709. Bremer Montagsdemo
am 02. 12. 2019  I◄◄  ►►I

 

Alle Sanktionen müssen
gestrichen werden!

Wolfgang Lange1. Seit der letzten Montagsdemonstration ist viel passiert. Anfangen will ich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sank­tio­nen: Natürlich ist es ein großer Erfolg, dass „nur“ noch bis zu 30 Prozent gekürzt werden darf und Mietkosten nicht mehr gestrichen werden dürfen. Allein letztes Jahr gab es knapp eine Million Sanktionen. Die Folgen sind Obdachlosigkeit, Stromsperren, Schulden und Hunger! Ohne die 15 Jahre anhaltenden Montagsdemos wäre so ein Urteil wohl kaum erfolgt. Aber das reicht nicht: Die Hartz-Gesetze müssen ganz weg! Alle Sanktionen müssen gestrichen werden!

Laut Bundesverfassungsgericht darf nicht unter das Existenzminimum gekürzt werden. Aber was ist das? Schon die ungekürzte Regelleistung von 424 Euro plus Miete liegt unter dem Existenzminimum – erst recht, wenn nach 30-prozentiger Kürzung nur noch 297 Euro zur Verfügung stehen. Davon kann man nicht leben! Nach seriösen Berechnungen braucht ein Alleinstehender zurzeit 1.136 Euro im Monat zum Leben. Alles darunter ist unter Existenzminimum. Auf diese Summe muss die Grundsicherung angehoben werden!

Gerhard Schröder hatte damit geprahlt, mit den Hartz-Gesetzen den größten Billiglohnsektor Europas in Deutschland zu schaffen. In der Tat, das hat er geschafft: 22,5 Prozent der Beschäftigten arbeiten für weniger als 10,50 Euro in der Stunde, das gilt als die Niedriglohnschwelle. Allen, die sanktioniert wurden, rate ich: Klagt dagegen, auch rückwirkend! Und uns allen: Führen wir gemeinsam den Kampf gegen die Hartz-Gesetze fort – bis sie weg sind!

Die SPD-Mitglieder sprachen sich mehrheitlich, sofern sie sich überhaupt beteiligt haben, für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue Vorsitzende aus – und damit gegen die von der SPD-Führung gewünschten Olaf Scholz und Klara Geywitz. Trotz massiver Werbung für den Finanzminister in den letzten Wochen ließen sich die Mitglieder nicht davon abhalten, zwei Kandidaten zu wählen, die als eher „links“ gelten. Damit rutschte die „Groko“ noch tiefer in die Krise. Auch die CDU hat ihre eigene auf ihrem Parteitag nur notdürftig überdecken können.

Manche Leute hoffen nun, dass die SPD wieder „sozialdemokratisch“ wird. Aber da sind sie wohl auf dem Holzweg. Arbeitsminister Hubertus Heil kam direkt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die schlaue Idee, wie doch über 30 Prozent gekürzt werden kann: einfach verschiedene Sanktionen zusammenziehen, wenn zum Beispiel „Meldeverstöße“ und die Verweigerung eines üblen Jobs zusammenfallen. Das musste er zwar schnell wieder fallen lassen, zeigt jedoch, was hier gespielt wird.

Auch die neuen Vorsitzenden wollen keinesfalls die Hartz-Ge­set­ze ab­schaf­fen, sondern im Prinzip die Politik der „Groko“ fortsetzen – mit ein paar kleinen Reförmchen wie höherer Mindestlohn oder höhere Kohlendioxid-Bepreisung. Gerade letztere ist aber ein großer Beschiss – als ob die Klimaerwärmung dadurch auch nur ein bisschen gestoppt würde! Es ist nur eine zusätzliche Steuer auf Kraftstoffe, ein weiteres Abwälzen auf die breiten Massen.

 

2. Überhaupt wird zwar von fast allen Seiten eingeräumt, dass die Erde, die Natur, die Menschheit in größter Gefahr sind – aber daran soll „der Mensch an sich“ schuld sein. Deswegen sollen wir unser Verhalten ändern, also nicht mehr Auto fahren und nicht mehr fliegen. Das sind überlegenswerte Dinge, und vieles müssen wir tatsächlich ändern – aber dabei bleibt völlig außen vor, wer die hauptsächlichen Umweltverbrecher sind, nämlich die großen Monopole, die Kriminellen in den Chefetagen und ein System, in dem nur der Profit zählt: der Kapitalismus.

Das war auch Thema beim Weltklimastreiktag am Freitag, dem 29. November 2019. In Bremen gingen circa 10.000 Menschen auf die Straße – aber im September waren es 40.000. Seitens der Medien und auch vom „Orgateam“ wurde alles auf Änderungen im städtischen Verkehr reduziert („Autofreie Stadt von Stadtgrenze zu Stadtgrenze“) und damit ganz auf die Linie gebracht, alle Lasten auf die kleinen Leute abzuwälzen.

Die globale Umweltkatastrophe kann aber nur noch gestoppt werden, wenn der Umweltkampf systemüberwindend geführt wird. Letzten Endes ist es doch so, wie Evo Morales, der kürzlich in einem faschistischen Putsch gestürzte Präsident Boliviens, es formulierte: Entweder es stirbt der Kapitalismus oder unsere „Mutter Erde“!

In Deutschland ist die Wirtschaft seit der zweiten Hälfte letzten Jahres in eine Überproduktionskrise übergegangen. Sie fällt mit Strukturkrisen zusammen. Daimler will 10.000 Arbeitsplätze abbauen, Bosch 20.000, Audi 6.500. Auch hier in Bremen sind die Folgen drastisch: 1.000 Leiharbeiter wurden bei Daimler abgemeldet. Thyssen-Krupp in Farge will 300 Arbeitsplätze streichen, Bosch sein Werk mit 400 Beschäftigten in Huchting schließen.

Die Monopole und die Regierung tun alles, die Krisenlasten auf die Arbeiter und Angestellten abzuwälzen. Wir brauchen wirksame Maßnahmen zur Rettung der Umwelt und der Arbeitsplätze, zuallererst die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich! Nur fünf Minuten einer Stunde arbeitet ein Daimler-Arbeiter für sich, die übrigen 55 Minuten arbeitet er für den Mehrwert, für den Profit.

Für Arbeit und Umwelt, gegen Faschismus und Krieg werden sich die Kämpfe in nächster Zeit weltweit entwickeln. Im Iran und Irak, in Chile und Frankreich gehen die Massen auf die Straße. Sie trotzen staatlichem Terror und Faschisierung. Auch hier in Deutschland schreitet die Polarisierung voran: Auf der einen Seite gibt es ein Anwachsen der faschistischen Gefahr und einen Rechtsruck der Regierung, auf der anderen Seite einen fortschrittlichen Stimmungsumschwung. Begeben wir uns bewusst hinein in diese Polarisierung: Stärken wir den „linken“ Pol!

Ich wünsche allen eine schöne Advents- und Weihnachtszeit und – falls wir uns vorher nicht mehr sehen – jetzt schon einen guten Rutsch in ein kämpferisches und erfolgreiches Jahr 2020. Außerdem lade ich euch herzlich ein zur Silvesterfeier der MLPD am 31. Dezember 2019 ab 19:30 Uhr im „Freizeitheim Buntentor“, Geschwornenweg 11a (Neustadt).

Wolfgang Lange (MLPD)
 
Die nächste Bremer Montagsdemo mit Offenem Mikrofon beginnt am 6. Januar 2020 wieder um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz.
 
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www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz