71. Bremer Montagsdemo
am 23. 01. 2006  I◄◄  ►►I

 

Oben geil, unten Geiz

Ursula GatzkeDie Worte „Geiz ist geil“ nehmen unsere Spitzenvolksvertreter viel zu ernst! Nun geizen sie da oben schon ganz gewaltig mit unserer Rente! Wissen die Oberen überhaupt, wie wenig wir ausgezahlt bekommen? Wenn der Geiz in der Rentenkasse sich so fortsetzt, können wir die Rente bald verspeisen!

Da sie ein Auslaufmodell ist, nennen wir sie „Tafelgeld“: Weil das Geld zum Leben nicht mehr reicht, gehen oder fahren wir zu den „Tafeln“. Wer zu schwach ist, lässt sich von den vielen freiwilligen Helfern sein armseliges Essen ins Haus bringen: „Es klappt doch alles! Die Regierung ist auf dem richtigen Weg!“. Waren das die Regierenden nicht immer?

Da brauchen sich die Rentner keine Sorgen zu machen, wenn sie in der Zeitung lesen: „bis 2035 keine Rentenerhöhung mehr, oder höchstens irgendwann ein Prozent“! Nullrunden sind doch für das arbeitende Volk gut, warum nicht auch für Rentner? Die sollen froh sein, dass sie nicht zu den 30- bis 50-jährigen gehören: „Diese Generation wird noch mehr zu leiden haben! Sie hat das Problem aber selbst verursacht und zu wenig Kinder in die Welt gesetzt!“.

Dass die Spitzenvolksvertreter sich die Taschen und Konten vollgestopft, aber all die vielen Jahren lang gepennt haben, steht auf einem anderen Blatt. Oben geizt man nicht, oben schmatzt man! Die Tröge sind immer randvoll, es wechseln nur ab und zu die Schmatzer! Hört endlich mit der Nullrunden-Lüge auf, ihr reichen Schmatzer, es sind und werden dicke Minusrunden!

Ursula Gatzke (parteilos)
 
„Denn du bist Deutschland“: Kampagnen-Chef entschuldigt sich
bei den „Klowänden des Internet“ („Spiegel-Online“)
 
Arbeitszeitverkürzung: 200 Stellen bei Bremer
Stahlwerken gerettet („Tageszeitung“)
 
Kampf ums Wohnen: Mieterbund fordert, dass „überhöhte“ Wohnkosten
von den Behörden übernommen werden müssen, wenn der Markt
keine geeigneten Alternativen bietet („Tageszeitung“)

 

An die Geistesarbeiter

Was soll nun werden, Geistesarbeiter? Warf dich dein Schicksal aus der Bahn? Das eine weißt du: Es geht nicht weiter! Doch mit Resignieren ist nichts getan!

Matthias FeilkeDu hast Bildung genossen, du hast studiert, du bist zum Doktor promoviert, du bist ein Künstler, der etwas kann, du bildest dich mit Fleiß heran, du bist ein Fachmann, begabt und gewandt, als Pädagoge, als Laborant, du bist als Schriftsteller eine Kraft, du kennst dich aus in der Wissenschaft, du bist ein fähiger Spezialist, du bist also wirklich einer, der in der Gesellschaft zu brauchen ist, aber: Es braucht dich ja keiner!

Alles Bemühn eines halben Lebens, alle Opfer, alles Lernen vergebens! Und nun stehst du da und fragst: Wozu? Aber wer bist denn du? Du meinst, dass du etwas Besseres seist, weil du dich mit Bildung befasst, weil du den dressierten Geist und dressierte Umgangsformen hast?

Hast du immer noch nicht erkannt, was deine ganze Not bedeutet? Du bist genauso ausgebeutet wie der „Prolet“ am laufenden Band! Du denkst, du gehörst zu anderm Stand als der Lohnarbeiter? Ja, was bist du denn weiter? Musst du nicht auch nach Arbeit laufen? Bezahlt dir der Staat deine Wissenschaft? Musst du nicht wie der Kuli verkaufen deinen einzigen Besitz, deine Arbeitskraft?

Und begreifst du das noch nicht, dann erfahre: Deine Arbeitskraft ist nur eine Ware! Eine Ware, deren Preis nicht der bestimmt, der sie verkauft, sondern der sie nimmt! Und der sie nimmt, ist der Kapitalist, für den du, trotz der tieferen Verbeugung, nichts anderes als der Arbeiter bist: ein Objekt der Profiterzeugung!

Und wenn sie dich auf Akademien zu vornehmeren Umgangsformen erziehn und der Kathederlakai dich lehrt die These vom überlegenen Wert der kapitalistischen Theorien, so doch nur, um täglich die Kluft zu erweitern zwischen dir und den Handarbeitern! Aber wir fragen und geben keine Ruh: Wer bist denn du?

Biete dich an wie saures Bier! Es besteht keine Nachfrage mehr nach dir. Wenn du arbeiten willst, es steht dir frei, aber bitte gratis! Betrachtest du die kapitalistische Schweinerei nun noch immer sub specie aeternitatis? Wie lange spielst du noch Blindekuh? Noch einmal die Frage: Wer bist denn du?

Das werden dir die Arbeiter sagen: Ein Arbeiter bist du! Siehst du’s nicht ein? Doch die Arbeiter werden in kommenden Tagen die Träger der Weltgeschichte sein! Der Arbeiter spricht: Du musst mitmarschieren! Wir haben ein Ziel! Du hast zu gewinnen und nicht zu verlieren, denn Arbeiter sein, bedeutet viel!

Ein Geistesarbeiter, der drüben marschiert, der ist in Wirklichkeit deklassiert! Nutzt euer Wissen und eure Kraft im Dienste der kämpfenden Arbeiterschaft! Geistesarbeiter, was zögerst du auf der anderen Seite der Barrikaden? Herüber zum Sprung! Eine Hand greift zu, die Hand deines Arbeiterkameraden!

Gedicht von Erich Weinert (1931), vorgetragen von Matthias Feilke

 

Der Ausverkauf
öffentlichen Wohnraums

Jens SchnitkerDie meisten Arbeitslosen und ALG-II-Empfänger sind auch Mieter. Weder besitzen sie ein eigenes Haus, noch beziehen sie Einnahmen aus Vermietung von Wohnungen. Sie wohnen in „öffentlichen“ Wohnungen, gebaut und verwaltet von der Kommune. Dieser Status, das Recht auf Wohnraum, ist nicht mehr unantastbar: Auf Mieter wird vermehrt Druck ausgeübt, von der Kommune und der Agentur.

Die Begründung der Aufforderung, die Wohnung zu wechseln, lautet, die Miete sei zu hoch, und der arbeitslose Mieter lebe „über seinen Verhältnissen“. Dieses Ausüben von Druck und die Angriffe auf den öffentlichen Wohnraum, auf die soziale Infrastruktur von Mietern geschehen bundesweit.

Nachdem bereits die „Bremische“, ein städtisches Wohnungsbauunternehmen, unter den Hammer geraten war, wurde vom Bremer Senat versucht, die Gewoba an den amerikanischen Immobilienfonds Black Stone zu verkaufen. Das wurde durch großen Protest verhindert, doch das Thema ist nicht vom Tisch. Es geht um die Eigentumsverhältnisse der Gewoba, an der die Stadt Bremen derzeit noch die meisten Anteile hält.

Nun wird versucht, durch Zwangsumzüge den Status nicht nur der Gewoba zu durchlöchern. Von diesen sind in Bremen über 9.000 Mieter betroffen. Der Mieterbund, der sich für sie stark macht, spricht von 500.000 betroffenen Haushalten in ganz Deutschland. Gebe es keinen geeigneten Ersatzwohnraum, solle man klagen, so der Mieterbund, der eine Schwemme von Klagen und Prozessen auf die Sozialgerichte zukommen sieht.

Diese Zwangsumzüge sind eine Schikane, da es nicht genügend geeigneten Wohnraum gibt! Der weitere Hintergrund der Umzugswelle ist der geringe Profit, den öffentlicher Wohnraum bringt. Das System soll geändert werden, auch weil Investitionsfonds Druck auf die Politik ausüben. Fallen soll der Passus des sozialen Gedankens, demzufolge Wohnraum für alle, ein Dach über dem Kopf, die eigenen vier Wände ein unantastbares Recht sind.

Dass „öffentliche“ Wohnungen immer auch als Spekulationsmasse begehrt sind, ist derzeit in Dresden zu sehen: Im März 2006 will die Woba 48.000 Wohnungen verkaufen; die Gesellschaft hat einen Wert von 650 Millionen Euro. Dresden gilt bundesweit als Pilotversuch für andere klamme Kommunen. In Nordrhein-Westfalen stehen 100.000 LEG-Wohnungen zum Verkauf. Bundesweit sind von vier Millionen Mietwohnungen bereits 600.000 in andere Hände übergegangen.

Die Immobilienfonds tragen Namen wie Appellas, Corpus oder Fortress. Selbst Finanzminister Steinbrück stellt sich auf deren Seite und sieht im Verkauf der Wohnungen einen Gewinn für die finanziell ausgetrockneten Kommunen. Papa Staat kommt natürlich auch nicht kurz. Es muss ein böser Zufall sein, dass die Vorstöße in der kalten Jahreszeit erfolgen, während die Energiekosten schwindelerregend steigen!

Die Falle schnappt wohl demnächst auch in Bremen zu. Mitte Januar hat Bürgermeister Böhrnsen einen Offenbarungseid abgelegt, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erfolgt in Kürze. Es wird auf ein Abmildern der Stadtschulden geklagt. Böhrnsen verspricht, Investitionen zurückzufahren. In diesem Jahr werden wir Bremer sicher noch unser blaues Wunder erleben: Geplante, aber bisher gescheiterte Angriffe erfolgen erneut. Der Gewoba-Verkauf ist, wie gesagt, noch nicht vom Tisch. Die Mieter müssen sich warm anziehen!

Jens Schnitker (parteilos)

 

Zwangsumzüge oder
soziale Gerechtigkeit?

Da die Bremer Sozialsenatorin Karin Röpke nicht bereit ist, die notwendigen Konsequenzen aus dem Gewos-Gutachten zu ziehen, hat sich der Verein Sozialer Lebensbund e.V. entschlossen, gegen diese asoziale Politik Klage zu erheben!

Unsere Klage wird von dem Bundestagsabgeordneten Dr. Axel Troost, WASG, unterstützt. Um Betroffene und Interessierte über den Stand der Dinge zu informieren, laden wir Sie hiermit recht herzlich ein zu unserer Info-Veranstaltung am Samstag, dem 28. Januar 2006, um 11 Uhr in den Räumlichkeiten des Hibiduri e.V., Thedinghauser Straße 2.

Matthias Brittinger (parteilos)

Zeichnung: Udo Riedel

„Wo soll ich es hernehmen, wir haben kein Geld, werte Delegierte!“ (Zeichnung: Udo Riedel)

 

Nach Abweisung mit „Bauch­schmerzen“ und aus schwachen Gründen geht mit den Musterklagen der Bremer Montagsdemo der Kampf gegen Hartz IV in die nächste Instanz! Bis zum Verfassungsgericht!

Rasche Anpassung notwendig: Richter Hagedorn bemängelt Warenkorb
aus dem letzten Jahrtausend („TAZ“, siehe auch „Weser-Kurier“)

 

Hartz IV reicht nicht zum Leben

Eine Musterklage gegen den menschenunwürdigen Mini-Regelsatz

In Sachen Elisabeth S. gegen Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales beantragen wir erstens, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung der ergangenen Bescheide eine höhere Regelleistung zu gewähren, und zweitens festzustellen, dass die Vorschriften des § 2 Absatz 1 in Verbindung mit § 15 und § 31 Absatz 1 Ziffer 1a sowie § 2 Absatz 1 in Verbindung mit § 16 Absatz 3 und § 31 Absatz 1 Ziffer 1c und d SGB II verfassungswidrig sind.

Begründung: Die Klägerin wendet sich zum einen gegen die Höhe der Regelleistung, die in ihrem Fall 345 Euro monatlich beträgt. Die Regelleistung des ALG II soll ein würdevolles Leben in der Gemeinschaft sichern. Aufgrund der Höhe der Leistung von 345 Euro im Monat wird sie diesem Anspruch nicht annähernd gerecht. Die Regelleistung mag vielleicht für den tagtäglichen Bedarf ausreichen, sie reicht jedoch nicht mehr aus, wenn einmalige Bedarfe hinzukommen. Wie der Aufstellung aus der Zeitschrift „Die Zeit“ von Dezember 2004 zu entnehmen ist, hatte ein Sozialhilfeempfänger bisher Anspruch auf eine Reihe von einmaligen Beihilfen, die nunmehr aus dem Regelsatz zu bestreiten sind. Dies ist schlechterdings nicht möglich. Darin sehen wir einen Verstoß gegen Artikel 1 Grundgesetz, der die Menschenwürde schützt.

Außerdem liegt ein Verstoß gegen das in Artikel 20 Absatz 1 und Artikel 28 Absatz 1 Grundgesetz niedergelegte Sozialstaatsgebot vor. Im übrigen wird gerügt, dass die Höhe der Leistung nicht nachvollziehbar begründet wird. Zum Beispiel wird nicht deutlich, wie die bisher gewährten einmaligen Leistungen in den Regelsatz eingerechnet worden sind. Auch insoweit berufen wir uns auf den Auf­satz von Marie-Luise Hauch-Fleck in „Die Zeit“ 52 von Dezember 2004 sowie auf den Aufsatz von Uwe Sartorius in „info also“, 2/2005, Seiten 56 und folgende.

Zum anderen wendet sich die Klägerin gegen den sich aus der Verpflichtung zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung ergebenden Kontrahierungszwang. Dieser verstößt gegen die durch Artikel 2 Grundgesetz geschützte Vertragsfreiheit. Durch die Eingliederungsvereinbarung wird der Kläger zudem unter Verstoß gegen das Grundrecht der freien Berufswahl aus Artikel 12 Grundgesetz gezwungen, berufsfremde Arbeiten anzunehmen.

Auch die sich aus § 2 Absatz 1 und § 16 Absatz 3 in Verbindung mit § 31 Absatz 1 Ziffer 1c und d SGB II ergebende Verpflichtung, jedwede Arbeitsgelegenheit anzunehmen, ohne einen Anspruch auf angemessene Bezahlung zu haben, verstößt gegen grundlegende Grundsätze unserer Rechtsordnung. Diese bestehen unter anderem darin, dass an sich geltende Arbeits- oder tarifrechtliche Vorschriften bei diesen Arbeitsverhältnissen nicht einzuhalten sind. Außerdem sehen wir auch hier einen Verstoß gegen Artikel 12 Absatz 2 und 3 Grundgesetz. Darüber hinaus wird Artikel 2 des ILO-Übereinkommens über Zwangs- und Pflichtarbeiten verletzt.

Die Klägerin hat auch ein Feststellungsinteresse hinsichtlich des zweiten Antragspunktes, da sie jederzeit damit rechnen muss, dass sie gezwungen wird, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben oder einen Ein-Euro-Job anzunehmen. Wir regen daher an, dem Bundesverfassungsgericht die oben angeführten Vorschriften gemäß Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz zur Prüfung ihrer Verfassungsgemäßheit vorzulegen.

DGB-Rechtsschutz für Elisabeth S.

 

Hartz IV ist verfassungswidrig

Eine Musterklage gegen das zynische „Fördern und Fordern“

Gerolf D. BrettschneiderIch bestreite hiermit die Verfassungsmäßigkeit des Sozialgesetzbuches II und begründe dies im Folgenden mit Verstößen gegen die Grundgesetz-Artikel 20 und 12, hilfsweise auch Artikel 1 und 14 sowie die übrigen Bestimmungen des Grundgesetzes und entsprechender europäischer Statuten und Richtlinien, vor allem durch Anwendung von Eingliederungsvereinbarungen, Ein-Euro-Ar­beits­gelegenheiten und Leistungskürzungen oder -einstellungen.

Das Grundgesetz gebietet in Artikel 20, dass die Bundesrepublik ein „sozialer“ Staat ist. Der Begriff „sozial“ wird in der Verfassung nicht näher bestimmt. Gesetze und Gerichte müssen ihn in einer Weise auslegen, die mit dessen allgemeiner Bedeutung in der Gemeinschaft der Sprecher des Deutschen vereinbar ist. Das Fremdwort „sozial“ trägt laut „Brockhaus“ (dreibändige Ausgabe 1992) die Bedeutung „dem Gemeinwohl dienend, den Schwächeren schützend“. Der „Duden“ (Band 1/2004, Band 5/1990) übersetzt es mit „gesellschaftlich, gemeinnützig, wohltätig, menschlich, hilfsbereit“. Der Sozialstaatsbegriff beinhaltet somit einen Hilfeanspruch des Schwächeren.

Wirtschaftsminister Clement und die Parteivorsitzenden Merkel und Stoiber haben jedoch eine andere Definition verkündet: „Sozial ist, was Arbeit schafft“. So wird aus dem zu schützenden Schwächeren ein „Arbeitsloser“ gemacht. Wenn die Hartz-Gesetze, SGB II und auch BSHG in diesem Geiste stehen, dann folgen sie älteren Gesetzen, die unter der von Wirtschaftsminister Hugenberg verkündeten, auf Hitler gemünzten Losung „sozial ist, wer Arbeit schafft“ eine zynische und menschenverachtende Umdeutung des Begriffes „sozial“ vorgenommen haben (hierzu „Tageszeitung“ vom 16. August 2002, „Deutsches Rundfunkarchiv“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 22. Mai 2005, „Deutschlandfunk“ vom 2. Oktober 2005).

Das Grundgesetz verpflichtet nicht den Schwächeren zur Arbeit, sondern stellt im Gegenteil in Artikel 12 klar: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen... Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Zwangsarbeit ist nur bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig“.

Eine Verpflichtung gibt es dagegen für Vermögende. Knapp heißt es in Artikel 14: „Eigentum verpflichtet“, und zwar nach dem Sozialstaatsgebot zur Steuerzahlung, um es dem Staat zu ermöglichen, die Schwächeren zu schützen und ihnen Hilfe zu leisten, denn „sein (des Eigentums) Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Sozial ist die Steuerpflicht für Vermögende. Unsozial, übervorteilend, erniedrigend, entwürdigend und verfassungswidrig ist die Arbeitspflicht für Besitzlose, die Zumutung von Arbeit. Der Staat handelt ungerecht, wenn er Finanzschwache zu „gemeinnütziger“ Tätigkeit heranziehen will, aber die Starken, die Eigentümer, aus der Steuerpflicht entlässt.

Das Grundgesetz setzt Sozialstaatlichkeit nicht in Zusammenhang mit Arbeitsbeschaffung. Jeder Mensch braucht einen gesicherten Lebensunterhalt. Dem Schwächeren hierfür die Überlassung seiner Arbeitskraft abzuverlangen, dient nicht seinem Schutz, sondern der Ausbeutung seiner Notlage zum Nutzen des Stärkeren, der diese Arbeitskraft gegen Niedriglohn einkaufen kann. Eine zum bloßen Daseinserhalt abzuleistende Arbeit hat das Wesen eines Zwanges. Auch der Sklave wird von seinem Herrn am Leben erhalten, deshalb ist eine Arbeit nur dann als freiwillig anzusehen, wenn sie einem Vorteil, vor allem der Steigerung des Wohlstands, der Vergrößerung des Eigentums des Arbeitenden dienen kann. Mit einem Mini- oder gar Ein-Euro-Job lässt sich aber nicht einmal das Existenzminimum erwirtschaften oder die Armutsgrenze überwinden. Dem Arbeitenden wird damit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft genommen, zumal es ihm nun unmöglich ist, sich durch selbständige Tätigkeit eine Lebensgrundlage aufzubauen.

Der Hamburger Reeder Peter Krämer hat in einem per Zeitungsanzeige veröffentlichten Brief an die designierte Kanzlerin Merkel zusammen mit zwanzig weiteren Unterzeichnern kritisiert, „dass im internationalen Vergleich in Deutschland Vermögen am niedrigsten besteuert wird. Fasse man Grund-, Erbschaft-, Schenkung- und Vermögensteuer zusammen, sei Großbritannien mit einem Anteil von 4,3 Prozent am Bruttosozialprodukt Spitzenreiter der Belastung von Vermögen, wird in dem Brief eine aus dem Jahr 2004 stammende OECD-Studie zitiert. Es folgten Frankreich mit 3,3, die USA mit 3,2 und Japan mit 2,8 Prozent. Schlusslicht sei Deutschland mit nur 0,8 Prozent. Die Unterzeichner regen an, die Vermögensbesteuerung auf 3,8 Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben. Damit könnte der Staat eine Summe von 66 Milliarden Euro an Mehreinnahmen erwirtschaften. Selbst nach Abzug der nur in Deutschland anfallenden Gewerbeertragsteuer in Höhe von 28 Milliarden blieben immer noch Mehreinnahmen von 38 Milliarden Euro jährlich“ („Spiegel Online“ vom 4. November 2005).

„Für 2006 rechnet die BA mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit auf durchschnittlich 4,6 bis 4,7 Millionen“, meldet Spiegel Online“ am 3. Januar 2006. Pro Kopf ständen somit rund 680 Euro monatlich aus der vorgeschlagenen Vermögensteuer zur Verfügung, ungefähr so viel, wie nach dem SGB II zu leisten ist. Aus dem „Arbeitslosen“ wäre bei Auszahlung dieses Betrages ein Schwacher geworden, der geschützt und dem geholfen wird, und das Sozialstaatsgebot wäre erfüllt. Würden die Eigentümer in dieser Weise mit den Kosten der Arbeitslosigkeit belastet, entstände ihnen auch ein Anreiz, Arbeitsplätze zu schaffen.

Am 8. Oktober 2005 hat Spiegel Online jedoch gemeldet, Wirtschaftsminister Clement rechne damit, dass der Bund 2006 für das Arbeitslosengeld II (nur) 31,5 Milliarden Euro ausgeben wird: Ein Zehntel der Empfänger beziehe die Leistung „missbräuchlich“. Ihnen soll sie gestrichen werden. So schützen die Hartz-Gesetze die Stärkeren im Staat: Sie schonen deren Eigentum. Vermögen werden deutlich geringer als in anderen Industriestaaten besteuert, Deutschland bietet Kapitalanlegern einen Standortvorteil. Das ist nur zulässig, wenn die Schwächeren dadurch nicht in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden und wenn ihnen dennoch Hilfe geleistet wird, um sie zu schützen. Sonst erweist sich der Staat als unsozial, denn Eigentum, nicht Besitzlosigkeit, verpflichtet.

Obwohl selbst Strafgefangenen, die rechtsstaatlich verurteilt worden sind, ein Mindestmaß an staatlichen Leistungen zukommt, konnte die bisherige Sozialhilfe und kann auch das jetzige Arbeitslosengeld II durch einfachen Behördenbeschluss verweigert werden. Dies geschah beispielsweise, wie Spiegel Online am 29. Dezember 2005 berichtete, dem 25-jährigen Mohamed H. aus Berlin, dessen Sachbearbeiterin im Jobcenter Neukölln eine Person gleichen Namens auf einer Liste von „Terrorverdächtigen“ gefunden hatte.

Es genügt ein leichtfertig erhobener Vorwurf, „Terrorverdächtiger“, „Arbeitsverweigerer“, „Schmarotzer“ oder „Missbraucher“ zu sein, um einem Schwachen die Daseinsgrundlage zu entziehen. Eine gerichtliche Überprüfung und behördliche Abhilfe erfolgt nicht immer oder nur mit teils erheblichem Zeitverzug. Der abgewiesene Schwache gerät durch solche Verweigerung des Schutzes in eine entwürdigende, sogar lebensbedrohende Notlage. Er muss Freunde und Bekannte anbetteln, bis er keine mehr hat. Er durchleidet einen verbitternden Zustand der Vogelfreiheit. Es kann zum Ausbruch psychischer Krankheiten kommen, auch zu Wutausbrüchen. Im ersten Jahr ihres Bestehens ließ die Bagis, wie der „Weser-Report“ am 28. Dezember 2005 meldete, dreißigmal die Polizei anrücken.

Ein sozialer Staat darf nicht zurückgreifen auf ein Unterdrückungsmittel der Nationalsozialisten, in deren Programm vom 24. Februar 1920 die „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens“ gefordert wird. Das Arbeitslosengeld-II-Gesetz und seine Vorgänger sind nicht sozial, sondern stellen eine Entrechtung dar, indem es einfachen Behördenangehörigen – „Fallmanagern“, nicht Richtern – ermöglicht wird, den schutzbedürftigen Schwachen durch Ausüben von Druck, durch angedrohtes oder stattfindendes Kürzen oder Verweigern der benötigten Hilfe, zu entwürdigen oder zu einer niedrig entlohnten Arbeit zu zwingen. SGB II und BSHG sind verfassungswidrig. Ein sozialer Staat hat es zu unterlassen, Druck auf Schwache auszuüben.

Gerolf D. Brettschneider (parteilos)
 
Unfreiheit der Berufswahl: „Der Anteil jener ist gestiegen, die mit unserer Arbeit ‚überhaupt nicht zufrieden‘ sind. Ich vermute, das liegt auch daran, dass wir manchen Kunden heute doch sehr viel deutlicher sagen, dass sie auf dem falschen Weg sind. Unser Hauptjob besteht heute in Aktivierung und Integration. Wenn sich ein Jobsuchender auf unseren Plattformen selbst hilft, machen unsere Leute keinen Haken mehr hinter seinem Namen. Vermittlung ist nur noch ein Teilbereich der Bundesagentur für Arbeit.“ (BA-Chef Frank-Jürgen Weise im „Spiegel“, Heft 2/2006, Seite 80)
 
Schönsprech täuscht Zwanglosigkeit vor: „Auch während des Verfahrens besteht weiterhin die Verpflichtung, Einladungen zur Vorsprache nachzukommen.“ (Vorladungs-Textbaustein der Bagis-Widerspruchsstelle)
 
Arbeitsplatzvernichtung: Ein-Euro-Jobber
klagen Tariflohn ein („T-Online“)

 

Von der Punktwertschrumpfung
zur Patientenvernachlässigung

1. Die „TAZ“ hat am Samstag „Die gebunkerte Beck’s-Spende“ getitelt. Gebunkert hat das The­ater, laut Hanse-Beratung. Die Spende steht im Jahresabschluss der Bremer Theater Grundstücks KG mit 300.000 Euro. Der Betrag von 1.232.000 Euro wurde bereits im Bericht der Hanse-Beratung vom Oktober 2005 erläutert. Absender der Zahlung ist die Freie Hansestadt Bremen, gezahlt wurde an die Theater GmbH. Versehentlich oder mit Absicht? Schließlich hat die Grundstücks KG ein eigenes Konto! War überhaupt der Zuwendungszweck aus dieser Zahlung ersichtlich?

Die Liquidität des Theaters war immer angespannt. Bei der Finanzierungsumstellung wurde bereits gemauschelt. Der Liquiditätsengpass ist nicht erst Ende 2004 massiv aufgelaufen. Es war üblich, dass das Bremer Theater ab Oktober keine Zahlungen des Senators mehr erhielt. Die überfälligen Beträge wurden im Januar nachgezahlt. Für die Zwischenzeit erhielt das Theater einen Kassenkredit, teils von der Landeshauptkasse, teils von der Bank. Nur 2005 nicht! Da waren es plötzlich Schulden des Theaters.

Die Vergangenheit wurde geglättet durch eingebuchte Forderungen gegen die Freie Hansestadt Bremen, die seit 2002/2003 als nicht kassenwirksam wieder ausgebucht werden. Der Jahresabschluss ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich! Für die Liquidität wurde monatlich ein Plan erstellt, aus dem diese Unterdeckung sicherlich seit langem hervorging! Kann Senator Hartmut Perschau erklären, was eine „nicht kassenwirksame Forderung“ des Bremer Theaters gegen die Freie Hansestadt ist und warum Bremen diese Forderung nicht kassenwirksam getilgt hat? Oder sollte er Bernd Neumann fragen?

Der Gesellschaftsvertrag schränkt die Rechte des Geschäftsführers massiv ein: Für Investitionen ist ein Plan zu erstellen und die Genehmigung einzuholen. Ich verweise auf meine vorherigen Reden zu diesem Theater. Soll doch der Senator, Herr Kastendiek, endlich zur Wirklichkeit stehen! Alle Pläne lagen in seiner Dienststelle. Für eine Bearbeitungszeit von November bis September kann das Theater nichts!

Die Kündigung des Geschäftsführers erfolgt augenscheinlich, weil er dies kritisierte und auf die Folgen für die Leitung des Theaters hinwies. Der verbleibende Intendant wurde vertretungsrechtlich ausgebremst. Der neue Geschäftsführer auf Zeit ist jetzt alleinvertretungsberechtigt. Er sitzt weit weg vom Theater, soll aber alles im Griff haben! Eines schafft dieser Neue offensichtlich nicht: eine positive Presse für das Bremer Theater.

Unser neuer Bürgermeister hat dem Gesamtpersonalrat mündlich die Zusicherung gegeben, dass die Freie Hansestadt Bremen keinen Notlagentarifvertrag mit dem öffentlichen Dienst Bremen abschließen will. Einen Alleingang Bremens wird es nicht geben. Wie gut für die Arbeitnehmer! Hoffentlich hat Senator Kastendiek dies auch gehört! Ist das Wort des Bremer Regierenden Bürgermeisters bei den CDU-Senatoren etwas wert?

Ein Besuch beim Amtsgericht ist sicherlich lohnend, denn die Zusammensetzung der Kontrollgremien und der beteiligten Politiker ist bisher nicht aufgearbeitet worden. Außerdem könnte es sein, dass die überfällige Bilanz inzwischen veröffentlicht wurde, sicher mit Ausbuchung weiterer nicht kassenwirksam gewordener Forderungen gegen die Freie Hansestadt Bremen! Trotzdem hatten die damaligen Wirtschaftprüfer am 25. Februar 2004 keine Bedenken gegen den Jahresabschluss. Daher Montagsdemo: Kopf zeigen! Wir schaffen eine Zukunft mit ehrlichen Politikern!

 

2. Die Ärzte streiken und demonstrieren: Sie wollen mehr Geld und weniger Verwaltung, sie wollen nicht mit den Verschreibungsvorgaben der Krankenkassen leben, sie wollen die Sicherheit, dass ihre Behandlung zu einem bestimmten Preis vergütet wird!

Wie geht das mit der Vergütung der ärztlichen Leistung, der kassenärztlichen Leistung? Für alle Leistungen des Arztes, nicht gemeint sind hier die Zahnärzte, sind Punktwerte festgelegt. Diese werden ausgehandelt zwischen den Vertretern der Ärzteschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung und den Vertretern der Krankenkassen. Punkte gibt es auch für die technischen Arztleistungen. Der Arzt meldet seine Leistungsansprüche als Punktewert an die Kassenärztliche Vereinigung.

Auf Grund dieser insgesamt erreichten Punkte wird der Wert je Punkt in Euro festgelegt. Die Rechnung ist ganz einfach: Topfinhalt in Euro geteilt durch die erarbeiteten Punkte ergibt den Wert je Punkt in Euro. Und dieser befindet sich auf rasanter Talfahrt, sehr zum Leidwesen der Ärzte! Sie erhalten somit bei gleicher Leistung weniger Geld, weil der Topf, sprich: die Kasse, leerer ist.

Der Topf wird gefüllt durch die Krankenkassen: Jede zahlt einen pauschalen Betrag je Mitglied. Ausgehandelt wird dieser Euro-Betrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Es geht hier nicht nach Krankheiten oder Arztbesuchen, sondern nach Köpfen, egal ob der einzelne Versicherte zum Arzt geht oder nicht! Die Krankenkasse erfährt nicht, welcher Versicherte welche Arztleistung verursacht hat, denn die Kassenärztliche Vereinigung anonymisiert alle Patienten- und Arztdaten. Die Krankenkasse kann nur auf Grund der Gelben Scheine und mit Sonderanträgen die Zuordnung der Kosten vermuten.

Weil das Beitragsaufkommen allgemein gesunken ist und die Punkteleistung steigt, kommt es zu einen rückläufigen Wert je Punkt. Das Beitragsaufkommen sinkt: wegen Kürzungen oder Streichungen von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und anderen Sonderzahlungen, wegen Arbeitslosigkeit durch Zahlung einer Pauschale unterhalb der eigentlich fälligen Beiträge, wegen einer höheren Zahl unversicherter Selbstständiger und wegen der Abwanderung von Besserverdienenden in die Private Krankenversicherung. Auch hier zeigt sich: Nur wer nicht in Deutschland lebt, ist nicht von Hartz IV betroffen!

Das Verteilungsvolumen wird zusätzlich durch folgende Änderungen und Planungen der neuen Regierung vermindert: Die Beiträge für ALG-II-Betroffene werden nur noch auf der Basis von 345 statt bisher 400 Euro gezahlt, und der Bundeszuschuss von 4,2 Milliarden Euro wird in den Jahren 2007/2008 auf Null reduziert. Die Punkteleistung steigt durch Einsatz und vermehrte Nutzung von neuer Technik.

Warum protestieren die Krankenkassen nicht gegen die geringen Beiträge für ALG-II-Betroffenen und Ich-AGs? Sie fürchten um ihre Selbständigkeit. Die Kostensenkungsprozesse stehen hier noch bevor, nicht zuletzt auch durch die teilweise überhöhten Gehälter der Geschäftsführer! Hier gibt es einen Kostensenkungserlass der Krankenkassenaufsicht. Außerdem durften die Krankenkassen die Kostensenkungen der letzten Gesundheitsreform behalten.

Daher die Forderung der Ärztevertreter nach zusätzlichen Geldgebern, natürlich zu Lasten der kleinen Leute, durch Bürgerversicherung, pro Kopf, ob du ein Einkommen hast oder nicht, durch Aufhebung der Familienversicherung und Zuschlag für Ältere! Dabei haben die Versicherten, und nur sie, zusätzliche Belastungen aufgehalst bekommen: den alleinigen Beitrag zur Krankenkasse für Zahn­ersatz, das Eintrittsgeld beim Arzt, die Zuzahlungen, die Vollzahlungen für Medikamente, die von der Rezeptpflicht befreit wurden. Als Folge zahlt der Patient allein!

Besonders betroffen sind hier Kinder: Eigentlich sollten sie Medikamente ohne Nebenwirkung erhalten, aber durch die Befreiung von der Rezeptpflicht sind nur Medikamente mit Nebenwirkung kostenfrei! Es gibt wenige Ärzte, die Kindern eigentlich rezeptfreie Medikamente verschreiben, wodurch sie für die betroffenen Eltern kostenlos werden! Rezeptfreie und damit erstrebenswerte Medizin können sich viele Menschen nicht leisten!

Diese eigene Fehlleistung wollte der Gesetzgeber schon lange beseitigt haben, nicht zuletzt auf Druck der Ärzte. Diese sollen nun für „zuviel“ verschriebene Leistungen haften. Scheinbar ist nun dort der Druck raus: Verschreibungspflichtigkeit, 100 Prozent Kostenbeteiligung, keine Anrechnung bei der Ermittlung der Selbstbeteiligungsgrenze. Das ist für viele unerschwinglich! Irgendwie irrsinnig.

Hans-Dieter BinderEs gibt Krankheiten, die der Arzt mit viel Zuwendung und Unterstützung des Patienten ohne Medikamente bekämpfen kann, langwierig und aufwendig, aber bei Erfolg hat der Patient seine Lebensqualität zurück. Der Arzt kann bei der gleichen Krankheit aber auch Medikamente verschreiben, die teuer sind, wahrscheinlich für den Rest des Lebens eingenommen werden müssen und deren Nebenwirkungen mit weiteren Medikamenten bekämpft werden müssen. Für den Patienten bedeutet dies einschneidende Einschränkungen seiner Lebensqualität!

Der Arzt bekommt für die aufwendigere Behandlung ohne Medikamente weniger Geld als für die Ruhigstellung durch Medikamente! Ein so gestricktes Krankenversicherungssystem ist sittenwidrig. Ein Arzt, der regresspflichtig gemacht wird, kann mit den Beispielen aus der seiner Praxis jeden Richter zum Nachdenken bewegen und sicherlich etwas für die Gesellschaft erwirken!

Die Ärzte wollen weniger Bürokratie! Wer will das nicht? Aber gegen Bürokratie hilft nur der Kampf im Detail. Die Leistungspflichtigen verstecken sich hinter Anträgen und Formularen. Mancher kennt es vom Arbeitsamt: ALG II vollbringt auf dem Gebiet Spitzenleistungen! Die Krankenkassenkarte und die EDV mit entsprechenden Programmen haben hier sicherlich eine Entlastung gebracht, allerdings nur, wenn der Arzt diese Möglichkeiten nutzt. Mehr Bürokratieabbau ist sicherlich nötig, aber auch die Abwehr der jetzt im Krankenhaus mit sehr viel Bürokratie eingeführten Fallpauschalen. Ärztliche Gegenwehr ist nötig, damit der Patient und nicht das Formblatt im Vordergrund steht!

Bürokratie ist abbaubar, wenn es dagegen detaillierte Gegenwehr gibt. Diese kostet Zeit und Nerven, schließlich hängt der Fragebogenversender an seinem Arbeitsplatz! Wenn das Formblatt nicht schon von der EDV automatisch erzeugt und ausgewertet wird: Mancher Fragebogen ist sicherlich überflüssig. Eintragungen wie „bekannt“, „liegt vor“, „siehe Fragebogen vom“ machen dies jedem Betrachter plausibel, dennoch entsteht der Leistungsanspruch des Arztes entsprechend dem Punktesystem. Der Arzt leistet hier vielfach überflüssige, aber keine unbezahlte Arbeit!

Eine unredliche Gegenwehr wäre die Abweisung von Patienten: Es geht nicht an, dass der Rettungswagen innerhalb von zehn Minuten am Unfallort ist, aber für die Suche nach einem aufnahmewilligem Krankenhaus mehrere Stunden benötigt werden. Leider haben die jeweiligen Krankenhäuser nicht gemeldet, dass sie nicht aufnahmebereit sind! Man hat es „vergessen“ oder wollte „erst einmal sehen, was kommt“: Für Unfallopfer gibt es eine Pauschale. Eine unredliche Gegenwehr wäre das Vergraulen von „unrentablen“ Patienten!

Eine redliche Gegenwehr sind detaillierte Schilderungen der Missstände aus der Sicht des Arztes, aber nicht vorgeschobene Gründe für einseitige Vorteilsnahme. Der Verteilungsmangel kommt auch zum Arzt! Daher sollte als erstes die Abrechnung des Arztes für den Patienten offengelegt werden, damit dieser sehen kann, wie viel Kosten sein Arztbesuch verursacht. Für den Arzt fällt diese Offenlegung bestimmt auch positiv aus!

Die von Frau Schmidt angebotene feste Fallpauschale auch für niedergelassene Kassenärzte ist ein zweischneidiges Angebot: Die damit verbundene Forderung nach Ausschaltung der Kassenärztlichen Vereinigung ist sicher mit einer Langzeitwirkung verbunden, doch die Bürokratie wird damit kaum verringert. Krankenhausärzte beklagen einen über 50 Prozent liegenden Zeitaufwand für den Papierkrieg, wegen der Fallpauschale!

Eine weitere Entlastung für die Ärzte ist eine Neuordnung der Punkteregelung. In den fetten 70ern wurde jede technische Änderung mit satten Punkten in den Leistungskatalog aufgenommen, die dadurch reduzierte Arztleistung aber nicht mit reduzierten Punkten angepasst. Eine Neuordnung sollte mit dem Schwerpunkt persönliche Zuwendung erfolgen. Die persönliche Arbeitszeit des Arztes sollte nicht zur Leistungserhöhung durch möglichst viele technische Leistungen ausgebremst werden! Berufsanfänger könnten einfacher und risikoloser einsteigen! Es gibt Chinesische Ärzte, die nur ihre eigene Wahrnehmung zur Diagnose brauchen und einige Nadeln zur Heilung. Auch an deutschen Unis ist dies sicherlich vermittelbar, aber nur, wenn die Pharmainteressen draußen bleiben. Daher Montagsdemo: Kopf zeigen! Für eine friedliche, weil gerechte Zukunftsperspektive!

Hans-Dieter Binder
 
Reformistische Zwickmühle: In einem Bundesland mitregierende „Linke“
sind zur „Haushaltskonsolidierung“ verpflichtet, sonst besteht
keine Chance auf Bundeszuschüsse („Rote Fahne“)

 

Die Hafenarbeiter haben gezeigt, wie es klappt

Wolfgang LangeSchön, dass heute so viele gekommen sind, zur bisher kältesten Montagdemo! Aus Russland werden schon 130 Erfrorene gemeldet. Wahrscheinlich gibt es sogar ein Vielfaches davon, denn Strom- und Wasserversorgung sind schlecht, die Rohrleitungen marode. Wer den Job verliert, muss aus seiner Wohnung ausziehen, weil sie dem Konzern gehört! Ist das auch unsere Zukunft?

Im europa-, ja weltweiten Kampf gegen Verelendung infolge immer krasserer Ausbeutung durch Monopole und Regierungen haben letzte Woche die streikenden Hafenarbeiter erreicht, dass die europäische Hafenrichtlinie gekippt wurde! Diese hätte den Jobverlust der Hafenarbeiter bewirkt, weil Reeder die Fracht fortan durch Seeleute, Billiglöhner oder Leiharbeiter löschen lassen könnten. Einige Hafenarbeiter wurden nach Auseinandersetzungen mit der Polizei zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Ihnen gilt unsere Solidarität!

Die Hafenarbeiter haben gezeigt, wie es klappt mit der Zusammenarbeit über Grenzen hinweg und dem politischen Streik. Das zeigt auch, wie wir gegen die Bolkestein-Richtlinie etwas ausrichten können! Mit ihr soll das „Herkunfts­landprinzip“ eingeführt werden. Gemeint ist: Es gelten die tariflichen, sozialen und gesetzlichen Standards des Herkunftslandes, gebraucht wird nur eine Briefkastenfirma in Lettland oder Moldawien!

Dies betrifft alle Handwerker, die Arbeiter auf dem Bau, in der Land- oder Forstwirtschaft, aber noch viel mehr: alle Arbeitenden! Immer mehr sind „Dienstleister“. Auch Daimler-Chrysler hat schon eine eigene Verleihfirma gegründet und letztes Jahr einen „Dienstleistungs“-Tarifvertrag abgeschlossen. Dagegen wehren sich die Kollegen, sie lehnen ihn mehrheitlich ab! In Bremen als einzigem Werk wurde er bisher nicht angewandt, obwohl gleich mit Fremdvergabe gedroht wurde!

Bei Opel in Bochum müssen Auslerner zu Adecco wechseln und erhalten keine Schichtzulagen, aber 150 Überstunden ohne Zuschlag und nur 24 Tage Urlaub. Da kann man erahnen, wie es wird, wenn die Leiharbeiter in osteuropäischen Ländern angeheuert werden und zu deren Bedingungen hier arbeiten! Zu kämpfen ist nicht nur gegen die Bundesregierung und die Hartz-Gesetze, sondern auch gegen die europäische Kommission und ihre Organe!

Deshalb ist es wichtig, am Samstag, dem 11. Februar, aus ganz Europa nach Straßburg zu fahren, um gegen die Bolkestein-Richtline zu demonstrieren! Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat bisher nichts unternommen; jetzt auf einmal ruft er zur Teilnahme auf, aber nicht in Straßburg, sondern in Berlin! Die Absicht liegt auf der Hand: Spaltung! Die Kollegen sollen nicht die positiven Erfahrungen wie die Hafenarbeiter machen! Die Montagsdemo fordert, dass Busse für die Fahrt nach Straßburg gestellt oder wenigstens bezuschusst werden!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
Triumph für Streikende: Liberalisierung der Hafen-Dienstleistungen
vom EU-Parlament in Straßburg mit großer Mehrheit
abgelehnt („Süddeutsche Zeitung“)

 

Erfahrungen persönlicher Berichte
zeigen Trend auf

Die 71. Montagsdemo in Bremen am 23. Januar 2006 um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz war die kürzeste, die wir je hatten. Es war so richtig kalt! Trotzdem kamen wieder um die 30 Teilnehmer. Beiträge am offenen Mikrofon gab es wie immer, aber nach gut einer halben Stunde machten wir Schluss.

So hatten wir mehr Zeit für die Nachbesprechung, bei der zwei Mitstreiter von ihren Erfahrungen berichteten: als Ein-Ein-Euro-Jobber in einer sozio-kulturellen Einrichtung, die ansonsten mit „alternativer Ausrichtung“ wirbt, sowie als pädagogische Fachkraft, die mangels anderer Arbeitsplätze im kirchlichen Bereich „Ausputzer“ und „Mädchen für Alles“ spielen muss.

In beiden Fällen gehen die Geldmittel durch ständige Kürzungen zurück. Die „alternativen Kulturleute“ machen aber keineswegs Front gegen diese Stran­gulierungs-Kulturpolitik und mobilisieren ihre Häuser, sondern beginnen genau wie die eitlen „Herren“ in anderen Ämtern und Einrichtungen, ihre eigenen Spielwiesen zu retten, werden pedantisch, lassen nur ihre Meinung gelten und pochen auf ihre Positionen. Klar, wie sie mit Ein-Euro-Jobbern umgehen, die wagen, eigene Ideen einzubringen: Wenn die zu lästig werden, kündigt man sie einfach! Welche Konsequenzen das für die Betroffenen zur Folge hat, braucht man ja nicht zu bedenken. So geschehen in Bremen! Wir werden die Sache weiter verfolgen und uns solidarisieren!

Im anderen Fall, wo auch das Geld für den Betrieb von Kirche und Gemeindeleben knapper wird, werden die „hohen Herren vom Ehrenamt“ in den Kirchengemeinden, in Bremen „Bauherren“ und „Diakonie“ genannt, sauertöpfisch und kleinkariert. Man fühlt sich an die Zustände im Film „Oliver Twist“, der gerade in den Kinos läuft, erinnert, wenn man von dieser Arroganz hört: Nichts ist sauber genug, schief liegende Gesangbücher werden zum Anlass genommen, „mangelnde Reinigung“ zu bemäkeln!

Das sind alles Methoden, die den Übergang vom einlullenden Betrug, wenn dieser nicht mehr funktioniert, hin zum Stadium der zunehmenden Gewalt, des Mobbings und Terrors, der Gewalt gegen Einzelne und Gruppen kennzeichnet. Dahinter steckt eine reaktionäre Denkweise: Buckeln und Treten statt Solidarität! Der Druck auf das Kleinbürgertum nimmt immer mehr zu, und die einen wollen ihr „kleines Bisschen“, die anderen ihre Macht, ihr flottes Leben retten. Da hört die „Gemütlichkeit“ auf! Hier kann eine neue reaktionäre, vielleicht „neufaschistische“ Gedankenwelt entstehen. Es gibt genügend Kräfte und Institutionen, die das im Auftrag des Kapitals vorantreiben. Nicht zuletzt immer mehr Politiker der sogenannten „Volksparteien“ frönen dieser Gedankenwelt!

Aber es gibt immer mehr Menschen, die nicht wegsehen, sondern den Mund aufmachen und das offen aussprechen! Schließen wir uns zusammen! Kommt wieder her auf den Marktplatz, am nächsten Montag um 17:30 Uhr!

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz