Dass unser heißgeliebtes, weil lebensnotwendiges Arbeitslosengeld II gelegentlich auch schlicht einmal nicht gezahlt wird, wie ich letzte Woche und letzten Monat berichtet habe, ist kein Einzelfall: Von zwei weiteren Bremer Montagsdemonstranten erfahren wir, sie hätten im Frühjahr ebenfalls kein Geld erhalten, und zwar mit der Begründung, „die Software“ habe sich „verselbständigt“. Im Juli soll „die Software“ beim Anpassen des Regelsatzes „in einigen Fällen“ wie meinem „die Zahlung nicht wieder angewiesen“ haben – letzten Monat und letztes Jahr folgte die Nichtauszahlung meinem Einreichen der Nebenkostenabrechnung.
Wie sich nun herausstellte, braucht die Nachforderung meines Vermieters nicht übernommen zu werden, weil mir wegen eines Rechenfehlers der Bagis vor zweieinhalb Jahren eine Zeitlang etwas zu hohe Kosten der Unterkunft bewilligt worden waren. Hat nun aufgrund der Überzahlung von insgesamt 178 Euro „die Software“ (denn die „Häkchen“ sollen ja „von selbst“ verschwunden sein) die Entscheidung getroffen, jede weitere Zahlung zu stoppen – um jenes Geld wieder einzutreiben, das rechtmäßig kaum erfolgreich eingefordert werden könnte, weil das Verschulden schließlich bei der Arge liegt?
Dies aber wäre ein Skandal: kein Fehlerchen wie vielleicht bei der Regelsatzanpassung, sondern ein gezielt programmierter, massenhafter Rechtsbruch – eine neue Qualität nach den aus Einzelfällen bereits bekannten Zahlungseinstellungen, mit denen Hartz-IV-Betroffene von ihren Fallmanagern unter Druck gesetzt werden sollen, wie es der Bagis West bei Kevins Ziehvater so „eiskalt“ gelungen ist. Der Bremer Untersuchungsbericht zum „Kindeswohl“ hat diese lange geleugnete Praxis aktenkundig gemacht: „Zeitweise wurde versucht, verzögerte Zahlungen als Druckmittel einzusetzen“, heißt es darin.
Meine Kritik, dass am Freitag kein Notdienst geleistet wird, richtet sich nicht gegen die Behördenmitarbeiter, auch wenn ich das Abwimmeln durch Wachleute und „Empfangsdame“ ausführlicher geschildert habe, sondern gegen die Behörde und ihre Führungsspitze. Auch wenn die Bagis verlautbart, selbstverständlich werde am Freitag Notdienst geleistet, dürfte der interne Marschbefehl so lauten, dass er von den Untergebenen mit „Hier kommt keiner durch ohne Termin“ zusammengefasst wird. Kaum werden sie bloß ihrer schlechten Laune nachgegeben haben.
Dass es sich bei den Wachmännern, die gegenwärtig in der Bagis West Dienst tun, um zwei Afrikaner handelt, scheint mir im „Migrationsstadtteil“ Gröpelingen kein Zufall zu sein: Soll damit Rassismusvorwürfen vorgebeugt werden, wenn einmal „schwierige“ Nichtweiße hart angefasst werden „müssen“? Tatsächlich war mir einer dieser beiden Wachmänner in der Vergangenheit gerade durch sein freundliches Verhalten besonders aufgefallen: Eintretende „Kunden“ begrüßte er so herzlich, als wäre man sein Kumpel. Da hat mir der ihm verordnete Verhaltensumschwung, wenn man mal am „falschen“ Tag auf der Matte steht, noch rein menschlich einen Stich versetzt.
Mein Vorwurf, dass die Erfüllung des gesetzlichen Grundsicherungsauftrags nicht garantiert werden kann, richtet sich wiederum nicht nur gegen die Bagis, sondern gegen alle Argen. Wenn man zugunsten meiner Sachbearbeiterin annimmt, dass sie weder lügt noch vorgeschriebene Ausreden verwendet, liegt die ungerechtfertigte Nichtauszahlung tatsächlich an der Software – und die wird bundesweit eingesetzt.
Es sollten daher möglichst viele Berichte über solche „Einzelfälle“ gesammelt, ausgewertet und veröffentlicht werden, etwa durch Leserbriefe an die Presse, um den vermuteten automatisierten Rechtsbruch zu belegen – aber auch, damit sich die Politiker nicht mehr herausreden können, sie wüssten gar nicht so genau, was für Zustände auf den Hartz-IV-Ämtern eigentlich herrschten. Diese Entschuldigung hat mein Beistand auf einer Sitzung der Sozialdeputation des Bremer Senats zu hören bekommen.
Nun müssen wir uns wohl auf eine neue Ausrede gefasst machen: Heute meldet „Blöd Bremen“, zahlreiche Computer der Bagis seien von Viren befallen. Der gefährliche Schadwurm „Conficker“ sei ins Netzwerk der Sozialbehörden eingedrungen und dort nicht mehr totzukriegen. „Nein, unsere Software ist in Ordnung, und unsere Mitarbeiter stoppen natürlich auch keine Zahlungen aus Jux und Dollerei“, werden wir vielleicht zu hören bekommen. „Das muss der böse Conficker gewesen sein, wenn Ihr Geld nicht eingegangen ist. Der hat die Zahlungsanweisung weggebumst!“
1. Aus einer Antwort auf die Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung geht hervor, dass es kaum einem Arbeitnehmer gelingt, bis zum 65. Geburtstag zu arbeiten. Die Beschäftigungsquote für sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen sinkt ab Mitte 50 ganz enorm. In der Altersklasse 55 bis 58 stehen 39,4 Prozent voll im Berufsleben. Bei den 58- bis 62-Jährigen sinkt die Quote auf 26,6 Prozent, in der Altersklasse darüber auf 7,4 Prozent. Zwischen Mai 2007 und Mai 2008 sank die Zahl der 55- bis 64-jährigen Arbeitslosen zwar um 14 Prozent, nahm aber in den zwölf Monaten danach um 17 Prozent wieder zu.
Richtig dramatisch stellt sich jedoch die Lage für die Überachtundfünfzigjährigen dar, denn ihre Arbeitslosenzahl schnellte binnen eines Jahres um 96 Prozent hoch, verdoppelte sich also fast. Dabei hätte der gesunde Menschenverstand auch ungeachtet dieser Zahlen sagen können, dass es sich bei der Rente mit 67 nur um Gift für den Arbeitsmarkt handeln kann: Es geht hierbei nur um eine Rentenkürzung! Aber der Bundesregierung fällt noch immer nicht die rosarote Brille von der Nase, wenn sie die Arbeitsmarktentwicklung bei den Älteren als „relativ günstig“ einstuft und den rapiden Anstieg bei den Überachtundfünfzigjährigen mit dem Auslaufen der 58er-Regelung zu begründen sucht.
2. Noch nie seit Einführung der Krankenstatistik meldeten sich so wenige Beschäftigte in Deutschland krank. Die Angst um den Arbeitsplatz drückt den Krankenstand auf ein historisches Tief. Doch wer sich krank zur Arbeit schleppt, gefährdet nicht nur seine Gesundheit, sondern auch den Betrieb. Da wäre es doch vernünftiger, wenn am Arbeitsplatz ein Klima herrschte, wo der Chef schniefende Angestellte mit Genesungswünschen nach Hause schickte, damit nicht noch alle angesteckt werden! Nach einer dänischen Studie geht, wer sich trotz einer leichteren Erkrankung zur Arbeit schleppt, zu 53 Prozent das Risiko ein, in einer Weise zu erkranken, die ihn für ein bis zwei Wochen ans Bett fesselt. Viele halten sich zudem mit Pillen fit, um nach außen hin gut zu funktionieren. Der „Weser-Kurier“ schrieb, Bremen schwimme gegen den Trend, weil hier der Krankenstand zum Teil 25 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt, was kaum damit begründet werden kann, dass die Jobs in Bremen sicherer als anderswo wären. Vielmehr sei dies auf ein überdurchschnittliches Plus bei den psychischen Leiden zurückzuführen. Klar: Angst essen Seele auf!
3. Letzte Woche Mittwoch strahlte die ARD eine wahrlich sehenswerte Sendung mit dem Titel „Die Armutsindustrie“ aus, die bei mir eine gehörige Portion Wut im Bauch auslöste. Autorin Eva Müller recherchierte, wie viele lukrative Geschäfte sich mit der Arbeitslosigkeit machen lassen. Es ist ein Geschäft, das Arbeitslose einem Härtetest unterzieht und Millionen Euro von Steuergeldern in völlig sinnlose Pseudo-Fortbildungseinrichtungen steckt, wovon die Erwerbslosen gar nichts haben! Das massenhafte Ableisten vollkommen sinnentleerter Praktika und öder Ein-Euro-Jobs scheint hierbei inzwischen zu einer Voraussetzung für einen Bildungsgutschein, also für eine Ausbildung avanciert zu sein!
Aus Erwerbslosen gesetzten Alters werden plötzlich Lehrlinge. Da schickt die Agentur für Arbeit den 51 Jahre alten Berufskraftfahrer zum Praktikum, um „Erfahrung“ zu sammeln. Sein eigentliches Problem, dass er nie schreiben lernen konnte, bleibt ungelöst. Der Kraftfahrer mit 27 Jahren Berufserfahrung „lernt“ nun, Kartons zu packen. Die müssen „vernünftig“ befüllt werden – eine Tätigkeit, die nicht allzu viel feinmotorisches Geschick oder gar intellektuelle Fähigkeiten erfordert, die etwa für den ersten Arbeitsmarkt förderlich sein könnten. Es wird einfach behauptet, dass zum Päckchenpacken ja auch „mehr gehört“. Was denn? Vielleicht mehr Geduld, um die Langeweile dabei zu ertragen? Der dazugehörige Firmenchef erzählt ganz ungeniert, dass er durchaus zwei, drei Leute fest einstellen könnte, er sich aber lieber Praktikanten schicken lasse, und gibt zu, dass für diese Tätigkeit früher sehr wohl ein festes Mitarbeiterteam existierte.
Die Dekra oder die „Neue Arbeit“ der Diakonie schaffen eine vom Staat subventionierte parallele Arbeitswelt, die ihre gierigen Finger in alle Bereiche des Handwerks oder auch in Haushalts- oder Gastronomiearbeiten steckt und dort die ALG-II-Bezieher für sich arbeiten lässt. Für die geleistete Arbeit bekommt die entsprechende Gesellschaft zwölf Euro die Stunde, während die „Integrationsjobber“ mit einem einzigen Euro abgespeist werden. Für diese spezielle Art der „Förderung“ erhalten die Gesellschaften außerdem pro Monat und Nase bis zu 800 Euro von der Agentur für Arbeit. Eine Stuttgarter Firma lässt auf die hier so günstig hergestellten Trampoline „Quality made in Germany“ drucken. Weil sich deutsche „Wertarbeit“ nun mal besser verkauft als chinesische, verlegte der Unternehmer seine Produktion aus Fernost zurück ins Schwabenländle, brachte dafür jedoch das chinesische Lohnniveau unter die Leute. Auf die einfache Frage, was denn am Trampolinbau gemeinnützig sei, kam die putzig-dreiste Antwort, dass dann ja ALG-II-Bezieher beschäftigt seien. Egal, womit und für wen: Sozial ist, was Arbeit schafft?
Diese entzückende Erfolgsgeschichte dient leider nur unserem „Freund“, dem Unternehmer. Sie hinterlässt bei mir ein fassungsloses Staunen und die empörte Frage, was daran nun bitte gemeinnützig sei. Ist im neoliberalen Deutschland mittlerweile all das gemeinnützig, was der unbegrenzten Profitmaximierung der Unternehmen nützt? Dann ist wohl inzwischen auch dieser Begriff „reformiert“ worden! Der Umsatz dieser neuen Gesellschaften ist jedenfalls auf dem Rücken der ALG-II-Bezieher und auf Kosten des Steuerzahlers zu 30 Prozent gewachsen. Warum wohl werden daraus keine vernünftigen sozialversicherungspflichtigen Jobs gemacht? Weil dann kein Geld mehr in die „gemeinnützigen“ Rachen der hungrigen Gesellschaften gestopft würde und sich das Gängelband, an dem die ALG-II-Bezieher hängen müssen, sich nicht mehr so wirksam um deren Hals schlingen könnte?
Den absoluten Vogel schossen wohl jene Arbeitssklaven ab, die gebrauchtes Kinderspielzeug sammeln und auf weitere Verwertbarkeit überprüfen mussten. Da wurde in zehn Tagen Arbeit ein 5000er-Puzzle zusammengesetzt, um die Vollständigkeit der Teile zu untersuchen. Am Ende fehlten drei Elemente, und damit war das Spiel unbrauchbar geworden. Wer zehn Tage Arbeitszeit für eine solche Tätigkeit vergeuden muss, bekommt am Ende noch vorgeführt, dass die geleistete Arbeit offenkundig nichts wert ist, weil das zusammengesetzte Puzzle weggeworfen wird. In einem anderen Raum saßen einige Frauen und häkelten emsig an wollener Bekleidung für zu früh geborene Säuglinge. Liegen die denn neuerdings gar nicht mehr in Wärmebettchen? Zwei Ein-Euro-Sklaven wurden als „Redaktion“ für die hausinterne „Zeitung“ abgestellt, einer Art Witz-, Rätsel- und Larifari-Trallala-Blatt. Sie bekommen 14 Tage Zeit dafür, schaffen es jedoch in nur zwei. Die Langeweile beim Zeitabsitzen ertragen sie, indem sie ihr „Hirn zu Hause lassen“, wie einer der Probanden resigniert erzählt. Sinnlose Tätigkeit soll also für den ersten Arbeitsmarkt fit machen!
Es wurde auch eine Sachbearbeiterin bei der Arbeitsagentur befragt, die hölzern herumdruckste, dass sich die Betroffenen ja auch beschweren könnten. Dafür waren die ALG-II-Bezieher in der Dokumentation aber zu deprimiert. Sie meinten resigniert, das würde ja nichts bringen, da sie eh nur Bittsteller wären, die sich besser mit der Arge gutstellen müssten. Erst bekommen „notleidende Banken“ Milliarden in den Allerwertesten gestopft, jetzt sind mit der vielen „gemeinnützigen Arbeit“ wohl endlich die „notleidenden Unternehmer“ an der Reihe! Noch mal für alle: Die „Neue Arbeit“ ist die Diakonie. Die existiert in dieser Form auch bereits in Bremen. Es war schon früher so, dass Kirche und Obrigkeit in parasitärer Symbiose lebten und gemeinsam die Leute klein hielten – alles immer unter dem Deckmäntelchen von „Gemeinnützigkeit“ und „Hilfe für die Armen“, um in aller Verlogenheit die eigenen Pfründen zu sichern.
4. Inzwischen wird in Deutschland ein Drittel aller erwirtschafteten Gelder für Sozialleistungen ausgegeben, satte 720 Milliarden Euro. Die Bundesregierung rechnet im laufenden Jahr mit einem weiteren Anstieg. Daraus ließe sich leicht der Eindruck erwecken, es sei der „der Staat“, der fast ein Drittel des Sozialprodukts für soziale Wohltaten aufwende. Soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass etwa die gesetzliche Rentenversicherung oder die gesetzliche Kranken- und die Pflegeversicherung soziale Wohltaten sind? Werden die Versicherungsbeiträge nicht von den Beitragszahlern selbst aufgebracht? Wäre der Betrag niedriger, wenn die Altersversorgung und die Kosten für Krankheit und Pflege privat aufgebracht würden? Was ist daran „sozial“, wenn jemand über 15 Prozent seines Bruttoeinkommens in eine Krankenversicherung einbezahlt, um damit die Kosten im Krankheitsfall abzudecken? Die Leistung des Staats kann ja wohl nur darin bestehen, dass er diese Versicherungen gesetzlich erzwingt!
5. In Offenbach werden Erwerbslose dazu gezwungen, unter Androhung von Leistungskürzungen ein zweimonatiges Bewerbungstraining über sich ergehen zu lassen. Da müssen sie viermal die Woche jeweils vier Stunden lang Bewerbungen schreiben. Carsten Müller, SPD-Kreisbeigeordneter und Leiter des kommunalen Jobcenters „Pro Arbeit“ ist stolz auf das vom ihm erdachte „Pilotprojekt“ für Erwerbslose. Der Kreisvorsitzende der Linkspartei, Nikolaus Dümpelmann, sieht darin ein Aushebeln des Artikels 1 des Grundgesetzes, weil die Menschenwürde durch diese Maßnahme mit Füßen getreten werde. Auch Artikel 2, nach dem jeder Mensch das Recht hat, sich frei zu entfalten, werde missachtet. „Pro Arbeit“ unterstellt offenbar, dass Erwerbslose nur intensiv genug mit Bewerbungstraining behelligt werden müssen, um für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht zu werden.
Mit dieser Haltung wird den Erwerbslosen unterstellt, dass sie selbst und nicht etwa die fehlenden Arbeitsplätze an ihrer finanziellen Misere die Schuld tragen. Wenn wirklich davon ausgegangen würde, das Projekt wäre erfolgversprechend, hätte man es wohl den ALG-I-Beziehern übergestülpt! Dieses Bewerbungstraining soll anscheinend im Zuge der Verfolgungsbetreuung der Kontrolle über die Leistungsbezieher dienen. Denn bereits beim erstmaligen Nichterscheinen „dürfen“ willkürlich 30 Prozent von 359 Euro abgezogen werden. Weil in der Krise eher Jobs abgebaut als neue geschaffen werden, bekommen Erwerbslose, wenn überhaupt, nur schlecht bezahlte Jobs im Dumpinglohnbereich. Auch werden die Anbieter der sogenannten Schulungsmaßnahmen noch dazu angehalten, die ALG-II-Bezieher mit Hausbesuchen zu drangsalieren, wofür es überhaupt keine Rechtsgrundlage gibt. Hauptsache, die Statistik wird beschönigt! Offenbar müssen die Mitarbeiter des Jobcenters irgendwo ihren Einspardruck umsetzen.
6. Ende letzter Woche hörte ich im Radio, dass die Agentur für Arbeit mehr ALG-II-Bezieher in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln will. Nach ihrer Ansicht wird das Arbeitskräfte-Potential der Hartz-IV-Empfänger zu wenig genutzt. Deshalb werben sie jetzt in einer bundesweiten Aktion bei Arbeitgebern dafür, diesen Menschen verstärkt Jobs anzubieten. Obwohl in Bremerhaven der Anteil der ALG-II-Bezieher bei 80 Prozent liegt, rechnet sich die Arbeitsagentur dort gute Chancen für den ersten Arbeitsmarkt aus. Laut Friedrich-Wilhelm Gruhl, dem Geschäftsführer der „Arge Jobcenter Bremerhaven“ gebe es Branchen, die trotz Wirtschaftskrise noch „händeringend“ nach Arbeitskräften suchten, etwa Betriebe aus dem Handwerk oder den Pflegediensten. Auf der anderen Seite gebe es gut qualifizierte ALG-II-Bezieher, die hoch motiviert sind, diese Jobs zu übernehmen.
Auch sehr gute Bewerber hätten es bei den Arbeitgebern jedoch oftmals schwer, weil der Begriff Hartz IV leider mit sehr vielen Vorurteilen behaftet sei. Ziel des Arge-Chefs Gruhl ist es, die Unternehmen dazu zu bewegen, den ALG-II-Beziehern vermehrt auch Helferjobs anzubieten. Diese Scheinheiligkeit vor der Wahl zur Statistikaufhübschung ist wirklich nur schwer zu ertragen. Erst überbieten sich verschiedene Politiker darin, in den Medien das angebliche Rauchen und Saufen der Eltern auf Kosten ihrer Kinder, die „Bildungsferne“, die Energieverschwendung oder die „träge Unmotiviertheit“ von ALG-II-Beziehern unüberprüft anzuprangern – und dann wird sich über ein gewisses Vorurteil mokiert? ALG-II-Bezieher werden zu Hilfsarbeiten und Ein-Euro-Jobs gezwungen, die in einem Lebenslauf nicht gerade für sie, ihre Fähigkeiten und Kenntnissen sprechen können. Außerdem werden sie damit allzu oft ihrer Arbeitnehmerrechte beraubt.
Aber was macht das schon? Sie sollen ja nur noch in „Helferpositionen“ vermittelt und damit vermutlich weiter degradiert werden! Dass solche Pläne ausgerechnet zu einem Zeitpunkt ans Tageslicht kommen, wo die „Tagesthemen“ melden, dass ein Viertel der Unternehmer einen massiven Stellenabbau im nächsten halben Jahr plant, gibt mir zu denken. Sollen mal wieder Festangestellte entlassen werden, damit ALG-II-Bezieher ihre Posten übernehmen und dabei den Unternehmern von der Arbeitsagentur zu einem hohen Prozentsatz die Lohnkosten erstattet werden? Warum sollten Unternehmer überhaupt noch Menschen ohne eine derartige finanzielle Unterstützung von Seiten der Arbeitsargentur einstellen? Werden jetzt Politiker, Arbeitsagentur und Unternehmer in einer Art Einheitssoße verschwimmen beziehungsweise „zusammenwachsen“?
7. Die Ökonomen wollen den „Hartz-IV-Schrecken“ mildern, weil Deutschland vor der Kündigungswelle zittert, denn wem gekündigt wird, der stürzt nach nur einem Jahr ab in Armut und Verfolgungsbetreuung, die das ALG II so hartnäckig begleiten. Den „Wirtschaftsweisen“ erscheint das in Krisenzeiten zu hart zu sein: Sie fordern eine Verlängerung des ALG I um ein halbes Jahr. Diese Lockerung müsse jedoch im Aufschwung wieder zurückgenommen werden, und zwar auf ein niedrigeres Niveau als jetzt. Ah, von daher weht der Wind! Darum geht’s bei der scheinbaren Verteilung von „Wohltaten“ in Wirklichkeit: Die kurzfristige Lockerung ist – von hinten durch die Brust ins Auge – langfristig nur als Würgegriff auf das angeblich zu üppige ALG II angedacht! Aber auch diese aberwitzig „großzügige“ Verlängerung im ALG I wird kaum dazu ausreichen, auch nur annähernd genug sozialversicherungspflichtige Jobs für die Betroffenen zu finden, die den Lebensunterhalt befriedigend absichern. Der Absturz ist und bleibt unausweichlich, solange die Schrecken des ALG II nicht abgeschafft werden. Diese sogenannten Weisen sollten eher beim ALG II beginnen, statt die Leute weiterhin mit einer „Verlängerung der Bezugsdauer beim ALG I“ zu verblöden! Die Krise wird noch länger dauern, und die Jobs werden auch in zwei Jahren noch abgebaut werden.
Gerold Janssen, den ich seit Jahrzehnten kenne, ist ein unermüdlicher Kämpfer für den Naturschutz. Er ist als couragierter Umweltaktivist und „Retter des Hollerlandes“ schon heute in die Stadtgeschichte eingegangen. Auch an zahlreichen Friedens- und Antifa-Aktionen hat er sich immer wieder beteiligt. Er schreckte sogar nicht davor zurück, vor einigen Jahren mit steifem Bein die Empore des Bürgerschafts-Plenarsaals zu erklimmen und dort zwei lange Bambusstangen aus der Hose zu ziehen. Mit einigen Getreuen entrollte er flugs ein großes Transparent, bevor er von Ordnern daran gehindert werden konnte. Dafür verurteilte ihn ein Gericht zu einer Geldbuße, die er aber dank unserer Spenden nicht aus eigener Tasche bezahlen musste. Dies ist nur ein Beispiel für den persönlichen Mut, den er bei seinen phantasievollen und oft witzigen Aktionen immer wieder an den Tag legt.
1978 plante der Senat im damals 400 Hektar großen Hollerland ein riesiges Wohngebiet namens „Hollerstadt“. Gerold Janssen gründete die „Bürgerinitiative zur Abwehr der Hollerstadt“, und 1981 setzte die Initiative durch, dass 270 Hektar als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurden. 1989 gab es einen „Kompromiss“, wonach ein Teil an der Lilienthaler Heerstraße für gut betuchte Interessenten „ökologisch verträglich bewohnbaut“ werden durfte, der größte Teil jedoch nicht. Die Initiative und alle Freundinnen und Freunde des Hollerlandes hätten es selbstverständlich lieber gesehen, wenn dieses einmalige Biotop insgesamt in seiner Ursprünglichkeit erhalten geblieben wäre. 1996 wollte die CDU den „Technologiepark“ – welch perverse Wortschöpfung! – ins Hollerland erweitern. Erneut begann der Kampf, bis 2004 der naturbelassene Bereich zum FFH-Pflanzen- und Tierschutzgebiet erklärt wurde und damit für die senatorische Zerstörungswut tabu ist.
Nach längerer Pause muss Gerold Janssen jetzt schon wieder kämpfen; – diesmal in eigener Sache. Wie die „Tageszeitung Bremen“ am Wochenende berichtete, demonstrierte er zusammen mit anderen Geschädigten in der Innenstadt gegen die betrügerischen Machenschaften bestimmter Banken. So hatte ihm das Bankhaus Neelmeyer offenbar mit falschen Sicherheitszusagen dubiose „Zertifikate“ angedreht und ihn damit über den Tisch gezogen. Von 72.000 Euro, die er dort anlegte, verlor er die Hälfte, aber ein „Großverdiener“ war er nie. Sein Vermögen stammt aus seiner Tätigkeit als Prüfer von Schifffahrtsgesellschaften und als Deichhauptmann. Die Bank bestreitet natürlich die Betrugsvorwürfe. Jetzt hat Gerold Jansen die Bank auf Rückgabe verklagt und will auch auf der Straße weiterkämpfen. Ich finde, er braucht jetzt unsere Solidarität!
Gegen die Versammlungsleiterin der Stuttgarter Montagsdemonstration wurde ein Strafbefehl über 600 Euro Bußgeld, wahlweise 20 Tage Haft, erlassen! Um das ganze Ausmaß ihres „Verbrechens“ zu begreifen, muss man wissen, dass die Versammlungsleiterin jede Woche einen mehrseitigen Brief vom Ordnungsamt erhält, in dem akribisch alle Auflagen der Behörde aufgelistet werden. Unter anderem wird genau festgelegt, an welcher Stelle des weitläufigen Schlossplatzes die Kundgebung durchgeführt werden darf. Wenn der Platz nicht noch von anderen Veranstaltern belegt ist, bekommt die Montagsdemonstration immer dieselbe Stelle.
Am 27. April kam eine Polizistin auf die Versammlungsleiterin zu: Die Kundgebung finde an der falschen Stelle statt und verstoße damit gegen die Ordnungsauflagen. Da eine Behinderung des Verkehrs und der Passanten nicht zu erkennen war, fragte die Versammlungsleiterin die Beamtin, ob die Kundgebung nicht doch an dieser Stelle, circa 30 Meter neben dem genehmigten Platz, zu Ende geführt werden könne. Dem widersprach die Beamtin nicht. Das war eine vernünftige Lösung in dieser konkreten Situation. Die Montagskundgebung verlief wie gewohnt weiter. Nun soll die Versammlungsleiterin bestraft werden, weil sie sich angeblich den Ordnungsauflagen widersetzt hätte.
Die Montagsdemonstration Bremen hat dazu einstimmig folgenden Protestbrief an das Amtgericht Stuttgart verabschiedet: „Die Teilnehmer der Montagsdemonstration in Bremen haben heute, am 20 Juli 2009, vom Strafbefehl gegen die Versammlungsleiterin der Montagsdemonstration in Stuttgart, Frau Nuran Cakmakli, erfahren. Für uns alle ist das reine Behördenwillkür. Wir fordern Sie auf, diesen Strafbefehl sofort zurückzunehmen! Wir werden diesen undemokratischen Vorfall im Internet veröffentlichen und unsere Anstrengungen für die Versammlungsfreiheit auf antifaschistischer Grundlage verstärken.“
Die Bundesregierung erwägt, Banken zur „Annahme von Unterstützung“ zu zwingen. Das ist ja wohl der größte Witz! Die Deutsche Bank braucht sie nicht zu zwingen: Im ersten Quartal dieses Jahres hat sie 2,1 Milliarden Euro Profit gemacht, mitten in der Krise, und zwar laut DGB zu 84 Prozent durch „Risikogeschäfte“, ansonsten durch die wachsende Staatsverschuldung. Allein Hypo Real Estate hat 102 Milliarden bekommen, die Commerzbank zehn.
So häuft der Staat häuft Schulden über Schulden an. Das Geld nimmt er unter anderem von der Deutschen Bank, die macht Kasse – und die Zeche bezahlen wir nach der Bundestagswahl! Zeigt das nicht, wie lächerlich es ist, die Banken „an die Leine“ legen zu wollen? Risikogeschäfte und Ausplünderung der Staatskassen gehören zum Wesen des Kapitalismus. Auf den Staat als „Retter“ zu hoffen, ist nichts anderes als Illusion, und wer das verbreitet, belügt die Massen. Keine Illusion ist es dagegen, den Kampf aufzunehmen und die eigene Sache in die eigene Hand zu nehmen!
In Frankreich wurden durch dreiwöchigen Streik mit Sprengdrohung je 30.000 Euro Abfindung für 53 Kollegen in einer Hebebühnenfabrik erkämpft. Ich halte es nicht unbedingt für richtig, seine Fabrik in die Luft zu jagen. Der Fall zeigt aber, mit welcher Härte gekämpft wird, und das ist sicher erst der Anfang! Auch anderswo wird gekämpft: In Schleswig-Holstein finden in Bredstedt, Husum, Niebüll und Leck seit Wochen Montagsdemos von 100 bis 200 Menschen gegen das geplante Kohlendioxid-Erdlager statt. Bewusst haben sich die Leute dort für die Methode der wöchentlichen Demonstrationen entschieden.
Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV gibt es nun seit fast fünf Jahren. Am 8. August 2009 feiern wir ab 14 Uhr unser großes Sommerfest in den Neustadtswallanlagen. Bringt alle mit: die Arbeitslosen, die von der Bagis schikaniert werden, denen man Geld verweigert oder kürzt, die Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben, denen man Lohn und Arbeitsplätze wegnehmen will. Die Montagsdemos sind lebendig! Gemeinsam sind wir stark!