1. Die Arbeitgeberverbände scheinen sich momentan sehr stark zu fühlen: Sie stellen das Arbeitszeitgesetz infrage und sprechen sich für eine wöchentliche Höchstarbeitszeit aus. Die deutsche Wirtschaft schreckt auch nicht davor zurück, den Acht-Stunden-Tag kippen zu wollen, um damit in die Arbeitssteinzeit zurückzukehren! In der Forderung an die Bundesregierung heißt es unverblümt: „Um mehr Spielräume zu schaffen und betriebliche Notwendigkeiten abzubilden, sollte das Arbeitszeitgesetz von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden“.
Angesichts von Digitalisierung und der Notwendigkeit zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewinne es immer mehr an Bedeutung, flexible Arbeitszeiten zu gewinnen, die durch unsere starren Regelungen gemindert würden. Daher sei es wichtig, die Gesetze an die aktuelle Entwicklung anzupassen. Das Arbeitszeitgesetz von 1994 begrenzt die zulässige werktägliche Arbeitszeit auf acht Stunden, lässt aber die Ausdehnung auf zehn Stunden zu, wenn der Acht-Stunden-Tag langfristig eingehalten wird. Die IG Metall weist den Arbeitgeber-Vorstoß zurück. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann erklärt, das Arbeitszeitgesetz habe überall, wo Regelungen zum mobilen Arbeiten vereinbart wurden, nicht im Wege gestanden. Andrea Nahles wolle die gesetzliche Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf acht Stunden aber nicht abschaffen.
2. Die Rolle rückwärts auf dem Arbeitsmarkt, der Backlash, geht munter weiter, wenn Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles den Arbeitgebern jetzt bei der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen entgegenkommen will. Statt Leiharbeit endlich wieder zu verbieten, soll sie über die bisherigen 18 Monate hinaus verlängert werden dürfen, sofern die Unternehmen tarifgebunden seien. Bisher sprach Nahles sich für eine maximale „Ausleihe“ von 18 Monaten aus. Ihren Plänen zufolge sollen die Leiharbeiter „bereits“ nach neun Monaten den gleichen Lohn wie Angehörige der Stammbelegschaft bekommen. Ich brauche wahrscheinlich kaum zu erwähnen, dass dies den Arbeitgebern gar nicht passt. Sie verweisen darauf, dass sich Zeitarbeit gerade wegen ihrer Flexibilität als „Beschäftigungsmotor“ erwiesen habe.
Anders als von den Gewerkschaften gefordert, wolle Nahles bei Werkverträgen die Arbeitgeber lediglich verpflichten, den Betriebsrat zu informieren. Die Gewerkschaften verlangen hingegen klare Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertreter und befürchten, dass vorübergehend Beschäftigte sonst zu Mitarbeitern zweiter Klasse degradiert würden. Wir sollten nicht vergessen, dass Zeitarbeiter nach einer internen Analyse des „Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ für die Bundesagentur für Arbeit überproportional häufiger arbeitslos werden als andere Beschäftigte. Obwohl der Anteil aller Leiharbeitnehmer an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lediglich drei Prozent beträgt, kommen demnach etwa zehn Prozent aller Zugänge in die Arbeitslosigkeit aus der Zeitarbeitsbranche. Da die Gehälter dort niedriger sind, liegt auch das Arbeitslosengeld bei ehemaligen Zeitarbeitnehmern „deutlich unter der Höhe des Arbeitslosengelds von Personen, die aus anderen Branchen in den Leistungsbezug wechseln“.
Allerdings soll die Zeitarbeit angeblich „das größte Sprungbrett aus der Arbeitslosigkeit“ sein, weil fast 20 Prozent aller Menschen, die nach einem Jobverlust wieder eine Beschäftigung aufnähmen, bei einer Zeitarbeitsfirma landeten. Für wie lange und zu welchem Gehalt, habe ich leider nirgends lesen können. Andrea Nahles sagt, dass der Mindestlohn „wirken“ würde – wobei das beinah revolutionär klingen muss, angesichts der Unkenrufe aus der Unternehmerecke. Aber Frau Nahles behauptet ja auch, dass die Spezialdemokraten Wort halten würden und darüber hinaus verlässlich seien. Frau Nahles eiert in meinen Augen um die Quadratur des Kreises herum: Sie will für vieles offen sein, ohne bei aller Flexibilität den Acht-Stunden-Tag abschaffen zu wollen. Interessant, bloß wofür eigentlich? Eben, Frau Nahles soll ja für vieles offen sein. Dazu fällt mir nur der Aphorismus ein: Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
Die Arbeitsministerin formuliert undefinierbar, dass die Befristung „atmen“ könne, wenn sich auf feste Vereinbarungen in Form von Tarifverträgen eingelassen würde. Wie jetzt, geht es bei dieser Problematik eher um eine Technik gegen Atembeschwerden als um eine rückwärts gerichtete Arbeitsmarktpolitik? An Werkverträgen scheint Frau Nahles nur noch zu stören, dass die Betriebsräte nicht wüssten, wer in ihrem Betrieb arbeitet. Sie möchte klarer abgrenzen, was ein echter Werkvertrag ist und wo damit nur Lohndumping verschleiert wird. Wüsste ich nicht, wer Frau Nahles ist, könnte ich es kaum fassen, dass eine SPD-Arbeitsministerin die Analyse des Arbeitgeberpräsidenten Ingo Kramer teilt, dass wir Werkverträge bräuchten!
3. Jobcenter sind immer wieder für unliebsame Überraschungen gut. Das Amt in Friedrichshain-Kreuzberg kam nun auf die Idee, der Anwältin für Sozialrecht Aglaja Nollmann das Honorar für ihre Arbeit für einen Erwerbslosen nicht auszahlen zu wollen. Die Hartz-IV-Behörde war der Ansicht, ihr Mandant habe zu viel Geld ausgezahlt bekommen, und verlangte es zurück. Obwohl die Anwältin Widerspruch einlegte und recht bekam, sah sie von ihrem Honorar keinen Cent. Sie berichtete, dass ihr die 800 Euro, die ihr das Jobcenter hätte erstatten sollen, mit den Schulden ihres Mandanten verrechnet worden seien.
Das Jobcenter verfährt „zweigleisig“, indem es ihr dieses Honorar zwar anerkennt, jedoch im gleichen Atemzug wieder verweigert. Leider ist diese unrühmliche Handhabung kein Einzelfall, auch andere Sozialrechtsanwälte mussten schon ähnliche Erfahrungen machen. Dies sei kein Zufall, schreibt Antje Lang-Lendorff von der „Tageszeitung“. In einem Praxishandbuch der Bundesagentur für Arbeit werde extra darauf hingewiesen, dass nicht der Anwalt, sondern der arbeitslose Kläger Anspruch auf Kostenerstattung habe. Vor jeder Auszahlung zu erstattender Kosten sei zu prüfen, ob gegen den Kostengläubiger Forderungen seitens des Jobcenters bestehen, die aufgerechnet werden können.
Mit anderen Worten: „Wenn Arbeitslose dem Jobcenter Geld schulden, ist es gewünscht, dass das Anwaltshonorar mit diesen Schulden verrechnet wird. Die Anwälte gehen dann leer aus.“ Offenbar wird hier mal wieder das Gesetz für die Verteidigung von Arbeitslosen so „umgewandelt“, dass es für sie schwierig werden soll, einen Anwalt zu finden. Schließlich wollen und müssen Anwälte auch für ihre Arbeit bezahlt werden. Es riecht danach, dass Arbeitslose sich nicht mehr ihr Recht holen können sollen. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, nur Erwerbslose immer wieder ein bisschen ungleicher!
4. Der Präsident des Arbeitgeberverbands „Gesamtmetall“, Rainer Dulger, meint es ganz besonders gut mit uns Müttern: Er fordert völlig selbstlos den Ausbau von 24-Stunden-Kitas zur Entlastung arbeitender Mütter. Dulger verlangt, der Staat müsse die ganztägige Kinderbetreuung viel stärker ausbauen, und beklagte gleichzeitig „eine völlig verkrampfte Haltung im Umgang mit Müttern“ in Deutschland. Er kritisierte, Frauen würden als „Rabenmütter“ beschimpft, wenn sie ihr Kind lange betreuen ließen.
Dulger möchte, dass Müttern gesagt wird, es sei völlig okay, ihr Kind auch mal für 24 Stunden in einer Kita abzugeben. Es scheint mir so, als verwechsle Herr Dulger hier die pädagogische Beziehungsarbeit in der Kita mit einer Art Abstellplatz, mit einem „Hotel“ für Kinder, damit sich ihre Eltern, völlig unbehindert von ihrer Elternschaft, arbeitsmäßig absolut uneingeschränkt den ökonomischen Bedürfnissen der Wirtschaft unterwerfen, äh: anpassen können. Aber Kinder sind keine Autos und Kitas keine Parkhäuser!
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul spricht im Interview über die Nachteile des Krippenausbaus und die Trennungsängste von Kleinkindern. Einen Krippenplatz für jedes Kind hält er nicht für wünschenswert. Er warnt vor Zwangsbetreuung und fragt, wem unsere Kinder eigentlich „gehören“. Juul stört sich nicht am Ausbau von Kinderkrippen an sich, sondern an dem politischen Ziel dahinter: Dass die Europäische Union und andere politische Organisationen so viele Kinder wie möglich in Tageseinrichtungen unterbringen wollen, ist für ihn eine Zwangsmaßnahme, die mit demokratischen Gepflogenheiten nichts zu tun habe. Ihn erinnere das sehr an die Zeit der frühen Industrialisierung, als die Fabrikbesitzer von einer direkten Verknüpfung von Mensch und Maschine geträumt haben und Kinder zu Investitionsobjekten wurden.
Seiner Meinung nach geschehen der Ausbau der Krippen und auch die Forderung nach flächendeckenden Ganztagsschulen, weil dahinter ökonomische Interessen stünden. Für Juul sollen Krippen und Kitas Eltern die Möglichkeit geben zu arbeiten, während diese Einrichtungen gleichzeitig unsere Kinder in einer bestimmten Art und Weise formten, sie anpassten und auf die Zukunft vorbereiteten. Er findet die Behauptung falsch, dass alles zum Wohle der Kinder geschehe. In Skandinavien habe man mit einem Krippenausbau in kurzer Zeit schlechte Erfahrungen gemacht, weil der Fokus auf Quantität und nicht auf Qualität gelegen hätte. Es sei nicht genügend qualifiziertes Personal gefunden worden, und die Einrichtungen hätten Kompromisse eingehen müssen, die den Kindern schadeten.
Von den 3.600 Kindern, die Forscher in Dänemark in verschiedenen Krippen, Kindergärten und bei Tagesmüttern befragten, hätten 24 Prozent der Jungen und zehn Prozent der Mädchen geäußert, dass es ihnen nicht gut gehe. Die Kinder fühlten sich nicht wohl, weil die Qualität der Beziehungen zum Personal nicht gestimmt habe. Außerdem hätten Wissenschaftler festgestellt, dass 22 Prozent der Einjährigen in Dänemark unter großen Trennungsängsten litten. Trennungsangst sei bei manchen Kindern kein neurotisches Phänomen, sondern eine ernst zu nehmende Tatsache, vor der Eltern und Erzieher Respekt haben sollten.