504. Bremer Montagsdemo
am 19. 01. 2015  I◄◄  ►►I

 

Mein Wort zum Sonntag

Hans-Dieter WegeWenn schon „Arbeit über alles“, dann sollte der DGB auch von Lohnarbeit reden, also vom Verkaufen der Arbeitskraft der Arbeitnehmer an die Unternehmen, sprich: Arbeitgeber – und der DGB sollte die derzeitige Situation auf dem Lohnarbeitsmarkt ganz klar benennen.

Circa 20 Millionen Vollzeitbeschäftigten, die vier Fünftel der bezahlten Arbeitsstunden eines Jahres verrichten, stehen 34 Millionen weiterer Erwerbsfähiger gegenüber, die das letzte Fünftel der bezahlten Arbeit rechnerisch unter sich aufteilen müssen, sprich: rund 25,25 Stunden im Monat je möglichem Erwerbsfähigen.

Hartz IV muss weg und durch ein besseres und sanktionsloses Instrument ersetzt werden, zum Beispiel durch ein Grundeinkommen mit der Neuverteilung aller Lohnarbeitsstunden auf jeden Menschen, der an dieser Form der Arbeit teilhaben möchte. Nur so kann man positive Veränderungen mit der wirksamen Bekämpfung der Verarmung von immer mehr Menschen in Deutschland erreichen.

Mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger und der Problemverlagerung auf die Stellvertreter-Politiker zumindest nicht – und mit einem vorgegaukelten unmöglichen Sozialaufbau innerhalb eines Systems, welches handelt, wie es handeln muss, auch nicht. Seine Aktivitäten für oder gegenPegida“ einzusetzen, ist ein gutes Ablenkungsmanöver für dieses System. Es kann dann wohl weitermachen wie bisher!

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)
Dresdner Montagsdemo verboten: Medien und Staatsapparat müssen als potenzielle Förderer von „Pegida“ eingeschätzt werden („Rote Fahne News“)
 
Die nächste Bremer Montagsdemo findet am 26. Januar 2015 als Teil einer Großdemonstration gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit statt, die von einem breiten Bündnis getragen wird und bereits um 17 Uhr auf dem Marktplatz beginnt. Unser Treffpunkt sind die Stufen vor der Bürgerschaft.

 

Fast jeder zehnte Leistungsberechtigte in Bremen wird sanktioniert

Hans-Dieter Binder1. „Die Linke“ in der Bremischen Bürgerschaft hat den Senat der Freien Hansestadt zu den Sanktionen befragt. Es ist eine Große Anfrage, somit wird die Antwort des Senats auch Thema für die Bürgerschaft. Die Einleitung: „Der Anteil der Hartz-IV-Emp­fän­ger(in­nen), die von Sanktionen betroffen sind, ist sehr viel größer als durch die sogenannten ‚Sanktionsquoten‘ suggeriert wird. So wurden laut jüngsten Statistiken in den zwölf Monaten Juli 2013 bis Juni 2014 im Land Bremen über 13.000 Sanktionen gegen mehr als 6.250 erwerbsfähige Leistungsberechtigte verhängt. Damit war fast jede(r) zehnte erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Gesamtzahl ca. 67.000) innerhalb eines Jahres von mindestens einer Sanktion betroffen (9,3 Prozent).

Die veröffentlichten ‚Sanktionsquoten‘ geben dagegen an, welcher Prozentsatz der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu einem Stichtag gleichzeitig von Sanktionen betroffen ist und sind entsprechend niedriger. Sanktionen bedeuten, dass Menschen das offizielle Existenzminimum noch weiter gekürzt wird. Die Kürzung beträgt bundesdurchschnittlich pro Sanktion etwa 100 Euro monatlich, und zwar üblicherweise drei Monate lang. Eine Zahl von einer Million Sanktionen im Jahr bedeutet, dass Erwerbslosen bundesweit 300 Millionen Euro durch Sanktionen von der ohnehin nicht armutsfesten Hartz-IV-Leistung weggenommen wird. Nicht nur unter moralischen Gesichtspunkten, auch unter dem Aspekt der Armutsbekämpfung ist dies eine Summe, die unerträglich ist.“ Es folgen die 22 Fragen – einfach lesenswert! Auf die Antwort bin ich gespannt.

Der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat schon einmal auf eine Sanktionsanfrage geantwortet, siehe 295. Bremer Montagsdemonstration: „Halten wir fest: Die fast gleichen Anfragen der Grünen-Fraktion an den Senat der Freien Hansestadt Bremen und der Linksfraktion an die Bundesregierung ergeben bei gleicher Datenlage höchst abweichende Antworten! Die Antwort der Bundesregierung ist ausführlich, Fragen werden im Sinne des Fragenden auch erweitert beantwortet. Die Antwort des Senats ist nur punktgenau, und damit wird die gewünschte Auskunft nicht erteilt. Unverständlich bleibt, warum die vorliegenden Datensätze in Bremen nicht zielgerichtet entsprechend den Fragen ausgewertet werden.“

In den geplanten „Rechtsvereinfachungen“ zum SGB II wird auch eine Änderung der Sanktionen vorgeschlagen. Die Entscheidung steht an. Die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann hat die Notwendigkeit, die Sanktionen abzuschaffen, dem Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag vorgetragen und nichts gehört. Im aktuellen Rundschreiben des Sozialexperten Harald Thomé steht: „Der ‚Buschfunk‘ zum Rechtsvereinfachungsgesetz teilt mit: Es dauert noch. Die Grünen und ‚Linken‘ haben eine Anhörung zu den Hartz-IV-Sanktionen beantragt. Der Termin wurde, noch ohne genaues Datum, auf Juni festgelegt. Die Bundesregierung könnte dazu den Referentenwurf des 9. SGB-II-Änderungsgesetzes vorlegen; bis Juni soll er vorliegen. Der Aktionstag am 16. April 2015 unter dem Motto ‚Auf Recht bestehen – zehn Jahre Hartz IV sind genug!‘ kommt dazu prima gelegen.“

 

2. Bremens Bürgermeister hat den Entwurf für den zweiten Armuts- und Reich­tums­be­richt vorgelegt und erläutert. Der „Weser-Kurier“ titelt: „Jeder vierte Bremer auf der Kippe“ und „Viele Reiche im armen Bremen“. „Die Linke“ kommentiert: „Die vorgestellten Zahlen sind erschreckend, aber leider kaum überraschend. Seit dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht sind vier Prozent mehr Bremerinnen und Bremer armutsgefährdet, die Armutsgefährdungsquote steigt auf 23,1 Prozent. Gleichzeitig sind die Einkommen aus Vermögen von 2005 bis 2011 um 36,6 Prozent gestiegen, sodass Bremen auch auf der Reichtumsskala im Vergleich der Bundesländer vorne liegt. In Stadtteilen wie Horn-Lehe wird durchschnittlich über 100.000 Euro pro Jahr mehr verdient als etwa in Gröpelingen. Es bleibt dabei: Die soziale Spaltung ist das hierzulande vorherrschende Entwicklungsmuster.“

Bremen hat seinen Spitzenplatz bei der Armut gefestigt und gleichzeitig einen sprunghaften Anstieg der Millionäre verkraftet. Fast 50 Prozent der Alleinerziehenden sind arm. Diesen Menschen will die Bundesregierung die Zulage für Alleinerziehende streichen, siehe 491. Bremer Montagsdemonstration. Die Auswirkungen der Sanktionen, aus der oben angeführten Anfrage erahnbar, finden sich nicht in diesem Bericht wieder. Die Sorgen der armen Menschen sind auch ohne Sanktionen gravierend! Von Hunger, einer zerbrochenen Brille, fehlenden Möbeln, fehlenden Hausrat, fehlender Kleidung steht nichts in diesem Bericht!

Haben Sie es erlebt? Ein Jugendlicher kommt nach Hause. „Deine Hose ist dreckig“, stellt die Mutter fest. Die Hose muss gewaschen werden. Er wartet darauf, er will wieder los. Es dauert. Es ist nicht seine Lieblingshose, es ist seine einzige Hose. Er hat keine Alternative! Er wartet und ist nervös. Es ist ihm peinlich, dass wir – der Besuch – dies mitkriegen. Aber in der kleinen Wohnung ist das einfach unvermeidlich. Was sind die Sorgen der Reichen? Die Zinsen sind gesunken, die Immobilienpreise stark angestiegen, desgleichen die Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung.

Die Zahlen in diesem Bericht stammen von 2012. Es steht somit nicht darin, wie „rücksichtsvoll“, sprich: dramatisch Bremen die Zuschüsse an Selbsthilfeeinrichtungen zusammengestrichen hat. 2015 werden viele aufgeben – leider nicht, weil sie nicht mehr gebraucht würden! „Die Linke“ hat eine Aktuelle Stunde in der Bremischen Bürgerschaft zum Reichtumsbericht beantragt. Die Sitzung ist für Donnerstag um 11 Uhr angesetzt. Wer vorher zeigen will, was er davon hält, kann dies bereits am Mittwoch, dem 21. Januar 2015, um 14:15 Uhr unter dem Motto „Armutsbremse statt Schuldenbremse!“ auf dem Marktplatz vor der Bürgerschaft tun. „Die Linke“ lädt zu dieser Aktion ein.

 

3. Zurück zur „großen Politik“, zum geplanten Freihandelsabkommen: „Brüssel überdenkt Investorenschutz“ stand am 14. Januar 2015 im „Weser-Kurier“. Am Vortag wurde dieses Thema in den „Tagesthemen“, unter der Überschrift „TTIP: EU-Kommission stellt Pläne für Investorenschutz vor“ behandelt. In dem Beitrag wird die Klage von Vattenfall auf Schadenersatz vorgestellt. Das Klage vor einem Schiedsgericht wird erläutert und alles als ganz normal hingestellt. Zu Wort kommt der „Bundesverband der Deutschen Industrie“, nicht aber die „Verbraucherzentrale“. Kein Wort von den Protesten auch der US-Verbraucherschützer!

Vattenfall könnte auch vor einem Gericht in Deutschland klagen. Wir haben eine bewährte Gerichtsbarkeit, aber die Investorenschutzklausel ermöglicht Klagen auf Schadenersatz, die sonst nicht begründbar wären und auch keine Aussicht auf Erfolg hätten. Die Schiedsgerichte wurden vor Jahren „erfunden“, um Investitionen in Staaten mit parteiischer Justiz zu schützen. Es geht mir heute nicht um die Nachteile des Investorenschutzes für die Verbraucher und den Mittelstand, sondern um diese zielgerichtete Berichterstattung in den „Tagesthemen“: Ein ausgewogener Bericht sieht anders aus! Weiteres steht auf den vorherigen Seiten der Bremer Montagsdemonstration.

Eine „Monitor“-Presseerklärung vom 15. Januar 2015 lautet „Die schwarz-gel­be Bundesregierung hat der Atomindustrie offenbar zu Millionenklagen verholfen. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten Briefwechsel hervor, über den ‚Monitor‘ heute berichtet. Darin bittet der damalige RWE-Vor­stands­vor­sit­zen­de Jürgen Großmann den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ausdrücklich um ein Schreiben, das heute als wesentliche Grundlage für Scha­dens­er­satz­kla­gen der Atomkonzerne dient. Vorausgegangen war offenbar eine Vereinbarung mit dem damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla.“ Herzlichen Glückwunsch an „Monitor“ – und Hüte für die beteiligten Politiker!

 

4. Die Stadtbibliothek Bremen hat ihre 39. „Literarische Woche“ mit dem Thema Über­wa­chung gestartet. In der ARD war die „Jagd auf Snowden“ zu sehen. Die Reportage „erzählt die wahre Geschichte der Flucht Edward Snowdens. Es ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte, an deren Ende sich Snowden ins Moskauer Exil rettet und die Supermacht USA blamiert ist. Die USA hatten ein Flugzeug illegal zur Landung gezwungen und alle diplomatischen Register gezogen. Das FBI war nicht davor zurückgeschreckt, Snowdens Vater für seine Zwecke einzuspannen.“ Beklemmend war die fehlende Unterstützung Deutschlands und der anderen europäischen Staaten für Edward Snowden! Ganz nebenbei erfahren wir von einem Geheimflugzeug der USA zur Personenverschleppung.

Beim nächsten Beitrag „Schlachtfeld Internet“ wurde mir mau in der Magengegend: „Das Internet ist in bisher kaum bekanntem Ausmaß ‚Aufmarschgebiet‘ für die digitalen Truppen der Kriege des 21. Jahrhunderts. In einem exklusiven Interview mit dem amerikanischen Sender WGBH, dem NDR und ‚Servus TV‘ enthüllt Whistleblower Edward Snowden, wie die NSA und andere Nachrichtendienste das Netz zur Waffe machen.“ Ein Ziel ist es, jedes Handy als Wanze zu nutzen! Dies ist keine Zukunftsmusik: Mikrofone und Kameras im Handy oder Laptop wurden erfolgreich ohne Wissen der Besitzer eingeschaltet. Noch beklemmender ist die Einschleichung in die Steuerungselektronik großer Einrichtungen.

Der bisher geheime Haushalt der NSA zeigt die Ernsthaftigkeit der Bedrohung durch die USA. Die „Schläfer“ können jederzeit aktiviert werden. Die Auswirkungen dieser Programmeingriffe sind unbegrenzt. Zu den Beiträgen ist ergänzend anzumerken, dass Tochterfirmen und Kooperationspartner auch in Bremen sicherheitsrelevante Programme erstellt haben. Auch über unsere neuen Personalpapiere braucht die NSA nicht zu grübeln: Die Entwicklung und Umsetzung wurden mitgestaltet. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 

 

 
Wiederstand gegen Denkmal für Bremer Folteropfer: Niemand darf unter polizeilicher Obhut ums Leben oder nachhaltig zu Schaden kommen („Spiegel-Online“)

 

Bundesagentur späht Erwerbslose im Internet aus

Elisabeth Graf1. Ein europaweit ausgeschriebener Auftrag der Arbeitsagentur lässt tief blicken: Die Bundesagentur für Arbeit will zukünftig die Aktivitäten von Erwerbslosen auf Social-Media-Platt­for­men wie „Facebook“ verstärkt ausspionieren. Dabei wird offenbar ein Unternehmen gesucht, das der Bundesagentur – zunächst befristet – ein Programm zum Beobachten der Aktivitäten in sozialen Medien zur Verfügung stellt. Auch wenn eine solche Ausschreibung der Behörde der Sprecherin der Bundesbeauftragten für Da­ten­schutz nicht bekannt ist, soll die Bundesagentur bereits mehrfach versucht haben, Erwerbslose im Internet auszuspähen, wofür sie vom Vorgänger der Bundesbeauftragen für Datenschutz 2013 derart gerügt worden sei, dass diese Aktion letztlich gestoppt wurde.

Bei der Online-Spionage geht es nach Berichten der „Jungen Welt“ um „au­to­ma­ti­sier­te Identifikation und Analyse von Diskussionen und Kommentaren im deutschsprachigen Social Web“. Damit könne alles, was Erwerbslose in sozialen Netzen an Kommentaren oder Fotos hinterlassen, ausgewertet und gegen sie verwendet werden. Dabei stünden offenbar insbesondere „aktuelle Diskussionsthemen mit Bezug auf die Bundesagentur“ im Fokus – angeblich ohne dass dabei personenbezogenen Daten erhoben würden. Ja, die Erde ist eine Scheibe! Wer unerlaubterweise „auf blauen Dunst“ munter ganz allgemein spioniert, dabei vermutlich nicht grundlos die Datenschutzbeauftragte einzuweihen „vergisst“, kann der noch „guten Gewissens“ über jeden Verdacht erhaben sein?

Wir wollen nicht vergessen, dass die Bundesagentur im November 2013 auf der Internetverkaufsplattform „Ebay“ Erwerbslose ausspionieren wollte, um mögliche Einnahmen aufzudecken, die von den Betroffenen nicht angegeben wurden. Ebenso wenig soll der Vorstoß der Bundesagentur im Jahr 2009 unter den Teppich gekehrt werden, umfassende Überwachungen von Erwerbslosen bei Betrugsverdacht durchzusetzen, wobei auch munter Nachbarn und Verwandte über die Betroffenen ausgefragt werden sollten. „Klar“ scheint nur zu sein, dass Erwerbslose grundsätzlich unter dem Generalverdacht stehen „müssen“, irgendwie unerlaubt und in betrügerischer Absicht – am Amt vorbei – an mehr Geld gelangen zu wollen. Ach, wenn doch mal alle Großverdiener bei ihren Steuererklärungen ebenso akribisch überwacht, durchleuchtet, ja geradezu mikroskopiert würden! Das könnte sich dann richtig lohnen.

 

2. Entgegen der gängigen Meinung, in Deutschland müsse niemand hungern, schlagen Ernährungswissenschaftler Alarm und beklagen, dass in Deutschland viele Menschen unter verstecktem Hunger leiden. Es seien besonders Kinder betroffen, die von Hartz IV „leben“ müssten, weil ihnen oft wichtige Nährstoffe fehlten. Die Regelleistungen reichten kaum aus, um sich vollwertig und ausreichend zu ernähren. Aus der Finanznot der Betroffenen und dem zunehmenden Industrialisierungsgrad von Nahrungsmitteln entstehe eine Mangelernährung.

Besonders für Kinder seien die Folgen fatal, weil aus einer Mangelernährung Wachstums- und Entwicklungsstörungen sowie zum Teil schwere Krankheiten entstehen können. Schließlich gehe es nicht nur darum, kurzfristig satt zu werden, sondern vor allem darum, gesund zu bleiben! Laut den Erkenntnissen der Welternährungsorganisation FAO führen Vitamin- und Mineralstoffmangel zu Wachstumsstörungen und Krankheiten, was auch volkswirtschaftlich schlecht sei, da die Betroffenen aufgrund ihrer schlechten Entwicklung im späteren Lebensalter wieder soziale Leistungen wie Hartz IV benötigen würden. Ein Ansatz, den Erwerbslosen- und Sozialverbände fordern, sei die sofortige Anhebung der Hartz-IV-Regelleistungen auf 500 Euro.

 

3. Die Hartz-Gesetze haben unser Land drastisch verändert: Für Millionen Betroffene ist keine Teilhabe am normalen Leben mehr möglich. Mareike Homberg war Mitarbeiterin in einem Umweltinstitut, bevor ihr mit Ende 40 von der nahe gelegenen Universität angeboten wurde, aufgrund ihrer Berufserfahrung auch ohne Abitur zu studieren. Natürlich war das späte Studium ein Risiko, doch hätte sie sich nie träumen lassen, dass sie nun, mit Ende 50, derart im Nichts ankommen könnte: Jetzt gibt ihr niemand einen Job, und auch wenn sie sich mehrfach engagiert, schlägt ihr nach zwei Jahrzehnten Berufserfahrung plus Studium nur noch die Verachtung entgegen, der hier jeder Hartz-IV-Bezieher ausgesetzt ist.

Seit sie von Hartz IV vegetieren muss, besteht ihr Alltag im Prinzip nur noch aus Behördengängen, im Supermarkt einkaufen, im Secondhand-Laden ein Schnäppchen ergattern. Abweichungen sind unbezahlbar, weil die staatliche Transferleistung nur zum bloßen Überleben reicht. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist unbezahlbar geworden. Als Freunde ihr zu Weihnachten Geld auf ihr Konto überweisen, wird es ihr nach dem Zuflussprinzip vom Staat weggenommen.

Als sie plant, sich selbständig zu machen, bei Kindern Lust auf Naturwissenschaften zu wecken, erhält sie wegen einer unsicheren Prognose keinerlei Starthilfe vom Jobcenter. Das hindert die Behörde jedoch nicht daran, ihr ein halbes Jahr monatlich nur 180 Euro zu überweisen, damit auf keinen Fall ein möglicher Gewinn auf ihrem Konto landen könne. Mit der Existenzangst im Nacken bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Selbständigkeit aufzugeben.

Manchmal geht sie zur „Tafel“. Sie findet gut, dass sie dort Lebensmittel bekommt, deren Haltbarkeit abgelaufen ist. Dennoch fühlt sie sich später zu Hause „wie der Inhalt der Tüte, nämlich gammelig“. Mareike Homberg sagt, mit Hartz IV sehe sie die Welt nur noch von unten. Leben bedeute für sie Existenz sichern und Hartz IV kaschieren. Am schlimmsten sei für sie der totale Respektverlust, den das Almosen vom Staat mit sich bringe.

Der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer stellt fest, dass Arbeitslosigkeit die Alltagsstruktur, den Status und den Respekt der anderen zerstörte und damit das Selbstbewusstsein. Nach seiner Diagnose habe sich nach zehn Jahren Hartz IV in alle Lebensbereiche eine autoritäre Form des Kapitalismus gefressen, die selbst vor der Familie nicht haltmacht. Der Kapitalismus interessiere sich nicht für Integration, sondern für Konkurrenz, weswegen Menschen nach Effizienz und Nützlichkeit beurteilt werden, nicht aber in ihrer Gleichwertigkeit. Hartz IV signalisiert nun, dass hier jemand nicht mehr brauchbar, „überflüssig“ geworden sei.

Heitmeyer spricht von einer „rohen Bürgerlichkeit“, die durch selbst verunsicherte Bürger entstünde, die ihre privilegierten Positionen sichern wollten. Die große Verunsicherung entstünde durch die rapide Abwärtsspirale, in die auch Menschen aus vergleichsweise gut situierten Verhältnissen aus der Gesellschaft geschleudert werden können. Selbst gute Noten, eine Lehre als Bankkaufmann, ein schnelles Studium, eine Stelle als Führungskraft führen nicht mehr automatisch zum Erfolg, sondern manchmal auch in den Abgrund von Hartz IV, so wie im Fall von Thomas Stochas, der sich mit den Geschäftspraktiken seines Unternehmens schwer tat und dem noch in der Probezeit gekündigt wurde.

Weil er mit Mitte 20 noch keine zwölf Monate in Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, landet er subito in Hartz IV. Beim Jobcenter muss er sich rechtfertigen, warum er seinen Arbeitsplatz verloren habe. Ihm wird angekündigt, dass die Behörde ihn ohne Rücksicht auf seine Qualifikation als „erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen“ vermitteln würde, wenn er nicht selbst schnell etwas finde. „Leistungsberechtigter“ klingt zwar niedlich-nett, doch im Jobcenter wird Stochas von Anfang an als Bittsteller schuldig gesprochen: Wer Geld vom Staat bekommt, soll sich schuldig fühlen. Auch die Bezeichnung „Kunde“ ist mehr als irreführend.

Armutsforscher Christoph Butterwegge kritisiert, dass ein Kunde Geld mitbringe und bestimmen könne, was ihm der Verkäufer anbiete. Aber der Arbeitslose komme ja, weil er kein Geld habe. Butterwegge nennt den Kundenbegriff eine Verhöhnung, die an Zynismus kaum zu überbieten sei. Er verdecke, dass die Arbeitslosigkeit unter Hartz IV von einem Strukturproblem zu einem individuellen Problem umdefiniert worden sei. Auch verdecke er die Verlagerung der Schuldfrage, weil nun Erwerbslose selbst in einem Wettbewerb zueinander stünden, der auch noch die letzte Solidarität zerbrechen lasse.

In den Jobcentern konzentrieren die Mitarbeiter ihre Vermittlung eher auf die sogenannten „A-Kunden“, die als schnell vermittelbar gälten. So fällt es leicht, die schwerer zu vermittelnden „B-“ und „C-Kunden“ der Faulheit zu bezichtigen. Auch wenn nur eine verschwindend geringe Anzahl an Erwerbslosen keiner Arbeit nachgehen will, werden nur zu gerne alle unter Generalverdacht gestellt. Es gibt aber auch Jobcenter-Mitarbeiter(innen) wie die vom Dienst suspendierte Inge Hannemann, die bestürzt darüber sind, welch tiefe Spuren Hartz IV bei den Betroffenen hinterlässt: Sie müssen sich oft wie entmündigt und völlig ausgeliefert fühlen. Natürlich steigt Wut hoch, wenn wegen nicht bearbeiteter Anträge kein Geld kommt oder wenn sinnlose Maßnahmen aufgezwungen werden.

Hannemann geißelt besonders die ständig drohenden Sanktionen in Form von Leistungskürzungen, sodass mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss, wer nur einen Termin versäumt hat. Hartz bedeute Überwachung und Gängelung bis tief in die privaten Lebensverhältnisse hinein. So spricht Armutsforscher Butterwegge von einem totalitären System, das die Betroffenen nicht mehr loslasse, ihren Alltag total beherrsche und sie zwinge, ihr gesamtes Verhalten danach auszurichten. Der Staat maße sich an, über die Lebensweise von Millionen Beziehern der „Grundsicherung“ zu entscheiden, was einer institutionelle Diskriminierung gleichkomme.

Das Hartz-IV-System sei ein unglaublich rigides Armutsregime. Hartz IV bewirke eine Anspruchsreduktion, die mit einer Traumatisierung einhergehe. Die Menschen nähmen sich selbst zurück, würden gedemütigt und demoralisiert. Der Soziologe Dörre stellt fest, dass Hartz IV nicht nur bei den Betroffenen weitreichende Schäden hinterlasse, sondern bereits bei denen, die befürchten, auch ins ALG II fallen zu können, und deswegen zu den garstigen Konditionen des Niedriglohnsektors bereit sind.

Wer länger im Hartz-IV-Bezug bleibt, müsse sich mit seiner Lage arrangieren, sich anpassen, um zu überleben. Je stärker die Betroffenen ihre Lebensplanung und ihren Lebensstil veränderten, desto stärker unterschieden sie sich vom Rest der Gesellschaft. Sie würden so zur Zielscheibe der anderen und zögen sich aus der Öffentlichkeit zurück, würden unsichtbar. Lässt sich ein Leben mit Hartz IV eigentlich noch Leben nennen, wenn die Teilhabe am normalen Leben für Millionen Betroffene fast unmöglich geworden ist?

Es ist schön, dass immer mehr kritische Artikel zu zehn Jahren Hartz IV in den Zeitungen stehen. Doch finde ich selbst die Kritiker merkwürdig zahm. Selten lese ich mal, dass diese Gesetze doch ausgebaut wurden, um einen Dumpinglohnsektor auszubauen, um den Sozialstaat abzubauen, um vom Welfare- zum Workfare-System zu gelangen, neoliberal gesagt: vom fürsorgenden zum „aktivierenden“ Wohlfahrtsstaat. Obwohl die Profite der Konzerne seit Jahren ins Unermessliche steigen, die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, die Ungleichheit in der Welt immer schneller wächst, das reichste Prozent der Weltbevölkerung schon im kommenden Jahr mehr besitzen wird als die restlichen 99 Prozent, soll offenbar niemand mehr „umsonst“ versorgt werden, ohne sich sein kärgliches Almosen zum Vegetieren selbst sauer verdienen zu müssen.

Um eine weitere Zunahme der Ungleichheit zu stoppen, fordert „Oxfam“-Verband von Hilfs- und Entwicklungsorganisationen von den Staaten mehrere Maßnahmen: dass sie Steuervermeidung und Steuerflucht bekämpfen, das Kapital anstelle von Arbeit besteuern, Mindestlöhne einführen und die öffentlichen Dienstleistungen verbessern. Wie lange dauert es denn noch, bis ein tatsächlich existenzsicherndes, bedingungsloses Grundeinkommen für alle eingeführt wird?

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Zeitenwende

Es kommt einem vor wie eine neue Zeit, das mit dem Islam und den Islamisten. Was sind eigentlich Islamisten? Wenn man diese Frage mal in der Öffentlichkeit stellte, würde ich wetten, dass die meisten das Falsche antworten. Was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist, wird noch Jahre und Jahrzehnte andauern, dieser Religionskonflikt. Tatsache ist, wie in der Ukraine, wo jetzt mit Panzern agiert werden soll: Je schneller eine Lösung gefunden wird, desto weniger Tod und Elend wird es geben. Hätte man im Donezk-Konflikt erst mal eine Sonderzone eingerichtet mit der Ankündigung „Wir müssen weiter dran arbeiten“, dann hätte es die 1.000 vermeldeten Toten mit Flugzeugabsturz gar nicht gegeben, da bin ich mir ganz sicher.

Auch dieser schreckliche „Islamische Staat“ ist schon früh entstanden, nämlich sofort nach dem amerikanischen Angriffs- und Besatzungskrieg unter George W. Bush. Das Elend dauert bis heute an, und keiner tut mal etwas Konkretes. Da gibt es einen einzelnen guten Publizisten, der so viel Wissen in seiner jahrelangen Arbeit im Nahen Osten angesammelt hat, dem könnte man glatt die große Politik zutrauen: Jürgen Todenhöfer. Der kennt sich aus und hat es tatsächlich geschafft, mal direkt in die IS-Hölle reinzuschauen, und mahnt – was jetzt nur richtig sein kann. Und der Angstschreck „Pegida“? Die meisten Teilnehmer seien Bürger, die Angst haben.

Diese Angst und Unerklärbarkeit ist nichts Abstraktes. Was man nicht einsehen, berühren, kontaktieren kann, macht Angst.Schon seit 40 Jahre bereitet Migration Schwierigkeiten. Nur guter Wille, Wohnung, Geld, Essen und Fernseher: Das sollte reichen, um Menschen zusammenzuführen. Jetzt haben wir das, was wir jeden Tag schon über all in den Medien sehen und hören. Die Gesamtursache kennen die Sozialwissenschaftler schon lange: Großgesellschaften werden gleich zu machen versucht. Das ist in den Geschichten der meisten Völker zu sehen. Deutschland und Europa haben schon politisch-gesetzliche Konstruktionen, Jetzt muss es eigentlich möglich sein, die verschiedenen Kulturen in puncto Öffnung kennen zu lernen, im Vertrauen, alle in diese Einheitlichkeit rein zu bekommen.

Günni, der Mann mit dem großen Hut
 
Vorauseilende Frömmelei: Aldi-Süd-Kalifat verhängt Fatwa
gegen Hagia-Sophia-Museumsseife („Spiegel-Online“)

 

„Wir haben es satt!“

Harald BraunFast 50.000 Menschen nahmen am letzten Samstag in Berlin an der 5. bundesweiten Demonstration „Wir haben es satt!“ teil. Ein Bündnis von 100 Organisationen hatte dazu aufgerufen. Die Demonstration verband sich dieses Jahr besonders mit dem Protest gegen das geplante Handelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU. Georg Janßen von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ eröffnete die Auftaktkundgebung mit einer klaren Abgrenzung gegen jede Form von Rassismus und als „Umweltschützer“ getarnte Neonazis. Der Redner der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Matthias Brümmer, klagte die Überausbeutung von Mensch und Tier besonders in der Fleischproduktion an. „In einem System, wo die Zerstörung der Natur Grundlage ist, möchte ich nicht leben“, sagte Sybille Keitel von der Bürgerinitiative „Kontra Industrieschwein“. Sie brachte damit eine wachsende Kapitalismuskritik in der Umweltbewegung zum Ausdruck.

Der Demonstrationszug wurde von 90 Treckern aus vielen Bundesländern angeführt. Sie waren geschmückt mit Forderungen wie „Bauernhöfe statt Agrarindustrie“ und „Stoppt TTIP“. Zentrale Forderungen waren das Verbot von Genmanipulation, Massentierhaltung und Monokulturen. Sie kritisierten die Politik der Bundesregierung und insbesondere den Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), der zum Beispiel Tierfabriken fördert. Einheit und Entschlossenheit, das Handelsabkommen TTIP zu Fall zu bringen, prägten die Demonstration. Die Demonstranten richteten vielfältige fortschrittliche Forderungen gegen die Politik der internationalen Agrarindustrie und für eine regionale umweltgerechte, nachhaltige Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft. Zugleich gibt es noch starke Illusionen, dass die traditionelle bäuerliche Klein- Landwirtschaft die Lösung für die Menschheit sei.

Auf der Abschlusskundgebung sprachen internationale Gäste – unter anderem aus den USA – unter der Losung, über Ländergrenzen hinweg den gemeinsamen Kampf gegen die Handelsabkommen zu organisieren. Es war zu spüren, dass in der Umweltbewegung die Bereitschaft wächst, gemeinsam mit der Arbeiterbewegung und allen Unterdrückten gegen die Diktatur des internationalen Finanzkapitals zu kämpfen, um die Ausbeutung von Mensch und Natur zu beenden. Die nächste Gelegenheit dazu ist hier in Bremen das Treffen der neu gegründeten Umweltgewerkschaft am kommenden Samstag, dem 24. Januar 2015, um 15 Uhr im Raum von „Greenpeace“ in der Pappelstraße 35. Dort werden die Bremer Delegierten vom Gründungskongress berichten, und wir werden beraten, wie es im Widerstand gegen Fracking weitergehen soll und welche Aktion wir zum Jahrestag der Fukushima-Katastrophe am 11. März 2011 machen wollen. Wir freuen uns über neue Mitstreiter(innen) für die Rettung unserer Mutter Erde!

Aufrufen möchte ich außerdem zur überregionalen Demonstration gegen „Pegida“ und AfD unter dem Motto „Gemeinsam gegen Rechtspopulismus und Rassismus! Für Solidarität und soziale Gerechtigkeit!“ am 31. Januar 2015 um 13 Uhr am Brill. Im Aufruf heißt es: „Die AfD versucht wie die ‚Pegida‘-Bewegung, verfehlte Wohnungspolitik, Sozial- und Bildungsabbau, die Rente mit 67 und anderes für ihre Propaganda auszunutzen. Aber nicht Migrant(inn)en und Flüchtlinge sind schuld an Arbeitsplatzabbau, fehlendem sozialem Wohnungsbau, Bildungskürzungen, Hartz IV, Leiharbeit und Niedriglöhnen, Privatisierungen und einer unsozialen Politik. Egal, woher wir kommen – wir sind gemeinsam von den Auswirkungen dieser Politik betroffen! Wehren wir uns gemeinsam dagegen, statt uns spalten zu lassen!“

Harald Braun
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz