475. Bremer Montagsdemo
am 16. 06. 2014  I◄◄  ►►I

 

Wären wir doch so weit „unten“ wie der Ex-Bundespräsident!

Elisabeth Graf1. Das Hamburger Jobcenter strich einer Frau, die aufgrund einer Krankheit seit dem Frühjahr 2011 arbeitsunfähig ist, die Leistung, weil sie sich weigerte, ihren Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, da dies gegen den Datenschutz verstoße. Die gelernte Einzelhandelskauffrau hatte im Prinzip seit Antragstellung „Probleme“ mit dem Amt. So seien Unterlagen wie Kontoauszüge, Personalausweis und Mietvertrag angeblich nicht angekommen, obwohl sie ordnungsgemäß eingereicht worden seien. Als nach mehr als zwei Monaten Amtsschikane der 45-Jährigen schließlich der Verlust der Krankenversicherung drohte, konnte sie erst mithilfe eines Anwaltes einen Bescheid vom Jobcenter bekommen.

Obwohl sie von ihrem Arzt im Oktober 2011 mit Attesten arbeitsunfähig geschrieben worden war, folgten weiterhin „Einladungen“ zu Pflichtterminen und die Forderung nach Vorlage einer kostenpflichtigen Wegeunfähigkeitsbescheinigung, wenn sie diesen nicht nachkommen könne. Nachdem der Anwalt die Behörde dazu aufgefordert hatte, von solchen „Einladungen“ abzusehen, da die Krankheit der Frau bereits durch entsprechende ärztliche Bescheinigungen belegt worden war, verhängte das Amt eine Sanktion in Form einer zehnprozentigen Leistungskürzung, deren Rechtmäßigkeit nun vom Sozialgericht geklärt werden muss.

Ende vergangenen Jahres schaltete das Jobcenter den ärztlichen Dienst ein, um zu prüfen, ob die Betroffene tatsächlich erwerbsunfähig sei. Dafür sollte sie einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen und ihren Hausarzt von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden, was die Frau unter Hinweis auf den Datenschutz ablehnte. Daraufhin reagierte das Jobcenter mit einer vollständigen Leistungskürzung. In ihrer Not wandte sich die 45-Jährige an die Bundesbeauftragte für Datenschutz, deren Behörde im Januar 2014 antwortete und das Amt darauf hinwies, dass niemand zu Angaben zur Gesundheit und zu Schweigepflichtentbindungen gezwungen werden könne.

Erst nachdem die Frau eine einstweilige Verfügung vor dem Hamburger Sozialgericht erreicht hatte, setzte das Jobcenter endlich die Zahlungen fort. Nun soll aber niemand glauben, dass die Angelegenheit damit abschließend geklärt wäre! Im April dieses Jahres wurde die 45-Jährige vom Jobcenter zur „Untersuchung“ beim Ärztlichen Dienst aufgefordert und nahm den Termin unter Begleitung der ehemaligen Jobcenter-Mitarbeiterin und Hartz-IV-Aktivistin Inge Hannemann wahr. Nachdem die Probandin die Fragen der Psychiaterin nach Schulbildung und Arbeitsfähigkeit nicht beantwortete, brach die Ärztin die „Untersuchung“ ab, und das Jobcenter kürzte das Jobcenter die Leistung erneut um hundert Prozent.

Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist nun von Hunger und Obdachlosigkeit bedroht. Das Amt „begründete“ seine drastische Entscheidung damit, dass die chronisch kranke Frau zwar zum Termin erschienen, jedoch nicht ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Natürlich legte die Hamburgerin gegen die Sanktion Widerspruch ein. Auch die Bundesbeauftragte für Datenschutz meint, dass chronisch kranke Hartz-IV-Bezieher ihre Ärzte gegenüber Jobcentern nicht von der Schweigepflicht entbinden und Fragebögen zur Krankengeschichte ausfüllen müssen. Jobcenter-Sprecherin Kirsten Maaß versuchte jetzt, das Vorgehen ihrer Behörde zu rechtfertigen, was aber mit den widersprüchlichen Angaben kaum möglich sei.

Geht es hier „nur“ um die Freiwilligkeit einer unfreiwilligen Auskunft oder um die Quadratur des Kreises? Wird hier versucht, mithilfe von Schikane und Willkür – im Zuge der Verfolgungsbetreuung – den Willen einer selbstherrlichen und deswegen sich immer und automatisch im Recht befindenden Behörde zum Zwecke der Unterwerfung und Umerziehung von Erwerbslosen, die sich für ihre Rechte einsetzen, auf Deubel komm raus durchzusetzen? Wie kann sich eine Behörde das Recht herausnehmen, ärztliche Atteste anzuzweifeln? Sind die Ärzte der Jobcenter besser ausgebildet, oder was rechtfertigt ihre besondere „Befähigung“? Wer kann es rechtfertigen, ein „Existenzminimum“, das nicht mal ausreicht, die Existenz tatsächlich zu gewährleisten, sanktionshalber auch noch zu kürzen, sogar um hundert Prozent? In meinen Augen ist das grundgesetzwidrig!

 

2. Ausgerechnet die „Bild“-Zeitung fragte den Chef des „Instituts der deutschen Wirtschaft“, Professor Michael Hüther, ob wir nun alle Angst vor Altersarmut haben müssten. Millionen Bundesbürger hätten Angst, dass sie im Ruhestand völlig verarmen! Nein, alle natürlich nicht, nur jene, die nichts auf die hohe Kante legen würden, antwortete dieser. Aber was sei nun mit denen, die keine Jobs hätten oder zu wenig verdienten, als dass ihnen das möglich sei? Ja, Arbeitslose oder Alleinerziehende seien in der Tat sehr gefährdet, daher sei es umso wichtiger, dass die Bundesregierung alles unterlasse, was die Arbeitsaufnahme dieser Personen noch schwieriger mache. In diesem Zusammenhang sei der Mindestlohn genau der falsche Weg, weil er es für viele schlecht ausgebildete Arbeitslose noch schwerer machte, einen Job zu finden.

Genau! Deswegen müssen natürlich alle, die von ihren Dumpinglöhnen nicht leben können, vom Mindestlohn ausgeschlossen werden. Das klingt logisch. Ungeachtet seiner vorherigen Aussage gibt Hüther den weisen Rat, sein Geld nicht nur in Sparbücher und Lebensversicherungen zu stecken, sondern auch in etwas risikoreichere Anlagen wie Investmentfonds. Es ist doch unglaublich! Die Überschrift prangert eine durchaus berechtigte Angst vor Altersarmut an und „verwechselt“ dann die Ursachen: Steigende Löhne durch einen Mini-Mindestlohn sollen dafür verantwortlich sein, dass durch zu geringe Löhne nichts für eine Rente angespart werden kann – die, nebenbei bemerkt, sowieso von der weiterhin zusätzlich erforderlichen Pseudo-Grundsicherung wieder aufgefressen, weil abgezogen wird.

Der Mindestlohn wird von allen Seiten attackiert. In vorderster Linie macht vor allem der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ Druck für zusätzliche Ausnahmen vom geplanten Gesetz bei Praktikanten und jungen Menschen. BDI-Präsident Ulrich Grillo fordert, dass Praktika für junge Menschen für die Unternehmen „bezahlbar“ bleiben müssten, weil dieser Generation sonst der Einstieg in einen qualifizierten Beruf erschwert werde. Eben, unsere Generation hatte doch viel schlechtere Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu ergattern, als die jetzige „Generation Praktikum“, die unendlich lange und für fast gar nichts „Arbeitserfahrungen“ sammeln darf!

Axel Reimann, der neue Präsident der Deutschen Rentenversicherung, argumentiert ganz anders und stellt klar, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro nicht einmal vor Altersarmut bei Millionen von Geringverdienern schützen würde. Auch ein Arbeitnehmer, dessen Verdienst sich auf Dauer auf dem Niveau des Mindestlohns bewege, werde über die Grundsicherung kaum hinauskommen. Der Hauptgeschäftsführer des „Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“, Ulrich Schneider, wird noch deutlicher und stellt klar, dass ein Mindestlohn deutlich über 13 Euro liegen müsse. Ohne Vollerwerbstätigkeit reiche auch dieser nicht aus. Es gebe bereits heute eine halbe Million Menschen, die im Alter von Sozialhilfe leben müssen. Bis zum Jahr 2025 werde sich diese Zahl mehr als verdoppeln.

 

3. Letzte Woche stellte der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff sein Buch „Ganz oben, ganz unten“ vor. Ulrich Schneider vom „Paritätischen“ kritisierte Wulff scharf für die Wahl des Titels. Ich teile Schneiders Meinung, dass der Titel ein peinlicher Fehlgriff ist, der bestenfalls noch Kopfschütteln auslöst. Wulf scheint jede Relation verloren zu haben, denn unter normalen Umständen bedeutet „ganz unten“ zu sein kaum, einen Ehrensold in Höhe von 200.000 Euro bis zum Lebensende pro Jahr zu erhalten und zusätzlich einen Chauffeur, ein Büro und eine Schreibkraft gestellt zu bekommen.

Schneider gesteht dem Ex-Bundespräsidenten zu, dass er nach eigenem Empfinden „sehr tief gefallen“ sei, doch habe er offensichtlich nicht bemerkt, dass es Menschen gebe, die tatsächlich „ganz unten“ seien, weil sie auf Hartz IV angewiesen sind und sich geradezu verhöhnt fühlen müssen. Dieser Buchtitel ist in der Tat „zumindest ein weiteres Indiz dafür, dass sich Teile der Politik immer weiter von der Lebensrealität der Bevölkerung entfernen“.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
In Bremen und Bremerhaven wurden schon Tausende Privathaushalte
von der Strom- oder Wasserzufuhr abgeklemmt, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen konnten. Der Zugang zu Wasser ist ein unveräußerliches Menschenrecht! Die Linkspartei ruft auf zur Teilnahme an ihrer Wassersperren-Aktion am Montag, dem 23. Juni 2014, von 9.30 bis 11.30 Uhr vor dem Jobcenter West, Schiffbauerweg 22, sowie am Dienstag, dem 24. Juni, zur gleichen Zeit vor dem Jobcenter Nord, Lindenstraße 71.
 
Hartz-IV-Sanktionen sollen entschärft werden: Aber der Bundeshaushalt enthält drastische Sparvorgaben, die nur durch Leistungskürzungen und schärfere Sanktionen umsetzbar sind („Die Welt“)
 

 
Spiele fürs Volk: Fracking für die Konzerne („Süddeutsche Zeitung“)
 
Jubelt! Mir! Zu!: Schnatterinchen düst mit leerem Großraumjet
in die Fußballhelden-Kabine („Pfalz-Express“)
 
Zum Glück privat versichert: Pittiplatsch an
Leukämie erkrankt („Spiegel-Online“)
 
Weder Impfung noch Therapie: Tödliche Ebola-Epidemie in
Westafrika außer Kontrolle geraten („Spiegel-Online“)
 
Wie Faschisten sich anschleichen: „Gesellt euch zu den anderen Menschen auf den Montagsmahnwachen(„Rote Fahne News“)
 
Deutscher Dschihadismus: Gaucks Anliegen ist nicht
die Freiheit, sondern der Krieg („Spiegel-Online“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz