555. Bremer Montagsdemo
am 01. 02. 2016  I◄◄  ►►I

 

Meine guten Vorsätze
fürs neue Jahr

An einem schönen Wintertag habe ich das Programm des „Bürgerhauses“ nebenan gesehen und mir gedacht: Ich muss mich endlich in Deutschland integrieren, Kultur und Menschen hier besser kennenlernen! „Aktivitäten im Bürgerhaus“, was gibt es denn da für Aktivitäten? Die ganze Woche ist voll: mit Spielkreis, Aquarellmalen, Tongruppe, Tischtennis, Literaturkreis – stopp, hier! Das ist etwas für mich, denn ich lese gern, versuche manchmal auch etwas zu schreiben. Das wird gut, wenn ich solche Leseratten wie mich kennenlerne und dabei auf Deutsch kreativ schreiben lerne! Auf dem Blatt steht: „jeden zweiten Montag im Monat“. Alles klar!

Am Anfang des Jahres haben wir alle immer neue Vorsätze, deshalb nahm ich mir vor, mich im Januar in unserem „Bürgerhaus“ zu melden. Am 11. rief ich dort an und fragte wegen des Literaturkreises nach. Freundlich wurde mir gesagt: „Ja, die Sitzung findet heute statt! Melden Sie sich bitte bei der Information, wenn Sie kommen.“ Es wurde auch nach Namen und Adresse gefragt.

Alles gut, nach einem stressigen Tag bin ich zum „Bürgerhaus“ geeilt. Ich bin keine Kneipengängerin, mehr ein häuslicher Typ, darum war mir ein bisschen unwohl, als ich neben dem Eingang eine Gruppe von acht oder neun älteren, aber recht sportlichen Männern sah, die an den Tischen saßen, Bier tranken und alle neugierig auf mich blickten. Gut, sollten sie doch glotzen! Ich bin keine 17 mehr, die Männerblicke machen mir nichts aus.

Am Informationsplatz stand eine nette Frau mit Kopftuch, ich fragte sie nach dem Literaturkreis. „Nein“, antwortete sie, „heute findet kein Literaturkreis statt! Der war schon am 4. Januar.“ – „Aber ich habe doch angerufen! Hier steht: ‚jeden zweiten Montag im Monat‘.“ – „Ja, die Leute vom Literaturkreis treffen sich in zwei Wochen wieder.“ – „Hat sich denn etwas geändert? Gibt es einen aktuellen Plan? Mir wurde doch gesagt, und hier steht es auch: ‚jeden zweiten Montag im Monat‘!“ – „Ja, ja, zweimal im Monat.“

Ich drehte mich hilflos zu den deutschen Herren um, die schweigend an den Tischen saßen und uns anschauten und zuhörten. Es war wie auf der Bühne: Zwei Menschen mit „Migrationshintergrund“ versuchten, sich auf Deutsch zu verständigen, und es schien so, als könne die Frau mit Kopftuch mich nicht verstehen. Sie versuchte, sich mit dem Hinweis zu behelfen: „Dieser Herr dort gehört auch zum Literaturkreis!“

Lächelnd sagte ich zu dem Herrn: „Entschuldigen Sie bitte, mich interessiert der Literaturkreis! Können Sie mir sagen, wann er sich das nächste Mal trifft?“ Der ältere Herr schaute mich an, verlor aber kein Wort. Ja, das passiert manchmal, dass Männern bei meinem Charme die Worte fehlen! „Können Sie mir bitte eine Telefonnummer von der Leiterin oder einer Kontaktperson geben?“ Wieder kein einziges Wort. Doch ich bin manchmal hartnäckig, so schnell gebe ich nicht auf. Ich holte das Handy aus der Tasche und zeigte der Frau mit Kopftuch den Kalender: „Hier, erster Montag war der 4., der zweite ist heute! Das bedeutet ‚zweiter Montag‘, nicht ‚zweimal in Monat‘.“

Der schweigende Herr aus dem Literaturkreis stand schon hinter mir. Jetzt suche ich Hilfe bei ihm: „Erklären Sie bitte dieser Frau hier, was das auf Deutsch bedeutet, ‚jeder zweite Montag in Monat‘.“ Endlich gab die Frau zu: „Ja, ja, Sie haben Recht, aber diesmal ist es anders.“ – „Gut, dann will ich wissen, wann ich das nächste Mal kommen kann.“ – „Ein Moment“, sagte die nette Frau, denn ein paar andere schweigende Männer waren zur Theke gekommen und bestellten mit Gesten für sich Nachschub an Bier. Die Frau mit Kopftuch schenkte ihnen die Getränke aus.

Jetzt schaue ich sie skeptisch an: Muslime trinken doch kein Alkohol, aber an „Ungläubige“ können sie ihn verkaufen? Für mich wäre das nichts. Wenn sie schon denken, dass Alkohol etwas Schlechtes ist, müssen sie doch nicht andere in Versuchung bringen? Solche Gedanken kommen mir manchmal, wenn ich sehe, dass Menschen des Geldes wegen mit ihren Überzeugungen Kompromisse machen. Endlich war die nette Frau frei und schrieb mir auf meine Bitte hin den nächsten Termin auf, den 18. Januar.

Ich ging hinaus, und dann begriff ich – eine vor 59 Jahren in Sibirien, in einem kasachischen Dorf, in einer deutschen Familie geborene Frau –, ich begriff endlich: Das war doch eine Verarschung! Sie wollen mich einfach nicht! Sie haben gedacht, ich verstehe nicht einmal, was das bedeutet, „jeden zweiten Montag im Monat“, und die nette Muslimin hat mitgemacht, und als sie nicht weiter wusste, wie sie mich loswerden könnte, hat sie mich zu dem Menschen geschickt, der das alles angezettelt hatte und der, wie sich später herausstellte, der Mann von der Leiterin des Literaturkreises war. Das sind Menschen, das sind Sitten!

Aber ich gab nicht auf, das war nur eine Herausforderung für mich! Sie kannten mich nicht und hatten Vorurteile gegen Immigranten, deshalb stellte ich mich schriftlich vor. Ich schrieb einen freundlichen Brief an den Literaturkreis, legte einige meiner Gedichte auf Deutsch dazu und gab den Umschlag bei der Information im „Bürgerhaus“ ab mit der Bitte, ihn weiterzureichen, denn am 18. wollte ich zu meinem alten Vater nach Thüringen fahren.

Nach anderthalb Wochen kam ich zum „Bürgerhaus“, um zu erfahren, wann ich endlich den ersehnten Literaturkreis besuchen könnte. Diesmal stand ein netter Herr mit einem blauen Auge und zerkratzter Nase an der Empfangstheke. Hatte er Alkoholprobleme oder einen Unfall? Er sagte mir, der Literaturkreis am 18. habe nicht stattgefunden, mein Brief liege noch da. „Wann kann ich dann nächstes Mal kommen?“ – „In zwei Wochen, oder rufen Sie vorher einfach an.“

Ich nahm mir von den ausgelegten Informationen das Faltblatt „Aktivitäten im Bürgerhaus“ und fand keine Änderungen darin. Schwarz auf grau gedruckt stand dort: „Literaturkreis (jeden zweiten Montag im Monat)“. Ich provozierte ein wenig: „Hier gibt es ja noch eine Gruppe ‚Tischtennis für Erwachsene‘! Kann ich dort teilnehmen? Ich bin auch sportlich und spiele gerne Tischtennis.“ – „Nein, das geht leider nicht, dort ist schon alles belegt. Es sind auch nur Männer da, außer der Leiterin, und sie spielen da schon alle sehr gut, sogar in der Liga.“

Zufällig kam der Leiter des Hauses vorbei, und wir sprachen mit ihm weiter. Wie jeder Leiter beherrschte er die Kunst, viel zu reden und nichts zu sagen, vollkommen, aber ich einfache Frau, die in letzter Zeit so viel Stress mit dem alten Vater und dem kranken erwachsenen Sohn hatte, beherrschte mich weniger gut und sprach zu viel über meine schlechten Erfahrungen in Deutschland und in diesem Stadtteil. Da fragte er mich: „Kann es sein, dass es an Ihnen liegt?“ – „Möglicherweise“, lächelte ich ihn an. „Ich gebe nicht so schnell auf!“

Auf dem Heimweg dachte ich über unser Gespräch nach. Oh, ich bin einfach zu dumm für dieses Land, das ist eben doch mein Problem! Ich kann nicht begreifen, dass es für mich keinen Platz gibt, wo „weiße“ Menschen, die Deutschen von hier, sind. Der Leiter hat doch klar gesagt: „Hier gibt es auch Sprachkurse für Immigranten, die russlanddeutschen Frauen nähen hier zusammen, ein paar Musliminnen und Frauen aus Sri Lanka sind auch dabei.“

So viel zur Integration und dem „Willkommen für alle“ – mein Platz ist bei den Integrationskursen, oder ich muss etwas Nützliches machen, nähen oder kochen, aber die feinen Herren und Damen im Literaturkreis oder beim Tischtennis möchten unter sich bleiben. Rechts vom Eingang zum „Bürgerhaus“ stand ein Schild „Alle sind willkommen! Keiner wird hier ausgeschlossen!“ Zu Hause habe ich wieder geweint. Aber ich gebe nicht auf: „Wir wollen doch keine Parallelgesellschaften!“ Und ich lachte über diesen Gedanken, trotz der Tränen.

Valentina Schneider (parteilos)

 

BA-Vorstand hetzt zu „fürsorglicher
Belagerung“ von Erwerbslosen

1. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles soll Geld umgeschichtet haben. Offenbar geben die Jobcenter immer mehr Geld, das eigentlich für die Förderung und Qualifizierung von Hartz-IV-Bezieher(inne)n gedacht ist, für Verwaltung und Personal aus. Aus dem Topf für „Eingliederung in Arbeit“ seien 2015 enorme 767 Millionen Euro in das Verwaltungsbudget geflossen, fünf Jahre zuvor nur 13 Millionen. Außerdem soll Andrea Nahles angeordnet haben, für die Arbeitsförderung gedachte Mittel in Höhe von 330 Millionen Euro erst nach den Haushaltsberatungen in den Etat für Verwaltungskosten bei den Jobcentern zu stecken.

Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, kritisierte, dies sei nicht nur eine faktische Kürzung der Gelder für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Nahles habe mit dieser klammheimlichen Verschiebung auch die Öf­fent­lich­keit ge­täuscht und die Haushaltshoheit des Parlaments untergraben. Schließlich hatte der Bundestag Ende November 2015 beim Haushaltsplan für 2016 beschlossen, 4,146 Milliarden Euro für die Eingliederung von Hartz-IV-Bezieher(inne)n in den Arbeitsmarkt auszugeben. Wegen des Flüchtlingszuzugs waren dies 243 Millionen Euro mehr als 2015.

Elisabeth GrafHinzu kommen 350 Millionen Euro an „Ausgaberesten“ aus den Vorjahren. Auch dieses Geld sollte nach dem Willen des Parlaments für die Arbeitsförderung zur Verfügung stehen. Allerdings seien die Jobcenter schon länger in Geldnöten, weil ihr Budget für die Verwaltung seit Jahren gleichsam eingefroren sei. Aufgrund der Kostensteigerungen für Personal, Informationstechnik und Energie gäben sie jedes Jahr mehr Geld für Verwaltung aus, das eigentlich fürs Fördern von Hartz-IV-Bezieher(innen) gedacht ist.

Nun wirft Pothmer Nahles vor, dem Parlament wissentlich unrealistische Zahlen aufgetischt zu haben. Die Ministerin hätte gleich bei den Haushaltsberatungen reinen Tisch machen müssen, weil bekannt sei, dass die Jobcenter für die Verwaltung zu wenig Geld hätten. Im Arbeitsministerium wird zugegeben, dass die Jobcenter zuletzt ohnehin fast ausschließlich Mittel von der Arbeitsförderung in die Verwaltung verlagert hätten und deswegen entschieden worden sei, die Mittel aus „Ausgaberesten“ bereits zu Jahresbeginn als Verwaltungskostenmittel zu verteilen. Was wird nicht alles zur Aufhübschung der Zahlen unternommen!

 

2. Auf den ersten Blick liest sich folgende aktuelle Formulierung des Jobcenters Essen völlig ungefährlich, beinahe geläufig: „Diese Eingliederungsvereinbarung ist gültig ab ... bis ..., längstens jedoch bis zum Ende des Leistungsanspruches. Ein Anspruch auf Leistungen aus dieser Eingliederungsvereinbarung besteht nur, sofern auch ein Zahlungsanspruch auf SGB-II-Leistungen besteht.“ Hoppla, hätten wir keine Quellenangabe und wüssten nicht, dass hier Menschen gefragt sind, die zwischen den Zeilen zu lesen vermögen, um perfid-verfängliche Details zu entlarven, dann wären wir nicht so misstrauisch! Nur „normalen“ Leser(inne)n herkömmlicher Formulierungen stößt hier nichts auf.

Bekanntermaßen zeigt sich erst bei genauer Betrachtung aller Einzelheiten, ob eine auf den ersten Blick Erfolg versprechende Sache auch wirklich so zu bewerten ist. Was sich jedoch nur ausgefuchsten juristischen Schlaumeiern erschließt, ist das Problem, dass es sich bei Leistungsanspruch und Zahlungsanspruch im SGB II um zwei vollkommen verschiedene Sachverhalte handelt: Wenn eine 100-prozentige Sanktion ausgesprochen wurde, bestünde zwar im Grunde eigentlich noch ein Leistungsanspruch auf ALG II, uneigentlich jedoch kein Zahlungsanspruch mehr, da die Sanktion die zu zahlende Leistung ja bereits auf null reduzierte.

Paragrafenreiter könnten jetzt aufgrund der oben genannten Regelungen der Meinung sein, dass Sanktionierte zwar noch ihre Pflichten – zum Beispiel Eigenbemühungen – aus der „Eingliederungsvereinbarung“ erfüllen müssen, da diese aufgrund des weiter bestehenden grundsätzlichen Leistungsanspruches weiterhin gültig sei. Sollten hingegen die für das Jobcenter in der „Eingliederungsvereinbarung“ festgehaltenen Leistungspflichten – beispielsweise die Bewerbungskostenerstattung – nicht mehr bestehen, da aufgrund der Sanktion kein Zahlungsanspruch mehr auf SGB-II-Leistungen bestünde?

Verfolgt das Jobcenter Essen mit dieser subtilen Regelung etwa das Ziel, Ausgaben im Bereich der Förderung aus dem Vermittlungsbudget einzusparen? Nein, so einfach geht es wohl nicht, weil diese scheinbar oberschlaue Formulierung des Jobcenters Essen glücklicherweise noch einen Haken hat: Die dadurch eintretende Folge bewertet das Sozialrecht als „einseitige sittenwidrige Benachteiligung“. Deshalb dürfte jedes Sozialgericht diese Regelung für nichtig erklären, womit auch alle Folgen dieser Regelung nichtig wären.

 

3. Eine Prise, gar eine erneute Fuhre Hetze gegen Erwerbslose gefällig? Detlef Scheele, neues Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, zeigt sich sehr freigiebig mit der Verteilung alten, übersäuerten Weins in neuen Schläuchen, indem er sich dafür ausspricht, lange Hartz IV beziehende Eltern in eine „fürsorgliche Belagerung“ zu nehmen. Scheele sagte, Kinder müssten erleben, dass ihre Eltern mit oder vor ihnen aufstehen und dass es normal sei, aus dem Haus und zur Arbeit oder zur Schule zu gehen. Dafür seien „notfalls“ Hausbesuche nötig, auf jeden Fall aber regelmäßige beschäftigungsfördernde Maßnahmen für diese Menschen.

Sollte Herr Scheele noch nie etwas von der Unverletzlichkeit der Wohnung als ein Grundrecht und Teil des Hausrechts gehört haben? Oder glaubt er, dass Erwerbslose dieses Grundrecht bereits durch den Verlust ihrer Arbeit verwirkt hätten? Doch scheint er die geneigte Leserschaft glauben machen zu wollen, dass Langzeiterwerbslose es vorzögen, den lieben, langen Tag faulenzend im Bett zu verbringen. Scheele unterstellt voller unbelegter Vorurteile langzeitarbeitslosen Eltern, dass sie ihren Kindern keinen regelmäßigen Alltag vorleben können, nur weil sie keine Arbeit haben. Er spricht vom „Kampf gegen die kaum mehr zurückgegangene Langzeitarbeitslosigkeit“, meint aber meiner Meinung nach viel mehr den Kampf gegen Arbeitslose, wenn er davon spricht, Hausbesuche machen zu wollen, um die „Vererbung von Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern“.

Als ob es den Erwerbslosen anzulasten sein könnte, dass immer weniger Menschen in Deutschland in früher normalen Arbeitsverhältnissen tätig sind! Ich vermute, dass sich der von mir hoch geschätzte Autor und Nobelpreisträger Heinrich Böll im Grabe herumdrehen würde, wüsste er, wie der Titel seines 1979 erschienenen Romans „Fürsorgliche Belagerung“ hier für Hetze gegen Erwerbslose missbraucht wird. Bölls Erzählung spielt im „Deutschen Herbst 1977“ mit den Nachwirkungen der RAF und als Mahnmal gegen Gewalt und die Schattenseiten des Kapitalismus, Sippenhaft und Resozialisierung.

 

4. Ich möchte euch einen langjährigen Erfahrungsbericht, den Kampf einer Bekannten von mir mit dem Jobcenter ans Herz legen: „Exotische Schlangen und andere Fä(e)lle vor dem Sozialgericht“ von Charlotte Mourner. Ihr werdet euch darin bestimmt oft wiederfinden. Ein total spannendes Buch, das angenehm und locker geschrieben ist, leicht lesbar, aber gleichzeitig schwer zu verdauen für Menschen, die sich nicht vorstellen können, wie Hartz IV wirkt, was es den Betroffenen antut und wie es sie schädigt. Die menschenverachtenden Hartz-Gesetze polarisieren ihre Opfer in Resignierte, sich verschämt Verkriechende oder in Empörte, Wütende, die sich wehren und sich ihr Recht holen beziehungsweise was davon noch übrig ist.

Das Buch ist so geschrieben, dass es bisher Ahnungslose bestimmt zu der Aussage verleiten lässt: „Jetzt übertreibst du aber“ oder: „Das hast du dir doch ausgedacht.“ Meiner Meinung nach können sich Nichtbetroffene kaum vorstellen, wie perfide, systematisch rechtswidrig, rechtsbeugend und das Grundgesetz brechend hier oft absichtlich und mit offenbar angeordnetem Vorsatz gegen immer größere Bevölkerungsgruppen vorgegangen wird, vermutlich um abzuschrecken, gefügig zu machen, um Arbeitnehmerrechte, ja auch Menschenrechte faktisch abzuschaffen, um die Wirtschaftsdiktatur zu unterfüttern. Die Autorin beschreibt die kleinen Schritte, die so große Wirkung haben, gegen die es sich aber auch wehren lässt! Es braucht wohl Mut, Rechtskenntnis und eine große Portion Hoffnung, um sich sein Recht zu holen.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Internationale Solidarität ist
stärker als Stimmungsmache
und Unterdrückung

In den letzten Wochen ergießt sich eine ungeheure Stimmungsmache gegen Flüchtlinge über das Land. Aufhänger ist die massive und organisierte sexuelle Gewalt an Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten. Wir verurteilen jede Art von sexueller Gewalt gegen Frauen. Jeder Täter – egal welcher Nationalität – muss bestraft werden! Sexuelle Gewalt ist kein neues Phänomen, seit Flüchtlinge nach Europa strömen, sondern ein gesellschaftliches Problem und für viele Frauen seit Langem Lebensalltag.

Harald BraunAuf jedem Oktoberfest in München gibt es eine Dunkelziffer von 200 Vergewaltigungen, von denen nur 20 angezeigt werden, wobei in der Regel alle Täter straffrei ausgehen. Mehr als zwei Drittel der sexuellen Gewalttaten werden von Freunden, Bekannten, Kollegen oder dem (Ex-)Partner begangen. Nicht nur in jahrhundertealten religiösen Moralvorstellungen ist die Unterordnung der Frau unter den Mann lebendig, sondern auch in der „modernen“ kapitalistischen Gesellschaft: als Sexismus und Degradierung der Frau zum Lustobjekt des Mannes.

Zu Recht wird der Versuch der Regierung, der bürgerlichen Medien und der faschistischen Kräfte, die Vorfälle in Köln zur Stimmungsmache gegen Flüchtlinge auszuschlachten, in zahlreichen Protestaktionen von Frauen und Männern zurückgewiesen. In vielen Städten hieß es: „Nein zu Sexismus und sexueller Gewalt, Nein zu Rassismus und Faschismus – Ja zu internationaler Solidarität und Völkerfreundschaft!“ Tausende Rosen wurden von Flüchtlingen an Frauen verteilt, als Zeichen des Respekts und der Ablehnung sexueller Gewalt.

Plötzlich entdecken Leute ihr Herz für Frauenrechte, die damit noch nie etwas am Hut hatten, zum Beispiel CSU-Chef Seehofer, der jahrelang versucht hat, die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe zu verhindern. Auch die AfD spielt sich jetzt als Beschützerin von Mädchen und Frauen auf. In Wirklichkeit bekämpft die AfD staatliche Maßnahmen zur Gleichstellung von Frau und Mann, fordert Verschärfung der Regeln zum Schwangerschaftsabbruch und möchte die Rolle der Frau am liebsten an Heim und Herd sehen und jede Emanzipation zurückdrehen.

Die rassistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ist der Boden für Gewalt gegen Flüchtlinge. Jetzt fordert die AfD-Vorsitzende Petry schon den Schießbefehl gegen illegal einreisende Flüchtlinge an den Grenzen. Die rassistische Stimmungsmache ist der Nährboden für eine weitere Aushöhlung des Asylrechts und für beschleunigte Massenabschiebungen. Die Regierungen in Schweden und Finnland haben die Abschiebung von 100.000 Flüchtlingen beschlossen, die Bundesregierung plant Ähnliches. Schutz vor Abschiebung haben nur diejenigen, die das Eilverfahren erfolgreich durchgestanden haben. 80 Prozent der Flüchtlinge haben aber keinen Pass, sei es, weil ihnen die Ausstellung in ihren Heimatländern verwehrt wurde, sie die Pässe in den kaputten Booten auf der Flucht verloren haben, ihnen die Pässe gestohlen wurden oder weil sie sie aus Verzweiflung weggeworfen haben.

Ihnen wird eine „mangelnde Mitwirkungsbereitschaft“ unterstellt, und sie alle unterliegen den Schnellverfahren. Dafür werden sogenannte Aufnahmeeinrichtungen geschaffen, in denen die Menschen oft wie Verbrecher behandelt und häufig mit Gewalt abgeschoben werden. Was für eine zynische und willkürliche Behandlung von Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten ihr Land verlassen müssen! Welch eine Menschenverachtung gegenüber Flüchtlingen, denen Folter oder gar Todesstrafe droht! Wer keinen „Schutzbedarf“ geltend machen kann, soll das Land so schnell wie möglich verlassen.

Marokko, Tunesien, Algerien und demnächst die Türkei werden zu „sicheren Herkunftsländern“ ernannt und die Außengrenzen der EU zu Bastionen ausgebaut. Deshalb brauchen wir ein uneingeschränktes Asylrecht auf antifaschistischer Grundlage, einen sofortigen Stopp der Abschiebungen, die Anerkennung der Rechte der Flüchtlinge in einer internationalen Konvention, die vollständige Übernahme der Kosten der Flüchtlingsbetreuung durch Bund und Land und die Beseitigung der Fluchtursachen!

Harald Braun
 
„Notfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen“: Warum wird der
rote Teppich in die Talkshows für eine Frau ausgerollt,
mit der man nicht reden kann? („Sprengsatz“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz