarden Euro gekürzt wurde. Begründung: Die neuen Renten unterliegen einer geänderten Berechnungsformel und somit aktuell circa 25 Prozent niedriger – bei gleicher Lebensleistung. Der Autor Holger Balodis hat dies in einer Fernsehdiskussion bei Maybrit Illner erläutert und im Buch „Die Vorsorgelüge“ aufgeschrieben. Lesenswert!

Die UBS steht im Verdacht, deutschen Steuerzahlern bei der Steu­er­hin­ter­zie­hung geholfen zu haben. Die Steuerfahndung überlegt, weitere Daten über Kunden der UBS anzukaufen. Die Schweiz ist dagegen: Deutschland dürfe nicht Unrecht mit Unrecht bekämpfen. Die Schweiz hat aber kein Problem, Steuerbetrug bei der Strafverfolgung auszuklammern. Die Selbstanzeigen werden wohl nochmals steigen.

Die UBS wäre bereits bei der richtigen Bilanzierung (nach altem Recht) im Rahmen der Finanzkrise pleite gewesen. Mit falschen Zahlen hat die UBS sich erhalten. Trotz dieser Vorgeschichte ging Axel Weber von der Bundesbank zur UBS, siehe 415. Bremer Montagsdemo. Er soll nun die Wahrheit finden? Herr Weber habe im August 2012 nicht davon gewusst und halte Beihilfe zur Steuerhinterziehung auch für untragbar, sagte er dem Handelsblatt. Mal sehen...

 

3. Der „Weser-Kurier“ hat heute die Geldknappheit einer rüstigen Rentnerin beschrieben. Sie hat nur 300 Euro für 30 Tage zum Leben. Sie bekommt Rente, ergänzende Grundsicherung und hat noch eine bezahlte Tätigkeit. Das Entgelt hierfür wird nicht auf die ergänzende Grundsicherung angerechnet, ihre ohnehin niedrige Rente hingegen in voller Höhe. Dabei ist die eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ihre Leistung zur Alterssicherung. Dieser Beitrag wird ohne Freibetrag voll auf die Grundsicherung angerechnet. Jede Rente wird voll angerechnet, es gibt keine Freibeträge!

Wer seinen Riestervertrag durchhält, bekommt bei der jetzigen Rentenprognose einfach weniger Grundsicherung. Lohnt sich dafür der jetzige Verzicht? Die Zusatzrente ist nur oberhalb der Grundsicherung eine tatsächliche Zusatzversorgung! Dieses Leben zeigt auch, dass die Lebensleistungsrente am Leben vorbei geht: Die Voraussetzungen erfüllen die wenigsten. Junge Leute müssen dafür erheblich in Vorleistung gehen, können aber letztlich die Zielerreichung nicht einmal beeinflussen.

Wer von ALG II leben muss, hat auch bei der Lebensleistungsrente verloren! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten! – PS: Noch in diesem Monat den Kitaplatz beantragen, nachfragen und ansehen (siehe vorherige Bremer Montagsdemos), sonst geht am 1. August 2013 der Rechtsanspruch für das neue Kindergartenjahr unter!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)

 

Solidarität mit der
Stuttgarter Montagsdemo

Liebe Nuran Cakmakli, liebe Stuttgarter Mitstreitende! Wir, die Bremer Montagsdemo, sind solidarisch mit dir und euch. Es ist ehrenvoll, sich für die Belange der Hartz-IV-Betroffenen einzusetzen. Es ist ehrenvoll, für die Rechte der Unterdrückten zu kämpfen, wie du das tust. Es ist unerträglich, wenn Staatsanwälte oder Richter dies kriminalisieren wollen. Wir fordern Freispruch und vollständige Rehabilitierung von Nuran Cakmakli! Wer eine(n) von uns angreift, greift uns alle an. Aber wir halten zusammen! Alle für eine(n) – eine(r) für alle! Hoch die internationale Solidarität! Im Auftrag und mit herzlichen Grüßen, Wolfgang Lange.

Einstimmig beschlossen von der 432. Bremer Montagsdemo am 22. Juli 2013

 

Der zwangsverordnete kredit­vor­finanzierte Ehrendienst im
Freiwilligen Sozialen Jahr

Hans-Dieter WegeMan munkelt, die Arbeiter im Hoch- und Straßenbau sollen bei dieser Hitze für die private Wasserentnahme an den Baustellenhydranten jetzt auch bezahlen. Aufstockenden Hartz-IV-Empfängern wird jede Wasserentnahme vom Regelsatz abgezogen. Bedanken müssen sich alle bei Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen: Lohnkosten senken um jeden Preis!

Da kann man sich nur noch wundern über die zuständigen Mitarbeiter beim Jobcenter Oldenburg im Umgang mit jungen Menschen, die den Ehrendienst im Freiwilligen Sozialen Jahr antreten wollen und auf ergänzendes Hartz IV angewiesen sind. Weil logischerweise bei Antritt am 1. eines Monats weder Verpflegungsgeld, Taschengeld noch Kosten für die Unterkunft durch den sozialen Träger oder die Ausübungsstelle des Ehrendienstes gezahlt werden, soll jetzt ein junger Mann bis zur Zahlung ein Darlehen des Jobcenter beantragen.

Dieser junge Mann möchte sich aber nicht verschulden, nur damit er einen sogenannten Ehrendienst antreten kann. Weiterhin müsste er für die Bewilligung eines Darlehen sogar noch eine Bescheinigung vorlegen, zu welchem Zeitpunkt sein erstes Geld für das FSJ auf dem Konto eingehen werde, und weil das Jobcenter stets Auszüge braucht, müsste er diese dann wohl auch offenlegen. Ist das noch „Fördern und Fordern“ oder schon Amtsmissbrauch und Nötigung junger Menschen, die sich in einer Notlage befinden?

Überwiegend geht es darum, dass es möglich ist, dass der junge Mann am 31. August 2013 das Taschen- und Verpflegungsgeld auf sein Konto bezahlt bekommt, dieses dann aber nicht für September angerechnet wird, sondern rückwirkend für August. Viele Hartz-IV-Empfänger bekommen ihr Geld auch am Letzten des Monats aufs Konto, und es ist für den Folgemonat gedacht. Nach der Logik des Zuflussprinzips müssten alle Hartz-IV-Empfänger, die am Letzten ihr Geld aufs Konto bekommen, im Folgemonat ein Darlehen aufnehmen.

Immerhin erfolgte hier ein Teilerfolg durch Mithilfe der Gruppenmitglieder. Der junge Freiwillige erhielt eine schnelle Antwort seiner Sachbearbeiterin beim Jobcenter Oldenburg: „Gemäß § 1 Absatz 7 Satz 1 ALG-II-Verordnung (neue Fassung) beträgt der Freibetrag tatsächlich 200 Euro. Ich bitte diesen Fehler zu entschuldigen. Ein entsprechender Änderungsbescheid unter Berücksichtigung des Freibetrages von 200 Euro wurde bereits erstellt und geht heute noch per Post raus. Mit freundlichen Grüßen.“

Zur übrigen Falschbehandlung hat der Freiwillige Widerspruch eingelegt und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Notfalls wird er in letzter Konsequenz Verfassungsbeschwerde erheben. Ein Antrag, gegebenenfalls per Sprungrevision sofort beim Bundessozialgericht zugelassen zu werden, ist gerade rausgegangen. Ich unterstütze ihn dabei, habe kräftig zugeschlagen, weitreichende Forderungen gestellt und setze hierbei auch weiterhin auf eure Hilfe. Gemeinsam sind wir stark, und wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)

 

Ich will weder Kohlekraftwerke
noch Atomkraftwerke!

In der Europapolitik ist es zu einem schweren Konflikt gekommen, der sicher noch einige Zeit lang kontrovers diskutiert werden wird. Deshalb ist es wichtig, dass auch wir Bürger hierzu unsere Meinungen bilden und diese klar zu vertreten lernen – zum Beispiel bei der Montagsdemo. Bekanntlich hat die Europäische Union 27 Mitgliedsstaaten, deren Vertreter über wichtige Themen, Strategien oder Projekte beraten und entscheiden, sie finanzieren und umsetzen lassen.

Helmut MinkusEin langfristiges und wichtiges Ziel der EU-Mitglieder ist die Reduzierung des Klimakillers Kohlendioxid. Ein weiteres brisantes Dauerthema ist eine gemeinsame Energiepolitik und die Entwicklung von Möglichkeiten zur Deckung des ständig steigenden Strombedarfs mit nachhaltigen und umweltschonenden Techniken. Was haben diese beiden EU-Programme miteinander zu tun, und worin besteht der Konflikt?

Es ist leider eine physikalische Tatsache, dass ein Atomkraftwerk im Betrieb kein Kohlendioxid abgibt. Nur für Förderung und Aufbereitung von Uran werden 30 bis 60 Gramm Kohlendioxid pro erzeugter Kilowattstunde Strom veranschlagt. Bei der Stromerzeugung durch ein Braunkohlekraftwerk sind es 1.140 Gramm pro Kilowattstunde, bei Steinkohle 900, bei Gas 400. Deshalb sind viele EU-Mitglieder der Ansicht, dass die Stromerzeugung durch Atomkraftwerke ein guter Beitrag zur Klimapolitik ist.

AKW sind „kohlenstoffarm“, und die Befürworter können mit ihrer aktiven Klimaschutzpolitik bei der EU Karriere machen oder einen guten Eindruck. So wollen unsere französischen Nachbarn, bei denen der Strom zu 75 Prozent in AKW erzeugt wird, noch weitere bauen. Auch in England, Finnland und der Slowakei werden gerade AKW gebaut, in Polen und Litauen geplant. Das wird von der EU-Kommission anerkannt und soll gefördert werden.

Dazu wurde von den Kommissaren Vorschriften entworfen, mit denen leichter staatliche Beihilfen zum Bau von AKW genehmigt werden können. Die EU-Kommissare, zu denen auch der deutsche Katastrophenminister Oettinger gehört, berufen sich hierbei auf den „Euratom-Vertrag“ von 1957. Bereits 2003 unterzeichneten Deutschland, Irland, Österreich, Schweden und Ungarn eine Erklärung, in der sie diesen Vertrag als nicht mehr zeitgemäß einstuften, und forderten eine schnelle Revision.

Dieser alte „Euratom-Vertrag“ wird von Atomstromern mit allen Mitteln am Leben zu erhalten versucht, denn dort ist auch zu lesen, dass die zivile Atomtechnik und -forschung zu fördern ist. Hiervon sind viele Politiker und Atomstromer so begeistert, dass sie ihre alten Kohlekraftwerke möglichst schnell durch „kohlenstoffarme“ Atomkraftwerke ersetzen wollen, wobei sie auf die Beihilfenregelung hoffen.

Deutschland stimmte gegen diese Regelungen; das hat auch unsere Bundesmutter Angela Merkel aktiv unterstützt. Damit liegt das kleine Deutschland wieder mal völlig neben dem Trend und hat sicher einige Atomstromer etwas verärgert. Ich sehe darin eine weitere Vorreiterrolle für Deutschland, denn hierzulande ist der Atomausstieg politisch beschlossen, und neun AKW sind bereits abgeschaltet.

Der Chef der CDU/CSU-Abgeordneten in der EU-Volksvertretung, Herbert Reul, sagt: „Die Kohlendioxid-Reduzierung ist ein wichtiges Ziel der europäischen Klimapolitik“. (Das sehe ich auch so) „Viele Mitgliedsstaaten sind der Ansicht, dass Kernenergie dabei helfen kann.“ (Das ist nicht verkehrt, doch ich bin damit nicht einverstanden.) „Das ist legitim, auch wenn das in Deutschland nicht jedem in den Kram passt.“

Stimmt, Herr Reul, es passt sehr vielen Deutschen – 75 Prozent – nicht mehr in den Kram, nicht mir und meinen Kollegen von der Montagsdemo auch nicht! Deshalb stehen wir hier und sagen unsere Meinung. Ich will weder Kohlekraftwerke noch Atomkraftwerke! Das werde ich nicht nur auf der Montagsdemo vertreten.

Helmut Minkus (parteilos)
 
Todkranke aus Bremer Hospiz abgeschoben: Sie starb nicht
so schnell wie erwartet („Radio Berlin-Brandenburg“)
 

 
Django hat ’ne Monatskarte: Aber warum ist sie als Sozialticket
nicht übertragbar? („Die Linke Bremen“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz