387. Bremer Montagsdemo
am 13. 08. 2012  I◄◄  ►►I

 

Zehn Jahre Armut per Gesetz

Hans-Dieter Binder Hartz IV wurde in Lissabon vereinbart. Ger­hard Schröder hat bloß abgeschrieben, und zwar aus der Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die „Um­set­zung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003 bis 2005“ vom 21. Januar 2004. Dort wurden Empfehlungen an die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zur neoliberalen Umsetzbarkeit der Wirtschaftspolitik aufgelistet, denen die deutschen Regierungen seit Schröder willfährig folgten.

Diese Ursache scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Ebenso, dass die Hand zur Formulierung der Lissabonner Ziele von der „Bertelsmann-Stiftung“ geführt wurde. Die Änderungen der Arbeitslosenstatistik haben dann den „Arbeits­losenschwund“ und auch das „Jobwunder“ erst möglich gemacht.

Ende 2011 stammelte Peter Hartz rückblickend folgenden Satz ins Mikrofon: „Alle Hartz-IV-Kritiker, die das mit mir und meiner Person in Verbindung bringen, wenn die sich einmal vor Augen führen, dass in unseren Ausgangsvorschlägen die ALG-II-Grundvergütung, wo man jetzt immer so sich gezofft hat, von 359 auf 364 Euro, dass unser Ausgangsvorschlag 511 Euro war, weil wir hatten überhaupt keine Diskussion, dass es ein menschenwürdiges Einkommen sein muss.“

Bei der Regelsatzhöhe für ALG II wurde der am 16. August 2002 vorgelegte Vorschlag der Hartz-Kommission aber nicht akzeptiert. Im Dezember 2003 wurde das SGB II beschlossen, ohne die Regelsatzhöhe festzulegen. Diese Aufgabe wurde einer anderen Kommission übertragen, die sich dann allerdings weigerte, Schröders Vorstellungen hinsichtlich einer wesentlich geringeren Regelsatzhöhe zuzustimmen. Daraufhin wurde die Kommision ausgetauscht, und die neuen Mitglieder billigten den Regierungsvorschlag.

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Arme sollen nicht klagen: Schwarz-Gelb will Prozesskostenhilfe
einschränken („Neues Deutschland“)
 
Sanktionen sind grundgesetzwidrig: Verfassungsgericht bekräftigt „unverfügbaren Anspruch“ auf Gewährleistung des Existenzminimums („Randzone“)

 

Mögen die „Reformer“ im
„Sozialdickicht“ stecken bleiben

Elisabeth Graf 1. Trotz der „fantastischen Arbeitsmarktlage“ bezieht über die Hälfte der Erwerbslosen, die von Hartz IV vegetieren, diese Leistung bereits länger als zwei Jahre. Viele Langzeitarbeitslose finden immer schwieriger einen Arbeitsplatz. In Ostdeutschland liegt der Anteil der Dauerbezieher von staatlicher Grundsicherung bei knapp 65 Prozent, in den alten Bundesländern sind es rund 59 Prozent. Auch die Zahl der Erwerbstätigen, die sich wegen eines mangelnden Mindestlohns für einen Dumpinglohn ausbeuten lassen müssen, deswegen mindestens zwei Jahre lang als „Aufstocker“ zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind und die Verfolgungsbetreuung gratis dazu bekommen, erhöhte sich seit 2009 um etwa fünf Punkte auf knapp 60 Prozent. Immer mehr Menschen beziehen Hartz IV auf Dauer, weil es auf dem Arbeitsmarkt gerade so „gut“ ausschaut – wie mag es dort bloß bei einer düstereren Prognose aussehen? Da kann die Bundesregierung bei der Arbeitsmarktförderung ja guten Gewissens die Mittel drastisch zusammenstreichen!

 

2. Wenn der „Städte- und Gemeindebund“ jetzt eine „grundlegende Neuordnung aller Sozialleistungen“ in Deutschland, eine „vollkommene Reform des Sozialstaates“ fordert, dann würde ich natürlich niemals annehmen, dass dies mit weiteren Kürzungen verbunden sein könnte! Auch nicht, wenn da von einem „fast undurchdringlichen Sozialdickicht“ die Rede ist, das „komplett auf den Prüfstand“ gehöre und „auf seine Wirkung abgeklopft werden“ müsse. Aber wenn tatsächlich nach dem „Vorbild“ der Hartz-IV-Reform eine „Reform-Agenda 2020“ von einer vermeintlich unabhängigen Sachverständigenkommission ausgearbeitet werden soll, dann gruselt es mich jetzt schon: Ich sehe, wie die aktenkundigen Fachmänner mit Macheten und Brachialgewalt durchs Unterholz schlagen, blindwütig in die Wurzeln des Sozialstaates hauen und hacken, dass die Transferleistungen nur so wie Funken davon stieben.

Leider wird es ihnen nicht wie den Königsöhnen ergehen, die versuchten, ins Schloss zum verzauberten Dornröschen durch die Dornenhecke vorzudringen, aber darin stecken blieben. Hier schläft dem Vernehmen nach nicht der königliche Hofstaat, sondern das gesamte Parlament, das der Schuldenbremse das Grundgesetz opfern will! Anders als bei dem Märchen der Gebrüder Grimm wollen hier keine Prinzen eine verzauberte Prinzessin freien, sondern den Sozialstaat abbauen. Dies Arbeitsfeld scheint ein wahrhaft gefährliches Terrain zu sein, denn es gilt nicht nur einen Dschungel zu durchdringen, sondern offenbar auch noch eine politisch verminte Sozialpolitik. Vor lauter Metaphern fühle ich mich an ein Bewegungsspiel aus dem Kindergarten erinnert: „Wir gehen heut’ auf Löwenjagd und haben keine Angst“.

Obwohl es darum geht, den Sozialstaat massiv abzubauen, soll hier eine „Versachlichung der Debatte“ das Ziel sein, als ließen sich Menschen zu Sachen herabwerten. Auch wenn vor allem Städte und Gemeinden schon lange unter den seit Jahren steigenden Ausgaben für Sozialleistungen leiden, darf keinesfalls weiter an den unverzichtbaren Sozialleistungen gespart werden, sondern die Einnahmesituation gehört drastisch verändert! Da muss sich der Bund gefälligst angemessen an der Finanzierung gesamtstaatlicher Aufgaben beteiligen und die Vermögenden, die Unternehmer endlich mit angemessen hohen Steuern belasten! Völlig unmenschlich und grundfalsch ist es hingegen, die Eingliederungshilfe für Behinderte zu „reformieren“ (neudeutsch für kürzen), die Lebensarbeitszeit weiter zu verlängern und die „Eigenvorsorge“ auszubauen. Wer sollte denn von immer geringer werdenden Einnahmen selbst für sich Vorsorge treffen können? Dieser sich entwickelnden Verunmöglichung sollte der Staat vorbeugen!

 

3. Nach der aktuellen „Kids-Verbraucheranalyse“ bekommen Sechs- bis 13-Jährige fast zehn Prozent mehr Taschengeld als 2011. Mit durchschnittlich 27,18 Euro Taschengeld können sich Kinder auch mal größere Wünsche erfüllen. Auch die Summe der jährlichen Geldgeschenke stieg bei den Neun- bis 13-Jährigen im Vergleich zum Vorjahr um rund 6,6 Prozent auf 210 Euro im Jahr an. Zehn- bis 13-Jährige erhalten im Schnitt 34,30 Euro, Sechs- bis Neunjährige 18,78 Euro und mehr als die Hälfte der Vier- bis Fünfjährigen bereits 14,26 Euro Taschengeld im Monat, das sie je nach Alter für Süßigkeiten, Zeitschriften, Spielzeug und Handykosten ausgeben. Mittlerweile besitzen 78 Prozent der Zehn- bis 13-Jährigen ein eigenes Handy, über alle Altersgruppen hinweg sind es 53 Prozent.

Ich muss davon ausgehen, dass bei der „Kids-Verbraucheranalyse“ kaum die Kinder aus Familien mit Hartz IV befragt worden sein können, weil der Regelsatz für Erwachsene gegenwärtig 374 Euro, für Lebenspartner im gleichen Haushalt 337 Euro, für Erwachsene von 18 bis 24 Jahren im Haushalt der Eltern 287 Euro, für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren 287 Euro, für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren 251 Euro und für Kinder bis sechs Jahre 219 Euro vorsieht. Da in diesen viel zu knappen Sätzen das Kindergeld bereits enthalten ist und davon Kleidung, Essen sowie alle weiteren Lebenskosten bezahlt werden müssen, lässt sich gut vorstellen, dass die armen Kinder nur einen Bruchteil des durchschnittlichen Taschengeldes bekommen können, wenn überhaupt!

 

4. In der Gemeinschaftsgrundschule Bernberg bei Gummersbach müssen siebenjährige Kinder jeden Morgen für die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan beten und Schutzengel für sie basteln. Ihre Lehrerin hält sie auch dazu an, sich die Uhrzeit von Afghanistan und den dortigen Wetterbericht anzuhören. Mir stößt es sehr auf, wenn kleine Kinder derart für das Militär indoktriniert werden. Es darf kaum die Aufgabe einer Grundschule sein, gegenüber Erstklässlern das Militär durch psychologische Konditionierung zu verharmlosen. Es kann nicht angehen, dass hier Grundschüler von ihrer Lehrerin auf die Bundeswehr und ihren Afghanistan-Einsatz getrimmt werden, während nach wie vor eine Zweidrittel-Mehrheit der Deutschen diesen Einsatz zu Recht ablehnt. Jetzt müssen Friedens- und Konfliktpädagogen eingesetzt werden, um den Kindern zu vermitteln, dass Militär und Krieg keine Mittel sind, Konflikte zu lösen.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Bundeswehr baut Geisterstadt: Bei Magdeburg soll die Niederschlagung des „kommenden Aufstandes“ geprobt werden („Radio Utopie“)
 
Leyen-Logik: Wer nicht auf 35 Jahre Vollzeitarbeit kommt, hat wohl
„auf der faulen Haut“ gelegen („Nachdenkseiten“)
 
Stellenabbau zum Wohl der Profite: „Faule Erwerbslose“ müssen
in Großbritannien unbezahlte Arbeit verrichten („Junge Welt“)
 
„Getragen von einem zutiefst negativem Menschenbild“: „Mit Hartz IV wurde die soziale Spaltung der Gesellschaft mutwillig forciert“ („Blogspan“)
 
Für Arbeitsplätze gilt: Besser frisch gestrichen
als nie da gewesen („WDR 2 Kabarett“)
 
Gegen Gentrifizierung: Wir haben eigene Pläne
für unsere Stadt („Fotokiosk Hamburg“)

 

Millionen Menschen durch regionale Umweltkatastrophen in Not

Rasende Stürme, verbunden mit ungeheuren Regenmassen, haben auf den Philippinen und in China Millionen Menschen in schwere Not gebracht. Nach zwei Wochen sturzflutartigen Regens durch einen bisher nie erlebten „Monster-Monsun“ sind auf den Philippinen jetzt rund zwei Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Zwischen 60 und 80 Prozent der Hauptstadt Manila stehen unter Wasser. Besonders schwer trifft es die Armenviertel. Durch manche Straßen rissen sechs Meter hohe Wassermassen alles mit sich. Ganze Stadtgebiete sind von der Außenwelt abgeschnitten.

Harald BraunHunderttausende sitzen in überfluteten Gebieten teils in Notunterkünften fest. Mindestens 30 Menschen mussten bisher in diesem Unwetter ihr Leben lassen. In den umliegenden Regionen sind weitere 1,4 Millionen Menschen von den Überschwemmungen betroffen und müssen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Seit über 15 Jahren nehmen Zahl und Stärke der Stürme und Überschwemmungen auf den Philippinen ständig zu. Die aktuellen Überschwemmungen in Manila sind die schwersten seit 2009, als 460 Einwohner durch den Taifun „Ketsana“ ums Leben kamen.

Eine wesentliche Ursache dieser „Super-Taifune“ und „Monster-Monsune“ ist die seit Jahren ansteigende Temperatur des Pazifiks. Die Temperatur des Indischen Ozeans hat sich innerhalb weniger Jahre durch die Erderwärmung um durchschnittlich zwei Grad erhöht. Je höher aber die Wassertemperatur des Ozeans ist, desto stärker wird die Gewalt der Stürme, denn dadurch können große Wassermengen verdunsten und mit der warmen Luft aufsteigen, die sich zu drehen beginnt. Umso massiver sind auch die Regenmassen in den Ländern Asiens, während zugleich zum wiederholten Mal die Regenzeiten am Horn von Afrika ausfallen.

Die rasante Zunahme regionaler Umweltkatastrophen ist ein Anzeichen dafür, dass sich der Übergang in eine globale Umweltkatastrophe deutlich beschleunigt. Dabei erleben wir heute nur die Auswirkungen der Erderwärmung durch den Kohlendioxid-Ausstoß, der vor 30 Jahren stattfand, denn Gase wie Kohlendioxid oder Methan brauchen Jahrzehnte, um ihre Wirkung auf das Klima voll zu entwickeln. Aber die internationalen Großkonzerne treiben durch die immer weitere Verbrennung fossiler Energien die künstlich erzeugte Erderwärmung ungebremst voran.

Dagegen muss sich ein weltweiter Widerstand zum Schutz der natürlichen Umwelt organisieren. Die Entwicklung des Kapitalismus hat einen Punkt erreicht, an dem er grundsätzlich unvereinbar wird mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit. Daher setzt sich der konsequente Kampf zur Rettung der Umwelt auch das Ziel einer neuen Gesellschaftsordnung: die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt! Dann wird die Produktions- und Lebensweise nicht mehr dem Profitdiktat unterworfen, sondern die Bedürfnisse der Menschen und der Schutz der Umwelt stehen im Mittelpunkt.

Aktuell bitten verschiedene Organisationen auf den Philippinen dringend um Hilfe für die Flutopfer. In Deutschland wird Hilfe koordiniert von den „Deutsch-Phi­lippinischen Freunden“, die garantieren, dass Spenden innerhalb eines Tages ohne Abzüge auf den Philippinen angekommen. Die Hilfsaktion dient vor allem dazu, Lebensmittel, Kleider, Wasser, Matratzen, Decken, Arzneimittel und andere Güter für die Betroffenen in den Wohngebieten der Arbeiter und städtischen Armen zu organisieren (Spendenkonto der DPF: Deutsche Bank 24 Langenfeld, Kontonummer 408 1550, Bankleitzahl 300 700 24, Stichwort: Flut Manila).

Harald Braun
 
Mumien, Monstren, Mutationen: Fukushima „bereichert“
die (Ab-)Artenvielfalt („Bild“-Zeitung)

 

Die „Wachstumserfolge“ werden das Dinosauriersterben übertreffen

Was ist noch ehrlich und wahr, wenn die Regierung immer wieder ihre „Wahrheit“ von ihren Wachstumserfolgen nennt und die Arbeitslosigkeit prozentual zum großen Teil pauschal schöngerechnet singt? Dann tanzen die Medien das der Masse im Einklang zum krönenden Erfolg. Das erinnert an damals, an die „Deutsche Wochenschau“: „Nur wir sind richtig, und alles ist Erfolg mit Sieg!“ Es ist unsere heimliche Indoktrinierung, die die echte Wahrheit immer schwieriger finden lassen soll. Es sind Wahrheit und Lüge, Geld und Gewinne, und das weltweit, die den Kapitalismus bald so grauenhaft machen wie im neoliberalen England vor 150 Jahren.

Was die da oben gleich als „human“ zusammenschwätzen! Wo der König damals seine Leibeigenen hatte, haben die Finanzmanager heute mit ihrem großen Betrug immer mehr Geld, also die königliche Macht von damals, und können für jeden auf der Welt bestimmen, was er tun und wie er leben soll. Gerade die Armen müssen da sein für diese Macht, sonst darf es keine Macht mehr geben. Im dunklen China, einem Riesenland, sind auch die größten Unterschiede. Arm macht reich, und keiner soll mehr nachdenken im falschen Kommunismus! Dies ist das Elend, das die Zukunft zerstört, die Moral, die Wahrheit und alle Lebensgrundlagen.

Wirtschaft über alles auch hier, so radikal und so total, dass es an damals erinnert. Hier wird alles noch gemacht wie im Nationalsozialismus oder, ein bisschen milder, wie beim Kaiser. Das ist alles noch da, aber weit weg, wie die Bomber, die damals bei uns die Städte in unsichtbarem Leid kaputtschmissen. In so einer Art wird heute von Deutschland auch global kaputtgeschmissen, ob menschlich in China („Bloß nicht sagen, Sie sind ein Unrechtsstaat!“) oder in Paraguay, wo mal eben mit deutschem Geld aller Urwald umgepflügt wird. Das ist nur eine kleine Liste von den Gewissenlosigkeiten der deutschen Finanzmanager in der Welt. Wo soll das noch hinführen? Da muss ich mich schon mal als Prophet hinstellen: Das führt in Zukunft zum größten Wirtschafts- und Öko-GAU aller Menschen Zeiten. Das übertrifft sogar noch das Dinosauriersterben vor 65 Millionen Jahren!

Zuschrift von Günni, dem „Mann mit dem großen Hut“
 
Wozu Schutzschirm: Griechenland druckt sich frische Euros („Stern“)
 
Europa wartet aufs Bundesverfassungsgericht: Und das soll jetzt
auf den Europäischen Gerichtshof warten („Handelsblatt“)
 
Drei Notlandungen an einem Tag: Billigflieger
urlauben gefährlich („Spiegel-Online“)

 

Zur Beschneidung schweigen,
das ist nicht fortschrittlich

Gerolf D. Brettschneider1. Es ist vielleicht nur ein Neben-Aufreger in Zeiten der Euro-Krise, aber mich ärgert es, dass nur ein Rabbi zu kommen braucht, der sinngemäß sagt: „Ihr macht da ja wieder den totalen Holocaust in Deutschland“, und schon sind die Blockparteien im Bundestag bereit, das Kindeswohl und das Recht auf körperliche Unversehrtheit außer Kraft zu setzen. Ich hoffe, diese Willfährigkeit gegenüber reaktionären Religionen wird vom Verfassungsgericht kassiert. Aber wer klagt in den nächsten 18 Jahren?

Ihr schreibt mir: „Wir geben dir recht, dass es nur ein ‚Nebenaufreger‘ ist derzeit, der auch gezielt hochgepuscht wurde, um von wichtigeren Fragen abzulenken. Deshalb wollen wir nicht auch noch in der ‚Roten Fahne‘ die große Debatte darüber eröffnen.“ Klar, wir müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das uns hingehalten wird. Und gerade für die MLPD birgt eine Debatte zur Beschneidung die Gefahr schädlichen Streites mit verbündeten Migrantenorganisationen. Dem auszuweichen hat aber auch etwas Opportunistisch-antiaufklärerisch-unmarxistisches.

Ich will es noch einmal etwas weniger schlagwortartig sagen. Es gibt doch auch Menschen aus dem islamischen Kulturkreis, die den Ritus der Beschneidung nicht so ganz in Ordnung finden. Denen gebt ihr jedenfalls keine Hilfestellung, wenn ihr euch um eine Bewertung dieses Themas herumdrückt. Das ist nicht fortschrittlich. Für unseren örtlichen „Piratenkapitän“ war es dagegen eine Pflichtübung, sich mit dieser Frage zu beschäftigen – wohl auch, um „diskussionsfest“ zu werden. Der braucht natürlich nicht groß Rücksicht zu nehmen auf migrantische Empfindsamkeiten und kann sich locker religionskritisch äußern. Wie aus eurer Sicht mit dieser provokativ hochgepuschten, aber auch nicht substanzlosen – es werden Kinderrechte mit Füßen getreten – Debatte umzugehen ist, dazu hätte ich mir wenigstens einen kleinen Kommentar oder auch nur eine Glosse in der „Roten Fahne“ gewünscht.

 

2. Es ist ein wichtiges Thema, aber eine „Ernährungsberatung“, in der das Wort Eiweiß nicht vorkommt („Rote Fahne“ 32/2012, Seiten 12 und 13), und ein Bericht über eine Lebensmittel-Unverträglichkeit (Seite 11), der den Eindruck erweckt, Weizenprotein (Gluten) sei ein Giftstoff – das hat eine Schlagseite. Der Mensch lebt eben nicht nur von Fett und Kohlenhydraten, und nicht nur „an Vitamine und Spu­ren­ele­men­te sollte gedacht werden“, sondern er muss insbesondere seinen Bedarf an den acht essentiellen Aminosäuren decken. Dieser ist auch bei schwächenden Krankheiten wie Krebs, im Alter, im Wachstum sowie – was viele nicht glauben wollen – bei Übergewicht durch Fehl-Ernährung erhöht, spätestens wenn es zu Wassereinlagerung im Gewebe kommt.

Im erwähnten Brokkoli-Nudel-Menü ist leider nur die fette Wurst eine ernsthafte Eiweißquelle. Ich will jetzt nicht der Fleischfresserei das Wort reden, weil Massentierhaltung eine Ressourcenverschwendung und Umweltbelastung mit sich bringt. Aber die Proteine der einzelnen pflanzlichen Lebensmittel haben zunächst einmal eine vergleichsweise geringe biologische Wertigkeit, die nur durch geschickte Kombination – zum Beispiel Linsen, Leinsamen, Paranuss – erhöht werden kann, sodass sich die spezifischen Mängel an den enthaltenen essentiellen Aminosäuren ausgleichen. Darüber besteht allgemein großes Unwissen, während ihr hier ein paar Binsen ausbreitet, die regelmäßig in den Ernährungstipp-Rubriken der Illustrierten stehen.

In meinem Beispiel gleicht der Leinsamen den Tryptophan-Mangel der Lin­se aus und diese wiederum dessen Lysin-Mangel. Beiden gemein ist ein Methio­nin-Mangel, der durch einen entsprechenden Überschuss der Paranuss ausgeglichen werden kann. Es kommt aber noch auf die Mengenverhältnisse an, deren Berechnung anhand der Nährwerttabellen ziemlich schwierig ist. Bei euch klingt die Botschaft an: „Fett macht fett, aber Zucker macht fetter“, wobei der wichtige Hinweis fehlt: „Eiweiß macht satt“. Eiweiß macht auch zufrieden, denn als Vorstufe des Hirnbotenstoffs Serotonin ist die Aminosäure Tryptophan psychoaktiv. Miss­ge­stimmt­heit kann daher eine Variante des Hungergefühls sein.

Leserbriefe von Gerolf D. Brettschneider (parteilos) an die „Rote Fahne“

Es ist ein Missverständnis, wenn du meinst, dass es uns in der Debatte um Beschneidungen um opportunistische Rücksicht gegenüber Migrantenorganisationen geht. Wenn, dann müsste das Thema aber schon differenzierter behandelt werden als du es machst. Du ordnest das einfach unter Religionskritik ein. Auch wenn die Beschneidung von verschiedenen Religionen integriert und entsprechend verbrämt und instrumentalisiert wurde, hat sie doch einen langen kulturhistorischen Hintergrund, der bis in die Anfänge der Religion und der Entstehung der Klassengesellschaften zurück reicht. Sie hat viele Aspekte, und es gibt keinen Grund dafür, dass sich die „Rote Fahne“ einfach für oder gegen Beschneidung ausspricht. Das ist keine Frage, die unsere Linie und beschlossenen Positionen betrifft, genauso wenig wie die zahlreichen unterschiedlichen Ansichten zu Ernährungsfragen, wo wir ebenfalls nicht einfach im Sinne von Pro und Contra Stellung nehmen.

Antwort von Matthias (Redaktion „Rote Fahne“) – Nach Erhalt dieser Antwort hat Gerolf sein seit acht Jahren bestehendes Abonnement gekündigt.

„Auch wenn die Beschneidung von verschiedenen Religionen integriert und entsprechend verbrämt und instrumentalisiert wurde, hat sie doch einen langen kulturhistorischen Hintergrund, der bis in die Anfänge der Religion und der Entstehung der Klassengesellschaften zurück reicht.“ Dasselbe gilt nicht nur für Beschneidung, sondern beispielsweise für Inquisition und Hexenverfolgung sowie -verbrennung. Sie gehören ebenso zu den kulturhistorisch verankerten Menschenrechtsverletzungen. Ein langer kulturhistorischer Hintergrund kann daher auch kein Hindernis sein, sich aus religionskritischer oder menschenrechtlicher Sicht gegen die Steinigung von Ehebrecherinnen zu stellen, wie sie in fundamentalreligiösen Theokratien noch heute praktiziert wird, oder gegen die Verwehrung der sexuellen Selbstbestimmung, wie sie hierzulande in fun­da­men­tal­christlichen Kreisen betrieben wird.

Anmerkung von Frank Kleinschmidt (parteilos, „so:leb – Sozialer Lebensbund“)

Die Fleischkost enthielt in fast fertigem Zustand die wesentlichsten Stoffe, deren der Körper zu seinem Stoffwechsel bedarf; sie kürzte mit der Verdauung die Zeitdauer der übrigen vegetativen, dem Pflanzenleben entsprechenden Vorgänge im Körper ab und gewann damit mehr Zeit, mehr Stoff und mehr Lust für die Betätigung des eigentlich tierischen (animalischen) Lebens. Und je mehr der werdende Mensch sich von der Pflanze entfernte, desto mehr erhob er sich auch über das Tier. Wie die Gewöhnung an Pflanzennahrung neben dem Fleisch die wilden Katzen und Hunde zu Dienern des Menschen gemacht, so hat die Angewöhnung an die Fleischnahrung neben der Pflanzenkost wesentlich dazu beigetragen, dem werdenden Menschen Körperkraft und Selbständigkeit zu geben. Am wesentlichsten aber war die Wirkung der Fleischnahrung auf das Gehirn, dem nun die zu seiner Ernährung und Entwicklung nötigen Stoffe weit reichlicher zuflossen als vorher, und das sich daher von Geschlecht zu Geschlecht rascher und vollkommener ausbilden konnte. Mit Verlaub der Herren Vegetarianer, der Mensch ist nicht ohne Fleischnahrung zustande gekommen...

Friedrich Engels („Menschwerdung des Affen“, 1876)
 

 
Hunger durch Biosprit: Dürre in den USA lässt
Getreidepreis explodieren („Spiegel-Online“)
 

 
Schröder schweigt zum Urteil gegen „Pussy Riot“: Sollte das
mit seiner Lobby-Tätigkeit für Putins Gazprom-Konzern
zu tun haben? („Frankfurter Allgemeine Zeitung“)
 
Verfassungsgericht bricht Grundgesetz: „Im Schatten eines Arsenals
militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung
schwerlich gedeihen(„Nachdenkseiten“)
 
Optimistisches Sommerfest: Acht Jahre Hamburger
Montagsdemo („Rote Fahne News“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz