206. Bremer Montagsdemo
am 10. 11. 2008  I◄◄  ►►I

 

Die Volkstreter müssen weg!

Gudrun BinderEs war die Reaktion, die wir schon seit 2004 kennen, seit es die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 gibt: Die bundesweite Montagsdemonstration in Berlin am Samstag, dem 8. November 2008, wurde totgeschwiegen! In den letzten Jahren kam noch ein ganz kleiner Beitrag in den Nachrichten von ARD und ZDF – dieses Mal: nichts! Dabei sind die Montags­demos keineswegs tot, ganz im Gegenteil!

Es waren wieder fast 10.000 Menschen aus ganz Deutschland angereist, die bei den Montagsde­monstrationen in circa 100 Klein- und Großstädten aktiv mitwirken. Die Demos bestehen aus einem bunt zusammengewürfelten Personenkreis: Menschen, die sich aktiv und öffentlich für die Abschaffung der Hartz-Gesetze und alle damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten einsetzen. Sie kommen aus allen Schichten und beruflichen Bereichen.

Die bundesweite Montagsdemo ist kein Verein. Die Demos sind auch keine Veranstaltungen der MLPD, wie immer wieder gern aus bestimmten politischen Kreisen behauptet wird, um eventuell Menschen zu verschrecken, die zu dieser Partei keinen Bezug haben. Es sind Mitglieder verschiedener Parteien darunter. Der weitaus größte Teil der Montagsdemonstrantinnen und -demonstranten ist parteilos, aber politisch stark interessiert.

Sie alle wollen die Sozialpolitik wieder ins Gleichgewicht bringen und setzen sich dafür mit ihrer Anwesenheit und Stimme ein. Wer befürchtet, dass sich die Demos einseitig zugunsten einer Partei entwickelt haben, kann den Ausgleich durch eigene Anwesenheit beeinflussen. Auch die Mitglieder der „Linken“ könnten sich sehr viel zahlreicher auf den Demos sehen lassen.

Die Montagsdemos sind ein Stachel im Fleisch und schlecht einzuschätzen für das politische Personal, verunsichern es also in einem nicht geringen Maße. Weil die soziale Schieflage von der Regierung geplant und durchgesetzt wurde, wird getan, als gebe es die Montagsdemos nicht, und die Medien sind dem politischen Personal dabei mit ihrem Unterlassen einer neutralen Berichterstattung außerordentlich behilflich.

In Berlin waren knapp 10.000 Menschen auf der Straße; in Gorleben haben ungefähr 30.000 Menschen gegen Atommüll und die Castor-Transporte demonst­riert. Das sind rein rechnerisch schon 40.000 Menschen an einem Tag, die sich gegen die Politik unserer unfähigen Regierung stellen – gar nicht gerechnet, wie viele Initiativen, Gruppen und Vereine sich gegen das unsoziale System mit ihrer „Kleinarbeit“ wehren.

Aber es müssen sich noch sehr viel mehr Bürgerinnen und Bürger bewegen und ihren Protest lautstark und gemeinsam zum Ausdruck bringen, um die Politik endlich wieder in die richtige Richtung zu lenken. Die vielen Unzufriedenen, die unsozial und menschenverachtend behandelten Menschen müssen sich zusammenschließen und gegen das ihnen angetane Unrecht demonstrieren! Fordern wir also alle in Deutschland lebenden Menschen auf – jung und alt, arbeitslos und arbeitend –, laut und öffentlich und gemeinsam ihre Wut zu äußern und sich nicht hilflos zu ergeben!

Die Montagsdemonstrationen haben eine gute, kurze Tradition, und die müssen wir gemeinsam fortführen, solange dieses politische Personal eine Politik macht, die das Volk vorsätzlich veramt! Wir sind das Volk, und wir haben Volksvertreter, die sich einen Dreck um das Volk kümmern, das sie vertreten. Im Gegenteil: Sie treten es! Darum müssen sie weg!

Gudrun Binder (parteilos)
 
Zivilcourage: Atomkraftgegner riskieren Abtrennung der Arme,
um den Castor-Transport aufzuhalten („Tageszeitung“)
 
Deutschland verstrahlt Polizisten: Wer neben dem Castor Überstunden schiebt, kriegt schnell die doppelte Jahresdosis ab („Spiegel-Online“)
 
Kein Gedicht von Tucholsky: „Wenn die Börsenkurse fallen, regt
sich Kummer fast bei allen(„Der Standard“)
 
Galoppierender Wahnsinn: Opel fordert Verschrottungsprämie
gegen die Überproduktionskrise („Spiegel-Online“)
 
Die MLPD lädt für Freitag, den 14. November 2008, um 19 Uhr zur Gründung der Wählerinitiative MLPD/Offene Liste in die Gaststätte „Stella“, Erlenstraße 66 (Ecke Donaustraße). Eingeladen sind also ausdrücklich auch parteilose politisch Interessierte. Die MLPD/Offene Liste wird sich in allen Bundesländern an der Bundestagswahl 2009 beteiligen, um die sozialistische Perspektive und die kämpferische Opposition gegen die volksfeindliche Politik der Berliner Regierungskoalition zu stärken. Als Bremer Direktkandidat bewerben möchte sich Wolfgang Lange, Montagsdemonstrant der ersten Stunde.

 

„Ein Attentäter als Vorbild“

Hans-Dieter Binder1. Um 6 Uhr früh sind wir abgefahren mit Ziel Berlin. Um kurz nach 11 Uhr waren wir am Alexanderplatz. Die Auftaktkundgebung hatte bereits begonnen. Wir haben die Har(t)zer-Käse-Kostüme ausgepackt und dekoriert. Die gute Stimmung war schon aus der Distanz wahrnehmbar. Die Lautsprecher waren auf einem LKW angebracht. Nach kurzer Wartezeit konnte ich reden. „Hans-Dieter Binder von der Bremer Montagsdemo und der ‚Georg-Elser-Initiative Bremen‘“, so wurde ich angekündigt – mit einem Versprecher, den ich aufgreifen konnte. Ich blickte in die fragenden Gesichter einiger Zuhörer: Georg Elser, den kennen viele noch nicht.

Georg Elser ist der Mensch, der am 8. November 1939 Adolf Hitler in die Luft sprengen wollte! Der 8. November 2008 bot einen guten Anlass, etwas dazu zu sagen. Wir hatten am Tag der Demonstration Glück mit dem Wetter! Am 8. November 1939 ist das Wetter wesentlich schlechter gewesen. Daher ist Hitler früher gegangen als geplant und die Bombe 13 Minuten zu spät explodiert.

Georg Elser war Schreinergeselle und stolz auf seine Fähigkeiten. Ein Jahr hat er diese Explosion vorbereitet. Er löste die Holzverkleidung einer Säule, ohne dass es ersichtlich war. In 35 Nächten hat er Platz für den Sprengstoff geschaffen. Den Schutt hat er in der Aktentasche weggebracht. Davor hat er sich Wissen und Material angeeignet. Der Zünder war drei Tage im Voraus einstellbar. Georg Elser wurde beim Übertritt in die Schweiz gefasst. Die „Grüne Grenze“ war erst eine Woche vorher durch Stacheldraht und Bewachung gesichert worden.

Warum hat Georg Elser dies getan? „Ich habe den Krieg verhindern wollen“, lautet der bekannteste Grund. Im Verhörprotokoll der Gestapo steht: „Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte.“ Ist so ein Attentat heute wünschenswert? Nein! Gewalt und Attentate sind keine Lösung! Es gilt, aus der Geschichte zu lernen.

In dem Essayband „Ein Attentäter als Vorbild“ schreibt Achim Rogoss: „Georg Elsers Zeit war geprägt durch Verbrechen, Rechtsunsicherheit und Willkür. Wir werden heute zwar auch mit Problemen, Skandalen und Verbrechen konfrontiert, aber in einem Rechtsstaat besteht die Möglichkeit, erlittenes Unrecht zu korrigieren und berechtigte Ansprüche durchzusetzen. Der beste Schutz gegen eine Wiederholung der politischen Katastrophe besteht darin, uns in unserem Alltag menschlich und solidarisch zu verhalten, soziale Normen durchzusetzen, die allen Menschen ein Leben ohne Angst und in Würde erlauben.“ Genau dafür stehen wir hier! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Die letzten Worte meiner Rede gingen im Krach unter, und ich war nicht mehr zu verstehen. Die anderen waren einfach lauter! Es hat Spaß gemacht, diese Rede zu halten. Kurz danach sind wir zur Demo gestartet. Sie war sehr lautstark, alles bunt gewürfelt, ein langer Zug mit schätzungsweise 10.000 Menschen. Auf den Transparenten waren ihre Herkunftsstädte erkennbar. Die Teilnehmer aus Ulm, Saarbrücken, Stuttgart und München hatten wohl die weitesten Anfahrtswege. Trotz der Lautstärke haben wir uns unterhalten und Erfahrungen ausgetauscht. Unsere „Har(t)zer Käse“ wurden oft fotografiert.

Die Abschlusskundgebung habe ich nicht richtig mitbekommen – die gelungenen Kulturbeiträge brachten uns zum Pausieren. Wir haben diskutiert, ich bot Buttons an. Es war ein gutes Gefühl. Danach ging es mit dem Bus zurück nach Bremen. Die Fahrt verlief reibungslos. Eines bedrückt mich noch: Ich habe vergessen, aus welchen Städten ich Grüße bestellen soll! Wir waren als Bremer gut zu erkennen, auf den Kostümen stand „Bremer Montagsdemo“. Grüße aus etlichen Städten waren die Folge. Woher, habe ich leider vergessen. Es waren zu viele!

Am 28. Februar 2009 findet das nächste Treffen aller gewählten Delegierten der Montagsdemos und anderer Gruppen in Kassel statt. In Kassel wird die neue Koordinierungsgruppe gewählt und der Termin für die Herbstdemo 2009 festgelegt. Ich freue mich darauf!

 

2. In den letzten sieben Jahren wurden 85 Prozent aller Entscheidungen „in Europa“ getroffen. 85 Prozent aller Gesetze haben den Ursprung in Brüssel. Herr Stoiber hat sich darüber beklagt, dass weder Politik noch Wirtschaft sich darauf eingestellt haben. „Europa bestimmt, Deutschland jammert anschließend“, so der „Weser-Kurier“ vom 10. November 2008.

In derselben Ausgabe erfahren wir, dass die Rentenversicherung 2009 ein Drittel ihrer Rücklagen aufzehren wird: Den Ausgaben von 40,5 Milliarden Euro stehen Einnahmen von 34,8 Milliarden gegenüber. Der letzte Griff in die Rentenkasse war die Halbierung der Beiträge für ALG-II-Betroffene. Die Lissabonner Strategie sieht die Reduzierung der sozialen Sicherungssysteme auf ein Minimum vor. Die Absicherung soll durch private Versicherungen erfolgen. Die gesetzlichen Sozialversicherungsträger sind verpflichtet, diese privaten Versicherungen zu unterstützen.

Die Deutsche Rentenversicherung muss Seminare über die zusätzliche Altersabsicherung abhalten, darf aber selbst keine Zusatzverträge anbieten. Die Beträge, die in eine Riester-Rente eingezahlt werden, wandern zum Geldverdienen auf den Kapitalmarkt. Sie sind Teil der geplatzten Finanzträume! So finanzieren Arbeitnehmer die Casinospiele! Eine Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Zusatzversicherungen ist der richtige Weg. Das gleiche gilt für die Kranken- und Pflegeversicherung.

Es sind aber keine Zeichen einer Änderung sichtbar! „Finanztest“ macht Vorschläge für „mehr Sicherheit im Alter“: privat vorsorgen! Die Finanzkrise wird darin nicht ausreichend berücksichtigt. Eigentlich steht dort: Wir machen einfach weiter so! Altersarmut kommt nur, wenn die Politik nichts ändert. Die Weichen zur Altersarmut sind bereits Gesetz! Die Lissabonner Strategie ist umgesetzt! Wie die Politik gegensteuern kann, steht unter den vorherigen Bremer Montagsdemos.

Rente wird 2009 zentrales Wahlkampfthema. Jung und Alt sind gleichermaßen von der veränderten Rentenformel betroffen. Am 6. November 2008 hat der „Weser-Kurier“ die Formel zur Rentenberechnung als „ganz einfach dargestellt“: „Kein Buch mit sieben Siegeln!“ Nur die Formeln zur Ermittlung der einzelnen Faktoren wurden weggelassen. Bis jetzt beträgt die Anspruchsreduzierung für Neurentner circa 25 Prozent!

 

3. Der Lissabonner Vertrag verpflichtet auch zur Förderung der Atomkraft. Die aktuellen Proteste zeigen, dass Kernenergie bei uns keine Zustimmung findet. In England und Italien hat diese Vereinbarung zu umfangreichen Neuplanungen und Verwirklichungen von Atommeilern geführt. Kernkraftwerke sind auch der Verkaufsschlager in Afrika. Verstrahlung hört an keiner Landesgrenze auf!

Die Bundeswehr hat einen neuen Einsatzbefehl: Diesmal geht es gegen Piraten vor Somalia. Hat die Bundeswehr diesmal die richtige Ausrüstung? Sind die Soldaten auf das Zusammentreffen mit Atommüll vorbereitet und geschützt? „Somalia ist eines von vielen unterentwickelten Ländern, das seit den achtziger Jahren unzählige Schiffsladungen von Atommüll und anderen schädlichen Abfällen bekam und sie entlang der Küste lagerte. Aufgezählt wurden unter anderem Uran und Cadmium“, erfahren wir aus den Schweizer „Zeit-Fragen“.

 

4. Am Dienstag dieser Woche tagte um 14 Uhr die Stadtbürgerschaft. Auf der Tagesordnung stand der vorhabenbezogene Bebauungsplan 45. Es geht um die Errichtung eines Autohauses in Bremen-Blumenthal. „Die Linke“ lehnt das Vorhaben ab, da das zur Bebauung vorgesehen Grundstück inmitten eines Trink­wasserschutzgebietes liegt. Es gibt ausreichend voll versiegelte Flächen in Bre­men-Blu­men­thal und Industriebrachen in Bre­men-Nord, die alternativ genutzt werden könnten. Inga Nitz hat in der Sitzung diese Argumente vorgetragen, doch die Stadtbürgerschaft stimmte dem Bebauungsplan 45 zu. Ob wir künftig unser Trink­wasser bei Aldi kaufen müssen? Iris kümmert sich um eine Demo in Bremen-Nord!

 

5. Immer mehr Banken haben Liquiditätsprobleme. Sie wollen zum 500-Milliarden-Kuchen! Die Nord-LB, Mutter der Bremer Landesbank, ist auch dabei. Nur von Regressforderungen oder freiwilligen Rückzahlungen der Sondervergütungen der Bankvorstände und Aufsichtsräte ist keine Zeile zu lesen. Den Weg aus der Krise sollen diejenigen zeigen, die den Weg in die Krise gefunden haben! Der Lissabonner Vertrag verbietet bisher jegliche Reglementierung des Finanzverkehrs. Das ist ein weiterer Grund, diesen Vertrag zu ändern! –

Eine kleinere Belastungssumme – 16 Millionen Euro an Regressforderungen – befürchtet Bremen, wenn die Freie Hansestadt die Verträge mit dem Renn­verein kündigt. Diese Zahl hat Bremen selbst ausrechnen lassen! Ein solches Gutachten muss die äußerste Forderungshöhe aufzeigen, damit der Gutachter nicht tiefgestapelt hat. Von Schadensansprüchen oder Regressforderungen der Freien Hansestadt Bremen gegen die damals handelnden Personen ist nicht die Rede. Wie selbstherrlich der Rennverein Verträge abschließt, war erst im letzten Jahr nachzulesen: Im neuen Hotel wurden Zimmer für 30 Jahre angemietet, jeweils zu den Renntagen. Alles in dem Bewusstsein, dass Bremen den Verlust übernehmen muss? Zur Geschichte dieser Geldvernichtung siehe Bremer Montagsdemo! –

Die Besetzungsklagen um die offenen Stellen bei Bürgerschaftspräsident Weber gehen in die nächste Runde. Nicht einmal Personalausschreibungen und Be­setzungsverfahren bekommt Bremen hin! Das Martinskrankenhaus in Lilienthal hat Insolvenz angemeldet. Warum die Küche im Krankenhaus Mitte so teuer geworden ist, hat Staatsrat Schulte-Sasse dem „Weser-Kurier“ am 6. November 2008 verraten: Es gab keine angemessene Kontrolle! Wo bleibt die Regressforderung an das politische Personal? Wo bleibt der Rücktritt? –

Übrigens haben alle Senatoren ab 1. November 2008 eine Gehaltserhöhung erhalten: Sie bekommen 300 Euro brutto mehr in die Tasche. Zum Vergleich: Um vier Euro auf 351 Euro wurde die Regelleistung für von Sozialtransfers abhängigen Menschen „erhöht“. Die Rentner wurden ebenfalls um den Inflationsausgleich gebracht! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Unbildung: 13-Jährige demolieren jüdische Ausstellung („Spiegel-Online“)
 
Gute Bildung, kostenlos: In 40 Städten demonstrieren insgesamt
100.000 Schüler gegen Bildungsblockaden („Rote Fahne News“)
 
Hauptschüler aus „Pisa“-Vergleich entfernt: Statt Probleme zu
lösen, wird die Statistik manipuliert („Spiegel-Online“)
 
Opel-Management hat „einen Knall“: Eine Milliarde an deutschem Steuergeld soll bei General Motors verbrannt werden („Spiegel-Online“)
 
Automonteure in Detroit bangen um ihre Jobs: Mit ihren Steuergeldern werden die Finanzjongleure der Wall Street gerettet („Spiegel-Online“)
 
Jetzt ist es amtlich: Eurozone steckt in der Rezession („Spiegel-Online“)

 

Geschäftemacherei mit den „Tafeln“

Harald BraunJeden Tag entsteht eine neue „Tafel“ irgendwo in Deutschland. Immer mehr arme und hungrige Menschen müssen diese „Tafeln“ aufsuchen, um sich Lebensmittel zu besorgen. Was für ein Armutszeugnis in diesem reichen Land!

Am Wochenende bin ich auf eine „Hilfs“-Aktion der Handelskette Rewe gestoßen. Dort gibt es Produkte mit einem Aufpreis zu kaufen, deren Erlös den „Tafeln“ zugute kommen soll. Was als „mildtätige Unterstützung“ daherkommt, ist in Wirklichkeit ein skandalöser Betrug: Die „Tafeln“ erhalten nicht den Geldbetrag, den die Kunden quasi als Spende über Rewe entrichten – sie bekommen nur Lebensmittel geliefert, deren Haltbarkeitsdatum bereits abgelaufen ist!

So macht Rewe Geschäfte mit minderwertigen Waren und setzt das dann auch noch von der Steuer ab! Rewe verdient an der ganzen Aktion und versucht, als „sozialer“ Großhändler zu glänzen. In Wirklichkeit findet seit Monaten eine gigantische Preistreiberei statt – durch alle Handelsmonopole wie Lidl oder Aldi. Die Preise gerade für die dringend notwendigen Lebensmittel sind 2008 um zehn bis 15 Prozent gestiegen und haben die Not von Hartz-IV-Betroffenen und Niedriglöhnern stark erhöht. Wir brauchen keine Almosen und keine Betrüger! Wir brauchen sofort einen Hungerzuschlag von 50 Euro pro Monat!

Harald Braun
 
Lidl vergiftet Obdachlose: „Abgelaufene“ Lebensmittel gezielt
mit ätzendem Chlorit verunreinigt („Weser-Kurier“)
 
Kniefall der IG Metall: Eine Lohnerhöhung von 2,8 Prozent im Jahr
deckt bei Weitem nicht die Preissteigerung („Rote Fahne News“)
 
Rapider Anstieg der Kurzarbeit: Um die Arbeitslosenstatistik zu schönen, wird Kurzarbeitergeld künftig 18 Monate lang gezahlt („Spiegel-Online“)
 
„‚Pennergame‘ entwürdigt Obdachlose“: Hamburger SPD-Abgeordnete fordert Verbot von satirisch-sozialkritischem Online-Spiel („Spiegel-Online“)
 
„Niemals mit Altkommunisten“: Schiefer Humpel „weiß,
was starke Frauen wünschen“ („Bild“-Zeitung)

 

Gegen Einkommensarmut
und soziale Ausgrenzung!

Wieland von HodenbergDie Aktiven der BAG-SHI lassen sich nicht unterkriegen! Im September beschloss eine Koordinierungsgruppe des Vereins hier in Bremen die Gründung eines neuen bundesweiten Dachverbandes. An diesem Wochenende kamen etwa 50 Delegierte und Einzelkämpfer(innen) in der Jugendherberge Meppen zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zusammen und gründeten die „BAG Prekäre Lebenslagen e.V. – gegen Einkommensarmut und soziale Ausgrenzung“ (Plesa). Die alte, in Insolvenz gehende „Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen“ existiert hinfort nicht mehr.

Im Mittelpunkt der Diskussionen standen eine Aufarbeitung der Vergangenheit und eine völlige Neustrukturierung, um gravierende Versäumnisse und Nachlässigkeiten im Umgang mit den Finanzen, die zum Zusammenbruch der alten BAG-SHI geführt hatten, von vornherein auszuschließen. Das Bundestreffen fand in einer solidarischen und freundschaftlichen Atmosphäre statt, und es wurde vermieden, „schmutzige Wäsche zu waschen“, das heißt Beteiligte anzuklagen, zu sanktionieren oder sonst wie zu diffamieren. Schließlich wurde offensichtlich, dass niemand aus dem Kreis der Verantwortlichen zum Zweck der persönlichen Bereicherung betrügerisch gehandelt hat.

Der neue Verein wird seine Arbeit so schnell wie möglich aufnehmen. Ganz oben auf der „Prioritätenliste“ wird der Kampf um eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze stehen. Ein jetzt gewählter vorläufiger Vorstand wird die Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines regulären Vorstandes auf der konstituierenden Mitgliederversammlung im Sommer kommenden Jahres führen. Weitere Arbeitsschwerpunkte werden sein: Hilfe bei der Selbstorganisation von Initiativen, Hilfe bei der Vernetzung von Initiativen untereinander, Unterstützung bei der Selbstorganisation, zentrale und regionale Informations- und Bildungsveranstaltungen, solidarische Bündnispolitik, Information der Öffentlichkeit über die Lebensbedingungen der Betroffenen und Unterstützung der Initiativen vor Ort.

Der Verein erstellt und veröffentlicht wie bisher Informationen und Fachliteratur zum Sozialrecht, zur Gewährungspraxis von Behörden sowie zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen und Stellungnahmen zu aktuellen sozialpolitischen Themen. Er gibt außerdem einen periodisch erscheinenden Rundbrief heraus. Fast alle Beteiligten auf der Versammlung waren sich einig, und deshalb kam es auch zu der schnellen Neugründung: Ein bundesweiter Dachverband aller Erwerbsloseninitiativen, besonders auch unter Einschluss aller prekär Beschäftigten, ist heute notwendiger denn je!

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)
 
Dietrich Kittner, „Inhaber des anerkannt schlimmsten Schandmauls“ („Münchner Merkur“), kommt am Dienstag, dem 18. November 2008, um 20 Uhr anlässlich des 25-jährigen Bestehens des „Bremer Friedensforums“ in die Evangelische Zionsgemeinde, Kornstraße 31. Karten im Voraus gibt es bei Ernst Busche (Telefon 355 816) oder in der „Villa Ichon“, Goetheplatz 4. Sie kosten neun Euro für „Prekär-Ver­diender(innen)“ und 18 Euro für diejenigen, „die es sich leisten können“.

 

Senioren in den Regen,
Jugendliche in die Wildnis

Jobst RoseliusHeute möchte ich auch in euer aller Namen unserem Mitstreiter Jürgen Karbe zum 50. Geburtstag gratulieren. Er ist heute nicht da, weil er diesen Geburtstag begeht. Jürgen ist mit seiner Blindheit sehr gehandicapt, aber das Gegenteil von resigniert. Er ist offen für den aktiven Kampf für eine andere Welt und begeistert sich immer wieder mit und für die Jugend. Darum alles Gute, Gesundheit, und behalte deine kämpferische Sicht!

Der letzte Sonnabend war mit den Protesten in Gorleben und der Demonstration der bundesweiten Montagsdemo-Bewegung in Berlin sehr aktiv. Dies zeigt, dass die Menschen im ganzen Land nicht einverstanden sind mit der Regierungspolitik. Was wollen sie uns nicht alles glauben machen: Die Bürger seien „so zufrieden mit der schnellen Entscheidung“ in Sachen Finanzkrise! Ja, was denken diese Politiker denn eigentlich? Nur dem maroden Bankensystem weiteres Geld zu dessen Sanierung und späteren Gewinnprivatisierung zuzuschanzen, das reicht doch nicht!

Das jetzige politische System braucht schließlich nicht die Zeche zu zahlen, das werden die Zukünftigen tun müssen, oder sie werden, was ich denke und auch hoffe, den Spieß umdrehen und diesem ganzen Verwirrungsdickicht, den verfaulten „Sachzwängen“ und dem ganzen System den Garaus machen! In Berlin haben über 5.000 Menschen demonstriert. Mir schienen es weit mehr zu sein. Wenn man die Begeisterung bewertet, waren es zehnmal so viel!

Als bei der Demo nach dem ältesten Teilnehmer gefragt wurde, meldete sich einer mit 81 Jahren. Unser Karl-Heinz, vor kurzem 85 Jahre alt geworden, hatte es gar nicht gehört, weil er so aktiv mit dem Verkauf von Montagsdemo-Postkarten beschäftigt war: 38 Stück hat er verkauft, eine tolle Leistung! Solch stetige Aktivität gibt uns die Kraft und Möglichkeit, Demos und Aktionen wo auch immer anzupacken. Unser Bus kostete 900 Euro, wir waren aber nur 26 Reisende, denn es gab Absagen, etwa aus Krankheitsgründen, bis zur letzten Minute. Da war ein Defizit vorprogrammiert. Aber Sonderspenden, der Verkauf von Postkarten oder Buttons und nicht zuletzt der Überschuss aus unserem Sommerfest haben dafür gesorgt, dass wir letztlich nur etwa 100 Euro aus unserer „eisernen Reserve“ nehmen mussten.

Mit dem Transparent und den „Har(t)zer-Käse“-Kostümen standen wir wieder im Mittelpunkt der fotografierenden Demonstranten. Die Busfahrt war schnell, sauber und gut, sodass alle Teilnehmer zwar müde, aber doch gestärkt nach Hause kamen. „Nach Berlin“ gehen nun alle Kämpfe weiter, ob gegen Hartz IV, die Atom-Politik, die Abhör- und Kriminalisierungspläne und -praktiken oder den Kriegskurs in Afghanistan.

Dazu kommen die Bremer „Kleinigkeiten“ wie der Bau eines Autohauses im Wasserschutzgebiet in Blumenthal oder die Schließung des „Wehrschlosses“, die mit der „Umnutzung“ eines Jugendheims an der Drebberstraße einhergeht. Dorthin fährt kein Nachtbus, und die Jugendlichen werden in die Wildnis geschickt. Auch die Senioren, die im „Wehrschloss“ ihre Nachmittage verbracht haben, lässt man einfach im Regen stehen. Haus und Grundstück sollen verkauft werden, sicher für Eigentumswohnungen und Reihenhäuschen mit bester Südlage zur nahen Weser. Der Masse der Bevölkerung bleibt wieder nur die Arschkarte! Vielen Dank den Damen und Herren im Senat, wir haben mehr als genug davon!

Jobst Roselius

 

Aus der Arbeitslosigkeit
in die „Nichterwerbstätigkeit“

1. Mindestens einmal wöchentlich steht in irgendeiner Zeitung, dass immer mehr Hartz-IV-Bezieher gegen die Bescheide der Jobcenter klagen. Überall ist dann zu lesen, dass im ersten Halbjahr 2008 an den deutschen Sozialgerichten knapp 62.000 entsprechende Verfahren verhandelt wurden. Für die armen Richter bedeutet das einen immer höher werdenden Aktenberg und dass sie, seit sie nicht mehr drübergucken können, inzwischen gar nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht.

Elisabeth GrafDie Streitfälle beziehen sich oft auf die Frage nach angemessenem Wohnraum, einer Erstausstattung, einem Sozialticket und noch viel mehr an Existenziellem. Die Gesetze, die Hartz-IV-Leis­tungen regeln, sind oft schwammig ausgedrückt, sodass immer wieder unklar bleibt, wonach sich die Kriterien eigentlich genau richten. Offenbar im Zweifel nach dem für Transferleistungen immer zu leeren Staatssäckel! Weil die Politiker die Anti-Sozialgesetze mit glühendheißer Nadel strickten, muss jetzt in Zehntausenden Gerichtsverfahren mühsam herauskristallisiert werden, was eigentlich „angemessen“ genau heißt. Es gibt doch zu denken, wenn jede zweite Klage erfolgreich ist!

Umgekehrt lässt sich daraus unzweifelhaft schließen, dass etwa die Hälfte der von der Arge erstellten Bescheide fehlerhaft ist. Fast vier Jahre nach Inkrafttreten der menschenverachtenden Hartz-Gesetze lässt sich nur die ernüchternde Bilanz ziehen, dass die praktische Umsetzung nicht wie gedacht funktioniert und dass der Verwaltungsaufwand größer geworden ist statt kleiner! Und statt dafür zu sorgen, dass die Gesetze erst überdacht werden, bevor man sie ungelesen verabschiedet, soll Hartz-IV-Beziehern, die sich gegen definitiv falsche Bescheide wehren wollen, der Rechtsweg erschwert bis verunmöglicht werden.

 

2. Ulrike Herrmann schrieb in der „Tageszeitung“ einen Artikel über die Trickse­reien mit Langzeitarbeitslosen. Die SPD jubiliert mit den anderen neoliberalen Parteien darüber, dass die Agenda 2010 „wirke“ und zumindest offiziell die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinkt. In Wirklichkeit haben die jedoch gar keinen Job, sondern fallen durch besagte Raffinesse aus der Statistik heraus! Es muss unbedingt wie ein Erfolg aussehen, also „darf“ sie aufgehübscht werden, was das Zeug hält! Wer arbeitslos ist, das ist keine Frage von Fakten mehr, also ob erwerbstätig oder nicht, sondern inzwischen nur noch eine Frage der Interpretation!

Uns wird als Erfolg vorgegaukelt, die offizielle Zahl der Langzeitarbeitslosen sinke sogar schneller als die „einfache Arbeitslosigkeit“. Wie sich dies erklären lässt? Die Spezialdemokraten behaupten naiv, die Agenda „wirke“. Dabei sind die offiziellen Statistiken eigentlich kaum zu benutzen, weil hier nur getrickst wird, um auf Teufel komm raus zu einem positiven Ergebnis zu gelangen. Nicht alle Ex-Arbeitslosen verschwinden in den Beruf, wie die monatliche Abgangsstatistik der Bundesagentur „belegt“. Wenn zum Beispiel ein Hartz-IV-Bezieher für drei Monate in einen Ein-Euro-Job gezwungen wird, ist er hinterher zwar arbeitslos, jedoch nicht mehr langzeitarbeitslos. Gleiches gilt auch für Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie für Krankheiten, die länger als sechs Wochen dauern. So wird aus einem echten Langzeitarbeitslosen ein statistischer Kurzzeitarbeitsloser.

Dabei fallen drei Phänomene an der Statistik besonders auf. Erstens: Im Oktober fanden 272.117 Arbeitslose eine neue Stelle. Aber fast genauso viele, nämlich 237.543 Menschen, haben die Arbeitslosenstatistik verlassen, ohne hinterher einen Job zu haben: Sie wurden in die „Nichterwerbstätigkeit“ entlassen. Darunter gelten 145.541 als arbeitsunfähig. Das ist ein Plus von 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aber eine Epidemie ist nicht ausgebrochen! Manchmal wird aus der Arbeitsunfähigkeit ein permanenter Zustand. 2007 stieg auch die Zahl der Erwerbsunfähigen, die Grundsicherung bekommen. Sie fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus und werden in die Grundsicherung umgebucht. Wer etwa Angehörige pflegen muss, erhält zwar weiter Hartz IV, gilt aber nicht als arbeitslos. Offenbar sind die Jobcenter in Hamburg großzügig, wenn es gilt, Hartz-IV-Empfänger aus der Arbeitslosenstatistik zu entfernen.

Beim IAB hält man es für „etwas kurzschlüssig“ zu glauben, dass „weniger Langzeitarbeitslose“ bedeute, die meisten von ihnen hätten einen Job gefunden. Zur Erinnerung: Die erklärte Absicht im August 2002 von Peter Hartz war doch, die registrierte Arbeitslosigkeit von über vier Millionen innerhalb von drei Jahren zu halbieren. Inzwischen sind sechs Jahre vergangen, und es wurde trotz aller statistischer Korrekturen, trotz der explosionsartigen Ausweitung des Niedriglohnsektors und trotz verschärften Drucks auf die Arbeitslosen durch Verfolgungs­betreuung das Versprechen nicht annähernd erreicht. Dennoch wird permanent und unaufhaltsam vom Pseudo-Erfolg geblubbert! Vielleicht wird die anstehende Rezession endlich darüber belehren, dass die Nachfrage nach Arbeit vor allem von der Konjunktur abhängt – und auch die Erkenntnis bringen, dass Autos keine Autos kaufen können.

 

3. Einem Verein in Frankfurt am Main soll vom Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, weil er Hartz-IV-Bezieher unterstützt! Der Verein „Höchster Leuchtfeuer“ organisiert gemeinsame Mahlzeiten, Feiern und Bootsfahrten für ALG-II-Bezieher und andere finanziell Schwache. Es wird behauptet, diese Unternehmungen für Hartz-IV-Bezieher, die nicht unter die Jugend- und Altenhilfe fallen, seien „problematisch“. Der Vorwurf lautet allen Ernstes, dass „die Unterstützung wirtschaftlich Hilfsbedürftiger vielmehr auf die menschlichen Grundbedürfnisse abzielt: Ernährung, Kleider, Körperpflege und Hausrat.“ Dann sind also Geselligkeit, Freizeitkultur und unbeschwerte Stunden aus amtlicher Sicht für diese Personengruppe nicht vorgesehen?

Vom Verein wird verlangt, dass Hartz-IV-Bezieher nicht mehr mit aus Spenden finanzierten Mahlzeiten verköstigt werden dürfen, auch nicht zu Nikolaus und Weihnachten. Solche gesetzlichen Grundlagen sind doch absolut menschenunwürdig und müssen zwingend geändert werden! Es können doch zuvor keine Einkommensermittlungen durchgeführt werden – von Spendengeld, das für bedürftige Kinder und Erwachsene gedacht ist und nicht für völlig absurde Amtsvorgänge! Offenbar hat hier der Gesetzgeber jegliches Augenmaß für Gerechtigkeit und Menschlichkeit verloren.

Dann soll die Behörde doch einer blinden und alleinerziehenden Mutter erklären, warum sie mit ihren drei Kindern nicht an einer Bootsfahrt auf dem Main teilnehmen darf! Auch könnte das Amt die vielen Bedürftigen, die zu Weihnachten kommen, mit einem mobilen Kopiergerät empfangen und ihnen Einkommensbescheide und Kontoauszüge abverlangen. Das wird sicher ein ganz besonders beschauliches Weihnachten werden, ein Fest der Liebe! Als die Hartz-IV-Bezieher hörten, dass sie selbst von diesem Verein ausgegrenzt und ausgesperrt werden sollen, haben manche von ihnen geweint oder fühlten sich zutiefst gedemütigt.

Ich halte die Überlegung für gut, dem Finanzminister in Wiesbaden einen Besuch abzustatten, damit er persönlich den Betroffenen erklären kann, warum sie Weihnachten allein und frierend zu Hause in ihrer kalten Wohnung sitzen sollen. Ich frage mich ohnehin immer wieder, warum und von wem eigentlich Hartz-IV-Bezieher, also die Ärmsten der Armen, zum Sündenbock der Gesellschaft degradiert werden, an denen dann die ganzen heimlichen sadistischen Neigungen und Bestrafungsfantasien ausgelassen werden „dürfen“. Hauptsache, die eigene Weste bleibt so weiß wie der Schnee, der hoffentlich ganz romantisch weiße Weihnachten bescheren möge! Auf dass diesen Projizierern jeder Bissen ihrer fetten Weihnachtsgans einzeln im Halse stecken bleiben möge!

 

4. Vor über einer Woche mussten wir das Statement des streitbaren Professor (Un-)Sinn ertragen. Nun konfrontierte uns auch der niedersächsische Minister­prä­si­dent damit: Holocaust-Verharmlosung, die zweite! In einer Talkshow postulierte Christian Wulff, wenn jemand Zehntausende Jobs „sichere“ und Millionen an Steuern zahle, dann dürfe gegen ihn keine „Pogromstimmung“ verbreitet werden. Obwohl ihm sogleich entgegengehalten wurde, dies sei wohl nicht der passende Vergleich, korrigierte er seinen Fauxpas nicht, sondern schob – ohne das Wort zu wiederholen – nach, hier werde „sehr stark gegen Leute geredet, die das nicht verdient“ hätten.

Ach Gottchen, den bedauernswerten Managern wird im Moment aber auch zugesetzt! Was dagegen mit den Hartz-IV-Beziehern so alles veranstaltet wird, ist sicherlich nur als konstruktive Kritik zu verstehen, oder? Wulff entschuldigte sich später für seine Äußerungen zum Umgang mit Managern in der Finanzkrise, dennoch legte ihm der Zentralrat der Juden einen Rücktritt nahe. Ich persönlich halte es für völlig ausgeschlossen, dass der Ministerpräsident nichts von den Entgleisungen seines Bruders im Geiste, Professor (Un-)Sinn, mitbekommen hat. Ob Wulff davon ausging, sich mit seinem Pogromvergleich interessant zu machen?

Die Frage bleibt indes unbeantwortet, ob er sich aus den vermuteten Reihen der Zustimmenden neue Wähler rekrutieren wollte. Ausgerechnet kurz vor dem 70. Jahrestag der Reichspogromnacht wird uns der Mann doch wohl kaum erzählen wollen, er wisse nicht, dass unter einem Pogrom eine gewaltsame, auch organisierte Massenausschreitung gegen Mitglieder einer religiösen, nationalen, ethnischen oder andersartig definierten Minderheit oder Gruppe der Bevölkerung, verbunden mit Plünderungen und Misshandlungen sowie Mord oder Genozid, verstanden wird!

 

5. In Lübeck prüft die Arge derzeit bei mehr als 3.000 Familien, ob sie aus dem Leistungsbezug ausgesteuert werden können. Die Familien, deren Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt selbständig zu sichern, werden beauftragt, Wohngeld und den seit Oktober erhöhten Kinderzuschlag zu beantragen. Im April verfügte der Gesetzgeber, dass andere Sozialleistungen Vorrang vor Hartz IV haben. Weil der Kinderzuschlag und das Wohngeld gerade erhöht wurden, setzt die Lübecker Arge prompt die Vorgabe um. Das sorgt selbst bei konservativen Sozialpolitikern für Unverständnis angesichts dieser Taschenspielertricks, weil die Kinder de facto keinen Cent mehr in der Tasche haben: Wenn die Familien dadurch ihren Anspruch auf Sondervergünstigungen wie Schulranzen oder die GEZ-Befreiung verlieren, werden sie in eine noch tiefere Armut getrieben!

Es muss jetzt nicht mehr verwundern, wenn der DGB die neue Politik der Behörde sogar begrüßt: Die „vorgeschalteten Sicherungssysteme“ müssten ausgebaut werden, weil Hartz IV das demütigendste Hilfesystem sei. Ist Hartz IV vielleicht nicht hausgemacht, kann dort nicht das Prinzip der Dehumanisierung außer Kraft gesetzt werden? Eigentlich sollte jeder zufrieden sein, der aus der Verfolgungsbetreuung herauskommt. Uneigentlich dürfen sich daraus aber keinerlei andere Nachteile entwickeln. Auch wird der Kinderzuschlag im Gegensatz zu anderen Transferleistungen erst gewährt, wenn alle Unterlagen vollständig da sind. So geht den Eltern bestimmt der eine oder andere Monat flöten! Was soll daraus bloß für ein Gerenne entstehen?

Mich nervt es ohnehin, wenn ich mich am einzig offenen Nachmittagstermin der Arge – nun nach getaner Arbeit – dort in die Schlange einreihen und eine Stunde warten muss, bis ich ein Formular für die GEZ-Befreiung ausgefüllt habe und abgestempelt wieder mitnehmen kann. Dabei sind meine Kinder groß; ich muss sie nicht mehr mitnehmen oder unterbringen. Wie mag es den Müttern und Vätern ergehen, die am einzig freien Nachmittag – mit den sich gelangweilt streitenden Kindern an der Hand – erst bei der Behörde für den Kinderzuschlag anstehen müssen, dann beim Wohngeldamt, bei der Kindergeldkasse und schließlich noch bei der Arbeitsagentur, um den Rentenanspruch zu sichern? Wie mag das erst bei monatlich unterschiedlichem Gehalt sein? Alles nur, weil ALG II nachrangig ist und auf diese Weise die Statistik aufgehübscht wird, damit die Bundesregierung fein raus ist und sich vorm Ausland anerkennend auf die Schulter klopfen lassen kann, weil sie ja scheinbar etwas gegen die Kinderarmut unternommen hat! Als ob für die Kinder bei diesem Statistikgehopse etwas herauskäme!

 

6. Was bei den Ärmsten der Armen eingespart wird, darf ganz munter von unten nach oben verteilt werden. Das geschah letzten Donnerstag bei der sogenannten reformierten Erbschaftsteuer. Die Spitzen der Großen Koalition einigten sich auf Eckpunkte zur Neuregelung des Erbschaftsteuergesetzes. Die Fristen verkürzen sich, innerhalb derer ein Unternehmen weitergeführt werden muss, um von Steuern befreit zu sein. Außerdem soll sowohl eine weitgehende Befreiung von selbstgenutztem Wohneigentum von der Erbschaftsteuer eingeführt werden wie eine gravierende Erhöhung der Freibeträge bei geerbtem Geld- und Sachvermögen. Die Neuregelungen treten bereits zum 1. Januar 2009 in Kraft. Nach dem Koalitionsbeschluss können Familienunternehmen komplett steuerfrei bleiben, wenn der Betrieb zehn Jahre mit nicht wesentlich sinkendem Lohnkostenvolumen weitergeführt wird.

SPD-Fraktionschef Peter Struck zeigt sich zufrieden mit der Einigung, während Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen, bemängelte, die Bundesregierung mache sich zur „Koalition der Millionärsschützer“. Oskar Lafontaine beklagte, dass der jährliche Reichtumszuwachs der Volkswirtschaft allein den Empfängern von Gewinn- und Vermögenseinkommen zugute kommt, während die Reallöhne, Renten und Sozialleistungen seit vielen Jahren sinken oder stagnieren. Ähnliche Kritik hagelt es auch von „Attac“, weil diejenigen, die von den liberalisierten Finanzmärkten profitiert haben, nun noch beschenkt werden, statt dass sie für die Kosten der von ihnen verursachten Krise aufkommen müssen! „Attac“ forderte eine Sonderabgabe auf Vermögen zur sozial gerechten Finanzierung des Bankenrettungspakets der Bundesregierung, denn das Beschlossene kommt einem Klassenkampf von oben gleich!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)

 

„Dafür haben wir kein Geld“

Udo RiedelVor zwei Wochen war ich mit meiner Frau bei einer Musikveranstaltung im „Wehrschloss“ und wurde Zeuge von den Ungerechtigkeiten, die nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen stattfinden. Ich unterhielt mich mit mehreren älteren Menschen, die mir mitteilten, dies sei wohl eine der letzten Veranstaltungen, da sie im Dezember hier rausmüssten: Der Träger ziehe sich zurück. Ohne Schleichwerbung machen zu wollen: Dieser Träger ist die „Arbeiterwohlfahrt“! Ihr sei die Betreuung der älteren Menschen durch eine Fachkraft zu teuer.

Von einem anderen Träger werden Jugendliche betreut. Auch diese Nutzung sei zu teuer. Ich kann verstehen, dass man wirtschaftlich handeln muss, damit die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Doch hier wird vergessen, dass für den Steuerzahler demnächst viel höhere Kosten entstehen! Das „Wehrschloss“ soll nun verkauft werden, was aber nicht so einfach ist, weil es unter Denkmalschutz steht. Alle Parteien waren sich darüber einig, einen gemeinsamen Antrag zu stellen, wonach das Wehrschloss unbedingt erhalten werden soll. Das hätte aber eine beschränkte Nutzung zur Folge.

Mich entsetzt die Tatsache, dass hier circa 65 bis 75 ältere Personen auseinandergerissen und auf verschiedene Stellen verteilt werden sollen. Ihre Gemeinschaft wird zerstört, und sie werden in Isolation gedrängt. Was das für die Zukunft bedeutet, kann wohl jeder ahnen: Mehrkosten für die Allgemeinheit, denn Isolation bedeutet auch vorzeitige Krankheitsanfälligkeit!

Von den Sparmaßnahmen sind auch die jüngeren Menschen betroffen. Für sie entsteht eine „Alternative“ in Hemelingen, ein Neubau. Vergessen wird dabei, dass es keine Nachtverbindung gibt: Die Jugendlichen müssen entweder früher nach Hause oder abgeholt werden oder, was noch schlimmer wäre, zu Fuß heimgehen. Ich könnte mir daher vorstellen, dass diese „Alternative“ gar nicht richtig genutzt wird. Meine Frage an die Politiker ist nun: Wie können Sie so etwas zulassen? Wieso kann der Staat nicht unterstützen, was dem Gemeinwohl dient?

„Dafür haben wir kein Geld“, heißt es. Ist uns denn unsere Gemeinschaft nichts mehr wert, liegt jetzt alles nur noch am Geld? Als guter Demokrat möchte ich euch an eines erinnern: Das „Wehrschloss“ gehört zwar dem Staat, doch der Staat sind alle Bürger, und ihr Politiker seid nur Vertreter und Verwalter auf begrenzte Zeit, daran solltet ihr jetzt endlich mal denken! Wer in der Politik zu kurzfristig denkt, bekommt bei der nächsten Wahl die Antwort!

Udo Riedel (parteilos)
 
Beihilfe zur Insolvenzverschleppung: Welche GmbH bekommt eine Staatsbürgschaft, wenn der Geschäftsführer darum bettelt? („Frankfurter Allgemeine“)
 
„Bundestrojaner“ durchgewunken: Polizei wird Geheimdienst („Spiegel-Online“)
 
Typisch grün: Auch Koteletten-Özi kann sich Neubau
von Kohlekraftwerken „vorstellen“ („Stern“)
 
Denk ich an „Wikipedia“ in der Nacht: Dann bin ich
um den Schlaf gebracht („Stern“)
 
Ein-Euro-Job statt 400-Euro-Job: Hartz IV wird
weiter verschärft („Rote Fahne News“)
 
Die nächste Montagsdemo findet noch auf dem Marktplatz statt.
Am 24. November 2008 ist erstmals Treffen vor der „Glocke“
an der Domsheide, immer um 17:30 Uhr

 

Der Novemberrevolution
soll nicht gedacht werden

Das große Redebuch
Band I (2004/2005):
Schröders Hartz-Attacke und 
seine vorgezogene AbwahlTeils noch erschöpft, aber gestärkt trafen wir uns zur 206. Montagsdemo in Bremen am 10. November 2008 um 17:30 Uhr. In den nächsten Minuten kamen etwa 35 Teilnehmer zusammen. Im Bremer Rathaus war zu dieser Stunde die „Nacht der Jugend“ angesagt. Mit den Jugendlichen versuchten wir ins Gespräch zu kommen, was aber nur zum Teil gelang. Die „Nacht der Jugend“ findet aus Anlass des Gedenkens an die Pogromnacht der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung statt und ist im Prinzip eine gute Sache. Viele antifaschistische Jugendliche kommen aus diesem Anlass in die Stadt. Nur für die Zukunft dieser lebendigen Jugend tut der Staat fast nichts! Und die Geschichte wird zu großen Teilen ausgeblendet: Dass gleichzeitig auch des 90. Jahrestages der Novemberrevolution in Deutschland zu gedenken ist, soll nicht vorkommen. Wir brachten es aber zur Sprache!

Eine kleine Nachlese zur Großdemonstration in Berlin war natürlich richtig und wichtig. Wie sehr unsere Veranstaltung hinter der Gorleben-Demo und herunterspielender „Berichterstattung“ versteckt wurde, zeigte die Teilnehmerzahl: Ein ruhiger Bremer Zähler hatte um die 8.000 ermittelt, die „Berliner Morgenpost“ verkleinerte auf 1.400. Die Herren sollten mal die Brille putzen!

Es gibt neue Erwerbsloseninitiativen und Forderungen an Obama, auch den Afghanistankrieg zu beenden. Die unendlich widerwärtigen Versuche der Argen, die Hartz IV-Betroffenen auszugrenzen, wo es nur geht, indem karitativen Organisationen verboten werden soll, ALG-II-Bezieher an Kaffeetafeln teilnehmen zu lassen, waren weitere Themen. Sehr viele spontane Beiträge zu der ganzen aktuellen Schweinerei zeigten die Wachheit und Empörung der Menschen. Wir müssen besonders die vorwärtsschreitende Faschisierung des Staatsapparates und die Verhetzung der Bevölkerung durch die selbstherrliche, auf tönernen Füßen stehende Staatsmacht weiter offenlegen und angreifen!

Jobst Roselius für die „Bundesweite Montagsdemo
 
Opel vor dem Crash: Steinmeier trimmt Betriebsräte
auf Lohnverzichtskurs („Spiegel-Online“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz