1. Kaum entspannte sich die Hochwasserlage in vielen Regionen, da wurden in Sachsen-Anhalt Stimmen laut, die ältere Erwerbslose als Billigstkräfte zum Beseitigen der Flutschäden heranziehen wollen. Unstrittig ist, dass die bedauernswerten Menschen in den überschwemmten Gebieten auf Hilfe von außen angewiesen sind. Warum diese Arbeit aber ausgerechnet von 3.000 über 50-jährigen Hartz IV-Beziehern verrichtet und denjenigen, die sich aufgrund von Gefahren weigern, eine Sanktion aufgedrückt werden soll, das lässt sich ist mit normalen Erklärungen kaum nachvollziehen!
Warum sollen es arbeitslose Menschen über 50 Jahren sein? Weil ihr Alter als Vermittlungshemmnis gilt und sie deswegen als schwer vermittelbar? Weil wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll, weswegen Zwangsarbeit endlich wieder legitimiert werden muss? Weil ältere Erwerbslose im Laufe ihres Lebens eine gereifte Immunabwehr gegen die größten hygienischen Probleme nach dem Ende der Flut – Typhus, Paratyphus, Salmonellosen, Ruhr, Coli-Enteritis, Hepatitis A, virusbedingte Durchfallerkrankungen, Hirnhautentzündung durch Enteroviren – erworben haben und sie deswegen keinerlei Schutzkleidung oder Schutzimpfungen bedürfen? Oder weil vereinzelte Erkrankungen unter ihnen nur als Kollateralschäden – wie gewohnt – noch nicht mal in der Statistik auftauchen würden?
Natürlich will hier niemand ältere Erwerbslose als unliebsame „Kunden“ loswerden, weil gar jedes Mittel recht sein könnte, um die Statistik zu bereinigen! Hier sind die Gutmenschen der Bundesagentur für Arbeit am Werk, die für Überfünfzigjährige ein Maßnahmenpaket geschaffen haben, mit dem sie als Ein-Euro-Jobber im Rahmen des Programms „Aktiv zur Rente“ mit teilweise schwerer körperlicher Arbeit endlich wieder „eingegliedert“ werden können! Für ihren Einsatz zur Beseitigung der Flutschäden bekommen die Probanden zusätzlich zu ihrem üppigen Regelsatz einen Euro pro Arbeitsstunde beziehungsweise maximal 160 Euro pro Monat – damit sie sich eine Schippe kaufen können.
Mir ist allerdings noch nicht so recht klar geworden, als was die über 50-jährigen Erwerbslosen dann „eingegliedert“ worden wären, denn bereits im Jahr 2010 hat eine Untersuchung des „Zentrums für Europäische Wirtschaftsförderung“ gezeigt, dass Menschen, die einen Ein-Euro-Job annehmen, nach einem Jahr seltener eine sozialversicherungspflichtige Anstellung erreichen als andere Langzeitarbeitslose.
Entgegen der landläufigen Praxis kam Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, nunmehr zu der Erkenntnis, dass weder Arbeitsgelegenheiten wie Ein-Euro-Jobs noch die sogenannte Bürgerarbeit zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit dienlich seien. Er plädiert dafür, Hartz-IV-Bezieher nicht weiter „in einer Parallelwelt besonderer Betreuungsräume abzuschirmen“, sondern sie stattdessen in ausgewählten Betrieben „marktnah“ zu beschäftigen, selbstredend mit einer wohltemperierten Förderung der Betriebe. Vergessen sollten wir nicht, dass die reale Arbeit in einer Firma wieder „das Gefühl von einem echten und nachgefragten Beitrag“ gebe.
Falls auch dieser alte Wein in neuen Schläuchen scheitere, sollte tatsächlich die „ehrliche Antwort auf die Frage gegeben werden, ob jemand tatsächlich erwerbsfähig ist“. Natürlich kann es immer nur an den persönlichen Mängeln der Erwerbslosen liegen und auf keinen Fall mit den nicht vorhandenen tatsächlichen Arbeitstellen! Was mit den Betroffenen, die am deutschen „Jobwunder“ leider nicht teilhaben konnten, konkret passieren soll, ließ Alt allerdings offen.
2. Seit letztem Jahr fordert das Jobcenter Bonn unter Androhung von einer Leistungsversagung, dass Hartz IV-Bezieher(innen) peinliche Mietbescheinigungen vorzulegen hätten, die den Bezug von Sozialleistungen unmittelbar offenlegen. Neben Angaben zur Wohnungsfläche, Heizung und Miethöhe werden dort auch Dinge wie die Lage der Wohnung, die Gebäudegröße oder das Fertigstellungsjahr erfragt. Besonders zweifelhaft ist die Frage an den Vermieter, ob und in welcher Höhe Mietschulden bestehen. Der Sprecher des „Erwerbslosenforums Deutschland“, Martin Behrsing, sagte, dass es nicht nur für viele Menschen unangenehm sei, ihre schwierige wirtschaftliche Lage als Hartz-IV-Bezieher zu offenbaren, sondern dass sie Anspruch auf Wahrung des Sozialdatenschutzes hätten, soweit dies bei der gesetzlich legalisierten Durchleuchtung ihrer Lebensverhältnisse überhaupt möglich sei.
Die derzeitige Praxis des Jobcenters sei nicht nur höchst unsensibel, sondern verstoße gegen Datenschutzbestimmungen. Aus Sicht von Martin Behrsing müssen derartige Formulare im Normalfall nicht ausgefüllt werden. Das Jobcenter darf deshalb schon gar nicht mit einer Leistungskürzung drohen! Kann mit diesen Formularen der Verfolgungsbetreuung noch ein anderes Ziel angestrebt werden, als die Hartz-IV-Bezieher(innen) noch weiter zu beschämen, zu demütigen, zu diskriminieren, ihren Datenschutz grundlegend zu missachten?
3. Letzte Woche endete ein Fachtag zur Förderung Alleinerziehender, deren Zahl in Bremen besonders hoch ist. Während im Bundesdurchschnitt jede fünfte Familie mit Kindern unter 18 Jahren mit nur einem Elternteil lebt, ist es in Bremen jede dritte. 90 Prozent der 18.000 Alleinerziehenden sind Mütter, zwei Drittel sind dabei berufstätig, 30 Prozent verdienen so wenig, dass sie noch mit ALG II aufstocken müssen. Die mangelhaften Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind ein anderes Problem, das sich in Bremen durch den gestoppten Ausbau von Ganztagsgrundschulen, um Plätze für Unterdreijährige zu finanzieren, noch verschärft.
Dabei fehlen ohnehin jedes Jahr in Bremen Hunderte Plätze in Kindergarten-Horten für Grundschulkinder, wie die Fraktion der Linkspartei in den vergangenen Monaten mehrfach kritisiert hatte. Trotz des Rechtsanspruches geht es Eltern jüngerer Kinder nicht besser, weil im laufenden Kindergartenjahr nur mit sehr viel Glück ein Platz zu bekommen ist. Was nützt einer Mutter ihr Arbeitsplatz, wenn sie diesen erst Monate später antreten könne? Bei 170 im Jobcenter gemeldeten arbeitslosen Frauen steht als Vermittlungshindernis: „Kinderbetreuung nicht gesichert“. Dass trotz des Rechtsanspruches ab dem 1. August 2013 für Kinder ab einem Jahr nicht nur in Bremen noch etliche Plätze fehlen werden, ist nicht nur ein Problem für Alleinerziehende.
Laut Sozialbehörde seien 206 zusätzliche Plätze für Unterdreijährige geschaffen worden, auch könnten noch Tagesmütter Kinder aufnehmen. Doch sei dieser Anspruch offenbar nur dann zu verwirklichen, wenn an der Qualität der Unterbringung und der Ausbildung derjenigen, die die Kinder betreuen, gespart werde. Dann können eben nur die Eltern mit dem gut gefüllten Portemonnaie ihre jungen Kinder in kleinere Gruppen geben, in denen ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Dabei sollte doch gewährleistet sein, dass gute Bildung für alle gewährleistet ist.
Leider ändert sich überhaupt nichts daran, dass der Bildungserfolg von Kindern in Deutschland stark von der Herkunft abhängt, egal wie oft es gebetsmühlenartig wiederholt wird. Wenn es dabei bleibt, jedes Jahr eine Untersuchung zu starten und ansonsten nicht wirklich etwas für echte Chancengleichheit getan wird, dann darf sich niemand darüber wundern, dass ständig wiedergekäut wird, Bremen liege zwar bezüglich Integrationskraft und Schulabschlüssen im mittleren Bereich, bei zwei anderen Punkten im Ländervergleich aber weit hinten.
Ich finde es auch erschreckend, dass die Redakteure es noch immer nicht schaffen, nicht so derartig diskriminierend von Familien mit wenig Geld zu schreiben. So steht dann bei der Erhebung zur Kompetenzförderung, dass soziale Herkunft nach wie vor sehr stark den Lernerfolg beeinflusste und Bremer Grundschüler aus „sozial schwachen“ Familien bei der Lesekompetenz fast ein Jahr hinter den anderen Kindern zurück lägen. Es ist eine Frechheit, dass finanziell schwachen Familien ihre sozialen Fähigkeiten einfach mal so eben abgesprochen werden!