1. In ihrem jüngsten Statistikbericht räumte die Bundesagentur für Arbeit ein, dass die Behörden im vergangenen Jahr in 162.300 Fällen falsche Hartz-IV-Bescheide erließen. Aus der Jahresstatistik der Behörde geht weiterhin hervor, dass 2009 in 830.200 Fällen Widerspruch eingelegt wurde und etwa jeder dritte Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Ich bin mir sicher, dass es sich hierbei nur um die Spitze des Eisberges handelt und die vielen Vergleiche sicherlich nicht zu den erfolgreichen Widersprüchen hinzugezählt werden! Wenn ich mir überlege, wie wenig Leute sich leider nur gegen falsche Bescheide wehren, weil sie es nicht merken oder sich nicht trauen, sich für ihr Recht einzusetzen, dann wage ich mir gar nicht das tatsächliche Ausmaß von falschen Bescheiden vorzustellen. Dabei führen zu wenig oder gar nicht überwiesene Bezüge die ALG-II-Bezieher oft in existenzielle Nöte, wie sie sich davon nicht Betroffene offenbar gar nicht vorstellen können! Wenn die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion „Die Linke“, Sabine Zimmermann, kommentiert, Hartz IV sei ein chaotisches System, das die Betroffenen drangsaliere und demütige, von niemandem mehr durchschaut werde und zu einer Klageexplosion an den Sozialgerichten geführt habe, dann kann ich dem nur voll und ganz zustimmen. Sie hat Recht, denn auf die neuen Zahlen zu falschen Hartz-IV-Bescheiden kann es nur eine Antwort geben: Hartz IV endlich abschaffen!
2. Die Jobcenter kommen aus der Kritik gar nicht mehr heraus: Nach „Spiegel-Online“-Informationen kontrollieren sie neuerdings auch die Zeugnisse von Schülern, deren Eltern Arbeitslosengeld II beziehen, und bedrohen sie mit Sanktionen, wenn sie sich weigern „zwecks Überprüfung der derzeitigen Verhältnisse“ ihr Halbjahreszeugnis einzureichen. Dabei entbehrt dies jeder Rechtsgrundlage: Die Argen dürfen nur eine Schulbescheinigung verlangen! Von Jugendlichen wurde der Verdacht geäußert, dass sie um jeden Preis eine Lehre beginnen sollen. Der 16-jährigen Jenny wurde eine Eingliederungsvereinbarung auf den Tisch gelegt, auf der sie unterschreiben sollte, dass sie sich darum bemühen werde, eine Lehrstelle zu finden. Doch Jenny suchte keinen Ausbildungsplatz, sie wollte nach der mittleren Reife auf die Berufsschule. Sie vermutet, dass der Berater sie wahrscheinlich zu einer Ausbildung drängen wollte, damit der Staat nicht mehr für sie zahlen müsse. Glücklicherweise beugte sich Jenny dem Drangsalierungsversuch nicht und bewarb sich erfolgreich an der Berufsschule, wo sie ab August der Lehrgang zur technischen Mediengestalterin beginnt. Die Arbeitsagentur weist diesen Vorwurf selbstredend entschieden zurück. Ich lese im „Erwerbslosenforum Deutschland“ aber von vielen derartigen Versuchen, Kinder von Arbeitsuchenden frühzeitig in Arbeit zu bringen und daran zu gewöhnen, wer hier angeblich das Sagen hat und sich über bestehende Gesetze hinwegzusetzen beliebt! Ich finde es nur gut, wenn die Jugendlichen ihre eigenen Ziele verfolgen wollen und sich bei ihren Eltern, bei Beratungsstellen oder im „Erwerbslosenforum“ Hilfe holen.
3. Nach einer Studie des „Instituts für Arbeit und Qualifikation“ an der Universität Duisburg-Essen sind inzwischen 20 Prozent der deutschen Beschäftigten Geringverdiener. Im keinem anderen Land wächst die Zahl derer, die von ihrem Lohn kaum leben können, so rasant wie bei uns. Ein Fall von staatlich verordneter, galoppierender Armut trotz Arbeit also! Bereits mehr als zwei Millionen Beschäftigte erhalten in Deutschland einen Bruttostundenlohn von weniger als sechs Euro, Tendenz steigend. Im Jahr 2008 erhielten rund 830.000 Menschen weniger als ein Drittel des Durchschnittseinkommens, somit im Westen Deutschlands einen Stundenlohn unter 4,75 Euro, im Osten unter 3,42 Euro. Weil sich die Zahl der Beschäftigten mit solchen Niedrigeinkommen innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, spielt Deutschland im internationalen Vergleich eine unrühmliche Sonderrolle. In vielen anderen europäischen Ländern werden derart niedrige Einkünfte sinnigerweise durch Mindestlöhne unterbunden!
4. In Frankfurt wurden 2009 im Jahresdurchschnitt 2.000 Langzeitarbeitslose in „Arbeitsgelegenheiten“ beschäftigt, in diesem Jahr sollen es 2.500 werden. Hartmut Bebendorf vom Rhein-Main Jobcenter findet, wer Ein-Euro-Jobs verteufele, mache es sich „ein wenig einfach“. Seiner Meinung nach bieten sie die Möglichkeit, Pünktlichkeit zu erlernen oder eine Weiterbildung zu machen. „Bei den Kunden sind die Arbeitsgelegenheiten beliebt.“ Es gibt sogar eine Warteliste für das Recycling-Zentrum der Werkstatt Frankfurt, wo Kühlschränke repariert werden. Das leuchtet ein, wenn demnächst viele ehemals Langzeitarbeitslose kaputte Kühlschränke auf dem ersten Arbeitsmarkt reparieren sollen! Die Frage ist nur, wer sie dann einstellt und ihnen auch Löhne dafür bezahlt, die dem Träger jetzt ja von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt werden. Natürlich, so heißt es, dürfen keine regulären Stellen durch Ein-Euro-Jobs verdrängt werden, und die Arbeitsgelegenheiten müssen gemeinnützig und zusätzlich sein. Reguläre Jobs werden ja auch nicht verdrängt, denn wer außer den Ein-Euro-Jobbern würde und könnte denn sonst gemeinnützig und zusätzlich Kühlschränke reparieren?
In der gemeinnützigen „Frankfurter Frauenbeschäftigungsgesellschaft“ wird von Langzeitarbeitslosen unter Anleitung ein Computerprogramm namens „Soziallotse“ entwickelt, das Hilfestellungen bei Fragen gibt, wo Geschäftskleidung für ein Bewerbungsgespräch ausgeliehen werden kann oder wo es den „Frankfurt-Pass“ gibt. Im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit könnten sich die Probanden auch zum Altenpflegehelfer oder zur Tagespflegemutter ausbilden lassen, junge Leute den Hauptschulabschluss nachholen. Weil eine Arbeitsgelegenheit erst dann angeboten wird, wenn alle anderen Maßnahmen wie Bewerbungstraining oder Vermittlungscoaching nicht greifen, lehnten keine zehn Prozent diese Arbeitsgelegenheiten ab. Obwohl das ein wahrhaft herziger Betrieb zu sein scheint, wird es dort aber sein wie anderswo auch, dass höchstens ein Prozent langfristig aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausgeholt wird, wohingegen die Positionsinhaber auf den Chefsesseln der Trägergesellschaften mit dicken, fetten Gehältern honoriert werden, weil sie bezahlt für sich arbeiten lassen. Eine tolle Leistung der Leistungsträger!
5. Das Märchen vom Fachkräftemangel beginnt nicht mit dem klassischen „Es war einmal“, sondern futuristisch-modern mit: „Es wird einmal“. Sogenannte Experten sind sich darin einig, dass, wenn nicht gegengesteuert wird, in einigen Jahren Deutschlands Unternehmen verzweifelt nach qualifiziertem Personal suchen werden. Noch bestehe dieser Fachkräftemangel heute nicht, aber in bestimmten Bereichen wie im Gesundheitssektor und bei den Ingenieuren bestehe ein erhöhter Bedarf an Arbeitskräften. Aber von einem generellen und branchenübergreifenden Mangel könne keine Rede sein. Noch nicht mal bei den sogenannten MINT-Qualifikationen, also Berufen, die Qualifikationen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften voraussetzen, besteht ein Mangel an Fachkräften. Offenbar spielt eine gute Portion politisches Gepolter mit hinein in den Streit um den Fachkräftemangel mitten im Sommerloch!
6. Prinzipiell ist es natürlich nur wunderbar, dass Hartz-IV-Bezieher nicht in einem Obdachlosenheim bleiben müssen, wenn ihnen die Behörden dort einen Platz zuweisen. Im Eilverfahren entschied das Landessozialgericht Essen, dass sie selbst auf Wohnungssuche gehen dürfen. Damit gaben die Richter einem 59-Jährigen Recht, der von einem zugewiesenen Zimmer in einem Obdachlosenheim in eine von ihm selbst angemietete Wohnung gezogen war (Aktenzeichen L 19 B 297/09 AS ER). Die zuständige Arge weigerte sich vorab, die nach ihrer Auffassung zu hohen Kosten für die neue Wohnung zu übernehmen. Nach dem Umzug wollte die Hartz-IV-Behörde dem Kläger weiterhin nur die 184 Euro Miete für das Zimmer in dem Übergangsheim erstatten. Dem widersprach nun das Landessozialgericht, weil der Umzug des 59-Jährigen erforderlich gewesen sei. Allerdings sprachen die Richter dem Kläger mit 323 Euro monatlich nur einen Teil der von ihm verlangten 380 Euro Monatsmiete einschließlich Nebenkosten zu, weil nach Einschätzung des Gerichts der Mietpreis der Wohnung über der angemessenen Referenzmiete von 5,40 Euro pro Quadratmeter läge. So gut das Urteil im Ansatz ist: Schlecht ist, dass die tatsächliche Miete nicht voll übernommen werden soll. In welchen Träumen gibt es tatsächlich derart niedrige Mieten? Im wirklichen Leben wohl kaum!
7. Letzten Samstag schien es gute Nachrichten für Arbeitslose zu geben: Auf „Spiegel-Online“ stand, dass ihre Bezüge künftig steigen könnten, wenn es nach Arbeitsministerin von der Leyen gehe. Sie plane weitreichende Korrekturen bei den Fürsorgeleistungen für Langzeitarbeitslose und Sozialfälle. Nach diesen Informationen werden die Hartz-IV-Regelsätze infolge einer Neuberechnung steigen. Dabei sollten Haushalte mit Kindern allerdings möglichst kein zusätzliches Geld bekommen, sondern sogenannte Teilhabe- und Bildungsgutscheine, die an bestimmte Zwecke, etwa Sport- und Freizeitangebote, gebunden sind. Das Mittagessen in Schulkantinen oder Horteinrichtungen soll künftig direkt von der zuständigen Behörde bezahlt werden. Wie sich die Hartz-IV-Bezüge weiterentwickeln, hängt nach den Plänen des Sozialministeriums je zur Hälfte von der Entwicklung der Nettolöhne und der Inflation ab. Die bisherige Kopplung an die Rentenentwicklung wird aufgegeben.
Jetzt verstehe ich noch besser, warum sich hierzulande der Billiglohnsektor so rasant ausgebreitet hat und sich kein flächendeckender Mindestlohn durchsetzen lässt: Es soll ja immer noch das Lohnabstandsgebot gewahrt werden! Lauter Gründe, das ALG II als angebliche Grundsicherung unten zu halten. Angeblich deuten jedoch die von der Bundesregierung herangezogenen Vergleichszahlen aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe beim Statistischen Bundesamt darauf hin, dass der Regelsatz bei einem Betrag von bis zu 400 Euro liegen müsste. Ich wage stark zu bezweifeln, dass der ALG-II-Satz wirklich angehoben wird – höchstens um so viel, wie bei der Pauschale für die Kosten der Unterkunft wieder abgezogen wird! Wenn der Regelsatz doch erhöht würde, dann sicher nur, wenn im Gegenzug flächendeckende Bürgerarbeit für lau eingeführt wird und die Unterkunftskosten pauschalisiert werden. Dass irgendetwas besser wird, glaubt doch hier wohl kein Mensch, bei dieser Regierung! Die Spekulationen gingen hin und her, und so dauerte es auch gar nicht lange, bis die Regierung höhere Hartz-IV-Regelsätze dementierte: Erst im Herbst werde die neue Einkommens- und Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamtes vorliegen, dann erst könne die Berechnung der neuen Regelsätze abgeschlossen werden.
Das schlägt dem Fass den Boden aus: Jetzt will Herr Brüderle die sogenannte Rentengarantie auflösen! Auch mir ist natürlich nicht entgangen, dass Frau Merkel dieses Unterfangen gestoppt hat. Wieder mal ein Dämpfer für die FDP? Aber hören wir noch einmal die Worte von Herrn Brüderle: „Es kann in Zukunft nicht mehr angehen, dass die Rente so garantiert wird! Das Geld muss erst einmal erarbeitet werden.„ Natürlich, Herr Brüderle, da haben Sie vollkommen Recht! Doch wieso soll eigentlich die Rente in Zukunft nicht steigen? Sie sagen, weil sie wieder an die Löhne angekoppelt werden soll. Aber dann sagen Sie bitte den Menschen auch, dass sie in Zukunft mit weniger Lohn auskommen müssen! Wenn die Renten wieder an die Löhne gebunden werden sollen, sehen Sie wohl die Löhne auch in Zukunft nicht steigen. Zweitens muss dann der zukünftige Rentner noch mehr vorsorgen, also von weniger Lohn auf die Seite legen. Ist das etwa bloß ein Ablenkungsmanöver, denn nach der sogenannten Gesundheitsreform haben die Rentner in Zukunft sowieso weniger Geld in den Taschen?
Herr Brüderle, Sie vertreten doch die Partei, die für „mehr Netto vom Brutto“ eintritt! Seien Sie doch bitte so nett und erklären Sie uns mal: Wie geht das eigentlich? Das trägt bestimmt nicht dazu bei, dass man Sie demnächst wiederwählt, und das ist auch gut so. Ich appelliere an das Gewissen aller Politiker! Warum geht ihr nicht mit gutem Beispiel voran? Wie wäre es, alle Politiker lebten mal für ein halbes Jahr auf Hartz-IV-Niveau? Ihre vollen Bezüge einschließlich Diäten erhielte dann ein Fonds, der den Betroffenen zugute käme. Dann lernten Sie endlich wieder einmal die Realität kennen, hätten eine gute Tat vollbracht, und der liebe Gott wird es Ihnen lohnen! Sie werden dann andere Menschen sein und sorgen endlich auch mal für jene, die Ihnen ihre Stimme gegeben haben! Die Renten würden dann in Zukunft auch wieder steigen, denn Herr Brüderle hat wohl vergessen: Das Bruttosozialprodukt steigt so und so. Mehr Geld in den Taschen bedeutet schließlich auch mehr Nachfrage!
Ich gratuliere allen ganz herzlich, die ihr Hartz IV trotz neuer Software rechtzeitg bekommen haben! Bei mir ist das Geld auch pünktlich am Freitag auf meinem Konto gewesen. Aber weil mein Gehalt jeden Monat angerechnet wird, muss ich bei der Bagis jeden Monat meine Gehaltsabrechnung vorlegen. Dann wird alles neu berechnet, ich bekomme einen neuen Bescheid, und die allmonatliche Differenz wird anschließend auf mein Konto überwiesen! Dabei handelt es sich ganz offensichtlich um eine Bagis-interne Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Das Personal leidet wohl unter Langeweile?
Oskar Lafontaine plädierte 1993 für die Abschaffung des Asylrechts und nahm starken Einfluss darauf, dies durchzusetzen. Er stimmte 1998 der Verschärfung der Bestimmungen für Menschen zu, die Sozialhilfe erhielten (siehe dazu unseren Offenen Brief an ihn vom 12. Oktober 2005). Ist Lafontaine eine Persönlichkeit, die glaubhaft eine linke Politik befürwortet und in der Partei „Die Linke“ vertritt? „Ich selbst hatte früher verschiedene unmarxistische Ansichten, erst später gelangte ich zum Marxismus. Ich studierte ihn ein wenig aus Büchern und machte so die ersten Schritte in der ideologischen Selbsterziehung. In der Hauptsache ging die Umerziehung im Prozess des Klassenkampfes über Jahre hinweg vor sich, doch ich muss auch weiterhin studieren. Nur dann kann ich mich weiterentwickeln, andernfalls bleibe ich zurück. Die Bourgeoisie erhält jetzt auf der einen Seite von den gemischt-staatlichen Betrieben noch feste Kapitalzinsen, das heißt, sie hat sich noch nicht von den Wurzeln der Ausgebeuteten losgelöst“, schreibt Mao Tsetung im seinem Aufsatz „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk.“ Politisches Bewusstsein wird einem also nicht in die Wiege gelegt. Es sich anzueignen, bedeutet einen lebenslangen Lernprozess – aber nicht so, wie sich das die Neoliberalen wünschen, also sich Wissen nach ihren Bedürfnissen anzueignen, um sich noch besser ausbeuten zu lassen, sondern um das Klassenbewusstsein zu entwickeln und unter die Mehrheit der Menschen zu bringen, die unter den Ausbeutungsverhältnissen direkt und indirekt zu leiden haben.
Oskar Lafontaine war lange Jahre Mitglied der SPD und wurde 1998 Finanzminister der rot-grünen Regierung. Im Folgejahr trat er zurück, weil er die neoliberale Politik nicht mehr weiter tragen wollte. Die neoliberalen rechten Köpfe der SPD werfen ihm seinen Rücktritt als „verantwortungslos“, was nicht den Tatsachen entspricht. In Gegenteil hat Oskar Lafontaine hier im Geiste von Rosa Luxemburg Rückgrat bewiesen. Sie war 1914 mit der Kriegspolitik nicht einverstanden gewesen und trat später aus der SPD aus, um leider viel zu spät die Kommunistische Partei Deutschlands mitzugründen. Am 15. Januar 1919 wurden sie und Karl Liebknecht unter inoffizieller Zustimmung durch Ebert, Scheidemann und Noske im Auftrag des Kapitals ermordet. Heute gibt es in der Partei der ehemaligen PDS Politiker(innen), die zunächst durchaus fortschrittliche Positionen vertreten, wie zum Beispiel Heide Knake-Werner, die mir seit Anfang der neunziger Jahre aus Mannheim bekannt war. 2001 erklärte sie dann als Berliner Sozialsenatorin im Radio, sie habe keine Probleme, dass Sozialhilfefänger gemeinnützige Arbeit leisten. Zuvor hatte sie sich eindeutig dagegen ausgesprochen. Da müssen wir unterscheiden zwischen Worten und realen Taten, die Zeugnis von der politisch korrekten Arbeit geben.
Denken wir mal an den ehemaligen Bundeskanzler Schröder, der 1986 von sich behaupte: „Ich bin ein Marxist“. Oder an seinen Außenminister Fischer, der auf der Straße Steine gegen Polizisten warf und später mithalf, Jugoslawien zu zerbomben und zu vernichten, und der mit Schröder die Hartz-Gesetze durchsetzte. Es gibt Menschen, die ihr politisches Bewusstsein weiterentwickeln und bis zu ihrem Lebensende fortschrittliche Positionen vertreten. Dazu gehörte unter anderem Rosa Luxemburg. Andere beziehen erst fortschrittliche Positionen und biedern sich dann der herrschende Klasse an. Dazu gehören zum Beispiel Schröder und Fischer. Oskar Lafontaine gehört zu den Menschen, die zum Teil reaktionäre politische Positionen in der SPD vertraten, später jedoch fortschrittliche, was natürlich nicht heißen soll, jetzt Oskar Lafontaine nicht mehr kritisch unter die Lupe zu nehmen ist. Nur kann er nicht mit den Herren Schröder oder Fischer verglichen werden, die ihr Fähnchen immer nach dem Winde hängen, sich der herrschenden Klasse anbiedern und um jeden Preis dazugehören wollen.
Der parteilose SPD-Bundespräsidenten-Kandidat Gauck gehört zu denen, die reaktionäre neoliberale Positionen vertreten, Schröders „Reformen“ loben und die Montagsdemonstranten als „töricht“ und „geschichtsvergessen“. beschimpfen. Doch nicht die Montagsdemonstrant(inn)en sind „von vorgestern“, sondern das ganze gesellschaftlich rückschrittliche kapitalistische Ausbeutersystem, die moderne Variante des Manchester-Kapitalismus, der sich in den neoliberalen Denkfabriken neu gestaltet hat und Einfluss auf das alltägliche Leben nimmt. Es verbreitet seinen ideologischen Geist bis in Kindergärten, Schulen, Betriebe und Medien und der nimmt real Einfluss auf Gesetze, die sich negativ auf unser Leben und unsere Arbeitswelt auswirken mit „Reformen“, die massive Verschlechterungen bedeuten und keine Verbesserung der ökologischen und sozialen Lebensqualität.
„Eine Gesellschaft, in der sich ein Privatvermögen von 14,5 Billionen Mark angehäuft hat, müsste in der Lage sein, jedem Jugendlichen, der es wollte, einem Ausbildungsplatz anzubieten. Auch kann eine sozialdemokratische Partei nicht einer Entwicklung tatenlos zusehen, die darauf hinausläuft, dass bestimmte medizinische Leistungen nur noch von denen in Anspruch genommen werden können, die ein hohes Einkommen haben“, schrieb Oskar Lafontaine 1999 in seinem Buch „Das Herz schlägt links“. Die heutige Gesundheitspolitik neoliberaler Bauart entlässt Menschen, wie ich selbst erlebt habe, nach Aufbrauchen der Fallpauschale viel zu früh aus den Krankenhäusern und verweigert ihnen die Hilfe, die medizinisch notwendig ist, um zur Gesundung beizutragen. Oskar Lafontaine ist kein Politiker, der die kapitalistischen Verhältnisse umstürzen oder sie zu beseitigen helfen will. Er will mit Reformen die Lebenslage der Mehrheit der Menschen verbessern – doch die kapitalistischen Verhältnisse und die Gesetzmäßigkeiten der Profitorientierung stehen diesem Anliegen im Wege.
1. Solange sich die Gewerkschaften in Deutschland emanzipatorischen Lösungsversuchen einer gemeinsamen Alternative wie zum Beispiel dem bedingungslosen Grundeinkommen und der Teilhabe aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der wirklich notwendigen Erwerbsarbeit quasi verweigern, wird man kaum auf die Unterstützung der Mehrheit in der Bevölkerung hoffen dürfen! Um die Menschen von einer neuen Idee zu überzeugen, bedarf es immer eines selbstverständlich auch finanziellen Angebots, welches schnell die Lebenssituationen von möglichst allen Menschen wirklich verbessert.
Erst im Anschluss kann man die Menschen davon überzeugen, dass eine profit- und renditebezogene Wirtschaft, die ausschließlich zulasten von Natur und Umwelt praktiziert wird, niemals die richtige Lösung bleiben darf. Mit Sicherheit wird man dann auch die Menschen davon überzeugen können, sich im Interesse ihrer Kinder und Kindeskinder für ein neues System zu entscheiden. Sich hierbei fast ausschließlich auf die Gewerkschaften zu verlassen, dürfte ein Kardinalfehler der DKP sein: Das neue System muss letztlich aus der gesamten Gesellschaft heraus gewollt werden. Leipzig 1989 ist hierfür das beste Beispiel!
Letzten Montag hielt ein Kollege eine Gegenrede, als ich vom bedingungslosen Grundeinkommen sprach. Dieses Konzept lehnte er ab, begründete seine Meinung aber nicht genauer. Gleichzeitig favorisierte er die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Ob er auch von Personalausgleich sprach, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Mir persönlich reicht es natürlich nicht, wenn man so argumentiert und danach flugs den Ort des Geschehens verlässt, denn so hatte ich keine Gelegenheit mehr zu antworten. Ich warte auch noch auf andere mir angekündigte „präzise Alternativen“ als Strategie zur sofortigen Überwindung von Hartz IV.
Vom Leben in Käfigwohnungen hat die Bremer Montagsdemo bereits berichtet, vom Leben auf Müllhalden noch nicht. Es geht immer noch schlimmer, sogar trotz „Arbeit“ als Müllsammler! Es kann also nicht die „Arbeit“ sein, die allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein garantiert, auch wenn viele Leute genervt sind, wenn man immer wieder darauf hinweist. Im Kapitalismus kann selbst eine notwendige „Arbeit“ trotz fehlender Alternativen sogar noch illegal werden, und die „Arbeiter“ und ihre Familienangehörigen dürfen dann „alternativlos“ verrecken. Ich hoffe, ich nerve jetzt nicht! Man darf in meinen Augen nicht locker lassen, auch wenn immer noch einige glauben, die Zähmung des widerspenstigen Kapitals wäre möglich.
Ich bin schon seit 16 Jahren von der Armut genervt. Wenn jemand glaubt, man könne alles über die juristische Schiene hinbekommen, so dürfte das ein Denkfehler sein, denn mit jeder Klage, ob der Bund sie gewinnt oder verliert, wird diese asoziale Hartz-IV-Gesetzgebung wasserdichter gemacht. Bei der „Mietgeschichte“ war es von uns richtig, die Kritik der Vermieter gegen die Regierungsparteien aufzunehmen. Klagen hätten viel Zeit in Anspruch genommen und vielleicht nicht einmal zum Erfolg geführt. Man sieht es auch hier bei der „EWE-Geschichte“ in Oldenburg. „Die Linke“ schlägt vor, 700.000 Kunden sollten klagen! Was ist das für eine Politik, die immer die juristische Schiene fordert, und dann noch für den Einzelnen? Gerade Mieter sind oftmals Hartz-IV-Empfänger und können nicht einmal klagen. Aber auch durch Jammern werden wir kaum etwas erreichen, da kann man noch so viel schreiben und ins Netz setzen. Was sagen wir denn den fragenden Bürgern, was nach Hartz IV kommen soll, den Sozialrentnern, den Alleinerziehenden mit kleinen Kindern, den Behinderten und Kranken?
Die Forderung nach einem bedingungslosen Einheitsgrundeinkommen würde sofort die finanziellen Probleme von 50 Prozent der Rentner lösen beziehungsweise zumindest wesentlich verringern, die heute schon unter 750 Euro Rente im Monat beziehen. Die anderen Personengruppen, die vom Einheitsgrundeinkommen sofort profitieren würden, habe ich schon benannt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es momentan keine bessere Alternative zur Überwindung von Hartz IV und auch vieler anderer Probleme gibt, als gerade unseren Vorschlag eines bedingungslosen Einheitsgrundeinkommens, zumindest zum Teil auf Kosten der Profite. Diese Forderung energisch zu vertreten, würde die Machtverhältnisse in Deutschland zum Tanzen bringen! Hierbei sollte uns die gesamte Montagsdemobewegung unterstützen. Mit Scheindebatten wird man nur den Unternehmern dienen! Dazu bin ich überhaupt nicht mehr bereit. Mit sozialistischem Gruß.
2. Lieber Edgar! Ich bin immer noch der Meinung, dass alle Erwerbslosen und prekär Beschäftigten, die Alleinerziehenden, Sozialrentner, Behinderten, Schüler(innen) und Studierenden, auch wenn man politisch vielleicht unterschiedlicher Meinungen ist, zumindest im Protest gegen diese asoziale Gesetzgebung der derzeitigen Regierung zusammenarbeitet. Es muss ja keine Liebe werden! Ich selbst gehöre keiner Partei an, die meisten der regelmäßigen Mitkämpfer(innen) der Bremer Montagsdemo auch nicht. Aber wir haben am 20. März 2010 die Krisendemo in Essen mit einer größeren Gruppe unterstützt, und genau dies nennt sich Solidarität. Ich möchte dich daher bitten, auch in eurem Bündnis für die Teilnahme an der Herbstdemonstration der Montagsdemobewegung gegen die Regierung am 16. Oktober 2010 in Berlin aufzurufen. Jede(r) mündige Hartz-IV-Gegner(in) sollte dann selbst entscheiden, ob sie oder er daran teilnehmen möchte. Mit freundlichen Soli-Grüßen.
3. Liebe Hartz-IV-Gegner! Wie ich erfahren habe, soll die Aktion „Krach statt Kohldampf“ am 10. Oktober 2010 in Oldenburg vor der Arge Am Stau 70 stattfinden. Leider werden sich am Sonntag kaum Mitarbeiter der Behörde im Büro befinden. In meinen Augen kann diese Aktion, zumal es sich um einen verkaufsoffenen Sonntag handelt, nur dann einen größeren Erfolg versprechen, wenn man eine dazugehörende Auftaktkundgebung mitten in der Innenstadt durchführt. Für am besten geeignet sehe ich den Julius-Mosen-Platz an, von dem zwei Demonstrationszüge über Theaterwall beziehungsweise Heiligengeistwall marschieren könnten. Dann ließe sich eine Abschlusskundgebung vor der Arge Am Stau durchführen, und alle Käufer und Besucher der „verkaufsoffenen“ Innenstadt bekämen etwas von der Veranstaltung mit. Beste Soli-Grüße.
4.
Kik mal, Muttern, Kik!
Kik, Prospekt von Kik.
Kik, die Hose von Kik,
Kik, Verona bei Kik.
Kik mal, Muttern, Kik!
Kik die Preise, Kik.
Kik, im Fernsehen Kik.
Kik die Fabrik, Kik.
Kik mal, Muttern, Kik!
Kik die Arbeiter, Kik.
Kik in Bangladesh, Kik.
Kik zahlt Hungerlohn, Kik.
Kik mal, Muttern, Kik!
Kik, Arbeiter verdroschen, Kik.
Kik wie Krieg, Kik.
Kik, nie wieder Kik!
Die Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg vor einer Woche ist immer noch eines der Hauptthemen in den Gesprächen der Menschen. Aber diesmal ist etwas anders und neu: Es bildet sich eine neue Öffentlichkeit heraus. Bei den schrecklichen Ereignissen wurden Tausende von SMS, Hilferufen und Bildern ausgesendet, die jetzt die Tragödie dokumentieren und belegen. Diese Dokumente stehen im Netz und sind eine Anklage gegen den Duisburger Oberbürgermeister und seine Helfershelfer, die ihre Verantwortung zu vertuschen und den Jugendlichen selbst den Schwarzen Peter zuzuschieben versuchen. Natürlich kann die Staatsanwaltschaft jetzt auf diese Dokumente bei ihren Ermittlungen zugreifen, aber das Neue ist diese Art von kollektivem Hilferuf und die sich daraus bildende Gegenöffentlichkeit.
Bei den offiziellen Trauerfeiern kamen viel weniger Menschen als erwartet. Wir brauchen auch keine Krokodilstränen von Merkel und Wulff, sagten sich viele, sondern ein anderes Herangehen an die Jugend! Für die reaktionäre und aalglatte „Trauer“ der Herrschenden steht die geschasste Moderatorin Eva Herrmann, die sich als neobraune „Frau am Herd“ einen Namen machen wollte. Sie hatte die Jugendlichen als „drogensüchtige Chaoten“ bezeichnet. Nein, in Duisburg hat die Jugend selbst ihre Trauer und Wut gestaltet! Sie hat ihren Trauermarsch organisiert und Geld gesammelt für eine Gedenkstätte, die am Ort der Katastrophe gestaltet werden soll. Was über Duisburg hinausweist, ist eben diese Gegenöffentlichkeit.
Neben dem kritischen Journalismus ist es diese direkte Berichterstattung, die sich gegen die Verwischungabsicht der allzu bekannten Medien stellt. Dafür bilden sich neue Foren und Plattformen heraus. Das muss alle Lebensfelder erfassen, die für den Kampf um mehr demokratische Rechte und Freiheiten und den Lebenswillen wichtig sind. Die Menschen werden diese Aufgabe anpacken und sich zu eigen machen, genauso wie das Offene Mikrofon bei der Montagsdemo Schule gemacht hat. In 14 Tagen, am 16. August, haben wir vor vor sechs Jahren den Kampf gegen die Agenda 2010 und gegen Hartz IV aufgenommen. Unser Kampf geht weiter. Wollen wir diesen Tag besonders gestalten und andere Initiativen einladen? Bitte überlegt euch etwas dazu und lasst uns darüber beraten.