715. Bremer Montagsdemo
am 06. 07. 2020  I◄◄  ►►I

 

Der Corona-Skandal bei Tönnies ist nur die Spitze des Eisbergs

Die osteuropäischen Leiharbeiter müssen in der deutschen Fleischindustrie unter katastrophalen Bedingungen leben und arbeiten: Sie bekommen nur Werkverträge bei Subunternehmern und müssen bis zu 14 Stunden täglich und 250 Stunden im Monat arbeiten. Vom Mindestlohn 9,35 Euro bleiben nur etwas über sechs Euro in der Stunde übrig – nach Abzug der Miete für ein Bett und für die Fleischermesser.

Sie müssen zusammengepfercht in erbärmlichen Unterkünften mit bis zu sechs Leuten in einem Zimmer wohnen. Betroffene beklagen sich unter anderem im ZDF vom 24. Juni 2020: „Wir werden wie Sklaven behandelt. Solche katastrophalen Zustände wie in Deutschland habe ich nirgendwo in Europa erlebt.“

Harald BraunDie Schröder/Fischer-Regierung hat 2004 mit den Hartz-Ar­muts­ge­set­zen auch das System der Werkverträge eingeführt. Arbeiten und Wohnen ohne Abstand und ohne Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Großschlachtereien sind ein „gefundenes Fressen“ für die Corona-Viren. Hotspots mit über 1.500 Infizierten wie bei Tönnies waren vorprogrammiert. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat diese Zustände seit Jahren beschönigt und gedeckt.

Armin Laschet, seines Zeichens Kanzlerkandidat der CDU und guter Kumpan von Tönnies, besaß sogar die rassistische Frechheit, den osteuropäischen Arbeitern den Corona-Ausbruch in die Schuhe zu schieben. Er behauptete: „Die Rumänen haben den Virus nach ihrem Heimatbesuch am verlängerten Wochenende eingeschleppt.“ Bei Tönnies waren aber gar keine Heimatbesuche möglich, weil auch am verlängerten Wochenende durchgearbeitet werden musste.

Durch die extreme Überausbeutung hat sich Clemens Tönnies zum Milliardär und Besitzer des größten europäischen Schlachterei-Konzerns gestohlen. Bis heute lehnt er jede Verantwortung für den Corona-Skandal ab. Bis zuletzt hat er versucht, die notwendigen Testungen zu verhindern. Aus Profitgründen hat er den Einbau von UV-Bestrahlung und Hochleistungsfiltern abgelehnt und die Umluft ungefiltert wieder in die Schlachterei blasen lassen. Das hat die Ausbreitung der Corona-Pandemie massiv gefördert.

Tönnis ist nicht nur Schweine-Baron, sondern auch seit 2001 Baron des FC Schalke 04. Beim „Tag des Handwerks“ im August 2019 hat er unter großem Beifall Steuererhöhungen im Kampf gegen die Klimakrise abgelehnt und stattdessen gefordert, lieber 20 Kraftwerke in Afrika zu finanzieren: „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Seine rassistische Gesinnung löste eine große Protestwelle in der Bevölkerung und unter den Fans aus.

Schnell eilten diverse Kumpel aus Sport und Politik herbei, um dem Milliardär angesichts des hereinbrechenden Shitstorms beizustehen, darunter Trainer wie Huub Stevens und Otto Rehagel und der SPD-Rechte Sigmar Gabriel. Auch die Ethik-Kommission des DFB sprang ihm zur Seite und bescheinigte ihm, „kein Rassist“ zu sein. Tönnies dachte, sich mit einem dreimonatigen Ruhenlassen seines Aufsichtsratsvorsitzes aus der Affaire ziehen zu können. Aber weit gefehlt!

Der Corona-Skandal brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Vor der Villa von Tönnies und in Gütersloh demonstrierten am 18. Juni Eltern und Kinder gegen die Machenschaften des Fleischkonzerns. Am 4. Juli blockierten Aktivist(inn)en den Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück. Sie forderten auf Plakaten: „Schluss mit der Ausbeutung von Mensch und Tier“. Die Masse der Fans zeigten Tönnies die „Rote Karte“: „System Tönnies stoppen“, forderten die Schalker Ultras an der Ehrenwand der Schalke-Arena. Der Druck der Masse der Fans hatte Erfolg: Tönnies ist weg.

Es geht nicht nur um einen skrupellosen Fleischbaron aus Westfalen, um die sofortige Beendigung von Werkverträgen und Leiharbeit und den notwendigen Gesundheitsschutz. Dieser Skandal ist nur die Spitze des Eisbergs, weil überall auf der Welt der Profit regiert. Die „Umweltgewerkschaft“ setzt sich für eine menschenwürdige, tier- und umweltschonende, soziale und gerechte Gesellschaft ohne Ausbeutung von Mensch und Natur ein. Wie wäre es, wenn Arbeitende und Arbeitslose, Jung und Alt, Tier- und Umweltschützer(innen) gemeinsam dafür eintreten und über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus diskutieren? E-Mail-Kontakt gibt es über umweltgewerkschaft-bremen(at)cloudmail.de.

Harald Braun („Umweltgewerkschaft“)

 

Die Weltwirtschaftskrise
vertieft sich

Durch die Co­ro­na-Pan­de­mie wird die Weltwirtschaftskrise natürlich sehr verstärkt, aber das Virus ist durchaus nicht, wie in den bürgerlichen Medien dargestellt, die Hauptursache der Krise, zum Beispiel in der Autoindustrie: Seit über einem halbem Jahr wird auf Halde produziert, schon „vor Corona“ wurden Massenentlassungen angekündigt und Leiharbeiter entlassen.

Wolfgang LangeWarum das alles jetzt als Corona-Folge dargestellt wird? Weil davon abgelenkt werden soll, dass der Kapitalismus gesetzmäßig zu Krisen führt. Sie sind Folgen des Ausbeutungssystems, das wenige Reiche immer reicher und die große Mehrheit immer ärmer werden lässt. Folglich können irgendwann die produzierten Waren nicht mehr abgesetzt werden.

Aktuell sind an Entlassungen geplant, um nur einige zu nennen: bei Daimler 15.000 (10.000 kamen „seit Corona“ dazu), bei der Deutschen Bank 20.000, bei Karstadt-Kaufhof 6.000, bei der Lufthansa 22.000 (die Fluggesellschaft bekommt noch neun Milliarden Euro Staatshilfe dafür!), bei Volkswagen 20.000, beim Reiseveranstalter TUI 8.000, bei Continental 20.000, bei Audi 9.500, bei Airbus 15.000 (allein in Deutschland 5.100, in Bremen über 400, dazu ist am Mittwoch Aktionstag).

Besonders betroffen ist die Jugend. Die Zahl der Ausbildungsplätze ging rapide zurück, vor allem in der Großindustrie, um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der Autoindustrie erfolgt der Abbau noch viel stärker, bei Opel zum Beispiel beträgt der Abbau 60 Prozent. Die bundesweite Montagsdemo fordert: Zehn Prozent Ausbildungsquote in der Großindustrie! Unbefristete Übernahme nach der Ausbildung! Für alle Branchen, für Junge und Alte 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich! Für alle von Hartz IV Betroffenen fordern wir 100 Euro Soforterhöhung!

Die Corona-Krise ist weltweit alles andere als am Abflauen. Inzwischen sind laut Weltgesundheitsorganisation mehr als zehn Millionen Menschen erkrankt, mehr als eine halbe Million verstorben. Am schlimmsten stehen Staaten wie die USA und Brasilien da, deren faschistischen Staatsoberhäuptern es gleichgültig ist, ob Millionen sterben – Hauptsache, der Dollar rollt.

Aber auch in Deutschland gibt es Hotspots der Infektion, die sich sehr schnell unkontrolliert entfalten können, etwa in der Fleischindustrie. Sklavenartige Arbeitsbedingungen herrschen bei Tönnies, traumhafte Profite streicht Tönnies selbst ein. Und wer hat davon mitprofitiert? Der frühere SPD-Vorsitzende Gabriel, mit 10.000 Euro als „Beraterhonorar“ pro Monat plus vierstelligem Betrag pro Reisetag. Schamloser geht’s nicht!

Eine Kantinenfrau wurde fristlos entlassen, weil sie Bilder von der Kantine ins Netz stellte, auf denen zu sehen ist, wie die Mitarbeiter dort auf engstem Raum sitzen. Da war nichts mit „Hygieneabstand“.

Aber die Jugend rebelliert gegen die Zerstörung ihrer Zukunft, gegen Rassismus und Umweltzerstörung. Und die Polizei hat nicht nur in den USA ein Rassismusproblem. Jugendliche, die etwas anders aussehen als der Durchschnitt, vielleicht weil sie dunklere Haut haben, werden grundlos wesentlich öfters kontrolliert. In Stuttgart provozierte die Polizei Ausschreitungen.

Auch in Deutschland sind es häufig Menschen mit anderer Hautfarbe, die von der Polizei getötet werden, erst vor zwei Wochen ein Marokkaner in Gröpelingen. Es ging um einen Keller, den er räumen sollte. Er war psychisch krank. Aber anstatt auf den psychosozialen Dienst oder auf Polizeipsychologen zu warten, wird er erschossen – angeblich in Notwehr, weil er ein Messer hatte. Aber er war gar nicht in der Lage anzugreifen, er konnte sich laut Augenzeugen und Familie nur ganz langsam bewegen. Gib Antikommunismus, Rassismus und Antisemitismus keine Chance!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
Wohlfahrtsverband wagt Kampagne: Auf großen Plakaten soll Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 600 Euro gefordert werden („Neues Deutschland“)
 
Von fünf Euro am Tag sollen wir leben: Und fehlernährt am besten auch
fünf Jahre früher sterben („Berliner Zeitung“)
 
Die nächste Bremer Montagsdemo mit Offenem Mikrofon beginnt am 3. August 2020 wieder um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz. Wir tragen Mund- und Nasenbedeckungen (mit und ohne Motiv) und halten die Abstands­regeln ein.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz