1. Die Nachrichten aus Japan über das Erdbeben und die Flutwelle, der vermutlich Zehntausende von Menschen zum Opfer fielen, und über die mehr als wahrscheinliche Kernschmelze in gleich mehreren Atomkraftwerken stellen alle anderen Geschehnisse weit in den Schatten. Sie schüren die alte Angst vor der atomaren Bedrohung erneut. Es ist fast auf den Tag genau ein Vierteljahrhundert her, dass sich in Tschernobyl der größte anzunehmende Unfall ereignete. In meiner Schublade liegt noch eine dicke Kladde, in die ich mir damals monatelang die aus der „Tageszeitung“ ausgeschnittenen Becquerel-Tabellen einklebte, um mein anfangs noch ungeborenes Kind und mich möglichst vor verstrahlter Nahrung so weit zu schützen, wie das nur begrenzt möglich war. Wir jungen Eltern gingen bei Regen nicht raus, aßen fades Gemüse aus der Dose, ertrugen sogar H-Milch, mieden frisches Obst und knackiges Gemüse und sorgten uns vor allem um die Gesundheit und die Zukunft unserer Babys.
Beim Hören der Nachrichten muss ich feststellen, dass sich die „Wahrheiten“ unserer Politiker von damals und heute ganz beliebig austauschen lassen, die selbstredend den Tatsachen immer entsprechen. Es gibt kaum klare Worte darüber, was sich denn genau ereignete und wo wie viel Strahlung austrat. Fest steht damals wie heute nur, dass Russland oder Japan doch so weit weg von Deutschland sind, dass uns damals wie heute keine Gefahr drohen kann. Doch ist eine radioaktive Wolke wirklich völkerverbindend und kennt damals wie heute keine Grenzen. Entscheidend ist jetzt die Wetterlage dafür, ob eine radioaktive Wolke auf das offene Meer hinausgetrieben wird: Wenn es ab Montag dort regnet oder schneit, wodurch die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt lägen, sorgen diese vermutlich für stärkeren Wind aus nordwestlicher Richtung, der eine potentielle radioaktive Wolke hinaus auf den Pazifik treiben würde.
Es gibt Spekulationen darüber, dass es 20 bis 50 Mal schlimmer als im Fall Tschernobyl werden wird, wenn es zu einer Kernschmelze kommt und das ganze todbringende Inventar – bestehend aus Jod 131, Cäsium, Strontium und Plutonium mit einer Halbwertzeit von 24.000 Jahren – hinausfließt und -strömt. In allen Industrieländern, die auf Kernkraft setzen, ist die Bevölkerung über das Gefahrenpotenzial natürlich nicht richtig aufgeklärt worden. Alle Staaten bagatellisieren lieber die Folgen und sagen beschwichtigend, dass bei ihnen alles sicher sei. Weil jede Regierung bisher nur scheibchenweise mit Informationen an die Öffentlichkeit geht, wäre es kaum verwunderlich, wenn in Wirklichkeit noch mehr Kernkraftwerke beschädigt sind.
Jeder Super-GAU hat sein eigenes Strickmuster, doch wer auf einem bekannten Erdbebengebiet Atomkraftwerke baut, muss sich nicht wundern, wenn es zur Katastrophe kommt. Eigentlich dürfte ein solcher GAU niemanden in Erstaunen versetzen, weil Atomkraft immer und überall eine die Menschheit, das gesamte Leben auf der Erde bedrohende und keineswegs beherrschbare Energie ist. Wir brauchen keine weiteren Beschwichtigungsformeln, die als Worthülsen wie Tranquilizer prophylaktisch in den Äther gestreut werden, sondern anstelle einer Verlängerung der Laufzeiten einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft, und zwar sofort, besser gestern als morgen! Atomkraft ist unverantwortlich! Deshalb gibt es an diesem Montag bundesweit Demos und Mahnwachen.
2. Letzte Woche jährte sich der „Internationale Frauentag“ zum hundertsten Mal. Auch wenn sich in den vergangenen hundert Jahren einiges zugunsten der Frauen veränderte – wir können heute wählen, studieren, regieren; Unternehmen, Universitäten und Gerichte leiten; Kinder kriegen, wann wir wollen; Sex haben, mit wem wir wollen; uns scheiden lassen, wenn wir das wollen –, so ist trotzdem noch lange nicht von Gleichberechtigung zu sprechen. Noch immer werden Frauen um 24 Prozent schlechter bezahlt als Männer und sind besonderen Armutsrisiken ausgesetzt. Schon vor zwei Wochen warnte die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe den künftigen Bremer Senat davor, infolge der Vereinbarungen in der Föderalismuskommission bei der Gleichstellungspolitik zu sparen, auch wenn die Einhaltung der Schuldenbremse dem künftigen Senat wenig Spielraum lasse. Hauffe verlangt unter anderem eine Sozialpolitik, die stärker auf die Lage sozial benachteiligter Frauen achtet. Der Reichtumsbericht für das Land Bremen zeigte deutlich auf, dass die hier besonders stark verbreitete Kinderarmut unmittelbare Folge von Frauenarmut ist.
Weil noch immer das Konzept der männerzentrierten Versorgerehe dominiere, werde in unsicheren Zeiten der Ausfall des Versorgers für Frauen häufig zur Armutsfalle. Auch erhielten viele langzeitarbeitslose Frauen aufgrund des Erwerbseinkommens ihres Partners kein Arbeitslosengeld II und seien deshalb von ihrem Partner abhängig. In Bremen arbeitet dazu jede dritte Frau in Teilzeit: Frauen stellen hier über 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten, jedoch nur ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten. Weil Frauen trotz besserer Zeugnisse und höherer beruflicher Qualifikationen nur äußerst selten auch in den Führungsetagen, auf den Chefsesseln, in Aufsichtsräten und Top-Jobs, in den Spitzen von Politik, Wissenschaft und Forschung anzutreffen sind, fordere ich eine Quotenregelung, da die vor zehn Jahren erwogene freiwillige Aufnahme von Frauen auf Chefsesseln noch nicht mal das Zischen eines Tropfens auf dem heißen Stein erfolgen ließ! Aber weit gefehlt: In den höheren Gehaltsklassen nimmt der Frauenanteil zunehmend ab, bis er sich fast ganz in Luft und keinesfalls in Wohlgefallen auflöst. Pah, die meisten Herren der Schöpfung haben Angst um ihre Pfründen und davor, dass sie nicht mehr wie gewohnt ihre Macht, ihr „Vitamin B“ allein unter sich aufteilen können. Deswegen sind ja auch im 21. Jahrhundert noch immer keine Frauen zum „Schaffermahl“ zugelassen.
Ich freue mich sehr darüber, dass Gabi-Grete Kellerhoff zur Bremer „Frau des Jahres 2011“ ausgewählt wurde. Gabi-Grete setzte sich kontinuierlich mit ganz viel Energie und einer großen Portion Humor für die Rechte der Frauen im Arbeitsleben in Bremen ein. Sie arbeitete zehn Jahre als Heimerzieherin, war immer gewerkschaftlich aktiv, natürlich schwerpunktmäßig in der Frauenarbeit, organisierte Veranstaltungen und Demonstrationen zum 8. März, initiierte neben dem eigenen Theater-, Clown- und Kabarettspiel betriebliche Kultur- und Kabarettgruppen und engagierte sich jahrelang mit Rat und Tat auch für die Ausgegrenzten der Gesellschaft, die Langzeitarbeitslosen. Bei zwei interessanten, kreativen und vor allem sehr lustigen Workshops ließ ich mich von ihr in die Kunst des Kabaretts einweihen.
3. Nach Informationen der IG Metall Nordrhein-Westfalen führte die Dortmunder Zeitarbeitsgruppe „Artos“ jahrelang Leiharbeiter(innen) dem „Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen“, Mitglied im „Christlichen Gewerkschaftsbund“, zu. In vielen Fällen sei dies ohne Wissen der Beschäftigten geschehen. Offenbar mussten diese bei ihrer Einstellung rund ein Dutzend Unterschriften leisten, sodass jene unter der „Beitrittserklärung“ oft gar nicht aufgefallen sei. Von 100 Befragten wussten nur vier von ihrer Mitgliedschaft. Über die „unfreiwilligen“ Mitglieder war die Zeitarbeitsgruppe „Artos“ in der Lage, einen Haustarifvertrag mit den „Christlichen Gewerkschaften“ abzuschließen, der Dumpinglöhne von 4,81 Euro pro Stunde ermöglichte. Der „Beitrag“ für die pseudochristliche „Gewerkschaft“ sei dreisterweise direkt vom Lohn abgezogen worden. Leiharbeit muss endlich wieder, wie noch bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1967, gesetzlich verboten werden, um solche Auswüchse von raffgierigen Schlünden zu unterbinden!
4. Das Landgericht Köln verbot der „Westlotto GmbH“ mit einer einstweiligen Verfügung, Hartz-IV-Betroffenen Spielscheine zu verkaufen. Bei einer Zuwiderhandlung droht das Gericht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder sechs Monaten Haft an. Wer sollte denn die Lottospieler kontrollieren können? Noch gibt es keine Auflage, mit dem Kontoauszug bei Lotterieannahmestellen beweisen zu müssen, dass der Wetteinsatz im Verhältnis zum Einkommen steht. Es wäre ja noch schöner, wenn ein Hartz-IV-Bezieher einfach mit Steuergeldern dem bedauernswerten, hart arbeitenden Leistungsträger die Lottomillion wegschnappen würde! Aber in Wirklichkeit geht es hier wohl nicht darum, Menschen zu schützen, denen kein vernünftiger Umgang mit Geld zugetraut wird, sondern augenscheinlich um Macht und Geld: „Westlotto“ soll von einer Sportwettagentur in die Knie gezwungen werden. Solch ein realitätsfremdes Urteil schreit nach einer kreativen Erwiderung: So hält das „Erwerbslosenforum Deutschland“ die Entscheidung für absurd und skurril und fordert Hartz-IV-Bezieher dazu auf, sich im Internetforum öffentlich als „Westlotto“-Spieler zu outen, unter dem Titel „Ich habe ‚Westlotto‘ gespielt und bin Hartz IV“. Glückskekse werden Hartz-IV-Bezieher doch aber noch knabbern dürfen!
Ende April 1986 machte ich mit Freunden Urlaub im Weserbergland. Einige Tage lang hörten wir keine Nachrichten. Es war ein warmer Frühling. Zwar hatte es in der Nacht geregnet, doch wollten wir es uns nicht entgehen lassen, eine Runde in dem hübschen kleinen See in der Nähe unseres Hotels zu schwimmen. Nach der Rückkehr ereilte uns ein Schock: Es war die Strahlenwolke aus Tschernobyl, in deren Regenwasser wir gebadet hatten! In den Tagen danach bekam ich juckenden Hautausschlag am ganzen Körper. Ich redete mir ein, das sei nur psychosomatisch. Aber es entwickelte sich auch ein breiter roter Streifen rings um den Hals. Einen schlichten Sonnenbrand hätte ich eher im Gesicht als in der Kehle bekommen müssen; zudem hatte sich die Sonne zuvor ziemlich rar gemacht. Doch die Haut rötet sich eben auch, wenn man radioaktiver Strahlung ausgesetzt war!
Mitte April 1992 schreckte ich eines Morgens früh aus dem Schlaf hoch, weil mein Bett heftig schaukelte; dabei lag ich ganz allein darin. Es hörte auch gar nicht auf zu wippen, obwohl ich mich nicht bewegte. In der Küche hörte ich Geschirr klappern. Ich war nicht darauf gefasst gewesen, jemals ein Erdbeben mitzuerleben! Meine Wohnung befand sich im zehnten Stock eines Hochhauses; es hätte Minuten gedauert, auf die Straße zu gelangen. Ich erwartete sekündlich den Einsturz des Gebäudes. Als ich zur Wohnungstür gelangte, war wieder alles ruhig, doch noch eine Stunde lang befand ich mich mit Herzrasen in einem bisher ungekannten Zustand der Panik.
Später hörte ich, im niederländischen Roermond, 400 Kilometer entfernt von meinem damaligen Wohn- und Studienort Braunschweig, habe die Erde gebebt, mit einer Stärke oder Magnitude von 5,9 auf der Richter-Skala beziehungsweise einer Intensität von 7 nach der MSK-Skala. Es war auch noch in Berlin zu spüren. In Nordrhein-Westfalen wurden 30 Menschen durch herabfallende Dachziegel verletzt; es kam zu erheblichen Sachschäden an Gebäuden. Entlang der Maas und der Eifel-Rur entstanden lange Spalten und Geländeverwerfungen bis zu zwei Metern Höhe.
Selbst wenn wir vom Erdbeben im nahen Rotenburg an der Wümme im Oktober 2004 mit Richter-Magnitude 4,5 wohl nichts mitbekommen haben, ist doch klar, dass wir uns in Deutschland keinesfalls in einem erdbebenfreien Gebiet wähnen dürfen. So gab es die stärksten Erschütterungen in den letzten 70 Jahren in der westlichen Schwäbischen Alb, die zuvor als erdbebenfrei galt. Die norddeutschen Kernkraftwerke sind nun aber teilweise nur für Erdbeben der MSK-Intensität 6 ausgelegt. Das ist ein Wert, der vom Roermond-Erdbeben mit 7 bereits überschritten wurde!
Nach dem Urteil des Geologen Professor Eckhard Grimmel von der Universität Hamburg ist kein einziges Atomkraftwerk in Deutschland hinreichend gegen seismische Einwirkungen ausgelegt. Alle diesbezüglichen Modellrechnungen seien grobe Vereinfachungen der Wirklichkeit, die eine Sicherheit lediglich vortäuschen, aber keineswegs liefern. Das gelte besonders für Atomkraftwerke, die schon lange in Betrieb sind und deshalb Versprödungen der Werkstoffe durch Radioaktivität aufweisen. Die in Deutschland betriebenen Atomkraftwerke seien zum Teil überhaupt nicht, wie im Fall Brunsbüttel und Stade, zum Teil nur gegen schwache und vielleicht mittlere, aber nicht gegen starke Erdbeben gesichert. Deshalb sollten alle Atomkraftwerke stillgelegt werden, um die permanente Gefahr eines katastrophalen Strahlungsunfalls zu vermeiden!
Ergänzen möchte ich, dass das 40 Jahre alte und nur 50 Kilometer entfernte Atomkraftwerk Unterweser, in dessen Windschatten wir in Bremen leben, im Jahr 1998 Schauplatz eines der drei bisher schwersten atomaren Störfälle in Deutschland war. Infolge eines sogenannten begrenzten Ausfalls der gestaffelten Sicherheitsvorkehrungen musste Dampf in die Umgebung abgelassen werden, der angeblich nicht radioaktiv war. Da hilft nur eins: Ab-schal-ten!
So voll war der Marktplatz selten! Als um 17:30 Uhr die Montagsdemo begann, deren Moderator ich bin, waren schon ein paar Hundert Leute gekommen. Ich traf in meiner Eröffnungsrede die aufgewühlte Stimmung mit meinem Angriff auf die Regierungen in Japan und Deutschland, die alles tun, was die Stromkonzerne und AKW-Hersteller wünschen, und nur scheibchenweise zugeben, was schon längst bewiesen ist. Selbst nachdem die Kernschmelze begonnen hat und ein neues, vielleicht noch viel schrecklicheres Tschernobyl droht, wird nichts zur Rettung der Menschen getan. Merkel faselt immer noch von „sicheren“ Atomkraftwerken und versucht, deren Gefahren herunterzuspielen. Doch die Atomkatastrophe in Japan ist keine Naturkatastrophe, sondern Folge grenzenloser Profitgier der Konzerne und Skrupellosigkeit der Regierungen in einem System, wo nur der Gewinn zählt, nicht aber das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen!
Als um 18 Uhr die von den Grünen angemeldete Mahnwache begann, waren circa 6.000 Menschen auf dem Marktplatz; bis in die Seitenstraßen hinein standen sie dicht gedrängt. Unter ihnen waren auffallend viele junge, aber auch alte Anti-AKW-Aktivist(inn)en, die ihre „Sonnen“ und Fahnen mitgebracht hatten. Mit zwei Ansprachen von Finanzsenatorin Linnert und Bürgermeister Böhrnsen und einer Schweigeminute sollte nach Grünen- und SPD-Meinung die Veranstaltung aber schon nach einer Viertelstunde wieder beendet sein. Die Aktivisten der Montagsdemo machten jedoch über ihre eigene Lautsprecheranlage den Vorschlag einer Demonstration zum Bahnhof, denn stilles Gedenken reicht nicht, bei aller Betroffenheit: Wir müssen den aktiven Widerstand gegen die Atompolitik auf die Straße tragen, bis alle AKWs vom Netz sind! Wir dürfen diesen kriminellen Monopolen und Regierungen nicht das Schicksal dieser Welt, die Zukunft unserer Kinder und Enkel überlassen!
Das fanden die meisten Kundgebungsteilnehmer(innen) offensichtlich auch, und ein Zug von etwa 4.000 Demonstranten setzte sich lautstark in Bewegung. Immer wieder gab es Kurzansprachen. Begeistert wurde vor allem von den zahlreichen Jugendlichen skandiert: „Wir sind zornig, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut“ und natürlich „Ab-schal-ten! Ab-schal-ten!“ Dazwischen wurden auch immer wieder Lieder gesungen, teils aus der alten Anti-AKW-Bewegung. Nach Zwischenstopp vor der Zentrale der CDU, von der sich niemand blicken ließ, erreichte die Demo schließlich den Hauptbahnhof. Hier gab es eine Abschlusskundgebung mit Offenem Mikrofon. Es wurde der Vorschlag gemacht, ab jetzt jede Woche um 18 Uhr eine Montagsdemo auf dem Marktplatz gegen die Atompolitik zu machen, bis alle AKWs stillgelegt sind.
Eine halbe Stunde vorher, um 17:30 Uhr, trifft sich wie immer die Montagsdemo gegen Hartz IV. Auch der Schwabenstreich gegen „Stuttgart 21“ um 19 Uhr vor dem Bahnhof soll nicht zu kurz kommen! Wie das in Zukunft genau laufen soll, wird in den nächsten Tagen und auch beim Treffen der nordwestdeutschen Montagsdemos am kommenden Samstag in Bremen Thema sein. Alle drei Punkte haben schließlich eine große Gemeinsamkeit: Im Interesse des Großkapitals werden die Lebensgrundlagen und Interessen des Volkes mit Füßen getreten! Das Potential für eine große Widerstandsbewegung ist vorhanden. Diese Demo war ein ermutigender Schritt nach vorn zum Schmieden des aktiven Widerstands!
Sorge um Reaktorblöcke 5 und 6:
Feuerwehrleute opfern sich
für die Bevölkerung
(„Spiegel-Online“)
Viele von uns haben gehofft, es würde sich nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum SGB II vom 9. Februar 2010 Wesentliches an der abzulehnenden und unerträglichen Situation für alle Hartz-IV-Empfänger ändern. Auch ich, als Vater von fünf Kindern, setzte und setze weiterhin auf das Urteilsvermögen der deutschen Sozialgerichtsbarkeit. In meinen Augen hat die derzeitige Regierung - genau wie die vorherigen, die gegen das Grundgesetz verstoßen haben - das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht verstanden oder will es einfach nicht verstehen. Insbesondere bei den Regelsätzen für Kinder will man das Gerichtsurteil wohl nutzen, um alle betroffenen Erziehenden in Deutschland zu täuschen.
Anscheinend wird die Bundesarbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen als „Supermammi der Nation“ von dieser Regierung beauftragt, ein finanzpolitisch tragbares Model zur „Familienförderung“ ins Leben zu rufen, welches allerdings wieder einmal nicht dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung entspricht. Da man vorher bereits alle Eltern im SGB-II-Bezug als Trinker, Raucher und Flachbildschirmkäufer pauschal diffamierte und mit diesen Stammtischargumenten anscheinend gut bei der Wählerschaft aus dem Mittelstand ankam, glaubt man seitens der Regierung wohl, eine „Bildungsblendgranate“ in Form von Nachhilfegutscheinen, kostenlosem Kita- oder Schulessen und Übernahme monatlicher Vereinsbeiträge sei ausreichend, um der Gleichstellung aller Kinder in Deutschland zu entsprechen.
Hierzu möchte ich an die Aussagen vieler Politiker(innen) aus den Jahre 2004 und 2005 erinnern. Man versprach den Menschen in Deutschland und vor allem den Personen, die bis dahin mit ihren Kindern auf Sozialhilfe angewiesen waren, sie mit Einführung von Hartz IV aus der „Dunkelheit der Sozialhilfe“ herauszuholen. Zu der Zeit bezogen etwa eine Millionen Menschen, natürlich auch mit Kindern, Leistungen oder ergänzende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Schon damals sprachen manche Politiker bezüglich der Kinder hiervon betroffener Eltern von angeblich „bildungsfernen Schichten“. Diese Aussagen beinhalten mit Sicherheit bereits die Pauschalisierung aller betroffenen Kinder und ihrer Eltern.
Alle anderen Eltern und Kinder haben zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht zu diesem Kreis gezählt. Aber wie schnell ändern sich eigentlich die Zeiten? Bereits wenige Jahre später - man kann bestimmt nicht von einer Generation sprechen, da seit diesen Aussagen erst sechs Jahre vergangen sind! - zählen bereits mindestens 2,5 Millionen Kinder zu den „bildungsfernen Schichten“, und zwar nur deshalb, weil ihre Eltern auf Hilfe oder ergänzende Hilfe nach dem SGB II angewiesen sind. Vom fehlenden Geld für vernünftige Erziehung, Betreuung und Bildung spricht kaum jemand der Politikerinnen und Politiker! Dies sollte den Menschen aus dem sogenannten Mittelstand zu denken geben. Unter den oben beschriebenen Kindern befinden sich ja auch jene von erwerbslosen Facharbeitern, Akademikern und gescheiterten Geschäftsleuten.
Sie alle werden pauschal über einen Kamm geschoren, bis auf die Eltern und Kinder, die noch nicht auf staatliche Hilfen angewiesen sind. Aber wie schnell kann sich auch für diese Personen die wirtschaftliche Lage ändern! Noch läuft es mit den Exporten der deutschen Wirtschaft ganz gut, aber wie wird das in einigen Jahren aussehen, wenn China und Indien nicht mehr auf Importe aus Deutschland angewiesen sein sollten? Zählen dann die Kinder weiterer Erwerbsloser ebenfalls zu den „bildungsfernen Schichten“? Muss der Mittelstand nicht beginnen, mal hierüber nachzudenken? „Bildungsferne“ Akademiker(innen) und Facharbeiter(innen) werden ja heute schon über die Hartz-Gesetzgebung gezwungen, jede Tätigkeit beispielsweise als Wagenschieber und Tütenträger bei den Supermärkten oder als Rattenfänger in Berlin anzunehmen, da ihnen ansonsten „rechtsgemäße“ Kürzungen ihrer staatlichen Transferleistungen drohen.
Eine „Bildungsblendgranate“ à la von der Leyen braucht kein Kind in Deutschland, wohl aber die Garantie auf Gleichbehandlung bezüglich Erziehung, Betreuung und Bildung. Hierfür gibt es meiner Meinung nach bereits entsprechende Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht, die diese Regierung auch umzusetzen hat. Zwar hat das Verfassungsgericht zur Forderung von Klägern auf Nichtanrechnung des Kindergeldes als Einkommen bereits geurteilt, aber in meinen Augen nicht darüber, ob das Kindergeld nicht als zusätzliche Leistung für Erziehung, Betreuung und Bildung wieder in den Regelsatz der Kinder einfließen muss. Nur das entspricht in meinen Augen dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung!
Das einkommensteuerliche Existenzminimum darf nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht geringer sein als das sozialhilferechtlich definierte. Es ist für alle Steuerpflichtigen in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen. Für 2008 beziffert die Bundesregierung den sozialhilferechtlichen Mindestbedarf für einen Alleinstehenden (basierend auf einem Regelsatz in Höhe von monatlich 345 Euro) auf insgesamt 7.140 Euro jährlich, für Ehepaare auf 12.276 Euro, für ein Kind auf 3.648 Euro. Das einkommensteuerliche Existenzminimum, der Grundfreibetrag, beläuft sich für Alleinstehende auf 7.664 Euro, für Ehepaare auf 15.328 Euro. Der Kinderfreibetrag beträgt 3.648 Euro; hinzu kommt ein Freibetrag für Betreuungs- und Erziehungsbedarf in Höhe von 2.160 Euro, sodass sich die Freibeträge pro Kind auf insgesamt 5.808 Euro summieren.
Das einkommensteuerliche Existenzminimum eines Alleinstehenden entspricht also genau dem sozialhilferechtlichen Regelsatz. Muss man nicht im Umkehrschluss davon ausgehen, dass der Freibetrag in Höhe von 2.160 Euro für Erziehung, Bildung und Betreuung auch für alle Kinder in Deutschland angesetzt werden muss, deren Eltern über kein oder nur unzureichendes steuerrechtliches Einkommen verfügen? Alle Kinder müssen gleich behandelt werden! Eigentlich müsste schon wegen des Grundsatzes vom „Fördern und Fordern“ davon ausgegangen werden, dass jede Arbeitslosigkeit von Eltern schnellstens überwunden werden soll.
Nur so wie beschrieben lässt sich in meinen Augen für alle Kinder die verfassungsgemäße Garantie auf Gleichbehandlung herstellen. Hierdurch wäre man auf dem besten Weg zu einer einheitlichen Kindergrundsicherung - und ich meine, genau dies schreibt unsere Verfassung bereits vor. Da anscheinend weder SPD noch Grüne an einer Normenkontrollklage interessiert sind, habe ich zu diesem Zweck eine von mir seit 2007 ruhende Klage beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen wieder aufleben lassen und meine Klage abschließend begründet. Eine „Bildungsblendgranate“ braucht kein Kind in Deutschland! Her mit der Kindergrundsicherung!