574. Bremer Montagsdemo
am 27. 06. 2016  I◄◄  ►►I

 

Härte gegen Arbeitslose,
Milde gegenüber Vermögenden

Elisabeth Graf1. Letzte Woche haben rund 200 Eltern, Erzieherinnen und Erzieher vor dem Haus der Bürgerschaft demonstriert. Die Demonstranten wehren sich energisch gegen Pläne der Bildungsbehörde, bestehende Kita-Gruppen mit bereits 20 Kindern auf 21 oder sogar 22 Kinder zu vergrößern. Das neu gebildete „Bremer Bündnis für bessere Kita-Qualität“ aus Kita-Betriebsräten, Gewerkschaften und Elternvertretern hat zu dem Protest aufgerufen, weil kurz vor dem Start des neuen Kindergartenjahres im August noch immer Hunderte Kita-Plätze fehlen und die Bildungsbehörde – selbstredend nur als Notlösung und niemals für immer! – auch Gruppen mit 21 oder 22 Kindern geben soll.

Viele Erzieherinnen wiesen darauf hin, dass sie schon seit Jahren für kleinere Gruppen kämpfen und nun stattdessen noch eine Vergrößerung der Gruppen hinnehmen sollen. In Bremen gibt es jedes Jahr aufs Neue mehr Kinder als Betreuungsplätze. Wenn die Bildungsbehörde nun schon Wohnungen anzumieten und Container aufzustellen gedenkt, um darin Kindergruppen betreuen zu lassen, dann scheint in den vergangenen Monaten und Jahren bei der Planung neuer Kitas etwas Grundlegendes schief gelaufen zu sein.

Kleine Kinder fallen bekanntlich nicht plötzlich vom Himmel, und ihre Geburt wird nicht nur von den Eltern freudig aufgenommen, sondern auch von der Statistik erfasst. Wenn Bremen jedoch Neubaugebiete ohne Kindergärten in der Nähe entstehen lässt, ist das Problem vorprogrammiert. Die Elternvertreter weisen darauf hin, dass derzeit die meisten Plätze nicht etwa für die Kleinsten im Bereich unter drei Jahren fehlen, sondern für dreijährige Kindergartenkinder. Wenn weiter zu wenig Kitas gebaut werden, komme die Bildungsbehörde allmählich in Erklärungsnot, weshalb es trotz zahlreicher Vorschläge vonseiten der Kita-Träger noch immer an Betreuungsplätzen fehle.

Wie gut, dass die Behörde auf 21 oder 22 Kinder in einer Kita-Gruppe nur „zeitlich befristet und in Einzelfällen“ setzen wolle! Schade nur, dass wir das so nicht ganz glauben können. Gilt die „Einzelfallregelung“ zunächst bis 50, 60 oder erst ab 70 Prozent nicht mehr als solche, muss erst dann von einer „flächendeckenden Nutzung“ gesprochen werden? Sobald die „magische Grenze“ von 20 Kindern überschritten wird, kann sich doch jede(r) an einer Hand abzählen, dass ein kaputt gespartes kleines Bundesland diese errungenen Pfründen nach drei Jahren bestimmt nicht wieder zurückzunehmen gedenkt. Ich würde die Politiker gern mal in unsere für 20 Kinder schon jetzt viel zu kleinen Räume einladen und sie dann fragen, wie und wo hier, ganz pragmatisch, 21 oder 22 Kinder spielen, basteln, malen und essen können sollen.

Von der Qualitätsverschlechterung durch solch eine Überbuchung gerade in den finanziell benachteiligten Stadtteilen rede ich noch gar nicht. Wenn wir von Bildungssenatorin Bogedan dazu aufgefordert werden, Quantität vor Qualität zu setzen, dann frage ich mich, warum Bremen überhaupt einen Rahmenbildungsplan erstellen ließ. Diesem fühlen wir uns natürlich verpflichtet, aber unter solchen Bedingungen ist er nicht durchführbar. Welche Bestandteile sollen wir denn jetzt weglassen? Sollen wir nur noch auf die Kinder aufpassen, eben auf das Nötigste gucken? Auch die „Zentrale Elternvertretung“ warnt davor, dass die Unterstützung für Kinder mit Förderbedarf im Alltag auf der Strecke bleiben könnte, Arbeit in Kleingruppen kaum noch möglich wäre und Erzieherinnen gesundheitlich immer stärker belastet würden.

 

2. Es nervt so richtig und macht auch wütend, dass die Wartezeiten beim Bremer Stadtamt länger und länger werden. Kunden sind zunehmend verärgert, wenn es „Ewigkeiten und drei Jahre dauert“, einen Reisepass zu verlängern. Eine Trauung noch in diesem Sommer, bei zehn Wochen Wartezeit allein für eine Geburts- oder Sterbeurkunde? Was macht die Politik, da doch akuter Handlungsbedarf besteht? Der „Weser-Kurier“ schreibt, Innensenator Ulrich Mäurer und Stadtamtsleiterin Marita Wessel-Niepel wollten mit diversen Maßnahmen die personellen Engpässe ausgleichen, doch nun stelle sich der Personalrat des Stadtamtes quer und lehnte Punkte wie studentische Hilfskräfte, Leiharbeiter und Unterstützung aus der Finanzbehörde ab.

Ich finde die Überschrift des Artikels „Personalrat blockiert Hilfe für Stadtamt“ völlig falsch gewählt und die Tatsachen verdrehend. Schließlich verlangt der Personalrat, was schon lange beschlossene Sache ist, dass Bremen nämlich feste Kräfte einstellen muss. Dazu weist er auf die „Bremer Erklärung zu fairen Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Dienst“ hin, wonach es in diesem Bereich keine prekäre Beschäftigung geben darf. Der Personalrat macht hier nichts anderes, als ureigene Belange zu wahren. Für die Erfüllung seiner Aufgabe als Blockierer hingestellt zu werden, ist doch das Allerletzte!

Bremen scheint hier ungestört „Bockmist“ bauen zu wollen, um kurzfristig Geld einsparen zu können. Warum sonst versucht das Stadtamt, zum Abbau von Spitzenbelastungen in der Behörde während der Ferien- und Urlaubszeit Leiharbeiter und studentische Hilfskräfte einzusetzen? In zwei Versammlungen des Personalrates wurden diese Lösungsvorschläge, die personelle Engpässe ausgleichen sollen, abgelehnt. Wenn nun Kollegen aus der Finanzbehörde die einfacheren, nicht so zeitintensiven Fälle wie Meldebescheinigungen übernähmen, würde sich die Taktung der Stadtamtsmitarbeiter erhöhen und verdichten, da sie mehr aufwändige Arbeiten zu erledigen hätten.

Dabei gehe es auch um die Gesundheit der Mitarbeiter. In der „Bremer Erklärung zu fairen Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Dienst“ stehe zudem, dass arbeitsmarktpolitische Beschäftigungsmaßnahmen nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zulässig seien. Dabei müsse es sich um „zusätzliche Arbeit“ handeln, wohingegen beim Stadtamt die Regelaufgaben angestiegen seien. „Es darf keine prekären Beschäftigungen im öffentlichen Dienst geben“. Deshalb habe der Personalrat Leiharbeiter und studentische Hilfskräfte abgelehnt.

 

3. Der Bundestag ließ die Sitzungswoche mit der Verabschiedung von Gesetzen zu Arbeitslosen sowie reichen Firmenerben enden, wobei die Gesetze zweierlei Maß zeigen, nämlich Härte gegen Arbeitslose und Milde gegenüber Vermögenden – ganz im Sinne der Neoliberalen. Die Hartz-IV-Novelle dient angeblich der Vereinfachung, der Erleichterung der Arbeit für die Verwaltung und der kundenfreundlichen Mitwirkung der Betroffenen. Dafür fanden die sogenannten Experten der Großen Koalition nur Lob. Die Opposition stimmte gegen die Reform und warf der Regierung vor, Betroffene schlechterzustellen.

„Linke“ und Grüne forderten in eigenen Anträgen, die Sondersanktionen für Hartz-IV-Bezieher unter 25 Jahren abzuschaffen. Ihnen können die Leistungen für Lebensunterhalt und Wohnung in zwei Schritten bis auf null gekürzt werden, wenn sie die ihnen auferlegten Pflichten verletzen, was in keinem Verhältnis zur Größe des „Delikts“ stehe. Das Gesetz muss allerdings noch die Hürde des Bundesrates passieren. Die Hartz-IV-Novelle wurde von der „Diakonie Deutschland“ wegen der darin unveränderten Sanktionen kritisiert, weil sie gravierende Auswirkungen für die Arbeitslosen hätten. Wer sich nicht in schlecht bezahlte Jobs vermitteln lassen wolle, müsse mit Leistungskürzungen rechnen.

Obwohl die Arbeitslosigkeit abnehme, steige die Armut weiter. Es motiviert natürlich ungemein, in den „Club der Aufstocker“ aufsteigen zu dürfen! Nach Auffassung der Opposition legen Union und SPD gegenüber ohnehin Benachteiligten wie jungen Erwerbslosen unverminderte Strenge an den Tag, während sie den vermögenden Teil der Gesellschaft mit ungerechtfertigter Schonung behandeln. Nachdem das Bundesverfassungsgericht Ende 2014 wesentliche Teile der bislang gültigen Steuervergünstigungen für Unternehmenserben gekippt hatte, war eine Neuregelung der Erbschaftsteuer nötig geworden.

Der erreichte Kompromiss sieht nun vor, dass für Unternehmen mit maximal fünf Beschäftigten besonders niedrige bürokratische Hürden für eine Steuerbefreiung gelten. Auch gibt es neue Grenzen für Erben, denen ein besonders großes Vermögen hinterlassen wird, zudem Stundungsmöglichkeiten für die Steuerzahlung, steuerliche Begünstigung von geplanten Investitionen. Selbstredend ändert der Gesetzesbeschluss überhaupt nichts daran, dass im neoliberalen Deutschland Superreiche weniger besteuert werden als im Durchschnitt der OECD-Staaten. Auch dieses Gesetz vergrößert die Ungleichheit zwischen Betriebs- und Privatvermögen.

Die „Linken“-Vorsitzende Katja Kipping bringt die Kluft im Umgang mit Benachteiligten und Superreichen auf die Palme. Sie findest es „mehr als beschämend“, dass Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles gegenüber Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht einmal durchsetzen konnte, einen Umgangsmehrbedarf für arme Trennungskinder im Hartz-IV-Bezug festzulegen. Bei diesen werde geknausert und gespart wie verrückt, während sich CDU und SPD am Freitag bei der Erbschaftsteuer gegenüber Millionenerben großzügig und in Spendierlaune zeigten.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Gemütliches Österreich: Bundespräsidenten-Stichwahl muss wegen übereilter Stimmenauszählung wiederholt werden („Neues Deutschland“)

 

Sicherer Atomstrom aus uralten
belgischen Kernkraftwerken?

Helmut MinkusIn einigen Medien und im allwissenden Internet haben wir in den letzten Tagen viel über den traurigen Zustand belgischer Atommeiler erfahren. Belgiens „große“ Nachbarländer produzieren so viel überschüssigen Strom, dass sie das kleine Land mitversorgen könnten. Trotzdem gibt es hier sogar zwei Kernkraftwerke mit Namen Doel und Tihange. Letzteres ist bereits 40 Jahre alt und liegt nur 70 Kilometer von Aachen entfernt.

Doch niemand braucht sich Sorgen zu machen, denn Jod-Tabletten werden bereits verteilt, und einen Tsunami wird es dort nicht geben. Die Kernkraftwerke werden jedoch dringend gebraucht, um die Autobahnen zu beleuchten. Das dient der Sicherheit, denn belgische Autobahnen sind so marode wie ihre Atommeiler. Verrückter ist es nicht mehr möglich. Am besten zuerst die Kernkraftwerke abschaffen, dann die Autobahnen samt Beleuchtung!

Doch bleiben wir in unserem Heimatland, denn hier gibt es auch noch acht Atommeiler abzuschalten. Das Zeitalter von Glühbirnen und Irrlichtern muss endgültig vorbei sein! Schalten wir alle unsere sparsamen geistigen Leuchtdioden ein und sagen wir unseren Politikern, wie sie mit wirtschaftskriminellen Atomstromern umgehen sollen. Der Atomausstieg in Deutschland ist beschlossen. Es wird keinen Aufschub mehr geben. Eine echte Energiewende muss entschlossener und zügiger umgesetzt werden als bisher geschehen, europa- und weltweit.

Unterstützen wir unsere Nachbarn dabei, denn wenn ihre Jodtabletten versagen, wird es uns in Deutschland ebenfalls schlechter gehen. So gibt es bei unseren französischen Nachbarn noch 53 Kernkraftwerke, viele liegen an der Grenze, auch nach Deutschland. Das „Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien“ sagt voraus, der im Jahr 2016 in Deutschland produzierte Atomstrom-Anteil werde der niedrigste seit Beginn der 1980er Jahren sein. Das ist zwar erfreulich für uns, muss aber weltweit gefordert werden.

Eine weitere Möglichkeit, schnellstens den Atomdreck abzuschaffen, ist es, die Kernkraftwerke auszusingen. Da sind wir sehr optimistisch, das haben wir hier an dieser Stelle schon manchmal getan. In Deutschland hat es gewirkt! Singen wir also weiter, sodass es auch unsere Nachbarn hören. Sie werden mit einstimmen und ihre Atommeiler selbst wegsingen. Wir beginnen mit dem uns bekannten Lied. Atomkatastrophen und Gesang kennen keine Grenzen! Ich hoffe, unsere Lieder werden sie überwinden.

Helmut Minkus (parteilos)
 
Das für den 13. August 2016 geplante Sommerfest der Bremer Montagsdemo in den Neustadtswallanlagen beim Südbad muss wegen einer anderen Veranstaltung verschoben werden. Als neuer Termin wird der 3. September 2016 vorgeschlagen. Die genauere Planung soll nach der Montagsdemo am 4. Juli 2016 im Seemannsheim besprochen werden.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz