491. Bremer Montagsdemo
am 06. 10. 2014  I◄◄  ►►I

 

Die erschreckende inhaltliche
Leere der Gespräche mit
dem Fallmanager

Hans-Dieter Binder1. Die Haushaltslöcher der Freien Hansestadt Bremen sind gestopft – für 2014. Wie das? Mensch hat noch mal genau hingesehen. Dabei wurde festgestellt, dass die Kreditzinsen um über 50 Millionen Euro niedriger ausfallen. Komisch, das war doch bereits vor der Haushaltssperre bekannt! Bremen hat jetzt den Haushalt 2014 finanziert. Bremen hat aber nicht aufgehört, sich kaputt zu sparen.

Die Ausgaben für Bildung entsprechen nicht dem Notwendigen. Die Universität Bremen wird den Studiengang Psychologie schließen. Ab 2015 können sich nur noch fortgeschrittene Studierende einschreiben. Betroffen ist wieder ausgerechnet ein Studiengang, dessen Absolvent(inn)en am Arbeitsmarkt dringend gebraucht werden. Die Schuldenbremse liefert die Begründung für das Fehlverhalten des Senats, siehe vorherige Bremer Montagsdemonstration.

Bremen hat in Arbeitsplätze investiert und erfolgreich Arbeitsplätze geschaffen. Damals wurde die Lohnsteuer dem Arbeitsort zugeordnet. Bremen konnte so die Früchte ernten. Unter Basta-Kanzler Schröder wurde dies verändert: Die Lohnsteuer wird nun gemäß den Wohnorten verteilt. Mit dem alten Verteilerschlüssel für die Lohnsteuer wären dieses Haushaltsloch und jene der Vorjahre nicht einmal sichtbar geworden. Der Basta Kanzler hat die Zustimmung Bremens mit dem „Kanz­ler­brief“ erschlichen.

In der Rede von Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum zur Einbringung des Doppelhaushalts 2004/2005 vor der Bremischen Bürgerschaft steht über den „Kanz­ler­brief“ (letzte Seite): „Wir gehen davon aus, dass der Bund seine im ‚Kanzlerbrief‘ formulierte Zusage einhält. Sollten die von uns errechneten Kompensationsbedarfe nicht in voller Höhe anerkannt werden, wäre die entstehende Finanzierungslücke kurzfristig durch zusätzliche Einsparungen nicht zu schließen.“ Die Zusagen des Kanzlerbriefs wurden nicht eingehalten, sie wurden sogar in Abrede gestellt. Demnach wurde Bürgermeister Henning Scherf von Basta-Kanzler Schröder reingelegt! Ausbaden müssen dies noch immer die Bürger Bremens.

Bremen hat nur eine Handelskammer. Die meisten Städte haben eine Industrie- und Handelskammer. Dies ist dem Handelsvolumen der hiesigen „Pfef­fer­sä­cke“ geschuldet. Die Hansestadt hat als Industriestandort inzwischen Berlin auf Platz 6 verdrängt, wie die Handelskammer Bremen feststellt: „Gemessen am Umsatz wuchs die bremische Industrie von 2011 bis 2012 um gut 1,4 Milliarden Euro auf fast 23,6 Milliarden Euro. Vor Bremen liegen nur noch Hamburg, Wolfsburg, München und Köln. In Berlin dagegen, das sonst immer vor Bremen lag, ließ die Leistung der Industrie um knapp 1,5 Milliarden Euro nach.“ Und weiter zur Industrie „Sie sorgt wesentlich für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.“

Nach dieser positiven Einschätzung stellt sich die Frage. Wohin fließen diese Steuern? Welches Steuervolumen geht durch Steuervermeidung verloren? Bremen hat aktuell ein Haushaltsvolumen von 4,5 Milliarden Euro. Die Sache mit den Arbeitsplätzen sieht die „Arbeitnehmerkammer“ anders: In den vergangenen fünf Jahren liege der Zuwachs an Beschäftigung unter dem Bundesdurchschnitt. Von einer Schaffung von Arbeitsplätzen hat die Handelskammer aber auch nicht explizit gesprochen.

 

2. Sanktionen gegen Erwerbslose erfolgen zugunsten der Staatskasse, siehe insbesondere die beiden vorherigen Bremer Montagsdemonstrationen. An diesem Montag titelt der „Weser-Kurier“: „Streit über Hartz-IV-Sanktionen“. Gestritten wird über die als „Rechtsvereinfachung im SGB II“ verpackten nochmaligen Verschärfungen für Erwerbslose.

Die Entschärfung der Sanktionen betrifft leider nur die besonders scharfen Regelungen für junge Erwachsene unter 25 Jahren sowie die Begrenzung der Kürzungen auf die Regelleistungen. Die Kosten der Unterkunft sollen auch bei einer 100-Prozent-Sanktion weiter erstattet werden. Die Zahl der Obdachlosen ist in Niedersachsen im Jahr 2013 um 15 Prozent gestiegen; in anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Insbesondere vollsanktionierte Jugendliche sind auf der Straße gelandet, wenn sie die Miete nicht mehr zahlen konnten.

Der Sanktionsgrund „Versäumnis eines Gesprächstermins“ wird heute mit einer Zehn-Prozent-Kürzung belegt, jeder andere Grund mit 30 Prozent. In der Änderung ist eine „gleichmäßige“ Sanktionierung vorgesehen. Welcher Prozentsatz beziehungsweise Betrag geplant wird, steht nicht in der Vorlage. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen wurden über diese Änderungen bereits vorab und geheim informiert. Der Sozialrechtler Harald Thomé hat diese Ge­heim­un­ter­rich­tung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales an die Mitglieder der Großen Koalition zu den „Rechtsvereinfachungen“ am 10. September 2014 öffentlich gemacht.

Ein weiteres Ziel der „Rechtsvereinfachung“ lautet: Die Mitarbeiter des Jobcenters sollen mehr Zeit für die Erwerbslosenbetreuung aufwenden können. Vorgeschlagen wird unter anderem, Bescheide für zwölf statt bisher sechs Monate auszufertigen. Dies ist keine Änderung: Bescheide über zwölf Monate sind bereits jetzt möglich. Die Forderung „mehr Zeit für die Erwerbslosen“ wurde in Bremen erfüllt: In der „Joboffensive“ sind 41 Arbeitsvermittler zusätzlich für die Beratung et cetera der Erwerbslosen im Amt. Gerade mal etwas über 300 zusätzliche Vermittlungen wurden erreicht, siehe vorherige Bremer Montagsdemonstrationen – gesteigert wurden die Sanktionen!

Alle Fallmanager in Bremen gewähren Erstattungen für Bewerbungskosten nach dem tatsächlichen Aufwand. Mit der Kontrolle der Quittungen vergeht circa eine Viertelstunde der durchschnittlichen Gesprächszeit von 30 Minuten. Es ist bereits jetzt möglich, die Bewerbungsschreiben pauschal zu vergüten. Die Bearbeitungszeit würde auf unter fünf Minuten pro Antrag sinken, einschließlich Begleitplausch. Durch diese Pauschalierung würde mehr Zeit gewonnen als durch die 41 zusätzlichen Fachleute.

Mit dem Argument der Zeitersparnis werden auch alle anderen Vorschläge begründet. „Die Linke“ hat mit der Nachfrage, warum die Kürzung des Al­lein­er­zie­hungs­zu­schlags ein „Zeitgewinn“ sein solle, erreicht, dass dieser Punkt verschwunden ist. Diese Änderungen bringen wohl kaum Zeitgewinn, aber viele Verschärfungen für die Erwerbslosen! Sie enthalten nicht einen Vorschlag zur besseren Vermittlung, nicht einen Vorschlag für eine respektvolle Gesprächskultur!

Die inhaltliche Leere dieser Gesprächstermine ist erschreckend. Es erfolgen sehr selten echte Beratungsgespräche. Wichtig ist dem Fallmanager, erst einmal zu fragen: „Was haben Sie falsch gemacht? Warum sitzen Sie heute hier?“ Eigenes Versagen wird so unterstellt. Der Fallmager schreibt über jedes Gespräch eine Aktennotiz. Lassen Sie sich die Aktennotiz des letzten Gesprächs geben. Beanstanden Sie Ungenauigkeiten. Falls Sie tatsächlich gegen eine Sanktion über ein Meldeversäumnis klagen müssen, können Sie so die Belanglosigkeit dieser Termine untermauern.

Wenn Sie verschlafen haben, rufen Sie Ihren Fallmanager an und fragen Sie, was er Ihnen sagen wollte. Er kann dies per Post schicken oder kurzfristig einen neuen Termin vereinbaren. Falls er dennoch einen Anhörungsbogen für eine Sanktion schickt, gehen Sie mit diesem Bogen zu einer Beratungsstelle. Auf der vorigen Bremer Montagsdemonstration habe ich geraten, nicht allein zum Jobcenter zu gehen: Sich jemanden mitzunehmen, erspart Unannehmlichkeiten.

Egal ob mit oder ohne Begleitung: Nichts unterschreiben! Alles, was vorgelegt wird, kann mitgenommen werden. Wenn ein Fallmanager zum Beispiel die „Eingliederungsvereinbarung“ nicht mitgeben will, ist dies erst recht ein Grund, sie mitzunehmen. Wenn ein Fallmanager mündlich einen Folgetermin ansetzt, damit die „Eingliederungsvereinbarung“ dann im Jobcenter unterschrieben wird, nehmen Sie zu diesem Folgetermin jemanden mit. Sie werden sich wundern, wie sehr Sie Ihren Fallmanager missverstanden haben! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)

 

Das Märchen von CETA und TTIP

Helmut MinkusEs waren einmal zwei riesige Machtblöcke, die hießen Kanada und Europa. Sie hatten einander so lieb, dass sie ein geheimes Abkommen schließen wollten, mit dem sie viele neue Arbeitsplätze schaffen, ein märchenhaftes Wirtschaftswachstum und noch ein paar Dinge nebenbei regeln wollten, von denen sonst niemand auf der ganzen Welt etwas wissen sollte. Da die beiden Wirtschaftsmächte nun schon seit 2009 verhandeln und in ihren Ländern einige aufmerksame Leute wohnen, ist das Ganze zum Glück nicht mehr geheim, sonst könnte Ihnen noch nichts darüber berichten.

Das Abkommen liegt zwar seit letzter Woche bereit zum Unterschreiben, aber es gibt so viele Probleme damit, über die noch viele Millionen Bürger in Europa informiert werden müssen, dass es auf keinen Fall schon unterzeichnet werden darf. Was da in den ganzen Jahren Geheimnisvolles verhandelt wurde, sollen möglichst alle Europabürger schnell verstehen lernen. Es soll das umfassendste Wirtschafts- und Freihandelsabkommen sein, das je ausgehandelt wurde, und den schönen Namen „CETA“ tragen, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der englischen Bedeutung „Comprehensive Economic and Trade Agreement“.

Das ist zwar kein Geheimnis, doch es betrifft jeden einzelnen Bürger in Kanada und Europa, die dann alle selbstverständlich auch die „Europasprache“ englisch verstehen müssen. Als Eselsbrücke für C und E könnten auch „Canada“ und „Europe“ stehen. Es gibt nun große Unterschiede zwischen dem, wie etwas heißt (hier CETA), was es sein soll (die englische Bezeichnung in die jeweilige Landessprache übersetzt) und welchen tatsächlichen Nutzen es für wen bringt. Das C von „Comprehensive“ ist so umfassend, dass es nicht nur Wirtschaft und Handel betrifft, so wie das Abkommen eigentlich heißt („Economy and Trade“), sondern Einfluss auf alle Lebensbereiche jedes einzelnen Bürgers hat.

Ein krasses Beispiel hierzu: Es wurde heimlich auch gleich ein Investitionsschutzabkommen mitverhandelt. Das bedeutet: Investoren aus Kanada, die in Europa zum Beispiel Fracking-Projekte finanzieren, sollen „geschützt“ werden, zum Beispiel vor Verlustgeschäften durch Bürgerprotestaktionen oder vor nicht erteilten Genehmigungen durch Kommunen oder Regierungen. Sogar Investoren, Wirtschaftskriminelle und sonstige Händler aus den USA werden in diesem Kanada-Europa-Abkommen CETA schon mit den gleichen Privilegien bedacht, wenn sie Tochterunternehmen in Kanada besitzen.

Das wiederum bedeutet: Selbst wenn die kleine Schwester von CETA namens TTIP nicht durchgesetzt werden kann, so ist in CETA schon viel von TTIP enthalten. TTIP ist eine „transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ zwischen den USA und Europa; der Name ist zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der englischen Bedeutung „Transatlantic Trade and Investment Partnership“. Auch hier umfasst das Abkommen fast alle Bereiche des Lebens, von Verbraucherschutzstandards über Umweltschutz bis zur Vermarktung von Dienst­leis­tun­gen. Alles wird geregelt zugunsten des Wirtschaftswachstums und der Maximalgewinne von Konzernen und Investoren.

Leider sind das keine Märchen, wie es sich vielleicht mit einiger Phantasie weiter ausmalen lässt, sondern es kann zur bitteren Realität werden, wenn wir nicht massenhaft daran mitwirken, die Ratifizierung von CETA und TTIP zu verhindern. Deshalb haben sich allein in Europa 76 Organisationen und Vereine zu einem Bündnis vereint, um Aufklärungs- und Protestaktionen durchzuführen. Einige Veranstaltungen finden aktuell in Bremen statt: Am Freitag, dem 10. Oktober 2014, gibt es ab 17 Uhr auf dem Marktplatz eine Aktion von „Attac“, am Samstag, dem 11., ebendort ab 11 Uhr auch von anderen Organisationen und ab 12 Uhr von „Greenpeace“ eine mobile Unterschriftensammlung. Seien auch Sie aktiv dabei, sodass wir hoffentlich bald wirklich erzählen können: Es waren einmal zwei märchenhafte Lügengeschichten TTIP und CETA...

Helmut Minkus (parteilos)
 
„Katastrophale Zahlen“: Schwache Industriekonjunktur könnte
Deutschland in die Rezession getrieben haben („Die Welt“)
 
Putzen für Bier: Essen beutet Suchtkranke aus („Die Welt“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz