1. Uwe Mühlmeyer besaß schon während der Podiumsdiskussion „Die Unmenschlichkeitskatastrophe“ die Vermessenheit, für das Bundesland Bremen drei- bis fünftausend Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zu fordern, die sonst „wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ hätten. Er sprach während der Veranstaltung davon, diese Langzeitarbeitslosen in nicht zusätzliche kommunale Aufgaben zu stecken und ihnen dafür 1.423 Euro brutto zu zahlen.
Letzte Woche verbreitete Mühlmeyer, Geschäftsführer des Bremer Beschäftigungsträgers „Bras“, in einem Interview, dass nun sein Dachverband, der „Verband arbeitsmarktpolitischer Dienstleister in Bremen“, jene Kopfschütteln auslösende Forderung nach der Einführung von sozialversicherungspflichtigen und langfristigen Jobs in den Beschäftigungsprojekten des sogenannten zweiten Arbeitsmarktes verlangt. Mühlmeyer wirft sich damit scheinbar das Mäntelchen des edlen Förderers der Menschenwürde um, wenn er betont, eine sinnvolle Beschäftigung habe „etwas mit Menschenwürde zu tun“ und helfe „nachweislich gegen depressive Erkrankungen“. Leider verrät er uns nicht, warum diese Arbeit mit so schändlich wenig Geld entlohnt werden müsse.
Taucht der Bruttolohn deshalb nicht in dem Artikel auf? Hat er sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, wie demütigend und ungerecht es ist, nach einer Vollzeitarbeit noch immer nicht ausreichend Geld zum Leben zu haben und sich wegen seiner Familie dennoch der Verfolgungsbetreuung der Mob-, Flop- oder No-Job- Center aussetzen zu müssen? Mühlmeyer deklassiert Langzeiterwerbslose mit der Behauptung, viele seien nicht in der Lage, die „Anforderungen des regulären Arbeitsalltags“ zu bewältigen: „Wenn sich jemand ganz normal in einer Firma bewerben könnte, würde er das ja tun und nicht in einem Ein-Euro-Job landen.“
2. Ein Staat, der tausend „Tafeln“ braucht, kann kein guter Sozialstaat sein. Es gibt immer mehr Kunden an immer mehr „Tafeln“, die mal einen Obolus von einem und mal von fünf Euro am Eingang zahlen müssen. Ich finde es beschämend, dass „Tafeln“ zu den erfolgreichsten Einrichtungen in Deutschland gehören. Sie expandieren, weil sich in Deutschland Not und Bedürftigkeit wie ein Krebsgeschwür ausbreiten. Für Heribert Prantl wäre es eine Katastrophe, wenn es diese gemeinnützige Einrichtung nicht mehr gäbe, andererseits sei es aber auch eine Katastrophe, dass es sie geben müsse. Spätestens die vielen „Tafeln“ zeigen an, dass die Not in ein reiches Land zurückgekehrt ist.
Die Besucher der „Tafeln“ bestehen aus Facharbeitern, Alleinerziehenden (meist Müttern), Familien mit Kindern, Migranten, Niedriglöhnern, Langzeitarbeitslosen, Ein-Euro-Jobbern und Rentnern. Sie gehören keiner Randgruppe an, weil eineinhalb Millionen Menschen nun mal keine Randgruppe sind. Die sogenannte Grundsicherung des ALG II ist nur eine Pseudo-Grundsicherung, die eben nicht ausreicht! An den „Tafeln“ lässt sich studieren, wie sich die Ungleichheit der Gesellschaft verändert, weil nicht nur Arbeitslose dahin gehen, sondern auch Leute, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Ich finde es erbärmlich, dass die „Tafel“-Bewegung wohl die derzeit größte Bürgerbewegung der Bundesrepublik ist und nicht die der Ausgestoßenen, um ein Leben in der Gemeinschaft Geprellten es sind, die sich dagegen wehren, auf sich aufmerksam machen.
Die „Tafeln“ können keine geeignete Antwort auf Not und Armut in einer reichen Gesellschaft sein – wohl aber eine Anklage. Ein Staat, der sich auf die „Tafeln“ verlässt, verstößt gegen seine soziale Fürsorgepflicht. Meiner Meinung nach muss es in einem echten Sozialstaat ein Recht auf würdige Hilfe geben. Es darf kin Zu-Kreuze-Kriechen und ein Betteln um Barmherzigkeit verlangt werden. „Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, wie es möglich ist, dass in wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten immer mehr Bürger arm werden.“ Ein „Schattenbericht“ der Nationalen Armutskonferenz verweist darauf, dass in Deutschland inzwischen fast jeder Vierte im Niedriglohnsektor arbeitet und 7,6 Millionen Menschen (9,3 Prozent der Bevölkerung) staatliche Leistungen zur Sicherung ihres Existenzminimums beziehen.
3. Das Bundessozialgericht entschied am 17. Juni 2010 (Aktenzeichen B14 AS 46/09 R), dass der Zufluss eines nur darlehnsweise gewährten Geldbetrages kein sozialrechtlich anrechenbares Einkommen darstellt. Dies bedeutet, dass die Darlehnssumme nicht durch das Jobcenter bedarfsmindernd berücksichtigt werden darf. Dies gilt auch für den Fall, dass das Darlehn durch einen Verwandten gewährt wurde. Darlehenshöhe, Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, Raten- beziehungsweise Rückzahlungsmodalitäten und gegebenenfalls der Grund der Darlehensaufnahme sollten plausibel darlegbar sein. Es empfiehlt sich hierbei ein schriftlicher Vertrag. Somit wurde endlich eine Rechtsauslegung abgeschafft, die es ALG II beziehenden Menschen in finanzieller Notlage verunmöglichte, sich mit geliehenen Geldbeträgen aushelfen zu können, ohne dass ihnen dieses Darlehn nach dem „Zuflussprinzip“ als angebliche Einkunft auf ihr tatsächliches Einkommen bewertet worden wäre!
4. Vorurteile gegenüber Hartz-IV-Beziehern sind in Deutschland weitverbreitet. Demnach ist diese Klientel zu träge, zu faul, zu wählerisch bei der Jobsuche. 50 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass Leistungsbezieher sowieso nicht nach Arbeit suchen. 40 Prozent der Befragten meinen zudem, dass der Wille, einen Job zu bekommen, gar nicht vorhanden ist. Geistesgegenwärtig kommentiert Heinrich Alt vom Vorstand der Bundesagentur die Umfrage so, dass sich Irrtümer bezüglich Hartz-IV-Beziehern hartnäckig hielten und die Vermittlung ins Berufsleben erheblich erschwerten. Ein so hoher Wert an Vorurteilen spricht wohl dafür, dass auch potenzielle Arbeitgeber sie haben, womit die Propaganda der Medien und die Sanktionspraxis der (No-)Job-Center selbstredend nicht das Mindeste zu tun haben können!
Im gleichen Artikel steht, dass Hartz-IV-Bezieher von der Arbeitsagentur bestraft werden können, wenn sie gestellte Auflagen nicht einhalten. In diesem Jahr könnten erstmals mehr als eine Million Sanktionen ausgesprochen werden, völlig unabhängig davon, wie rechtmäßig sie sind. Es ist dabei absolut egal, welchen Sinn Computerkurse haben, die bereits in der Berufsausbildung absolviert wurden, oder was das fünfte Bewerbungstraining soll. Da passt jemand den Briefträger um 14 Uhr ab, bekommt ein Schreiben in die Hand, dass er sich am selben Tage bereits um 9 Uhr im allseits beliebten Mob-Center hätte einfinden sollen, und kassiert somit wegen Nichteinhaltung des Termins eine Sanktion von zehn Prozent. Dagegen lässt es sich erfolgreich zur Wehr setzen!
Doch ist klar, wie gut es die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit ihren zu „Kunden“ hochstilisierten Besuchern meint. Trotz der Sanktionsorgie warnt dieselbe Behörde, es dürfe dabei kein falsches Bild entstehen, denn ihre Klientel sei viel besser als deren ramponierter Ruf. Weil die BA-Oberen vor lauter Sorge fast nicht mehr schlafen können, machen sie sich jetzt daran, das schlechte Image vom Faulenzer in der sozialen Hängematte aufzupolieren. Eine Hamburger Werbeagentur fährt in ihrem Auftrag die Kampagne „Ich bin gut“ und berichtet von Erfolgsgeschichten hoch motivierter und kompetenter Hartz-IV-Bezieher, die zurück ins Berufsleben vermittelt werden. Alt betont, nach einer BA-Studie sei für 75 Prozent Arbeit das Wichtigste in ihrem Leben. Diese Menschen wollten arbeiten, aber es gebe auch Menschen „mit Brüchen in der Erwerbsbiographie, mit Ecken und Kanten“, von denen der Großteil hoch motiviert sei und eine zweite Chance verdiene.
Dagegen erschwerten der „vermeintliche Makel Hartz IV“ und die damit verbundenen Ressentiments gegenüber Arbeitsuchenden die Vermittlung ins Berufsleben „erheblich“. Harald Thomé vom Wuppertaler Sozialhilfeverein „Tacheles“ weiß von noch anderen Vermittlungshemmnissen. So wurde das Eingliederungsbudget der BA allein in diesem Jahr um vier Milliarden Euro gekürzt. Die BA sei viel mehr damit beschäftigt, wie sie die Leute sanktionieren und drangsalieren kann, als sie in Arbeit zu vermitteln. Thomé hält die „Ich-bin-gut“-Kampagne vor diesem Hintergrund für zynisch, weil sie keinem Betroffenen das Selbstbewusstsein stärke. Stattdessen wären natürlich ein „korrekter und menschenwürdiger Umgang und keine Sanktionen“ nötig.
Auch Martin Behrsing vom „Erwerbslosenforum Deutschland“ ist entsetzt über diese Kampagne, die Erwerblose in keiner Weise ernst nehme. Die Bundesagentur trage mit ihrer Politik entscheidend zur Entstehung der gängigen Zerrbilder von Langzeitarbeitslosen bei. Vielleicht sollten Erwerbslose ihrerseits eine Kampagne beginnen, mit Slogans wie „Ich bin gut, deshalb wehre ich mich aktiv gegen Rechtswidrigkeiten der Flop-, Mob- oder (No-)Job-Center“, oder kürzer „Ich bin gut zu sanktionieren“, aus reiner Lust an der Verfolgungsbetreuung, um auf den hier praktizierten klassischen Double-Bind, wie er im Buche steht, aufmerksam zu machen!
Es hat schon ein gewisses Geschmäckle, wenn Jens Böhrnsen als Bürgermeister der Rüstungshochburg Bremen den neuen Friedensnobelpreisträger in den höchsten Tönen lobt. Für ihn ist die EU laut „Weser-Kurier“ vom 13. Oktober 2012 „das größte Friedensprojekt, das die Weltgeschichte gesehen hat“. Glaubt der Bürgermeister wirklich, dass sich die Bevölkerung durch diese seltsame Geschichtsdarstellung täuschen lässt? In Wahrheit ist doch das genaue Gegenteil der Fall! Dies beweist auch der jüngste Plan des frischgebackenen Nobelpreisträgers, ein größeres Kontingent an Ausbildern und Militärberatern nach Mali zu entsenden.
Die EU ist ein Interventions- und Kriegsbündnis, das seit Jahren hemmungslos aufrüstet, mit eigenen Truppen bewaffnete Konflikte verschärft sowie mit Hilfe von EZB und IWF Mitglieder wie Griechenland mit unerfüllbaren Forderungen in den Ruin zwingt. Sie raubt damit Millionen Menschen die Lebensgrundlage. Die ebenfalls erwähnten sogenannten Bankenrettungen haben schließlich auch in der Hansestadt zu deutlich mehr Armut geführt. Daraus wird deutlich: Der Bürgermeister, der seit Jahren Mitglied der japanischen Initiative „Mayors for Peace“ ist, spricht hier im Sinne der Rüstungsindustrie!