291. Bremer Montagsdemo
am 16. 08. 2010  I◄◄  ►►I

 

Bürger schicken ihre Kinder nicht mit der „Assi-Card“ an die Kasse

Elisabeth Graf1. Seit sechs Jahren gehen wir jeden Montag auf die Straße, um gegen die menschenverachtenden Hartz-Gesetze und die unsoziale Politik der jeweiligen bürgerlichen Bundesregierung zu protestieren. Sechs Jahre Montagsdemonstrationen beinhalten für mich konstruktive Empörung über die schamlose, neoliberale Umverteilung von unten nach oben. Sie stehen für Treffen mit lauter anderen „bunten Hunden“, die sich neben dem Protest gegenseitig den Rücken stärken, zur Arge – hier in Bremen: zur Bagis – begleiten und dazu einen Verein gründeten. Mich haben die Montagsdemos stark gemacht. Ich lernte, am Offenen Mikrofon frei zu sprechen und bekomme Anerkennung für meine kontinuierlichen Beiträge. Ich habe das inzwischen seltene Glück, mit 52 Jahren noch einen unbefristeten Job bekommen zu haben, in dem ich gerne arbeite und von dem ich auch leben kann. Aber es empört mich noch immer genauso, wie skrupellos die Menschen nur als Kostenfaktor betrachtet werden, wie alles nur noch durchökonomisiert bewertet und (m)eine soziale Denkweise als veraltet, weil nicht profitorientiert, angesehen wird!

Ich kämpfe weiterhin mit Worten dagegen, dass der Sozialstaat immer mehr abgebaut wird und seine finanziell armen, gleichsam ökonomisch überflüssigen Bürger sich auf der Müllkippe eines Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaates mit seinen „Tafeln“ und Kleiderkammern, wohin die Supermärkte ihre fast abgelaufenen Lebensmittel und die Wohlstandsbürger ihre abgetragene unmoderne Kleidung äußerst mildtätig und kostenlos entsorgen lassen können, wiederfinden sollen, während den „Not leidenden“ Bankstern die Milliarden auf Kosten der Steuerzahler in den raffgierigen Schlund gestopft werden! Wir wehren uns auch dagegen, dass Erwerbslose in Zwangsarbeit, von lovely Zensursula gerne als „Bürgerarbeit“ verniedlicht, gezwungen werden, wo die „Armutsindustrie“ viele lukrative Geschäfte mit der Armut auf dem Rücken der Arbeitslosen macht und durch die „Ein-Euro-Jobber“, an denen sich die Trägergesellschaften eine goldene Nase verdienen, massenhaft sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichtet werden!

 

2. Obwohl viele Arbeitnehmer schon mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen und es in manchen Berufsgruppen sogar nur bis 55 durchhalten, wirbt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen für die Rente mit 67. Außerdem gehen 60 Prozent aller Älteren keiner Arbeit nach, und nur jeder Dritte geht mit 65 Jahren in den verdienten Ruhestand. Ein Großteil der Älteren erreicht also schon heute das geltende gesetzliche Renteneintrittsalter nicht. Wer körperlich so schwer wie ein Dachdecker arbeitet, könne ja im Alter seine Arbeit auf dem Dachstuhl mit einer auf dem Bürostuhl vertauschen, der natürlich immer frei wird, sobald man ihn braucht! Angeblich will von der Leyen nicht auf den „Silberschatz“ des Alters verzichten, wenn sie mit einer Heraufsetzung des Renteneintrittsalters ohne eine Verbesserung der Beschäftigungschancen de facto eine Rentenkürzung einläutet. Im europäischen Vergleich liegt das gesetzliche Renteneintrittsalter für Frauen im Schnitt bei 62 Jahren, für Männern bei 64 Jahren, sodass Deutschland gar keinen Nachholbedarf hat. Wenn es jedoch durch eine weitere Rentenkürzung zur Altersarmut kommt, müssen andere Sozialversicherungssysteme einspringen. Entscheidend sei, dass gesellschaftspolitische Ziel einer sicheren, die Lebensleistung anerkennenden Rente wieder in den Mittelpunkt rückte. Pech bloß, wenn die Jahre für die Erziehung der Kinder ohne Betreuungsmöglichkeit oder die der unfreiwilligen Erwerbslosigkeit bei der Lebensarbeitszeit nicht entsprechend ausgeglichen werden!

 

3. Nachdem Deutschland nun doch dem Abwärtssog der Wirtschaftskrise entstiegen ist, regt sich der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker auf und kritisiert deutsches „Lohn- und Sozialdumping“. Er warnt vor Ungleichgewichten in Europa und findet, dass sich vor allem Deutschland nicht allein auf den Export verlassen dürfe. Sowohl Ökonomen aus den USA als auch die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde werfen Deutschland vor, in der Krise auf Kosten der Partnerländer gespart zu haben. Bereits im Frühling forderte der Luxemburger Premierminister Lohnerhöhungen in Deutschland. Juncker verglich die Lohnentwicklung von Luxemburg und Deutschland und stellte fest, dass die deutschen Arbeitnehmer seit Beginn der Währungsunion 1999 bis heute mit einer schmalen Lohnsteigerung von zwölf Prozent vorlieb nehmen mussten, während sich die Luxemburger über 41 Prozent mehr Geld freuen konnten. Daran, dass sich das Realeinkommen der deutschen Arbeitnehmer verschlechterte, seien unter anderem die Hartz-Reformen schuld, die „ganze Teile der Bevölkerung in den Niedriglohnsektor hinabgedrückt“ hätten. Vollkommen zu Recht regt Juncker sich darüber auf, dass „Millionen Menschen in Deutschland weniger als 700 Euro im Monat“ verdienen. Natürlich nimmt die Bundesregierung eine solche Kritik nicht an und lässt durch die Sprecherin des Arbeitsministeriums ausrichten, dass die Reformen am deutschen Arbeitsmarkt nicht nur zu mehr beschäftigungspolitischer Dynamik geführt, sondern auch die Eintrittsschwellen in den Arbeitsmarkt gesenkt und mehr Menschen in Arbeit gebracht hätten.

 

4. Als hätte es nicht gereicht, dass im März diesen Jahres ein unglaublicher Skandal aufgedeckt wurde – dass nämlich die gemeinnützige „AWO Service GmbH Neumünster“ Hartz-IV-Bezieher bei Pflegebedürftigen für 1,50 Euro die Stunde „Entlohnung“ einsetzte, selbst jedoch acht Euro für den Servicedienst verlangte und dann noch einmal 200 Euro sogenanntes „Regiegeld“ pro Monat von der Arbeitsagentur erhielt –, wurde jetzt ein weiterer Fall von Ausbeutung und Ausnutzung von Hartz-IV-Beziehern bekannt. In Gifhorn sollen bis zu 80 Ein-Euro-Jobber in den Werkstätten der diakonischen „Kästorf GmbH“ Ersatzteile für den Automobilhersteller VW produzieren, wofür die eingesetzten Hartz-IV-Bezieher 1,50 Euro in der Stunde bekommen, während die Diakonie fünf bis acht Euro erhält. Durch diese ungemein zusätzliche und ach so wahnsinnig gemeinnützige Arbeit werden auch wegen des „unschlagbaren“ Preises andere, reguläre Zulieferbetriebe verdrängt und im Umkehrschluss Arbeitsplätze vernichtet. Möglicherweise werden die früher regulär angestellten Arbeiter entlassen, dürfen jedoch aus reiner christlicher „Nächstenliebe“ einen Ein-Euro-Job ergattern, in dem sie für einem Hungerlohn dieselben Tätigkeiten verrichten wie früher, wobei sie dann auf zusätzliche Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind.

 

5. Das „Erwerbslosenforum Deutschland“ richtet schwere Vorwürfe an Unternehmen und die Bundesregierungen, weil es durch Hartz IV möglich wurde, dass Betrieb in Selbstbedienungsmentalität ihre Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit subventionieren lassen, indem sie „Hungerlöhne“ bezahlen und die Betroffenen auf Hartz IV verweisen. Unter diesen Bedingungen lasse sich nur noch von Hohn sprechen, wenn gleichzeitig auf Einhaltung des Lohnabstandsgebotes gepocht wird. Neben den Konjunkturpaketen erhielt die Wirtschaft offenbar klammheimlich noch einmal zusätzlich 50 Milliarden Euro aus dem Hartz-IV-Topf für Aufstocker, ohne sich an den Folgen dieser immensen Verschuldung beteiligen zu müssen. An dieser Stelle komme wirklich die Frage auf, wer hier die Sozialschmarotzer sind, die sich auf Kosten der Allgemeinheit in einer staatlich subventionierten Hängematte einrichteten, prangert Martin Behrsing, Sprecher des „Erwerbslosenforums“, an und beklagt, dass die Wirtschaft im Moment jede Glaubwürdigkeit verloren habe und dass wir uns vor ihren Funktionären schützen sollten, weil sie den Staat und die Beschäftigten ausnähmen. Es gebe jetzt erst recht kein Argument mehr gegen einen Mindestlohn von zehn Euro und eine Hartz-IV-Eckregelsatzerhöhung auf 500 Euro. Es seien unsere Unternehmen, die die Menschen in solch eine missliche Lage gebracht haben, sich trotz derartiger Gewinnsubventionen gegen Lohnerhöhungen sperren und gar noch eine Arbeitspflicht fordern. Die jetzige Bundesregierung müsse sofort gegen solche Auswüchse lenken und endlich die Gewinner der Krisen kräftig zur Kasse bitten!

 

6. Wenn die „Stern“-Umfrage wirklich repräsentativ ist, dann ist die Saat der Medienhetze gegen Hartz-IV-Bezieher aufgegangen, und 44 Prozent der Befragten würden tatsächlich sagen, der Regelsatz solle unverändert bleiben, acht Prozent sogar, er solle verringert werden, und 40 Prozent wären der Ansicht, dass der Satz heraufgesetzt werden sollte. Doch seien sich die Deutschen zu 79 Prozent darin einig, dass die Kinder von Langzeitarbeitslosen statt Bargeld verstärkt Gutscheine für Nachhilfe, Musikschule oder den Sportverein bekommen sollten.

Leider bewerten auch die Sozialbehörden in Bremen und Niedersachsen die vom Bund diskutierte „Chipkarte“ für Hartz-IV-Kinder positiv. Dabei wird an eine Art Scheckkarte gedacht, die mit einem Guthaben aufgeladen wird. Petra Kodré vom Bremer Sozialressort sagt, dass die Karte eine gute zusätzliche Förderung sei, wenn sie dazu genutzt würde, den Hartz-IV-Regelsatz der Kinder aufzustocken. Immerhin ist Frau Kodré dagegen, dass der Hartz-IV-Regelsatz dafür auch noch runtergekürzt würde. Das wäre ja wohl noch der krönende Hammer, frei nach dem Motto, dass der Regelsatz für Hartz-IV-Kinder immer schon reichte, die Eltern bloß das Geld nicht vernünftig einteilen konnten und es deswegen nicht bei ihren Kindern ankam! Ausufernde, verallgemeinernde, empörende Diskriminierung!

Absolut unglaubwürdig klingt in meinen Ohren die Aussage, dass die Chipkarten, um Kinder von Langzeitarbeitslosen angeblich nicht zu diskriminieren, auch an nichtbedürftige Kinder gehen sollten. Dann zahlen die Hartz-IV-Kinder gar kein bisschen auffällig an der Schwimmbadkasse mit der Chipkarte – und alle anderen mit dem Bargeld der Eltern. Denn ein Guthaben von aberwitzigen 200 Euro im Jahr – also ganz sagenhafte 16,67 Euro im Monat für Nachhilfe-, Musik- und Sportunterricht sowie für Theater-, Schwimmbad- und Zoobesuche –, die sind ja in Nullkommanichts verbraucht. Warum sollten sich die anderen Eltern die Mühe machen, umständlich und für sie völlig unsinnig die Scheckkarte nur aus Solidarität mit den nach wie vor ausgegrenzten Kindern neu aufzuladen? Klar, Frau von der Leyen: Mit diesen 16,67 Euro werden die Kinder wirklich gefördert und die Chancengleichheit erreicht! In meinen Augen soll das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2010 ganz zynisch auf Kosten der finanziell armen Kinder ausgetrickst werden.

 

7. Ein Hartz-IV-Bezieher aus Bremen klagte erfolgreich dagegen, dass ihm 30 Euro für Warmwasser von seinem Regelsatz abgezogen wurden. Normalerweise ist in der Stromkostenpauschale im Regelsatz das Geld für die Wassererwärmung enthalten, doch in immer mehr Wohnungen – auch bei der des Klägers – wird das Wasser über die Gastherme der Heizung erwärmt. Nach einer Wasseruhr wurden ihm 30 Euro für das Warmwasser berechnet. Weil die Warmwasserkosten bereits über die Strompauschale gedeckt seien, zog die Bremer Arge diesen Betrag komplett vom Regelsatz des Klägers ab. Erfreulicherweise sah dies das Sozialgericht anders und entschied, dass in den 30 Euro Warmwasserkosten auch Betriebskosten wie die Wartung enthalten sind, die nun von der Bagis zu tragen seien. Da bereits 70 Hartz-IV-Bezieher gegen ihren Bescheid Widerspruch einlegten, könnte nach dieser erfolgreichen Klage eine Klagewelle wegen zu hoher Abzüge beim Warmwasser auf die Bagis zukommen. Hoffen wir, dass sich immer mehr Menschen ihr Recht holen werden!

 

8. Ich finde es nicht verwunderlich, dass der Krankenstand bei Menschen ohne Job deutlich höher ist als bei Beschäftigten! Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt, dass Arbeitssuchende sogar doppelt so häufig krank sind wie Erwerbstätige. Arbeitslos zu werden, ist ein herber Schicksalsschlag, der im sozialen Aus des ALG-II-Bezuges nicht nur zementiert, sondern durch die mangelhafte Gesundheitsversorgung für Arme und Ausgegrenzte noch verstärkt wird. Für viele Erwerbslose wird der schlechte Gesundheitszustand zu einer Falle, die sie in der Arbeitslosigkeit hält. Gute Gesundheit zählt zu einem der wichtigsten Faktoren für die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Auch die psychischen Erkrankungen sind unter Erwerbslosen weit verbreitet, was nicht zuletzt dem Druck, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, und den damit verbundenen Rückschlägen zu verdanken ist. Verfolgungsbetreuung, Demütigungen und das Schüren von Existenzangst – das alltägliche Gängelband so vieler arger Arge-Mitarbeiter, die damit die ihnen ausgelieferten Erwerbslosen drangsalieren – geben das Ihre dazu! Ich persönlich machte die Erfahrung, dass sich dadurch die Erwerbslosen in zwei Verhaltensweisen aufteilen: Die einen werden depressiv, ziehen sich zurück, halten sich für wertlos und trauen sich nicht, sich zu wehren. Die anderen macht das wütend! Das finde ich die günstigere Art, damit umzugehen, sodass die Wut sich nicht destruktiv entlädt, sondern konstruktive, vernünftige Wege des Sichwehrens gefunden werden, mit anderen zusammen, wie zum Beispiel auf den Montagsdemos oder in den Arbeitsloseninitiativen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Vermieter bestätigen, dass Arbeitslosigkeit der Ablehnungsgrund ist

An den Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg! Sehr geehrter Herr Schwandner, gestern erfuhr ich von einem städtischen Mitarbeiter, dass es in der Stadt ein dringendes Problem gibt, welches allerdings den kommunalen Politikern schon seit sieben bis acht Jahren bekannt ist, ohne dass anscheinend das Geringste zur Verbesserung unternommen wird. Es handelt sich um das Problem für alleinlebende und junge Menschen, in Oldenburg eine angemessene Wohnung finden zu können. Nach Auskunft des Mitarbeiters der Stadt sind deshalb zurzeit mindestens 100 Menschen akut von Obdachlosigkeit bedroht. Besonders schwierig scheint die Wohnungssuche für die finanziell schlechter gestellten Menschen zu werden. Es ist mir bekannt, dass gerade Arbeitslose immer wieder gerade aus diesem Grunde von privaten Vermietern oder über deren Wohnungsvermittler abgelehnt werden und sogar bestätigt bekommen, dass der Grund der Ablehnung die Arbeitslosigkeit ist. Auch wenn auf der Internetseite der Wohnungsbaugesellschaft GSG wird man feststellen, dass die angebotenen Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen fast immer entweder von den Quadratmetern her zu groß sind oder im Preis über den Angemessenheitsgrenzen für Transferempfänger liegen. Zeitweise werden überhaupt keine Wohnungen für Oldenburg angeboten. Aus diesen Gründen möchte ich Ihnen während der Ratssitzung im September 2010 die folgenden Fragen stellen:

Hans-Dieter WegeWie werden Verwaltung, Politik und die Stadt Oldenburg als Miteigentümerin der Wohnungsbaugesellschaft GSG auf diese einwirken, damit für alleinstehende Personen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, endlich ausreichender angemessener Wohnraum zur Verfügung gestellt wird? Muss die Stadt, als Teil der Arge Oldenburg zuständig für die Kosten der Unterkunft, zukünftig auf die Angemessenheitsgrenzen bezüglich Größe und Preis verzichten, um die drohende Obdachlosigkeit von finanziell schlechter gestellten Menschen zu vermeiden, oder welche Maßnahmen wird die Stadt hierzu ergreifen, um in Kürze dieses Problems Herr zu werden? Müssen nicht zumindest die Angemessenheitsgrenzen bezüglich Preis und Größe von Wohnungen deutlich angehoben werden, damit auch wirklich jede Arbeitslose und jeder Arbeitslose überhaupt die Zustimmung der Arge für einen notwendigen Umzug erhalten kann, da bei Überschreitung dieser Grenzen die Anmietung beispielsweise einer GSG-Wohnung abgelehnt wird, oder muss die Stadt Oldenburg als Miteigentümerin der GSG auf diese einwirken, die Mietpreise abzusenken? – Ich möchte Sie bitten, mir alle diese Fragen während der Ratssitzung zu beantworten. Mit freundlichen Grüßen.

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner asozialer Politik)

 

Der Aufschwung XL – das ist kein „Sommermärchen“

Wirtschaftsminister Brüderle jubelt in den höchsten Tönen über einen angeblichen „Aufschwung XL“. Doch wir wissen, dass der Wolf Kreide gefressen hat, um das Rotkäppchen zu täuschen. Deshalb sollten wir die neuesten Zahlen kritisch unter die Lupe nehmen: Sie vermelden den „mit 2,2 Prozent höchsten Zuwachs seit der Wiedervereinigung“ – verschweigen aber, dass dieser Anstieg aus dem tiefsten Keller erfolgt. Um den vollständigen Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu vermeiden, wurden 2009 Billionen Dollar als „Konjunkturprogramme“ ausgeschüttet, die jetzt fast überall auslaufen. Inzwischen droht nicht nur Griechenland und Portugal, sondern Weltmächten wie den USA und Japan der Staatsbankrott. Um die gigantischen faulen Kredite zu verstecken, wurden allein in Europa 16 „Bad Banks“ gegründet. Die wirtschaftliche Belebung, die sich vor allem aus dem Export nach China stützt, ist auch nur eine kurzfristige Angelegenheit: Erstens geht in China selbst das Wachstum zurück, dort droht die nächste Spekulationsblase im Immobilien-Sektor zu platzen. Zweitens verlagern die Autokonzerne mit Hochdruck ihre Produktion nach China, was zur Schließung von Werken und zu Massenentlassungen in Deutschland führen wird.

Harald BraunDa stellt sich natürlich die Frage, warum Regierung, Konzerne und Banken in diesen Jubel vom angeblichen „Aufschwung“ verfallen. Sie wollen uns weismachen, dass sie alles im Griff haben und alles gut wird, wenn wir weitere Opfer bringen. Aber wer mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht die immer tieferen Krisen des Kapitalismus: Die regionalen Umweltkatastrophen im Golf von Mexiko, in Osteuropa und Pakistan haben die Lebensgrundlage von Millionen Menschen ruiniert. Die Tragödie bei der „Loveparade“ in Duisburg zeigt, dass aus reiner Profitmacherei das Leben und die psychische Zerstörung von Jugendlichen in Kauf genommen wird. Längere Laufzeiten der Atomkraftwerke sollen auf Kosten der Gesundheit und des Überlebens der Menschheit den Energiekonzernen Traumprofite sichern. Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan und anderswo für die Interessen der Mächtigen in diesem Land, gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Es gibt einen Aufschwung – aber nur in der Verarmung auf der ganzen Welt!

In Deutschland wurden in den letzten beiden Jahren zwei Millionen Arbeitsplätze umgewandelt in Leiharbeitsplätze. 50 Milliarden Euro gehen an „Aufstocker“, weil sie nicht von den Billigjobs leben können – das ist nichts anderes als Lohnsubvention an die Unternehmen aus unseren Steuergeldern! Noch nie waren so viele Jugendliche ohne Ausbildung und ohne Arbeit. 40 Prozent von ihnen finden bei ihrer Jobsuche nur ein prekäres Beschäftigungsverhältnis. Und jetzt sollen wir bald mit 70 in Rente gehen? Das ist doch keine lebenswerte Zukunft! Wenn wir heute sechs Jahre Montagsdemo feiern, dann sind wir stolz auf den gemeinsamen, demokratischen Widerstand. Wir wollen wachsen, denn es ist Zeit aufzustehen: Wir zeigen wir der Regierung, dass wir den längeren Atem haben! Wir diskutieren über unsere Zukunft, in der der Mensch im Mittelpunkt stehen soll und nicht mehr die Profitmacherei einer kleinen Schicht!

Harald Braun

 

Nie werden wir uns mit den Schikanen und Demütigungen abfinden

Wolfgang Lange1. Auf den Tag genau vor sechs Jahren gab es die erste Montagsdemonstration in Bremen gegen Hartz IV und Agenda 2010. Drei Wochen vorher hatten sie in Magdeburg mit 800 Menschen begonnen. Am 16. August 2004 waren es dann schon 250.000 bundesweit. In Bremen schwoll die Zahl innerhalb weniger Wochen auf über 700 an. Heute sind es zwar nicht mehr 250.000, aber in 120 Städten heißt es immer noch jeden Montag: „Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir!“ Den unermüdlichen Montagsdemos zu verdanken, dass die Hartz-Gesetze die am meisten verhassten Gesetze in Deutschland sind. Etliches wurde in der Zwischenzeit „nachgebessert“, was ohne die Montagsdemos kaum der Fall gewesen wäre. Aber es bleibt dabei: Hartz IV muss weg, ohne Wenn und Aber!

Gescheiterte Hartz-Politiker gibt es inzwischen zuhauf: Hartz selber, Schröder, Clement, Müntefering, Koch, Köhler oder Rüttgers. Es wird keinem Politiker gelingen, sich beim Volk beliebt zu machen, der gleichzeitig für Hartz IV eintritt! Das konnte Westerwelle mit seiner unsäglichen „Schmarotzer“-Hetze am eigenen Leib spüren: Die FDP würde nach ihrem 15-Prozent-Höhenflug heute nicht mal mehr in den Bundestag kommen. Die ganze Regierung findet nur noch circa 30 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung. Nicht gerade stabil!

Die Hartz-Gesetze richten sich gegen Arbeiter wie Arbeitslose: Sie bewirken eine Lohnsenkungsspirale ohne Ende nach unten. Von einst relativ oben im Vergleich zu anderen Ländern sind wir ganz ans Ende der Skala in Europa gerutscht. Niemals werden wir uns damit abfinden, dass man mit dem Wegfall der Arbeitslosenhilfe, die ja noch am früheren Lohn orientiert war, jetzt nach zwölf Monaten (maximal anderthalb Jahren – das war so ein kleine Nachbesserung!) in Hartz IV abrutscht, selbst wenn man vorher 30 Jahre am Stück malocht hat. Niemals werden wir uns mit den Schikanen der Argen und den Demütigungen abfinden und dass man uns unter Generalverdacht stellt, faul und betrügerisch zu sein!

Immer mehr Menschen können von ihrem Lohn nicht leben und brauchen ergänzend Hartz IV. Nicht einmal das Ziel, dem Staat Geld zu sparen, wurde mit Hartz IV erreicht. Stattdessen erfolgte eine gigantische Subventionierung der Unternehmer: Sie bezahlen nur Minilöhne oder sogar nur einen Euro pro Stunde, den Rest der Staat! Auch dass Hartz IV Zwangsarbeit bedeutet, haben wir nie verwunden, und wir werden uns nie damit abfinden. Nieder mit der Sklavenarbeit! Dass jetzt das Elterngeld für Hartz-IV-Betroffene gestrichen wurde sowie der vom Staat bezahlte Rentenversicherungsbeitrag, ist ein weiterer Angriff, den wir nicht hinnehmen.

Mit den Montagsdemonstrationen haben wir aber noch viel mehr erreicht als einzelne Verbesserungen. Wir sind in der Zeit zusammengewachsen und haben es gelernt, unsere Ansicht der Dinge frei und laut zu äußern. Wir haben uns eine Widerstandskultur erkämpft. Nicht mehr wegzudenken ist das Offene Mikrofon, das heute auf keiner Kundgebung und bei keinem Streik mehr fehlt: Es gehört sozusagen zum Standard. Mit den Montagsdemos entstanden Freundschaften, Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Wichtig ist immer, uns nicht spalten zu lassen in Arbeitende und Arbeitslose.

Montagsdemonstration heißt direkte Demokratie (wir wählen unsere Delegierten und treffen alle Entscheidungen demokratisch auf dem Marktplatz), Überparteilichkeit (die Montagsdemo lässt sich vor keinen Karren einer Partei spannen, und hier kommt jeder zu Wort außer Faschisten) und finanzielle Unabhängigkeit. Kurzum: Wir lernen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen! Das alles geht weit über den Tag hinaus: Wir praktizieren hier schon Prinzipien und Dinge, unsere Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, wie es in einer späteren, befreiten Gesellschaft sein wird.

Wir haben eine feste Struktur geschaffen: Wenn heute etwas passiert – ob israelischer Angriff auf Gaza, ob faschistischer Überfall oder der Kampf gegen AKWs –, bildet die Montagsdemo oft den ersten Rahmen für politische Aktionen. Auf uns ist Verlass: Wir sind hier jeden Montag um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz! Selbst ins Ausland strahlt die Montagsdemo aus: In Frankreich, Österreich und der Schweiz wurden bereits nach unserem Vorbild Montagsdemonstrationen organisiert. Die Montagdemo bildet auch das Rückgrat des Widerstands gegen das im Volk verhasste Projekt „Stuttgart 21“.

Jedes Jahr hat die Montagdemo-Bewegung eine große Herbstdemonstration in Berlin gegen die Regierung durchgeführt. Am 16. Oktober, also in genau zwei Monaten, findet sie dieses Jahr statt. Jetzt, wo die Regierung dazu übergegangen ist, die Krisenlasten auf den Rücken der Bevölkerung abzuwälzen, gleichzeitig aber ziemlich angezählt ist, wie die Umfrageergebnisse zeigen, ist es besonders wichtig, diese Großdemonstration zum Auftakt eines Heißen Herbstes zu machen! Kommt alle mit!

 

2. Die geplante Chipkarte für Kinder von Hartz-IV-Beziehern ist abzulehnen, weil sie reine Diskriminierung darstellt. Das ist nichts anderes, als statt Bargeld Gutscheine auszugeben, weil die „asozialen Hartz-IV-Empfänger“ sonst angeblich nur Schnaps und Kippen dafür kaufen. Tatsächlich blieben viele verschuldete Hartz-IV-Empfänger im August ohne Geld: Da die Überweisung schon am 30. Juli auf dem Konto war, wurde es von Gläubigern gepfändet und leer geräumt. Die Justizminister schieben alle Schuld auf die Banken, welche wiederum sagen, ihnen seien laut Gesetzeslage die Hände gebunden. Der Präsident des „Sozialverbands“ weiß, dass „viele Betroffene jetzt um ihre Existenz bangen müssen“.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck-712912,00.html

In Bad Nenndorf gab es letzten Samstag einen Naziaufmarsch. Das Verwaltungsgericht Hannover hatte eine Gegendemo mit der Begründung verboten, die Polizeikräfte reichten nur für eine Demo, und die Nazis hätten eben zuerst angemeldet. Der Witz ist: Sie haben sogar schon für die nächsten zehn Jahre im Voraus angemeldet! Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hob das Urteil zwar auf, verbot aber nicht den Naziaufmarsch. Die Antifaschisten mussten zwei Stunden früher eine „Standkundgebung“ abhalten, was zeigt: Die Gerichte sind keine neutrale Instanz. Die Stadt Bad Nenndorf und ihre Polizeibehörde hatten mit der Begründung argumentiert, mit zwei Demos „überfordert“ zu sein. Es ist grundsätzlich falsch, so defensiv gegen Faschisten vorzugehen und eine Gleichsetzung von Rechts und Links vorzunehmen! Die Faschisten müssen verboten werden, nicht nur in Bad Nenndorf, und ihre Organisationen aufgelöst, wie es das Grundgesetz fordert, demzufolge das Potsdamer Abkommen in Kraft bleibt! Am Samstag waren dann aber weit mehr als doppelt so viele Antifaschisten wie Nazis auf der Straße und behinderten erfolgreich deren Demo.

Für Mittwoch dieser Woche ist eine Anti-AKW-Demo in Berlin geplant mit Umzingelung des Regierungsviertels. Die Einspeisungsvergütung für Strom aus Solarzellen wird gesenkt, Kernkraftwerke sollen dafür mindestens 15 Jahre länger laufen. Der Weg für erneuerbare Energien wird also nicht geebnet, sondern verstopft! Auch hier lügt die Regierung (so wie sie bei Hartz IV gelogen hat, als sie sagte, sie müsse sparen, es sei kein Geld mehr für die hohen Sozialausgaben da: In Wirklichkeit wurde gar nichts gespart, Hartz IV kostet sogar noch Geld, aber davon profitieren die Konzerne und Verbände, die ihre Löhne extrem senken konnten, so weit, dass man nicht mehr davon leben kann). Beim Strom geht es nicht darum, dass davon zu wenig da wäre: Deutschland exportiert viel mehr Strom, als es importiert. Es geht nur darum, die Profite der Monopole zu erhöhen. In diesem Fall sind es genau vier – EON, RWE, Vattenfall und ENBW –, und wenn diese mit den Fingern schnipsen, tanzt die Regierung! Mit den alten, längst abgeschriebenen Schrottreaktoren wollen sie ein Schweinegeld verdienen. Erst letzte Woche gab es wieder einen schweren Störfall in Biblis I. Deswegen Atomkraftwerke sofort abschalten!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
Widersprechen Sie hier: Wenn Sie nicht wollen, dass Personalchefs nachsehen können, ob Sie in einem „Hartz-IV-Haus“ wohnen („Google Street View“)
 
Trödelei: Gut-Schein-Ursula legt die richterlich geforderten transparenten Grundsätze zur Regelsatzberechnung nicht vor („Nachdenkseiten“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz