370. Bremer Montagsdemo
am 02. 04. 2012  I◄◄  ►►I

 

Europa rüstet auf, und
Hartz IV liefert das Personal

Hans-Dieter Binder1. Wer erinnert sich an 1982? Wer hat in jenem Jahr etwas als sehr negativ erlebt, genauer: 1982 etwas sehr Negatives erlitten? So nachhaltig, dass sich seitdem über 300 beteiligte Briten das Leben genommen haben? 1982 war der Falklandkrieg. 1.000 Menschen sind während dieses Krieges gestorben, und anschließend gab es über 300 Selbstmorde von britischen Teilnehmern an diesem Krieg. Ein Veteran sagte: „Diese Schreie der Sterbenden, diese wie Wachs abtropfende verbrannte Haut, diesen Geruch werde ich nicht wieder los bis ans Ende meiner Tage.“ Der „Deutschlandfunk“ hat Montagmittag sehr eindringlich über dieses Thema berichtet. Insbesondere das Detail „Suizide und kein Ende“ war in vielen anderen Medien nicht vorhanden. Die Selbstmordserie ist trotz Unterstützung der britischen Veteranen wahrscheinlich noch nicht beendet!

Ich habe diesen Bericht im Internetauftritt des „Deutschlandradios“ gesucht und nicht gefunden. Auf dem Sendeplatz steht ein Bericht über das Thema Falk­landkrieg vom Sonntag – ein sehr ausführlicher Bericht, aber ohne Erwähnung der Selbstmorde. Für die argentinischen Veteranen und Kriegsversehrten hat das Vaterland nichts über. Wer heute Soldat ist, sollte sich die Kriegsbilder ansehen, die dokumentarischen Filme und die anschließende Behandlung der Ex- Soldaten durch die Bürokratie ihres Vaterlandes. Unversehrt kommt keiner aus diesen Einsätzen zurück: Im Unterbewusstsein sind die Schreie, der Tod von Mitmenschen und anderes unauslöschbar gespeichert. Viele Soldaten zerbrechen an dieser Last!

Die Soldaten der Bundeswehr sind nur ein Baustein in den Überlegungen der Europäischen Union. Die EU hat eine eigene militärische Struktur aufgebaut, zur Interessenvertretung, jederzeit, an allen Orten der Welt! Der Ersteinsatz ist möglich ohne Einschaltung des Europäischen Parlaments. Auch der Deutsche Bundestag muss nicht gefragt werden. Der Oberbefehlshaber entscheidet autonom, also allein – auch über den Einsatz innerhalb der EU, etwa in Berlin oder London. Daher: Hängt den Uniformrock an den Nagel! Nehmt wirtschaftliche Nachteile in Kauf für ein unbeschwertes Weiterleben! Wer „mithilfe“ des Jobcenters oder früher der Arge (in Bremen: Bagis) zur Bundeswehr gelangt ist, kann die Rückabwicklung des Vertrages erwirken. insbesondere, wenn mit Sanktionen gedroht wurde. Wie dies geht? Siehe vorherige Bremer-Montagsdemos: Wir gehen mit!

Lasst uns die Existenz sichern! Ein Leben mit Perspektiven ermöglichen! Ein be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men anstreben und als erstes die Repressalien der Job­cen­ter abstellen! Dann hat sich der Kriegsdienst erledigt, weil der „Nachschub“ an Menschen versiegt! Früher hieß es: „Ich habe kein Brot für dich, mein Sohn.“ – „Mutter, ich weiß, ich gehe zur Legion.“ So oder ähnlich wird das alte Übel beschrieben. Darum geht mit zum Ostermarsch an diesem Samstag! Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland handelt kriegstreibend. Das „Frie­dens­forum“, das den Ostermarsch organisiert, hat die Rüstungsindustrie enttarnt, die Universität an die Zivilklausel erinnert und seit vielen Jahren gute Arbeit geleistet.

Der „Nachschub“ an freiwilligen Soldaten ging schon gegen Null, doch dann kam Hartz IV und die neue Militärstrategie der EU. Die Europäische Union rüstet auf, und Hartz IV liefert das Personal dazu! Die Hartz-Gesetze haben ihren Ursprung in der Lissabonner Strategie, genauso wie die Militärstrategie der EU. Schröder hat nur abgeschrieben! Die Umsetzung erfolgt EU-weit. Die Gesetze haben in jedem Land einen anderen Namen, aber das Ziel ist aber gleich. Hartz IV sichert Deutschland einen Spitzenplatz in der Entrechtung der Erwerbstätigen und, noch dramatischer, in der „Zurichtung“ der Erwerbslosen, siehe vorherige Bremer Montagsdemos. Einfach mal nachlesen und herkommen! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

 

2. Auf der Sitzung der Sozialdeputation wurden Richtlinien für die Heranziehung unterhaltspflichtiger Kinder zum Elternunterhalt in der Sozialhilfe vorgestellt. Die Notwendigkeit wurde mit „einheitlicher Rechtsanwendung“ begründet. Es handelt sich somit um eine Verwaltungsanweisung ohne Außenwirkung, das heißt, diese Richtlinien sind von der Verwaltung zu beachten, haben aber keine Gesetzeskraft.

Die 50-seitige Verwaltungsanweisung ist mit Rechenbeispielen ausgestattet und sicherlich hilfreich. Soll sie ohne weitere Erklärungen die Sachbearbeitung handlungsfähig machen? Bei der Regressforderung für vom Sozialamt gezahlte Alimente ist Bremen nicht sehr erfolgreich – aber nicht, weil die Mitarbeiter unfähig wären. Die schlechte Quote ist insbesondere dem fehlenden Personal geschuldet. Hinzu kommt die Leistungsunfähigkeit vieler Väter aufgrund von Erwerbslosigkeit oder prekärer Beschäftigung. Schwerpunkt der Leiharbeit ist Bremen!

Die Grundsicherung ist ein weiteres Sachgebiet der Sozialhilfe. Bei der Grundsicherung sind Regressansprüche des Sozialamtes nur möglich, wenn die Unterhaltsverpflichteten mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen oder zur Verfügung haben. Dies müsste eigentlich im Klartext am Anfang der Richtlinien stehen. An­spruch auf Grund­si­che­rung haben Überfünfundsechzigjährige und Erwerbsunfähige. Der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente ist nicht notwendig. Dies ist gut zu wissen, weil immer mehr erwerbsunfähige Menschen keinen Rentenanspruch haben. Natürlich kommt es zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Auslegungsproblemen. Wer für Sozialhilfezahlungen in Regress genommen wird, sollte die Abgrenzung zur Grundsicherung hinterfragen, auch die Ungleichbehandlung.

Wem das (No-)Job-Center die Arbeitsfähigkeit abspricht, wird an das Sozialamt verwiesen. Wer in diese Situation gerät, sollte prüfen, ob dies Sozialhilfe oder Grundsicherung bedeutet und entsprechend den anderen Komponenten handeln. So einfach geht das Verschieben nicht. Das (No-)Job-Center muss die Leistungen weiterzahlen, bis ein anderer Leistungsträger mit den Zahlungen beginnt. Eventuelle Überzahlungen sind zwischen den Leistungsträgern auszugleichen. Wer leistungsgemindert ist und noch eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen kann, sollte dies tun. Für Rentenzahlungen ist kein Unterhaltsregress möglich.

Bei den Leistungen des SGB II (Hartz IV) hat das (No-)Job-Center ebenfalls eventuelle Unterhaltsansprüche zu prüfen. Allein die Information der Unterhaltsverpflichteten klappte nicht. Der Gesetzgeber hat reagiert: Diese formale Voraussetzung wird beim SGB II einfach als gegeben angenommen. Das Versagen wurde also per Gesetz behoben! Wer von Regressforderungen überrascht wird, sollte sich diese ansehen: Erfolgte inzwischen eine gerichtliche Überprüfung dieser Ungleichbehandlung? Welche Auswirkung hat diese Überraschung auf meine Zahlungsfähigkeit?

Beim SGB II greift der Regressanspruch selbst auf das Erbe des Leistungsberechtigten zu. Die Zahlungen des (No-)Job-Centers der letzten zehn Jahre sind von den Erben zu erstatten, wenn dieser Betrag mehr als 1.700 Euro beträgt, sofern das Erbe dies deckt. Eine Verschuldung für diese Rück­zah­lung durch die Er­ben darf nicht verlangt werden. Die Sonderregelungen für Schonvermögen im SGB-II-Leistungsbezug gelten nicht für die Erben. Es gibt aber zahlreiche Besonderheiten und Möglichkeiten zur rechtzeitigen Gestaltung.

Wer leistungsberechtigt ist (früher hieß es „hilfebedürftig“), muss bei der Durchsetzung der Regressansprüche unter anderem dann nicht mitwirken, wenn dadurch das Verhältnis zu den gemeinsamen Kindern belastet würde. Oftmals wurde der Punkt Unterhaltsforderungen in Scheidungsverfahren als erledigt betrachtet, aber nicht im Urteil vermerkt. Dies ist nachholbar. Wer nicht bei der Regressforderung gegenüber dem oder der Ex mitwirken möchte, sollte dies dem (No-)Job-Center mitteilen und notfalls die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen. Das (No-)Job-Center bedarf dieser Hilfe nicht: Es kann eigenständig und ohne die Mitwirkung des „Kunden“ den Regress vornehmen.

Regressforderungen sind ausgeschlossen, wenn Leistungsverpflichtete dadurch selbst zu Leistungsberechtigten würden, somit weniger als ALG II zur Verfügung hätten. Das sollte sowohl für die monatliche Leistung wie auch für das (Schon-)Vermögen gelten. Das selbstgenutzte Wohneigentum ist damit geschützt, wenn es „angemessen“ ist. Die Rahmenbedingungen ergeben sich aus den Kosten der Unterkunft „plus x“. Nach dem SGB II (ALG II/ Hartz IV) als „unangemessen“ geltendes Wohneigentum ist wahrscheinlich bei Prüfung entsprechend den BGB „angemessen“. Die Regressforderungen der Sozialhilfe richten sich nach dem BGB oder den Rahmenbedingungen der Sozialhilfe. Es wird jeweils die für Unterhaltsverpflichtete günstigere Lösung genommen.

Bei der Übertragung dieser Grundsätze ergeben sich für Unterhaltsverpflichtete wesentlich höhere Freibeträge für Vermögen und laufende Einnahmen als aus den Rahmenbedingungen des SGB II. Die Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuches ist überwiegend nicht nur geringfügig günstiger für Unterhaltsverpflichtete gemäß SGB II, siehe vorherige Bremer Montagsdemos. Einfach mal nachlesen und herkommen! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Das „Bremer Friedensforum“ ruft auf zum Ostermarsch am Samstag, dem 7. April 2012. Auftakt ist um 11 Uhr am Ziegenmarkt im Steintorviertel, die Schlusskundgebung beginnt um 12 Uhr auf dem Marktplatz. Es spricht Peter Strutynski vom „Bundesausschusses Friedensratschlag“, Kassel.
 
Diesen Satz verdammen Imperialisten als „antisemitisch“: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden(„Spiegel-Online“)
 
Es musste gesagt werden: Günter Grass holt Deutschland aus dem Schatten „alternativloser“ Unterstützung israelischer Kriegsdrohungen („Spiegel-Online“)
 

 
Zum Teufel mit dem Tanzverbot an Feiertagen: Ein säkularer Staat darf mündigen Bürgern keine Körperbewegung verbieten („Spiegel-Online“)
 
Zwei Verletze auf Bremer „Osterwiese“: Schon wieder ist von einem Schrottkarussell eine Gondel abgerissen („Bild“-Zeitung)
 
Zu Ostern findet keine Montagsdemo statt.
 
Absolut sehenswert und ein großartiges Spektakel voller witziger und wütender Momente ist das Bremer-Stadtmusikanten-StückAlt, arm, arbeitslos“ am Bremer Theater. Es macht Mut, sich gemeinsam zu wehren, und regt an, über gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren. Premiere war am 15. Januar 2012. Die nächste Aufführung ist am Donnerstag, dem 12. April 2012, um 19:30 Uhr. Regisseur ist Volker Lösch, zusammen mit Schauspieler Walter Sittler Erfinder des „Schwabenstreichs“ als Protestform gegen „Stuttgart 21“. Vergünstigten Eintritt zum Preis von drei Euro gibt es für Arbeitslose mit der „Grünen Karte“, dem „Kulturticket“ des Jobcenters. Die Eintrittskarte berechtigt drei Stunden vor und nach der Aufführung zur Nutzung von Bus und Straßenbahn.

 

Die (un-)heilige Ursula und die (Ab-)Speisung der armen Kinder

Elisabeth Graf1. In kaum einem anderen Land ist die Einkommensungleichheit in den letzten Jahren stärker gestiegen als in der Bundesrepublik, sodass in Deutschland inzwischen fast jeder sechste Mensch arm oder zumindest von Armut bedroht ist. Seit 2005 erhöhte sich das Verhältnis des Einkommens der obersten 20 Prozent der Bevölkerung zu dem der untersten 20 Prozent vom 3,8-Fachen auf das 4,5-Fache, und die Zahl der Menschen in Armut stieg im gleichen Zeitraum von unter zehn auf über 12,6 Millionen! Die Armut in Deutschland ist hausgemacht und offensichtlich so gewollt und staatlich verordnet.

Warum sonst weigert sich die Bundesregierung, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen oder die Hartz-IV-Regelsätze auf ein wirklich existenzsicherndes Niveau anzuheben? Der Kahlschlag bei der Arbeitsförderung und das Pseudo- Bildungs- und Teilhabepaket sorgen für eine noch weitere soziale Kluft. Die Bundesregierung muss sofort gegenlenken und endlich ein gerechteres Steuersystem einführen, damit sich die galoppierende Armut nicht noch weiter verfestigt!

 

2. Zum Jahresende 2011 gab es „so viele freie Stellen wie nie“! Noch nie gab es so viele Menschen in Arbeit, die davon nicht leben konnten. Das hat natürlich auch im Alter weitreichende Konsequenzen. Nach heutigen Werten wird ihre Rente dann monatlich deutlich unter 200 Euro liegen. Wenn eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle in vier Minijobs zerlegt wird, entstehen „viele neue Arbeitsplätze“, von denen niemand vegetieren, geschweige denn leben kann. Ein Minijobber erwirbt nach einem Jahr eine monatliche Rente von 3,11 Euro! Nach 45 Versicherungsjahren beträgt der Altersgeldanspruch auf Grundlage der heutigen Werte sage und schreibe 139,95 Euro.

Gefährdet sind Minijobber vor allem dann, wenn sie jahrzehntelang nur einen 400-Euro-Minijob ohne soziale Absicherung haben. Rund 7,4 Millionen Menschen, davon knapp 4,65 Millionen Frauen, arbeiten in Deutschland auf 400-Euro-Basis. Laut Einschätzung des Bundesarbeitsministeriums seien Frauen nur dann der Gefahr von Altersarmut ausgesetzt, wenn sie ein Berufsleben lang „ein Dasein als Minijobberin“ führen. Die Regierung will nun eine neue Zuschussrente in Verbindung mit privater Vorsorge erreichen. Doch wie eine private Altersvorsorge von diesem „üppigen“ Gehalt zu zahlen sein soll, bleibt das Geheimnis des schwarz-gelben Gruselkabinetts.

Sogar Familienministerin Kristina Schröder kritisierte, dass immer mehr Frauen in Minijobs landen. Es ergebe keinen Sinn, heute die Minijobs auszuweiten, deren Folgen dann morgen mit einer Zuschussrente mühsam aufzufangen wären. Nur das arbeitgebernahe und arbeitnehmerferne „Instituts der deutschen Wirtschaft“ in Köln meint, geringfügige Beschäftigung habe nicht automatisch Altersarmut zur Folge, weil berücksichtigt werden müsse, dass der Verdienst aus dem Minijob „in den meisten Fällen nur ein Teil des gesamten Haushaltseinkommens“ darstelle.

Den konservativen Herren fällt offenbar auch nur das Modell Hausfrauenehe als Lebensführungsmöglichkeit ein, bei dem sich die ansonsten den Haushalt pflegende Gattin nur ein Zubrot verdient. Nur 19 Prozent der geringfügig beschäftigten Frauen seien alleinstehend, die große Mehrheit hingegen profitiere im Alter von den Einkünften des Partners. Tja, wenn sich das Paar nicht trennt! Es liegt es doch wohl auf der Hand, dass prekäre Beschäftigung drastisch eingedämmt werden und ein Mindestlohn eingeführt werden muss, um Altersarmut zu verhindern!

 

3. Die Bundesagentur für Arbeit sieht für die gekündigten Schlecker-Mit­ar­bei­ter­innen „gute Chancen auf Wiederbeschäftigung“, weil es bundesweit aktuell etwa 25.000 offene Stellen für Verkäuferinnen gebe. Vorstandsmitglied Raimund Becker hält den Markt für „aufnahmefähig“, obwohl im Februar 305.577 Verkäuferinnen arbeitslos gemeldet waren. Die Gewerkschaftssekretärin für den Handel bei Verdi Bayern beurteilt die Lage ein wenig skeptischer, weil es doch auch auf die Bedingungen und die Bezahlung ankomme und viele Discounter nicht nach Tarif zahlten, während der Drogeriekonzern seinen Beschäftigten tarifliche Entgelte gewährt hatte. Nur ein Drittel der Schlecker-Angestellten arbeitete in Vollzeit, die meisten waren als Teilzeitkräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Das Durchschnittsalter lag bei Ende vierzig. Jetzt haben die Schlecker-Be­schäf­tig­ten erst mal Anspruch auf ein Jahr Arbeitslosengeld I und können an „Qualifizierungsmaßnahmen“ der Bundesagentur für Arbeit teilnehmen, bevor sie hoffentlich nicht in die Verfolgungsbetreuung des ALG II abstürzen müssen. Es besteht auch noch ein Anspruch auf Abfindung, obwohl der durch das Insolvenzrecht „gedeckelt“ ist. Selbst wenn um die Bildung einer Transfergesellschaft ein Tanz wie ums Goldene Kalb veranstaltet wird, sind die Jobchancen für Beschäftigte in Transfergesellschaften aber nachweislich nicht besser als für Entlassene, die sich direkt auf dem freien Arbeitsmarkt eine Arbeit suchten.

 

4. Was in Bremen möglich war, kommt jetzt auch in Hamburg als Déjà-vu-Erlebnis daher: Die 15 Millionen Euro, die Hamburg vom „Bildungspaket“ des Bundes „übrig“ hat, werden in den Haushalt der Hansestadt fließen. Vor einem Jahr stellten der Sozial- und der Schulsenator (beide SPD) ihr Konzept zur Umsetzung des „Bildungs- und Teilhabepaket“ des Bundes vor. Nun zogen sie selbstredend eine positive Bilanz und trauten sich sogar, von einem „Erfolg dank unbürokratischer Verfahren“ zu sprechen. Trotz dieser Selbstbeweihräucherung ist das Programm zur soziokulturellen Teilhabe der größte Flop. Durch das Vorzeigen des Leistungsbescheides der Eltern sollte es für 43.000 Kinder, deren Eltern Hartz IV, Wohngeld oder Kinderzuschlag erhalten, möglich sein, für einen Monatsbeitrag von zehn Euro einen Sport- oder Kulturkurs zu buchen.

Nur 7.472 Kinder, rund 17,3 Prozent, nahmen das Angebot in Anspruch. Der Senator will nun die Eltern besser informieren, damit deren Kinder dank dieses Angebots sogar Geige oder Ballett lernen. Alles von zehn Euro! Irgendwie fühle ich mich an die biblische „Speisung der Viertausend“ erinnert. Da können noch so viele Jobcenter und Familienhelfer angewiesen werden, dieses Thema anzusprechen, wenn die Eltern ihre Kinder nicht demütigen und stigmatisieren lassen wollen. Immerhin kündigten CDU, GAL und Linke an, dass sie im Parlament nachhaken würden, damit die 15 Millionen dürften nicht „im Haushalt verfrühstückt werden“, sondern tatsächlich auch bei bedürftigen Kindern ankommen.

Der Bremer „Weser Kurier“ fällt in das Jubilieren über das „Bildungspaket“ völlig unkritisch ein und erscheint mir wie das Sprachrohr der Arbeitsministerin. Lovely Zensursula von der Leyen brüstet sich sogar damit, dass die von ihrem Ministerium befragten leistungsberechtigten Haushalte das „Bildungs- und Teilhabepaket“ mit der Note 2,6 bewertet hätten. Natürlich muss dieses Instrument positiv bewertet werden, wenn den Betroffenen über die Schulter geguckt wird oder die BG-Nummer oben auf dem Fragebogen steht! Ich vermute Angst vor Sanktionen bei ehrlicher Antwort. Die Job-Center hatten schon einmal „Kunden“ über ihre Zufriedenheit befragt und überraschend gute Ergebnisse geerntet, die sich jedoch schlagartig in Vierer, Fünfer und Sechser verwandelten, als eine „Kundenzufriedenheitsumfrage“ unter Hartz-IV-Betroffenen von der unabhängigen Initiative „Netzwerk SGB II Aachen“ durchgeführt wurde.

Auch wenn die Förderung nicht überall ankomme, sehe ein „bürokratisches Monster“ anders aus, sagte von der Leyen. Es klingt in meinen Ohren unglaublich zynisch, wenn die Ministerin behauptet, am Anfang habe niemand wissen können, „wie hoch die Nachfrage“ sei. Daher sei das Budget „großzügig ausgelegt“ worden, werde künftig aber „mit spitzem Stift abgerechnet“. Von der Leyen hält gar nichts davon, „den Eltern das Geld zur freien Verfügung aufs Konto zu überweisen, statt Sach- und Dienstleistungen anzubieten. Das würde für jedes Kind genau 3,58 Euro ausmachen“, und es habe sich „im Leben der Kinder nichts verändert“ („Weser Kurier“ vom 31. März 2012: „Bildungspaket erhält Note 2,6“). Damit bedient sie das verleumderische Klischee von den arbeitslosen Eltern, die ihren Kindern den Regelsatz wegrauchen und wegsaufen. Wahrlich sehr großzügig, Frau von der Leyen, gerade wenn das Bundessozialgericht angeprangert hat, dass die Regelsätze für Kinder zu niedrig seien!

Was wird denn jetzt so unglaublich großzügig den Kindern der Ärmsten, der Ausgestoßenen der Gesellschaft, angediehen lassen? Am allerliebsten gar nichts, mutmaße ich mal! Das Prestigeprojekt der Arbeitsministerin ist entgegen aller Lobhudelei „viel zu kompliziert und bürokratisch“, wie Ulrich Schneider vom „Paritätischen Wohlfahrtsverband“ kritisiert. Es ergebe überhaupt keinen Sinn, „Erfolge herbeizureden, wo keine Erfolge sind“. Er bezeichnete es als „desaströs“, dass ein Jahr nach dem Start des „Bildungspakets“ nur ein Fünftel der Gelder für Schulbedarf, Mittagessen, Vereinsmitgliedschaften oder Musikunterricht abgerufen worden sind. Die Politik könnte dem etwas entgegensetzen, zum Beispiel den gesetzlichen Mindestlohn einführen, damit Eltern nicht zu „Aufstockern“ werden, weil der Lohn nicht reicht. Die Politik könnte Kindern endlich einen angemessenen Hartz-IV-Satz zusprechen. Aber Schwarz-Gelb tut es nicht, und die Große Koalition hat es auch nicht getan. Das Misstrauen ist zu groß.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Trotz richterlicher Tricks und Finten: Das „Bildungspaket“ ist bereits nach einem Jahr vor dem Verfassungsgericht gelandet („Hartz-IV-Plattform“)

 

Altwerden ist nichts für Feiglinge

Harald Braun1. Letzte Woche erhielt ich einen negativen Bescheid der Rentenversicherung. Sie lehnt die Um­schu­lung zum Sozialbetreuer aus zwei Gründen ab. Erstens behauptet sie, meine persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht erfüllt, „da Sie teilweise erwerbsgemindert sind, ohne Aussicht auf Besserung, und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben daher nur zum Erhalt des Arbeitsplatzes (bei bestehendem Arbeitsverhältnis) möglich wären“. Das würde bedeuten, dass arbeitslose Menschen keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben!

Da liegt die Rentenversicherung schon wieder peinlich daneben, aber sie versucht eben alles, um nichts bezahlen zu müssen. Dafür legt sie das Gesetz einfach nach ihrem Willen aus. Im § 10 des sechsten Buchs Sozialgesetzbuch sind die persönlichen Voraussetzungen umfassend bestimmt. Erfüllt sind sie durch Versicherte, bei denen voraussichtlich „bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann“. Dazu gehört genau mein Fall. Die Rentenversicherung widerspricht sich selbst, weil sie mir ja den „Integrationsfachdienst“ als Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben zubilligen. Nur lehne ich dies ab, weil es sich dabei um eine reine vermittelnde und keine qualifizierende Einrichtung handelt.

Die zwölfmonatige Ausbildung als Sozialbetreuer zur Jugend- oder Behindertenhilfe wird zweitens konkret mit der Begründung abgelehnt, dass ich zu alt sei: „Zum Ende der Umschulung wären Sie circa 59 Jahre alt“ (real 58, die Rentenversicherung kann auch nicht rechnen) „und Berufseinsteiger ohne jegliche Berufserfahrung im sozialen Bereich. Zudem bestünde eine starke Konkurrenzsituation zu jüngeren Absolventen. Wegen fehlender einschlägiger oder zumindest vergleichbarer beruflicher Erfahrungen wird auch keine Möglichkeit gesehen, die Vermittlungschancen in Ihrem Fall günstiger einzuschätzen.“ Hier haben wir die Altersdiskriminierung schwarz auf weiß!

Warum meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt ohne jegliche Qualifizierung besser sein sollten, bleibt das Geheimnis der Rentenversicherung. Außerdem lebt sie fernab der Wirklichkeit, denn die Suche nach pädagogischen Fachkräften hat deutlich zugenommen, zum Beispiel für die Umsetzung der Inklusion in den Schulen oder die Betreuung Demenzkranker und geistig Behinderter. Es geht jetzt in die nächste Runde. Ich werde in den nächsten Tagen meinen Widerspruch ausarbeiten, und in einigen Wochen wird der Prozess vor dem Sozialgericht fortgesetzt. Ich halte euch natürlich auf dem Laufenden und würde mich freuen, wenn ihr wieder im Gerichtssaal dabei seid!

 

2. Vom 17. bis 20. Mai 2012 findet in München der 7. Internationale Auto­mobil­arbeiterratschlag statt. Dazu sind die Automobilarbeiter und ihre Familien sowie alle Menschen und Organisationen, die sich der Arbeiterbewegung verbunden fühlen, herzlich eingeladen. Der Automobilarbeiterratschlag fördert den internationalen Zusammenhalt – gegen Spaltung in Konzerne und Standorte, Leiharbeiter und Stammbelegschaften. Er steht nicht in Konkurrenz zu den nationalen Gewerkschaften, sondern ruft zu deren Stärkung zu Kampforganisationen auf.

Am letzten Automobilarbeiterratschlag – 2009 in Hannover – nahmen 450 Menschen aus 16 Ländern und über 70 Standorten der Automobil- und Zulieferindustrie teil. Dieses Jahr werden es noch mehr sein. Am Samstag, dem 14. April 2012, findet in Bremen um 11 Uhr in der Gaststätte „Kleggs“, Hastedter Heerstraße 195, eine Vorbereitungsveranstaltung statt, um den Automobilarbeiterratschlag vorzustellen und Fragen zu Programm, Fahrt oder Übernachtung zu klären. Dazu laden wir euch herzlich ein!

Harald Braun
 

 
„Die Linke“ lädt ein zur Informationsveranstaltung zu 400-Euro-Jobs am Montag, dem 16. April 2012, um 20 Uhr im „Linkstreff“, Buntentorsteinweg 109. Berater(innen) des „Bremer Erwerbslosenverbands“ geben zunächst einen Überblick über alle Regelungen zu diesen Jobs. Anschließend können Fragen beantwortet und Möglichkeiten der Gegenwehr diskutiert werden.
 
Afrique-Europe-Interact“ ruft für Dienstag, den 17. April 2012, zu einer 24-stündigen Belagerung der Deutschen Bank am Bremer Domshof auf, einschließlich Asamblea, Konzert, Film und Volksküche. Neokolonialen Land­raub stoppen! Für Ernährungssouveränität und ein gutes Leben für alle!
 
Darauf stand im Mittelalter die Todesstrafe: RWE will Bremer
Trinkwasserbrunnen vergiften („Tageszeitung“)
 
Hartz-IV-Schummelei: „Bild“ verwechselt Sanktionen und Sanktio­nierte und multipliziert auf diese Weise zwecks Stimmungsmache die Zahl der angeblichen „Drückeberger“ mit sechs („Bild“-Blog)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz