220. Bremer Montagsdemo
am 23. 02. 2009  I◄◄  ►►I

 

Die Nato bleibt ein Kriegsbündnis,
und deshalb muss sie weg!

Wieland von HodenbergDas war das einhellige Fazit der zweitägigen Konferenz unter dem Motto „60 Jahre Nato – Frieden ist etwas anderes“. Die hochkarätig besetzte Tagung verlief mit knapp 200 Teilnehmer(inne)n in einer sehr freundschaftlichen und harmonischen Atmosphäre. Unterschiedliche Ansichten und eine heftige Diskussion gab es allerdings zu Paul Walkers zu positiver Darstellung des US-Kurses unter Obama.

Walker war als Vertreter der amerikanischen Friedensbewegung angereist und stellte in seinem Vortrag die Auflösung von Guantánamo, den geplanten Truppenrückzug aus dem Irak und einen diplomatischeren Ton im Umgang mit Verbündeten und „Schurkenstaaten“ in den Vordergrund. So wolle Obama mit Nordkorea und Iran friedfertiger und mit den Verbündeten kooperativer umgehen als sein Vorgänger, das Verhältnis zu Russland verbessern und eine Politik der „atomaren Abrüstung“ einleiten. Was immer das heißen mag! Das klang alles sehr schönfärberisch, und selbst die Verstärkung der Streitkräfte in Afghanistan um mindestens 17.000 Soldaten stellte er in diesen Kontext, da die Truppen ja „später wieder zurückgezogen“ würden.

Da gab es massiven Widerspruch! Andreas Buro vom „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ hielt dem entgegen, dass sich auch Obama auf die herkömmlichen Machtstrukturen stütze. Mit seiner knappen Mehrheit im Senat sei er bei allen wichtigen Entscheidungen auf Stimmen der Republikaner angewiesen. Seit 1945 habe die USA immer ihre militärischen Positionen ausgebaut, um ihre Vormachtstellung weltweit zu festigen. Ein Element seien die US-Militärkommandos, die es für alle Teile der Welt gebe. Ich möchte hinzufügen, dass auch er letztlich – wie alle seine Vorgänger – nach der Pfeife des Rüstungs- und Ölkapitals zu tanzen hat!

Der russische Vertreter Raschid Alimov antwortete zunächst mit einer Kritik an der Osterweiterung der Nato. Diese werde von der russischen Bevölkerung sehr kritisch gesehen. Moskau betrachte sie, ebenso wie den Ausbau der Militärbasen in Rumänien und Bulgarien, als eindeutigen Verstoß gegen entsprechende Vereinbarungen und Verträge. Moskau sehe sich gezwungen, auf die Nato-Erweiterung mit eigenen Militärbündnissen innerhalb der GUS zu reagieren, oder auch zum Beispiel Syrien mit einzuschließen. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung fühle sich weiterhin durch die Nato bedroht. Moskau unterstütze allerdings die Nato in ihrem Krieg gegen Afghanistan, weil es da gemeinsame strategische Interessen in Sachen Rohstoffausbeutung gebe.

Frankreich wolle wieder voll in die Nato, betonte Lysiane Rolet von „Attac Frankreich“. Hier gebe es den Konsens von Sarkozy mit Angela Merkel. Beide wollten noch wesentlich mehr: totale Integration der modernisierten EU-Truppen in die Nato – und, was noch weitaus schlimmer ist, auch alle zivilen Strukturen wollen Merkel und Sarkozy in die Militärkonzepte eingebunden haben!

Uli Cremer („Grüne Friedensinitiative“) stellte fest, dass die Nato sich global für „zuständig“ erklärt, Kriege zu führen. Sie sei ein Nord-Pakt gegen den Süden, sie expandiere und verbünde sich mit insgesamt 29 weiteren Staaten. Der Anteil der Nato an globalen Militärausgaben steige und liege derzeit bei 70 Prozent. Durch den Aufbau des nordatlantischen Kooperationsrats und des WEU-Konsultationsforums wurde, so Cremer, eine Konkurrenz zur nichtmilitärischen OSZE installiert und zur militärischen Integration genutzt.

Es gab acht Arbeitsgruppen, die zu verschiedenen Themenschwerpunkten Gegenkonzepte und Handlungsmöglichkeiten erarbeitet haben. Ich will hier nur auf die AG „Nato konkret: regionale Militarisierung“ näher eingehen. Lühr Henken vom „Bundesausschuss Friedensratschlag“ stellte noch einmal die Bedeutung der Bremer Rüstungsindustrie für die Nato dar.

Für uns Bremer Friedensaktivist(inn)en gilt weiterhin: regelmäßige Mahnwachen gegen die Bremer Rüstungs­betriebe sowie Proteste gegen Bundeswehrempfänge und Kriegsschiffstaufen. Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen soll intensiviert werden. Bürgermeister Böhrnsen ist noch stärker mit Appellen zur Aufnahme von Deserteuren in die Pflicht zu nehmen. Die Linksfraktion wird gebeten, noch vor dem Nato-Gipfel am 4. April eine Große Anfrage zum Thema Bremer Rüstungsbetriebe in die Bürgerschaft, den Bremer Landtag, einzubringen, damit auf diese Weise endlich eine öffentliche Diskussion über dieses Thema angestoßen wird. Wir müssen verstärkt auf ein Ende der Rüstungsexporte über bremische Häfen drängen. Rüstungskonversion muss wieder ein Thema werden, und hier ist besonders die IG Metall angesprochen.

Zum Schluss rief Rainer Braun von der „Kooperation für den Frieden“ zur großen Demo gegen das Nato-Geburtstagsspektakel am 4. April 2009 in Straß­burg auf, wo auch wegen der drohenden Demonstrationsverbote und der zu erwartenden Behinderungen und Schikanen das Demonstrationsrecht grundsätzlich auf dem Spiel stehe. Auch dagegen gelte es zu protestieren. Das „Bremer Friedensforum“ ruft mit dazu auf und wird sich selbstverständlich daran beteiligen!

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)
Die Bremer Montagsdemo mobilisiert für die „Attac“-Demonstration am Samstag, dem 28. März 2009, in Berlin unter dem Motto
Wir zahlen nicht für eure Krise! Für eine solidarische Gesellschaft!“
Das Vorbereitungstreffen ist am Mittwoch, dem 4. März 2009,
um 19:30 Uhr im „Kurzschluss“, Lahnstraße 16.
 
Zeitgeist Addendum: Ausländische Regierungschefs werden den Interessen amerikanischer Banken und Konzerne gegenüber gefügig gemacht („Google“)
 
Schleswig-Holstein droht Staatsbankrott: Im Dienste der Banken nimmt
die Regierung das ganze Volk in Geiselhaft („Spiegel-Online“)

 

Das Grundgesetz aufbohren, um den Verfassungsbruch zu flicken?

Elisabeth Graf1. Frau von der Leyen behauptet in der „Blöd am Sonntag“, dass die Familie Konjunktur habe, wenn die Wirtschaft wankt. Dann würden Schwangerschaftsabbrüche ebenso wie die Scheidungsrate sinken. Wenn ein Mensch sonst nichts mehr hat – keinen Job, keinen Schulabschluss, keinen Ausbildungsplatz, kein Geld, also rein gar keine Zukunft – ja, da kann froh sein, wer noch auf die emotionale Unterstützung durch die eigene Familie bauen kann! Ich glaube, Frau von der Leyen verwechselt den Anstieg der Kinderarmut mit dem der Geburten. Auch wenn sich die Familienministerin krampfhaft darum bemüht, ihre Politik als eine Erfolgsgeschichte darzustellen, sollte sie sich schon die Mühe machen und die zeitlich logische Abfolge dabei nicht außer Acht lassen.

Wenn von Januar bis September 2008 3.400 Kinder mehr als im Vorjahr das Licht dieser Welt erblickten, dann müssen diese nach Adam Riese im Jahre 2007 gezeugt worden sein, also in der Zeit, als der „Aufschwung“ propagiert wurde und von einer Krise weit und breit keine Spur zu sehen war! Kann die Dame nicht rechnen, oder leidet sie an einer Wahrnehmungsstörung? Wer sich die Entwicklung der leicht schwankenden Geburtenrate genauer ansieht, der käme nicht auf die Idee, bei einem Zuwachs von ein paar Tausend Geburten leichtfertig von einer „gravierenden“ Veränderung zu sprechen! Ein immer größer werdender Teil der Jugend fühlt sich völlig zu Recht von der Gesellschaft, der Politik im Stich gelassen und denkt bestimmt nicht ans Kinderkriegen. Das tun höchstens die Besserverdienenden, auf die Frau von der Leyens Familienpolitik maßgeschneidert ist.

 

2. Ich finde es immer wieder nur zum Kotzen, wenn sich auch noch Erwerbslose für diesen Schmu hergeben! Im jüngsten Fall zeigen zwei Arbeitslose, wie mensch angeblich von 4,33 Euro satt werden kann, und haben dazu ein Kochbuch herausgegeben. Die darin enthaltenen Rezepte seinen mutmaßlich nicht nur preisgünstig, sondern auch noch gesund. Die beiden Männer entsprechen damit der Behauptung des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin, dass es sich vom derzeitigen Regelsatz gut leben lasse. Der hat ja auch leicht reden: Er wechselt in zehn Wochen in den Vorstand der Bundesbank über, wo ihn ein Jahresgehalt von 228.000 Euro erwartet. Die beiden Buchautoren lernten sich auf einer Fortbildungsveranstaltung des Arbeitsamtes kennen. Sie kramten „alte Tugenden“ heraus, indem sie die Landfrauenverbände in ganz Deutschland anschrieben und um Rezepte baten. Nachdem sie sich die geeigneten herausgesucht hatten, durchstöberten sie acht Discounter und verglichen die Preise. Ihr Ziel war es, 28 Tagesmenüs aufzuschreiben.

Öh – die restlichen zwei bis drei Tage wird also gefastet, und alle vier Wochen wiederholt sich der Speiseplan? Anschließend waren die beiden „ganz überrascht“ darüber, dass es sich von 4,33 Euro angeblich ausgewogen leben lasse. Es hat sicher einen Grund, dass keinerlei Rezepte beschrieben werden. Abgesehen davon muss ja auch noch Geld für ein Frühstück und ein Abendbrot übrig sein, für Getränke zwischendurch. Vollkommen abwegig finde ich die Behauptung, dass es ganz egal ist, bei welchem Discounter eingekauft werde, weil überall alles gleich billig sei. Brauchen diese Herren vielleicht eine neue Brille? Ich lade sie dazu ein, mal zwischen Extra, Aldi, Penny und Plus bei mir um die Ecke die Preise zu vergleichen – die sind allerorten anders. Außerdem gibt es nicht an allen Ecken dasselbe Sonderangebot! Bezeichnend finde ich die Aussage des einen Autors, dass nur die „Disziplin wichtig“ sei – und „vorausschauendes Einkaufen“, damit die Wurst nicht vergammele. Dann muss natürlich endlich auf die Tiefkühlpizza verzichtet werden. Und die Moral von der Geschicht? Hartz IV ist nie zuwenig nicht!

 

3. Habt ihr es schon voller Freude und Dankbarkeit vernommen: Die Bagis bleibt uns erhalten! Toll, die drohende „Gefahr“ einer Aufspaltung in zwei eigenständige Behörden ist nun vom Tisch. Angeblich haben wir es nur mit einer Behörde zu tun. Was ist mit den ALG-I-Beziehern, die zusätzlich ALG II beantragen müssen, das Kindergeld bei der Familienkasse, ebenso den Kinderzuschlag? Im Dezember 2007 befand das Bundesverfassungsgericht die Konstruktion der größten Asozialreform seit dem Krieg – wonach die Kommune zuständig für Miete, Heizung und Schuldenberatung, die Jobsuche aber Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit sei – als Verfassungsbruch. Die Richter setzten eine Frist bis Ende 2010. Ab 2011 sollen Bagis, Argen, Jobcenter und so weiter dann in „ZAG“ umbenannt werden. Komisch, bei mir erweckt dies Assoziationen wie: Strammstehen! Auf die Plätze, zackig, los! Auf, auf zur nächsten Grundgesetzveränderung! Was diesen Politikern offenbar nichts mehr bedeutet, wenn es bei jedem noch so kleinen Bedarfsfall mal eben so geändert werden darf.

 

4. Die Große Koalition hat sich auf eine Neuordnung bei der Betreuung von Hartz-IV-Betroffenen geeinigt. Die bisherigen argen Argen werden auf dem Wege einer Verfassungsänderung in Anstalten des öffentlichen Rechts mit dem Titel „Zentrum für Arbeit und Grundsicherung“ umgewandelt. Eine von Karlsruhe als grundgesetzwidrig eingestufte Konstruktion wird nun quasi legalisiert, indem man einfach das Grundgesetz ändert. Der Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktexperte Stefan Sell kritisiert, dass die geplante Neuordnung an der Betreuung von Hartz-IV-Opfern nur wenig an den bisherigen Zuständen ändern wird, denn an dem von den Verfassungsrichtern beklagten Prinzip der Mischverwaltung ändert sich damit nichts. Fast alles bleibt beim Alten, Arbeitsagenturen und Kommunen arbeiten wie bisher unter einem Dach zusammen. Jetzt bekommt das menschenverachtende Hartz IV sogar einen eigenen Artikel im Grundgesetz!

Die Einteilung in gute und schlechte Erwerbslose wird weiter zementiert. Bei Streitigkeiten zwischen Bundesagentur und Kommune wird der Einfluss des Bundes noch stärker werden als bisher. Offenbar ist CDU-Politikern besonders an ihrer Kontrollmacht gelegen. Eine Ursache für die viel beklagte Verfolgungsbetreuung von Hartz-IV-Beziehern durch Schikanen und Sanktionen liege an der Überforderung ihrer Betreuer. Gut, dass das Kürzel „ZAG“ erklärt wurde, weil ich es ansonsten als „Zentrum für Argwohn und Gemeinheit“ interpretiert hätte! Der neue Gesetzentwurf sieht auch eine bessere Personalausstattung vor: Nach einer Sollvorschrift sollen von einem Vermittler 75 Unterfünfundzwanzigjährige und 150 Überfünfundzwanzigjährige betreut werden. Die Masse allein ändert freilich noch gar nichts, wenn diese Vermittler dieselbe phänomenale „Ausbildung“ genossen haben. Dennoch ist der Schlüssel miserabel und vollkommen unzureichend. Aber auch eine Zuständigkeit für weniger Erwerbslose könnte keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze hervorzaubern.

 

5. Ausgerechnet bei einem CDU-Frühschoppen, bei dem ordentlich Bier, Wein und Schnaps gebechert wurde, soll Philipp Mißfelder ein sehr loses Mundwerk bewiesen und sich dahingehend geäußert haben, dass die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze einem staatlich geförderten „Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie“ gleichkomme. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Nachdem er viel Empörung erntete, relativierte er seine Beleidigung und behauptet nun, dass er nur auf „Missstände“ haben hinweisen wollen. Handelt es sich hierbei um ein politisches Ablenkmanöver zur narzisstischen Aufwertung eines Jüngelchens von der Hinterbank? Eigentlich müsste sich die Diskussion um einen flächendeckenden Mindestlohn drehen, von dem es sich anständig leben lässt, und auch die Transferleistungen müssen unbedingt angehoben werden!

Aber wenn ALG-II-Beziehern pauschal unterstellt wird, dass sie ihre Bezüge eh gleich in Schnaps und Nikotin umsetzten, dann erübrigt sich eine Erhöhung offenbar! Außerdem kann so ein Jüngelchen von der Hinterbank erneut auf seine Person aufmerksam machen. Muss er das, weil er sonst keine Anerkennung erfährt? Mit solch einem unreifen Wesen, das offenbar nicht zu Empathie in der Lage ist, möchte ich jedenfalls nichts zu tun haben müssen! Anstatt verbalen Sondermüll abzusödern, sollte Philipp Mißfelder lieber mal gesellschaftliche Produktivität an den Tag legen. Trotz heftigster Kritik will sich der Jungunionist nicht bei den Hartz-IV-Beziehern entschuldigen. Nein, er setzte sogar noch einen drauf, als er am Samstag der „Blöd“-Zeitung erklärte, dass wir uns „nicht bei jeder Diskussion politische Tabus auferlegen“ müssen. Außerdem verlangte er, dass Transferleistungsempfängern anstelle von Geld nur noch Gutscheine ausgegeben werden sollten.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Verfassungsbruch soll legalisiert werden: Trennung zwischen „guten“ und „schlechten“ Arbeitslosen bleibt bestehen („Frankfurter Allgemeine Zeitung“)
 
Ultimatum: Bundesagentur droht mit Chaos, wenn die Arge-Zukunft
nicht im März geklärt wird („Financial Times“)
 
Statistik-Wunder: Von Dezember auf Januar sank die Zahl der Erwerbstäti­gen um 704.000, aber die der Arbeitslosen stieg nur um 387.000 („Financial TimesFTD“)

 

In Eilverfahren gelten in Bremen die neuen Werte der Wohngeldtabelle

Hans-Dieter BinderDie Bagis muss nachzahlen, meldeten „Tageszeitung“ und „Radio Bremen“, denn die unter Verweis auf die Mietobergrenzen vorgenommenen Kürzungen waren unrechtmäßig. Hierzu ist Folgendes anzumerken: Wer keinen Widerspruch eingelegt und nicht die volle Miete erhalten hat, stellt einen Antrag nach § 44 SGB II mit dem Wortlaut „Hiermit beantrage ich die Überprüfung aller Bescheide ab 1. Januar 2005. Ich beantrage, die Übernahme der Kosten der Unterkunft in vollem Umfang anzuerkennen.“ Alle Erwachsenen, die auf dem Bescheid stehen, müssen mit unterschreiben.

Die Bagis wird einen Bescheid über diese Prüfung erstellen. Dagegen ist Widerspruch möglich – und gegen den Widerspruchsbescheid notfalls die Klage vor dem Sozialgericht Bremen. Bis zum 31. Dezember 2008 und damit auch im vorliegenden Fall war noch das Verwaltungsgericht und in zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht Bremen zuständig. Jetzt ist in zweiter Instanz das Landessozialgericht Bremen/Niedersachsen in Celle zuständig, auch für den Zeitraum ab 2005. Die Mietobergrenze ist auch für 2005 noch nicht endgültig festgestellt.

Das Sozialgericht Bremen hat sich in den Eilverfahren ans neue Wohngeldgesetz gehalten, zum Beispiel im Beschluss vom 10. Februar 2009: „Eine Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft gemäß § 22 Absatz 2 SGB II ist nicht Voraussetzung für eine spätere Übernahme der Kosten. Gleichwohl kann das Gericht im Interesse der Hilfebedürftigen, die vor unüberlegten Schritten bewahrt werden sollen, auch im Eilverfahren eine entsprechende Zusicherung aussprechen. Nach dem – allerdings bisher nicht rechtskräftigen – Beschluss der 21. Kammer des Sozialgerichts gelten für Bremen die neuen Werte der Wohngeldtabelle als Mietobergrenzen. Das ist für Einpersonenhaushalte eine Bruttokaltmiete von 358 Euro, für Zwei- 435, für Drei- 517, für Vier- 600 und für Fünfpersonenhaushalte eine Bruttokaltmiete von 688 Euro.“ – Wie dies geht? Wir gehen mit!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“, „so:leb“)
 
Genug für 20 Jahre Hartz IV: Opel fordert 200.000 Euro
Staatsknete pro Arbeitsplatz („Spiegel-Online“)

 

Im Zweifel gegen die Verdächtigte

Das Urteil im Fall „Emmely“ ist meines Erachtens mehrfach rechtsfehlerhaft. Zum Ersten beruht die Kündigung nach der Pressemitteilung des Gerichts auf dem Verdachtsmoment für das Vorliegen einer Straftat des Arbeitnehmers. Das Vorliegen einer Straftat ist hier aber nicht zu erkennen.

Eine Kassiererin findet Pfandbons von (Test-)Kunden im Wert vom 1,30 Euro und löst diese für sich selbst ein. Dabei ist ihr nichts vorzuwerfen. Selbst wenn sie gefundene Pfandbons im Wert von zwei Millionen Euro eingelöst hätte, hätte sie damit ihren Arbeitgeber nicht betrogen, schließlich gehören ja die Pfandbons den Kunden und nicht dem Arbeitgeber. Es handelt sich um einen Fund, und der ist erst bei einem Wert von mehr als zehn Euro bei der zuständigen Behörde anzuzeigen, wenn derjenige, der den Pfandbon verloren hat, nicht bekannt ist (§ 965 II BGB).

§ 263 I StGB sagt zwar: „Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Es kann aber nicht strafbar sein, was zivilrechtlich erlaubt ist beziehungsweise wäre.

Zum Zweiten geht das Gericht fälschlicherweise davon aus, dass Eigentum des Arbeitsgebers entwendet wurde. Das ist nicht zu sehen. Wer einen gefundenen Pfandbon an den Arbeitgeber abgibt, erlangt zwar keinen Besitz daran – hierzu BGH VIII ZR 379/86 (BGHZ 101, 186; NJW 1987, 2812) –, im vorliegenden Fall wurde der Pfandbon aber nicht abgegeben, die Kassiererin hat ja über die Pfandbons verfügt, wodurch ein Besitz erlangt wurde. Wäre der Pfandbon mehr als zehn Euro wert, hätte der Besitz desselben beim Fundbüro angezeigt werden müssen und nicht beim Arbeitgeber (§ 965 II BGB). Wird ein Pfandbon hingegen beim Arbeitgeber abgegeben, ist dieser zwar Besitzer, aber nicht Eigentümer des Pfandbons. Auch der Arbeitgeber hat, wenn das Fundstück mehr als zehn Euro wert hat, den Fund beim Fundbüro beziehungsweise der zuständigen Behörde anzuzeigen.

Selbst wenn es sich um Testkäufer im Auftrag des Arbeitsgebers handeln würde, wäre die Einlösung der Pfandbons keine Straftat, da auch argumentiert werden kann, dass die Kassiererin das Geld statt der Bons nur aufbewahrt hat (§ 966 I BGB). Vor allem besteht aber eine Pflicht zur Mitteilung nur, wenn der Eigentümer oder ein Empfangsberechtiger der Sache bekannt ist (§ 965 I BGB). Eine Kassiererin muss aber nicht annehmen, dass es sich bei Kunden um Testkunden handelt. Nur wenn die Kassiererin wusste, dass es sich um Bons von Testkäufern handelt, hätte sie dem Arbeitgeber den Fund der Bons anzeigen müssen. Wenn sie gewusste hätte, dass es sich um Bons von Testkäufern handelt, hätte sie die Bons aber nicht eingelöst. Zudem hat der Arbeitgeber im Verfahren nicht nachgewiesen, dass die Pfandbons ihm gehörten, da nur vom Verdacht einer Straftat die Rede ist.

Wer als Angestellter auf Nummer sicher gegen will, teilt dem Arbeitgeber den Fund des Pfandbons mit – aber ohne die genaue Höhe und die Belegnummer zu nennen –, nimmt den Bon mit nach Hause und löst ihn dann irgendwann ein. Der Arbeitgeber hat nur ein Anrecht auf die Pfandbons, wenn er nachweisen kann, dass sie ihm gehören, er also Eigentümer ist. Ein reine Behauptung reicht da nicht aus, dazu müsste er die genaue Höhe und die Belegnummer kennen.

Zuschrift eines „Emmely“-Unterstützers
 
Ohrfeige für die CSU: Karlsruher Richter kippen wichtige Teile
des bayerischen Versammlungsgesetzes („Junge Welt“)
Vom Leder gezogen: Der politische Aschermittwoch hat seine Ursprünge
in der Novemberrevolution von 1918/1919 („Rote Fahne News“)
 
56 Cent pro Stunde: Arge Stralsund geht juristisch gegen
sittenwidrige Dumpinglöhne vor („Rote Fahne News“)

 

Das Recht muss geändert werden

Das Recht muss geändert werden. Und die Rechtsprechung muss auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüft werden. Nachdem uns jetzt die Urteilsbegründung vorliegt, fühlen wir uns nur darin bestätigt, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim Bundesarbeitsgericht und Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG werden wir deswegen einlegen, weil diese Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Wenn die ganze überwiegende Bevölkerung des Landes dieses Urteil nicht akzeptiert, dann muss das BAG Gelegenheit haben, seine Rechtsprechung zu überdenken. Die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte meiner Mandantin aus Artikel 12 Grundgesetz wurden verkannt. Dies rechtfertigt die Beschwerde beim BAG und die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht.

Unabhängig vom Ausgang dieser Verfahren fordern wir die Parteien im Bundestag auf, das Kündigungsschutzrecht so zu ändern, dass ein solches Urteil nicht mehr möglich ist. Das heißt, dass bei arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen, die nur zu Bagatellvermögensschäden führen, ohne vorherige Abmahnung nicht gekündigt werden darf und dass eine Kündigung, die nur aufgrund eines dringenden Verdachtes ausgesprochen wird, ausgeschlossen ist. Wir begrüßen, dass Vertreter der Politik (Seehofer, Thierse und andere) dieses Urteil verurteilen. Jetzt sollten aber auch die Konsequenzen gezogen werden und die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass solche Urteile nicht mehr möglich sind.

Wir haben ein Vergleichsangebot gemacht. Dieses Angebot halten wir weiterhin aufrecht. Ein Vertreter von Kaiser’s soll ein Vergleichsangebot, das Kaiser’s schon einmal früher gemacht hatte, erneuert haben: Die Umwandlung der fristlosen in eine fristgemäße Kündigung. Das hilft meiner Mandantin nicht weiter. Meine Mandantin ist über 50 Jahre alt, und sie will sich bis zu ihrer Rente ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie will wieder arbeiten.

Unser Vergleichsangebot halten wir aufrecht. Es ist ein Angebot, das wir schon vor der Urteilsverkündung gegenüber Kaiser’s gemacht hatten und das Kaiser’s bisher ablehnte. Es ist ein Angebot, das dem Grundgedanken folgt, dass beide Seiten aufeinander zugehen müssen, wenn ein Vergleich zustande kommen soll: Meine Mandantin ist bereit, auf ihre Tätigkeit als Kassiererin einschließlich der Zulage von circa 62 Euro zu verzichten, wenn sie weiterhin als Verkäuferin eingesetzt wird.

Das Gericht meint, meine Mandantin habe der zweiten Kassiererin im Beisein der ersten Kassiererin, die beide meiner Mandantin nicht wohlgesonnen waren, zwei Kundenbons überreicht und diese zu ihren Gunsten eingelöst. Zwei Kundenbons, die auch sofort als Kundenbons erkennbar waren, weil sie nicht, wie für das Personal vorgeschrieben, abgezeichnet waren. Welches Motiv soll meine Mandantin gehabt haben? Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass meine Mandantin wegen 1,30 Euro ihre Lebensgrundlage aufs Spiel setzt? Den Grad der Idiotie, den das Gericht meiner Mandantin unterstellt, grenzt schon an Beleidigung.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist verfassungswidrig, weil es die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte der Klägerin aus Artikel 12 GG verkennt. Indem in radikaler Manier auch bei geringsten Vermögensverletzungen ausschließlich die Vermögensinteressen des Kapitals zum Tragen kommen, wird das Grundrecht der Klägerin aus Artikel 12 GG verletzt. Dabei werden die Rechte aus Artikel 12 GG so verstanden, dass es nicht nur um eine angemessene Bewertung der vergangenen 31 Beschäftigungsjahre, sondern auch darum geht, dass der Klägerin durch die Kündigung die Ausübung ihres Berufs für die Zukunft abgeschnitten wird.

Das LAG rückt entsprechend der Rechtsprechung des BAG das Vertrauen des Arbeitgebers in den Mittelpunkt, das durch ein Vermögensdelikt unwiderruflich zerstört werde. Dabei soll der Wert des Vermögens keine Rolle spielen. Diese Argumentation ist aus folgenden Gründen nicht akzeptabel:

  1. Das Absehen von dem Wert – es kommt nicht darauf an, ob es um 1,30 Euro oder etwa um 1.300 Euro geht – ist eine haarsträubende Abstraktion, die auf unzulässige Weise die Vermögensrechte des Arbeitgebers verabsolutiert.
  2. Die Sicht des LAG wie auch die Rechsprechung des BAG orientiert sich ausschließlich an den Interessen des Arbeitgebers, das heißt den Interessen des Kapitals. Die Interessen der Beschäftigten werden in der ersten Stufe überhaupt nicht berücksichtigt.
  3. Die Interessenabwägung, die nach dem BAG in der zweiten Stufe erfolgen muss, bezieht sich nur noch auf die Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Auslaufen der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten ist. Die Interessenabwägung entscheidet also nur noch über die Frage einer fristlosen oder fristgemäßen Beendigung des 31 Jahre währenden Arbeitsverhältnisses. Die Frage, ob eine fristgemäße Kündigung rechtens ist, wurde weder gestellt noch entschieden.
  4. Die Interessenabwägung wird immer nach demselben Schema vorgenommen: Auf der einen Seite die Zahl der Beschäftigungsjahre, auf der anderen Seite das besondere Vertrauen, das von einer Kassiererin verlangt werden darf. Dann die Abwägung, die immer zulasten der Kassiererin ausgeht, weil von der Kassiererin ein besonderes Vertrauen erwartet werden darf.
  5. Das Interesse der Kassiererin (deren Grundrechte aus Artikel 12 GG) fällt bei dieser Betrachtungsweise komplett unter den Tisch: Zählt die 31 Jahre lange Tätigkeit der Kassiererin für das Unternehmen so wenig? Hat die Klägerin nicht in all den vergangenen Jahren zur Schaffung all der Werte beigetragen, die dieses Unternehmen jetzt repräsentiert? Selbst wenn man sich auf die Position des LAG stellt: Hätte bei einem derart geringen Wert von 1,30 Euro eine Abmahnung nicht ausgereicht?
Stellungnahme von Rechtsanwalt Benedikt Hopmann zur Urteilsbegründung
des LAG Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen 7 Sa 2017/08)

 
Hungerregelsatz: Zwingende Aufgabe des Staates ist, Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen (LSG Hessen)
 
Neues Denken: Nicht Profitmaximierung, sondern Existenzsicherung für
alle sollte Grundkonstante der Wirtschaft sein („Freitag“)
 
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz