115. Bremer Montagsdemo
am 18. 12. 2006  I◄◄  ►►I

 

Das Wort hat das Christuskind

Ursula Gatzke„Vom Himmel hoch oben komme ich her, ich muss euch sagen: Bei euch frieren viele Leute sehr! Vom Baby bis zum alten Greis hier unten habe ich frierende Menschen gefunden!

Das Licht ist aus, der Strom ist weg, ich kriege bei euch einen Schreck! Verzweifelt die armen Menschen nach Hilfe suchen, während woanders im Haus es duftet nach Kuchen!

Die alten Menschen sind schon Kummer gewohnt, aber dass man bei euch die Babys nicht schont vor Kälte, kalter Milch, kaltem Wasser und Essen, das werde ich oben im Himmel nicht vergessen!

Da nützt auch nicht der Stromkonzerne Mitleidstour, denn Strom gibt es über die Feiertage nur. Sonst bleibt der Strom ganz knallhart fort: Sucht euch zum Wärmen einen andern Ort!

Wer so arm ist und die Rechnungen nicht bezahlen kann, der klopfe doch erst mal beim Sozialamt an! Dann gibt es in ein paar Tagen sicher mal Licht, wobei man auch dort gleich vom Zurückzahlen spricht!

Wie kommen die Menschen aus ihrer Not heraus? Sie wohnen gar zu tief im Schuldenhaus! Früher habe ich nicht so verzweifelte Schreie vernommen. Ich glaube, ich muss mal öfter zur Erde herunterkommen und den Politikern raten zu besseren Gesetzen, die die Unterschicht nicht in solche tiefe Armut hetzen!

Eure Gesetze machen Reiche reicher, doch Arme noch ärmer. So wird auch zur Weihnachtszeit keine Armenstube wärmer! Ich klopfe dann an die Türen der Armen an: Mal sehen und hören, was ich dort wohl alles erfahren kann!“

Ursula Gatzke (parteilos)
 
„Arbeit ist Scheiße“: Einer leistet Widerstand gegen Entwürdigung und Entrechtung, und alle schämen sich oder sind schockiert („Focus“)

 

Mahnung zur Eigenverantwortung mindert Schuldgefühle der Reichen

Elisabeth GrafAuf der Titelseite der „Taz“ prangte am vergangenen Sonnabend dick und fett: „Eine Stadt sagt Nein zu Hartz IV. Die 4.000-Seelen-Gemeinde Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt wird zum Labor der Nation.“ Es ist allen Ernstes geplant, die Arbeitslosenquote bis zum Ende des Monats von 15,6 auf 2,8 Prozent zu senken. Mit sogenannter „Bürgerarbeit“ soll dieses hehre Ziel erreicht werden können. Hierbei wird anvisiert, Langzeitarbeitslosen mit „gemeinnütziger Tätigkeit“ eine „dauerhafte Perspektive“ zu bieten.

Die Arbeitszeit umfasst 30 Stunden in der Woche plus 8,5 Stunden für Weiterbildung und Bewerbung. Die Arbeit ist unbefristet und sozialversicherungspflichtig und wird mit 800 Euro entlohnt. Das Geld dafür kommt aus verschiedenen Töpfen: vom ALG II, aus der Arbeitsförderung und einem Wohnkostenzuschuss. Wegen der gesetzlichen Hürden hierbei wird das Projekt momentan noch gemeinsam vom Land Sachsen-Anhalt und dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Handwerker und das Gewerbe fürchten sicher nicht zu Unrecht, dass ihnen Aufträge verloren gehen könnten.

Die in diesem Artikel zitierten Menschen mittleren Alters sind jedoch beschwingt über ihre neue Anstellung im Altenpflegeheim und bei der Kirche und freuen sich darüber, dass sie sich endlich wieder „gebraucht“ fühlen dürfen. Diese Wonne, nun scheinbar wieder als „vollwertiges Mitglied“ zur erlauchten Gesellschaft zu gehören, will ich ihnen nicht schmälern. Doch wird es sicher nicht allzu lange dauern, bis auch ihnen klar werden muss, dass sie mit ihrem Niedriglohn dem abgehängten Prekariat leider nicht entkommen sind. Finanziell können sie noch immer nicht mithalten und bleiben trotz ihrer Anstellung dennoch dauerhaft von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt. Nach wie vor haben sie auf dem ersten Arbeitsmarkt, mit anständigen Löhnen in ihrem Alter, nicht mehr den Hauch einer Chance.

Darüber verliert natürlich niemand ein Wort. Hier wird lediglich erwähnt, dass dieses Projekt „gesetzeswidrig“ sei, nicht etwa wegen Lohndumpings und falscher Heilsversprechungen, sondern weil es verboten sei, Geld zur Existenzsicherung und Geld zur Arbeitsförderung in einen Topf zu werfen, um damit Sozialbeiträge und einen Lohn zu bezahlen. 15,6 Prozent Arbeitslosigkeit bedeutet Armut für viel zu viele Menschen und ihre Familien. Diese 15,6 Prozent jedoch innerhalb von nur einem Monat gen Null fahren zu wollen, grenzt an absoluten Größenwahn.

Eher narzisstisch ist der Artikel auf Seite drei mit „Haseloff statt Hartz IV“ überschrieben. Herr Haseloff ist Physiker und seit acht Monaten Minister für Wirtschaft und Arbeit in Sachsen-Anhalt. Er müsste sich mit Arbeitslosigkeit auskennen, schließlich hat er das Arbeitsamt in Wittenberg zehn Jahre lang als Direktor verwaltet. Aber er weiß nur theoretisch, wovon er redet, denn wir haben es ja alle noch im Ohr, welch Absurditäten zuweilen ausgerechnet von dieser Behörde ausgespuckt werden. In die gleiche Schublade muss wohl auch dieses Projekt eingeordnet werden.

Selbst wenn es deutschlandweit umgesetzt werden könnte, wäre es kaum als das Erfolgsmittel gegen Arbeitslosigkeit zu verstehen, außer natürlich, das Ziel sollte sein, eine immer größer werdende Gruppe mit gesellschaftlich akzeptierten Dumpinglöhnen gezielt verarmen zu lassen. Auf diesem Pfad befinden wir uns ja bereits, und er soll wohl zur vierspurigen Trasse ausgebaut werden. Mit dem überholten Glauben daran, dass je noch mal Vollbeschäftigung in Deutschland einkehren könnte, sind Herr Haseloff und seine Anhänger auf der falschen Fährte! Wahrscheinlich glauben sie selbst nicht wirklich daran und benutzen diese gezielte Täuschung „nur“ für die weitere Besitztumsmehrung der Superreichen.

In die gleiche Kerbe schlägt SPD-Chef Kurt Beck, wenn er einem Arbeitslosen, der ihn wegen Hartz IV anklagt, „rät“, er müsse sich nur „Waschen und Rasieren“, schon habe er in drei Wochen einen Job. Au ja, wir lassen uns rasieren und wa­schen und lösen das Problem der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland! Machen wir Hartz IV in drei Wochen überflüssig! Darum ruft das „Erwerbslosenforum“ zu einem öffentlichen Happening am 2. Januar 2007 medienwirksam in Mainz auf. Die Perspektive muss selbstverständlich ein versicherungspflichtiger Arbeitsplatz und kein Ein-Euro-Job sein, da dieser nicht unabhängig von Hartz IV besteht.

Leider zwangsweise unrasiert und ungewaschen sind inzwischen Hartz-IV-Betroffene, denen die Stadtwerke sämtliche Versorgungsleistungen bereits eingestellt haben. Herr Beck muss wohl selbst länger nicht mehr in den Spiegel geguckt haben, sonst hätte ihm sein unrasiertes Konterfei auffallen müssen. Er befindet sich allerdings selbst momentan nicht auf Arbeitssuche und hat sich wohl das Recht ausbedungen, unrasiert herumzulaufen. Zweierlei Maß kann sich nicht jeder herausnehmen!

In der gleichen Ausgabe der „Tageszeitung“ findet sich noch ein sehr lesenswerter Artikel „Paradoxes Spiel im Hirn“ von Barbara Dribbusch: Gerade wer stark nach Gerechtigkeit strebe, verhalte sich häufig besonders unfair. Genau diese Menschen neigten häufiger zu unangemessenen Interpretationen der ihnen gezeigten traurigen Wirklichkeit. „Sie sagten beispielsweise: ‚So schlecht geht es denen doch gar nicht‘ oder: ‚Irgendwie sind die doch selbst schuld‘.

Auf diese Weise konnten sie die von ihnen eigentlich empfundene unerträgliche Benachteiligung der Abgebildeten als nicht ganz so ungerecht einordnen. Mit der Verleugnung der Opfer findet eine Umwertung statt, weil sie dem unterbewussten Gerechtigkeitsempfinden zu stark widerspreche. Die Welt wird nicht als ganz so ungerecht empfunden, wenn die Schwachen doch irgendwie selbst schuld sind an ihrem Schicksal. Gerade in der Hartz-IV-Debatte ist gut zu sehen, dass angesichts der Massenarbeitslosigkeit viele Menschen dazu neigen, den Langzeiterwerbslosen zunehmend die Schuld an ihrem Schicksal zuzuschieben. Dieses letztlich unfaire Verhalten ist nur als „Gerechtigkeitsparadox“ zu bezeichnen.

Elisabeth Graf (parteilos)

 

Ihr Arbeitslohosen

Ihr Arbeitslohosen, o kommet doch all,
Zur Staatskanzlei kommet in den Mainzer Stall
Und seht, was in dieser hochheiligen Nacht
Der Vater des Landes für Freude uns macht!

O seht im Frisierstuhl im nächtlichen Stall,
Seht hier bei des Lichtleins hellglänzendem Strahl
In reinlichem Zwirn das erwerbslose Kind,
Viel schöner und holder, als Staatsmänner sind!

Da sitzt es, erwerbslos mit Langhaar und Floh;
Kurt Beck, Landesvater, betrachtet es froh.
Der redliche Frisör kniet eifrig davor,
Hoch oben schwebt jubelnd der Regierungschor!

O beugt wie Frisöre andächtig die Knie,
Erhebet die Schere und schneidet wie sie!
Stimmt freudig, Erwerbslose sollten sich freu’n,
Stimmt freudig zum Jubel des Frisörs mit ein!

Was geben wir Herrscher, was schenken wir dir,
Du bester und liebster Elender, dafür?
Nichts willst du von Schätzen und Reichtum der Welt,
Ein sinnvoller Job nur allein dir gefällt!

So nehmt, Arbeitslose, die Stellen denn hin:
Kurt Beck gibt sie gerne mit fröhlichem Sinn.
Und machet sie heilig und selig wie er,
Doch macht sie auf ewig und ohne Begehr!

„Erwerbslosenforum“ („Ihr Kinderlein kommet“)

 

Weg mit der unsozialen Politik aus Berlin, Brüssel und Bremen!

Wir stehen mitten im Geglitzer und Geklingel als Montagsdemonstranten. Mancher denkt: Dieses kleine Häuflein! Was soll das, was wollen die denn? Noch 14 Tage sind es bis zur Mehrwertsteuererhöhung. Die Gesundheitsreform scheitert gerade, Berlin und die Länder sind sich nicht einig. Und nach diesem wird der nächste Streit in Berlin kommen. Ich vermute: Lange werden die Tage der großen Koalition nicht mehr dauern! Die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungspolitik betrug Ende Oktober nur noch 19 Prozent.

Wir sind wenige, aber zäh und beharrlich. Die meisten Mitbürger glauben immer noch, sie seien ja nicht betroffen von der ganzen Politik, oder es würde auch ohne sie zum Besseren kommen, oder die Gewerkschaften müssten das in die Hand nehmen. Medien, Gewerkschaftsspitze und Parteien lullen die Menschen ein. Da ist es schwer, sich einen klaren Kopf zu bewahren oder zu verschaffen! Wer mehr wissen will, muss alles untersuchen und mit anderen darüber sprechen.

Kritisch diskutieren mit Freunden und Kollegen ist der Anfang, dann sollte man zum Handeln kommen. Aber es gibt ja auch welche, die den Kampf aufgenommen haben, die Ärzte, die Kollegen in manchen Betrieben. Und noch mehr werden es lernen, dass sie ihre Sache in die eigene Hand nehmen müssen: Überall da, wo es Entlassungen, Arbeitsverschlechterungen oder Mittelkürzungen für Beihilfen oder soziale und kulturelle Aktivitäten gibt. Die Montagsdemo und auch andere Bewegungen sind Beispiele für solches Aktivwerden.

Jetzt sind wir noch wenige, aber wir können schnell mehr werden; denken wir an Frankreich. Auch in der Schweiz wird jetzt mit der Montagsdemo Politik gemacht. Die Kollegen von Bayer Leverkusen führen jeden Montag Demonstrationen durch, um die Bevölkerung mit einbeziehen. Wir lassen uns nicht unterkriegen und haben Mut und Programm: Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir! Weg mit der ganzen unsozialen Politik aus Berlin, Brüssel und Bremen! Packen wir es an!

Wir laden Sie alle herzlich ein zum Jahresabschlussfest der Bremer Montagsdemo, heute Abend nach der Kundgebung im Naturfreundehaus Buchtstraße, bei Würstchen, Glühwein, Musik, Kultur und Gesprächen!

Jobst Roselius
 
„Christlich-sozial“: Bayerische Gemeinde zahlt Ein-Euro-Jobbern
Weihnachtsgeld („Tageszeitung“)
 
Unsinnig: Wirtschaftsforscher phantasiert Sachleistungen herbei, mit denen Hartz-IV-Betroffene vor Armut bewahrt würden („Banktip“)

 

In Bremen hat sich
nichts verbessert

Gudrun BinderDer 18. Dezember ist Internationaler Tag der Migranten! Hätten Sie’s gewusst? Was wird in unserer Stadt für Migranten getan? Das „täglich-glücklich“-Blatt hatte das Ausländeramt unserer Stadt am Samstag als groß aufgemachtes Thema. Das passt wie die berühmte Faust aufs Auge! Arbeitslose Migranten erhalten bei einem Bezug von ALG II nur 225 Euro pro Monat: Ein „Armutszeugnis“ ohnegleichen in unserer reichen Gesellschaft!

Es hat sich bei dieser Behörde, die unserem sympathischen Innensenator Röwekamp untersteht, rein gar nichts geändert. Er hatte zugesagt, dass sich die katastrophalen Zustände dort sofort und nachhaltig ändern. Die „Verbesserung“ sollte darin bestehen, dass einige bis zum Jahresende befristete zusätzliche Stellen geschaffen werden. Leider hat Herr Röwekamp vergessen zu sagen, welches Jahresende er meint.

Zu dem Zeitpunkt, als Herr Röwekamp von befristeten Einstellungen sprach, lag der Rückstand der zu bearbeitenden Anträge bei 20.000. Täglich kommen neue dazu. Inzwischen gibt es das neue Einwanderungsgesetz. Hat Herr Röwekamp darauf gewartet, um nun feststellen zu können, dass viele der Anträge aufgrund der neuen Lage gar nicht mehr bearbeitet werden müssen? Das spart Geld!

Herr Kastendiek und Frau Motschmann stellen gegen das Gesetz und in selbstherrlicher Weise nach Lust und Laune Freunde ein! Muss der Innensenator das ausgleichen? Wohl kaum, denn er konnte ja mal eben 700.000 Euro für seinen völlig überzogenen Polizeieinsatz ausgeben. Er bezahlt auch jede Menge Mieten aus seinem Ressort für leerstehende Gebäude. An mangelndem Geld kann es also nicht liegen! Dann bleibt nur noch die Variante, dass Herr Röwekamp unfähig ist, die Ausländerbehörde neu zu strukturieren.

Herr Kastendiek dagegen stockt den Personalbestand seines Ressorts hemmungslos auf! Er deckt die Mehrausgaben für seine „ganz persönlichen“ Mitarbeiter anscheinend durch die gravierenden finanziellen Beschneidungen im Kulturbereich. In diesem Ressort hat er es trotz seiner fünf zusätzlichen Mitarbeiter nicht geschafft, rechtzeitig die abschließenden Zahlen im Zuwendungsbericht zu übermitteln – ein Bagatellbetrag von vier Millionen Euro. Wahrscheinlich gab es „Kompetenzgerangel“ unter den fünf Männern, wer für die Erklärung dieser Ausgaben zuständig ist. Sollte es sich um die Gehälter des „Freundeskreises“ von Herrn Kastendiek und Frau Motschmanns Freundin handeln?

Warum trennt man nicht endlich die Ressorts Wirtschaft und Kultur voneinander, setzt für das Kulturressort eine kompetente Kraft ein und streicht im Wirtschaftsressort ersatzlos die eigenmächtig ernannten und dort eingestellten fünf „Jungs“? Sie werden nach einer Ressorttrennung nicht mehr benötigt, diese Arbeit wird Herr Kastendiek sicher allein schaffen können!

Herr Röwekamp hat eine „Polizeireform“ in Bremen durchgesetzt mit der irreführenden Parole „Wir sind ganz in ihrer Nähe“. Wenn nun das Polizeirevier Süd von seinem Standort mitten in der Neustadt zum Flughafen verlegt werden soll, kann das eigentlich nur bedeuten, dass Herr Röwekamp die Landebahn bebauen will, damit die Bürgerinnen und Bürger wieder in der Nähe ihrer Polizeistation sind. Dabei hätten wir für einen Umzug das schöne alte Gebäude an der Friedrich-Ebert-Straße anzubieten, die ehemalige Neustädter Bibliothek: Ein Leerstand, der von Herrn Röwekamps Innenressort bezahlt wird!

Herr Röwekamp hat sich nun auch im sozialen Bereich starkgemacht und will sich dort profilieren, nach der altbekannten Methode des unverhältnismäßigen Durchgreifens. Er sollte sich mal mit Leuten zusammensetzen, die es vor Ort mit sozial schwachen Familien und ihren Kindern zu tun haben! Bei Veränderungen geht es nicht ums Fordern, sondern endlich um das Umsorgen! Wieder mal was missverstanden, Herr Röwekamp?

Herr Böhrnsen, der es eigentlich besser wissen sollte, ist leider auf den Kurs seines Konkurrenten voll eingeschwenkt, weil er leider keine eigenen Alternativen anzubieten hat! Er und sein unwissender Staatsrat Schuster haben aus der Diskussion mit dem Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes anscheinend nichts mit nach Hause genommen. Im Nachhinein fragt frau sich, wozu diese Veranstaltung überhaupt zelebriert wurde. Die Vorstellung kann also nur mit der bevorstehenden Wahl zu tun haben und wird wohl gar keine ernsthafte Wirkung entfalten. Von Frau Rosenkötter ist auch nichts wirklich Verwertbares zu hören, dafür ist sie immer wieder bei allen möglichen Schecküberreichungen abgebildet.

Wenn wir das Jahr Revue passieren lassen, müssen wir feststellen, dass sich in Bremen nichts verbessert, aber einiges verschlechtert und vieles sich nicht zum Guten verändert hat. Wir zahlen immer noch für die Rennbahn, für die „Botanika“, für den „Space-Park“, für das Musical-Theater am Richtweg, für das „Universum“: Lauter „Attraktionen“, die sich selbst nicht tragen.

Die Finanzierung der „Internationalen Universität“ hat nun erst einmal Herr Jacobs übernommen. Zuschüsse in beträchtlicher Höhe erhalten das Übersee- und Focke-Museum, auch die BSAG. Wir investieren in ein neues Fünf-Sterne-Hotel in der Innenstadt mit der Begründung, dass durch die neue Billigfluglinie „noch mehr“ Touristen nach Bremen kommen. Da ergänzen sich eine Billigfluglinie und ein Fünf-Sterne-Hotel natürlich perfekt, zumal wenn es von der ebenfalls „unterstützungsbedürftigen“ Zech-Gruppe erstellt wird!

Die BSAG erhöht mit schöner Regelmäßigkeit die Preise für Fahrscheine und Monatskarten. Wann denkt sie mal darüber nach, die Sozial-Monatskarte für zehn bis fünfzehn Euro einzuführen und dafür den ständigen Einkauf neuer Fahrzeuge einzustellen? Bremen kann sich das nicht leisten! Die günstige Monatskarte für die sogenannten sozial schwachen Menschen in unserer Stadt ist überfällig!

Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Volksvertreter unfähig sind, Bremen in eine stabile, sozial sichere Zukunft zu führen, dann müssen wir uns weiter dafür einsetzen, dass das neue Wahlrecht, das vom Verein „Mehr Demokratie“ gefordert wird, unbedingt bei der Wahl im Mai 2007 angewendet wird. Bremen übersteht nicht noch einmal vier Jahre mit diesen Versager- und Verschwenderpolitikern!

Ich habe keine Schulden in Höhe von über 20.000 Euro, und ich fühle mich auch nicht dafür zuständig! Ich habe von dem vielen Geld, das sinnlos verprasst wurde, nichts abbekommen! Hätte ich tatsächlich diese Schulden, würde ich sie so schnell wie möglich abtragen und nicht neue dazu kommen lassen! Bremen sitzt auf einem Gesamtschuldenberg von circa 13,5 Milliarden Euro. Der Tilgungsplan sieht erst für das Jahr 2047 eine Null vor. Eine utopische Zeitspanne, und wer weiß heute denn, wie viele Schulden bis dahin noch dazukommen werden! Wir haben keine Pro-Kopf-Verschuldung in Bremen, lassen wir uns das nicht einreden! Wir haben eine Politikerkopf-Verschuldung in Bremen in schwindelerregender Höhe!

Wann erfahren wir, wie und vor allem wann der arme kleine Kevin zu Tode gekommen ist? Ich habe noch von keinem Fall gehört, bei dem diese Aufklärung nicht möglich war. Warum will Herr Böhrnsen nicht, dass wir es erfahren? Mich lässt das wieder Schlimmes ahnen! Der Wahlkampf hat begonnen!

Gudrun Binder (WASG)
 
Schäuble kämpft gegen Demenz: Lebensarbeitszeit
soll verlängert werden („N-TV“)

 

Die Grundrechte werden
täglich mit Füßen getreten

Der 10. Dezember 2006 war der „Internationale Tag der Menschenrechte“. Anlass genug, hierzu einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen! Im Jahr 1948 wurde in Genf die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen von zahlreichen Staaten unterzeichnet. Die damalige Bundesrepublik hatte die Charta ebenfalls unterzeichnet und ihr Grundgesetz daran ausgerichtet.

Heutige Bundesregierungen zeigen gern mit sämtlichen Fingern auf andere, wenn es um die Einhaltung der Menschenrechte geht, zum Beispiel auf China oder Russland. Dabei tun sie so, als wäre in unserem Land alles in schönster Ordnung. Es steht aber erwiesenermaßen schlecht um die Grundrechte bei Erwerbslosen, Behinderten, Flüchtlingen und Obdachlosen. Der Blick in die Hartz-Gesetze und eine oft schikanöse Behandlung der Betroffenen durch die Behörden bestätigen dies.

Wieland von HodenbergBekanntlich hat während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders die damalige CDU/CSU-Opposition mit den sogenannten Arbeitsmarktreformen jede Menge Zwangsgesetze gegen die betroffenen Menschen durchgewinkt. Auch wenn es schon oft gesagt wurde, sage ich es hier noch einmal: Diese Gesetze sind menschenverachtend! Den Schönrednern in der Bundesregierung sei gesagt: Sie praktizieren hier offensichtlich zweierlei Maß. Hören Sie endlich auf mit dieser Heuchelei!

Alle haben ihren Amtseid auf das Grundgesetz geleistet. Zugleich haben sie getreu der Eidesformel, da sie ja gute Christen sind und dies auch gern nach außen zeigen, den lieben Gott um Hilfe gebeten. Doch dann kam Schwefelgeruch auf, und bei der neuerlichen Verschärfung muss sie wohl der Leibhaftige geritten haben. Im Grundgesetzartikel 1 Absatz 1 heißt es wörtlich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das scheint ihnen völlig gleichgültig zu sein, denn die Hartz-Gesetze verstoßen massiv gegen mindestens fünf weitere Punkte. Hier einige Beispiele:

Im Artikel 2 (Handlungsfreiheit, Freiheit der Person) Absatz 1 heißt es: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.“ Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) Absatz 1 lautet: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Absatz 2: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Im Artikel 12 (Berufsfreiheit, Verbot der Zwangsarbeit) Absatz 1 steht geschrieben: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Absatz 2: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“

Artikel 13 Absatz 1 besagt: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Absatz 2: „Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.“

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Menschenrechtsverstöße werden angeprangert, wenn sie woanders stattfinden, während hier die simpelsten Grundrechte täglich mit Füßen getreten werden. Die Menschenrechte sind jedoch unteilbar, und sie haben universell zu gelten. Dafür gilt es jeden Tag zu kämpfen!

Wieland von Hodenberg („Solidarische Hilfe“)
Zwangsleiharbeit: Regulär Beschäftigte schweigen aus Angst
um ihre Arbeitsplätze („Freie ArbeiterInnen-Union“)

 

Schönes Abschlussfest
nach einem aktiven Jahr

Das große Redebuch
Band II (2005/2006)Zur 115. Montagsdemo in Bremen am 18. Dezember 2006 um 17:30 Uhr bekamen wir Unterstützung von der Erwerbsloseninitiative der IG Metall aus Bremen-Nord. Allerdings wirkte sich die sogenannte Weihnachtshektik aus: Weniger Menschen kamen, und weniger Menschen hatten Zeit für ein Gespräch. So waren wir wohl nur um die 20 Personen. Wir machten unseren Weg an den „Schweinen“ vorbei zum Hanseatenhof. An beiden Orten gab es wieder einige Beiträge zu hören.

Schließlich zogen wir noch einmal laut durch die „Weihnachtsmarkt-Stadt“ zur „Buchte“, wo inzwischen fast alles für die Feier hergerichtet war. Glühwein, Würstchen, Salat und allerlei kulturelle Beiträge füllten den Abend. Plötzlich Trommelwirbel: die Samba-Gruppe “Rhythm of Resistance” erschien und stattete uns einen überraschenden Besuch ab, nachdem sie uns zuvor schon den Raum großzügig zur Verfügung gestellt hatte. Zusammen essen und sprechen, so ging der Abend weiter. Alle packten beim Aufräumen an, und so gehen wir gestärkt ins Jahr 2007.

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
 
Wahlstudie: Was halten Sie von den Jubelmeldungen
zum Sinken der Arbeitslosenzahl? („Universität Duisburg“)
 
Überflüssig: Ohne Bundesagentur könnte man jedem Erwerbslosen
täglich fünf Euro für Bewerbungen auszahlen („Uncyclopedia“)
 
„Hartz IV halbieren“: Arbeitsamtsdirektor will Erwerbslose
in Ein-Euro-Jobs zwingen („Hamburger Abendblatt“)
 
Vollkommen berechenbar: Ackermann-Funktion erschafft innerhalb aller­kürzester Zeit ganz außerordentlich exorbitante Werte („Wikipedia“)

 

Menschenfreundlich
lächelt der neue Papst 

Mit einiger Empörung lese ich in der „Roten Fahne“ (Heft 49/2006) im Artikel „Ablasshandel im Prozess gegen Ackermann“ auf Seite 6 eine Zwischenüberschrift mit der bei­läufigen De­finitionEchter Sozialismus: Wer nicht arbeitet, erhält auch nichts zu essen!

Den echten Sozialismus kann man ganz bestimmt nicht auf der Grundlage eines reaktionären, 2000 Jahre alten Bibelspruches errichten, denn um einen solchen handelt es sich, siehe Apostel Paulus im 2. Brief an die Thessalonicher, Kapitel 3: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Denn wir hören, dass einige unter euch unordentlich leben und nichts arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben.“ Und wer nun dem Herrn Apostel nachfolgt, darf sich anmaßen, das im Einzelfall zu beurteilen („Bibel-Online“, „Dawar“, „Wahl-Stimmen“).

Dieser grauenvolle Satz, der zur Rechtfertigung der Hartz-IV-Sanktionen dient und den ich auch von ZK-Mitglied Joachim Griesbaum am 4. November 2006 in der Diskussion nach seinem Faschismus-Vortrag in Bremen hören musste, ist für mich ein Hinderungsgrund, das Beitrittsgesuch an die MLPD zu richten. Solch einen menschenverachtenden Satz – der im Wunsch zu vergelten gegen die „Goldene Regel“ verstößt, niemandem anzutun, was man selbst nicht erleiden wollte – kann wohl nur über die Lippen bringen oder aus der Feder fließen lassen, wem es noch niemals widerfahren ist, dass ihm durch amtlichen Beschluss die Daseinsgrundlage entzogen wurde.

Das ist eine Maßnahme, mit der ein Mensch in seiner Persönlichkeit und seinem Willen gebrochen werden soll. Es ist eine Entwürdigung, die nur noch durch Folter gesteigert werden kann. Wer von seiner Gesellschaft und ihren Behörden in der Weise misshandelt wird, dass man ihm das Essen verweigert und er nun die Mülltonnen durchwühlen muss, der erleidet ein Ausgestoßensein wie ein Vo­gelfreier des Mittelalters. Er erlebt diese Gesellschaft als ihm feindlich gesonnen und ist für den Rest seines Lebens für sie verloren.

Auch der Herr Ackermann hat, wenn man ihn angemessen bestraft und sein Vermögen einzieht, noch immer Anspruch auf sein Existenz­minimum auf Kosten des Staates. Nichts darüber hinaus, natürlich: Wenn er ein besseres Leben führen möchte als eines am Rande der Armut, dann möge er dafür arbeiten. Wenn er aber zu einem schlechten Jobangebot hungers nicht Nein sagen kann, verwehrt man ihm die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl. Noch als Häftling im bürgerlich-„rechtsstaatlichen“ Gefängnis würde er zu essen bekommen, sogar wenn er zugewiesene Arbeit verweigerte. Er hat schließlich ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Wollt ihr ihn denn im Gulag verhungern lassen?

Ich fasse es nicht. Wie menschenfreundlich lächelt da der neue Papst bei seiner Mahnung, „Glauben“ – oder Überzeugungen – nicht mit „Gewalt“ zu ver­breiten! Keine Partei darf die Einkommenslosen bloß mit einem frommen Bibelwort und dem Versprechen abspeisen, die Arbeit auf alle Schultern zu verteilen, während sie zur Frage schweigt, wovon man bis dahin leben soll. Echten Sozialismus, der von den Massen getragen wird, kann es nur geben, wenn er auch den Bockigen und Verstockten menschenfreundlich gegenübertritt und ihnen statt Almosen und Pressionen Teilhabe am Volkswohlstand gewährt. Sozialismus heißt zuallererst: Jede(r) bekommt etwas zu essen.

Gerolf D. Brettschneider (parteilos) – siehe auch
3., 10., 38., 71. und 111. Bremer Montagsdemo

 
Obduktionsergebnis liegt vor: Kevin starb kurz nachdem seinem gewalttätigen
Ziehvater das ALG II gestrichen wurde („Süddeutsche Zeitung“)
 
Hungerstreik: Web-Designer verweigert Arbeit für
einen Euro pro Stunde („Linke Zeitung“)

Dich hatte die Aussage der Zwischenüberschrift empört „Echter Sozialismus: Wer nicht arbeitet, erhält auch nichts zu essen“. Du hast sie so gedeutet, als würde diese Losung auch für das Heer der Arbeitslosen im Kapitalismus gelten. Dass diese Aussage von Leuten, die Hartz-IV-Sanktionen durchsetzen, für ihr Geschäft missbraucht wird, höre ich von dir zum ersten Mal. Angesichts der Hemmungslosigkeit, mit der Verschlechterungen heutzutage als Reformern verkauft werden, wundert mich ein solcher Missbrauch nicht.

In dem Artikel ist diese Losung eindeutig als Grundsatz im Sozialismus verwendet. In der sozialistischen Gesellschaft steht der Mensch im Mittelpunkt. Die menschliche Arbeitskraft ist keine Ware mehr. Die Arbeit wird bewusst als Quelle des Reichtums der Gesellschaft und als eine wesentliche Form der Selbstverwirklichung jedes einzelnen geachtet und gefördert. Es gelten das Recht auf Arbeit und das sozialistische Verteilungsprinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“.

Als Übergangsgesellschaft zwischen der Ausbeutergesellschaft des Kapitalismus und der klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus muss der Sozialismus eine gewaltige Selbstveränderung der Arbeiterklasse und Erziehungsaufgabe gegenüber den breiten Massen im Kampf gegen die bürgerliche Weltanschauung verwirklichen. Die sozialistische Einstellung, nicht für sich selber, sondern für das Wohl der gesamten Gesellschaft zu arbeiten und Arbeit als erstes Lebensbedürfnis zu empfinden, muss in Fleisch und Blut übergehen.

Diese neue, sozialistische Einstellung zur Arbeit muss sich durchsetzen gegen alle Formen der Ausbeuterdenkweise und natürlich alle praktischen Versuche, sich ein schönes Leben auf Kosten anderer zu machen. Deshalb gilt im Sozialismus auch die Pflicht zur Arbeit. Die Losung „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ richtet sich in erster Linie gegen die bisherigen Nutznießer der kapitalistischen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Sie ist ein Ausdruck der Diktatur des Proletariats, die Schmarotzen auf Kosten der übrigen Teile der Gesellschaft nicht mehr duldet. Das heißt nicht, wie du vermutest, führende Vertreter der alten Gesellschaft verhungern zu lassen, aber sie müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten, auch wenn sie das vielleicht als „Zwangsarbeit“ diffamieren werden.

Die von dir kritisierte Losung besagt weiterhin, dass der Sozialismus kein „Faulenzerparadies“ ist. Zur Überwindung von Erscheinungen, wie sie im der anarchistischen Losung „Arbeit ist Scheiße“ zum Ausdruck kommen, wird eine systematische Erziehungsarbeit zum sozialistischen Bewusstsein geleistet. Menschenverachtend ist doch nicht die Pflicht zu arbeiten, sondern das Bestreben, als Arbeitsfähiger andere Menschen für sich arbeiten zu lassen. Im Artikel wurde auch erläutert, dass die Pflicht zur Arbeit natürlich nicht für die gilt, die krank oder zu alt sind.

Mit Recht empörst du dich darüber, wie Millionen Menschen bei uns durch Arbeitslosigkeit und auch Existenznot, die bis zum Hungern geht, entwürdigt werden. Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass das sozialistische Prinzip „Wer nicht arbeitet, erhält auch nichts zu essen“ geradezu eine Kampflosung gegenüber der Missachtung der Arbeit der Masse der Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft ist. Es setzt den Sozialismus und damit das Recht zur Arbeit voraus.

Gerne führen wir die Auseinandersetzung mit dir auch weiter. Willst du dir die Mitgliedschaft in der MLPD nicht noch einmal überlegen? Widersprüche in einzelnen Punkten sollten kein Hinderungsgrund sein, denn Kritik und Selbstkritik sind das Entwicklungsgesetz unserer Partei, und wir legen großen Wert auf eine kritische Mitgliedschaft.

Zuschrift von Martin Schlesinger (MLPD)

„Arbeit muss angenehm sein“: August Bebel nennt
Randbedingungen der Arbeitspflicht („Wahl-Stimmen“)

 

Für Grundeinkommen
statt Arbeitspflicht

Es gibt seit einiger Zeit auch in unseren Reihen eine Debatte um das Thema Arbeitspflicht und in diesem Zusammenhang zu der Aussage „Wer nicht arbei­tet, soll auch nicht essen“. Die Geisteshaltung, die dahinter steckt, ist menschenverachtend. Daran festzuhalten scheint mir nicht zukunftsweisend, ja sogar kontraproduktiv, denn wir begeben uns damit tatsächlich auf die Argumentationsebene von Clement, Müntefering & Co. Es ist überhaupt nicht hilfreich, wenn linke Parteien (wie die MLPD) den Arbeitszwang im Kapitalismus zwar ablehnen, ihn jedoch für eine sozialistische Gesellschaftsordnung befürworten. Können solche Widersprüche überhaupt vermittelbar sein?

Wieland von HodenbergWird Arbeitspflicht im Sozialismus nicht auch deshalb propagiert, um zum Beispiel das reibungslose Funktionieren einer vergesellschafteten Ökonomie zu gewährleisten, oder geht es dabei wirklich nur um die entmachteten kapitalistischen Unterdrücker? Was ist mit all den dauerhaft Erkrankten, psychisch und physisch Zerstörten, stark Behinderten, die es vielleicht auch im Sozialismus nicht mit eigener Arbeit zu einem menschenwürdigen Lebensstandard schaffen würden? Sollen auch sie nicht mehr essen dürfen, falls sie absolut nicht in der Lage sind zu arbeiten?

Warum eigentlich nicht nach dem Grundsatz verfahren, dass sich jeder Mensch nach seinen Neigungen und Fähigkeiten in die Produktionsprozesse einbringen können soll, um dort seine besondere Kreativität zu entfalten? Eine absolute Freiwilligkeit unter menschlichen Arbeitsbedingungen könnte doch dazu führen, dass alle „Werktätigen“ gern unter solch guten Bedingungen arbeiten. Damit würde sich wohl die Frage nach der Arbeitswilligkeit beziehungsweise -unwilligkeit weitestgehend erübrigen.

Es wäre darüber hinaus erstrebenswert, und im Kapitalismus ist es sogar absolut erforderlich, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen oder Existenzgeld eingeführt wird. Dessen Höhe sollte sich an den schwankenden Lebenshaltungskosten orientieren. Die BAG-SHI fordert seit längerem ein über Steuern finanziertes Existenzgeld in einer Höhe, welche all diese Kosten inklusive Warmmiete und Nebenkosten abdeckt und den Menschen darüber hinaus die Teilhabe am soziokulturellen Leben ohne zusätzliche Arbeitsleistung ermöglicht. Ein entsprechendes Modell hat die BAG-SHI bereits erarbeitet. Wer sich darüber hinaus Luxusgüter und teure Reisen leisten will, der müsste sich diese eben erarbeiten.

Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen – worüber aus durchsichtigen Gründen auch mancher „Arbeitgeber“ nachdenkt – ist daher zwingend geboten. Das Problem „Zwangsarbeit“ wäre dann endgültig vom Tisch.

Wieland von Hodenberg („Solidarische Hilfe“)
 
„Eigentum verpflichtet“: Aus der beim Erwerb von Gütern und Diensten fälligen
Mehrwertsteuer will Drogeriemarkt-Chef Götz Werner ein bedingungsloses
Grundeinkommen für alle finanzieren („Unternimm die Zukunft“)
 
„Arbeitswilligkeit muss vorliegen“: Ösi-„Volkspartei“
verhindert Grundeinkommen („Oevp.at“)
 
„Kein Auskommen ohne Anstrengung“: So „sozial“ wie die
Linken sind die Liberalen allemal („Spiegel-Online“)
 
„Warum kriegt so einer Stütze?“: Verarschen
kann „Bild“ uns alleine („Bildblog“)
 
Gleichgeschaltet: Presse hetzt gegen ALG-II-Bezieher („Stattnetz“)
 
Nur kein Neid: Henrico muss er selbst bleiben dürfen („Tageszeitung“)
 
„Geruchsbelästigung“: Kein Essen mehr für arme Kinder („Morgenpost“)
 
„Wir haben Hunger“: Ehepaar Behrens protestiert mit
sechs Kindern vor der Arbeitsagentur („Newsclick“)
 
Diskriminierung: „Job-Center“ Spandau richtet in einer abseits gelegenen Indurstriebrache einen „Weihnachtsmarkt“ mit gebrauchten Spielsachen für „Hartz-IV-Kinder“ ein („Erwerbslosenforum“)
 
Verfassungswidrig: Steuerfinanziertes Elterngeld schließt gerade jene Familien aus, die Unterstützung am dringendsten brauchen („Abacho“)
 
Jeder Achte ist arm: Zehn Millionen Menschen müssen im Monat
mit weniger als 856 Euro auskommen („Vierte Internationale“)
 
Verdeckte Armut: Weit über zwei Millionen Bedürftige erhalten
keine soziale Leistungen („Neues Deutschland“)
 
Leid und Hunger ignoriert: Die Politik muss sich endlich stärker
den Arbeitslosen und Armen zuwenden („Spiegel-Online“)
 
Halleluja: Hartz-IV-Software zu Weihnachten
sanft entschlafen („Erwerbslosenforum“)

 

Eine Armut an Achtsamkeit

Nun haben wir es auch in diesem Jahr mal wieder geschafft, Weihnachten rumzukriegen! Ich bin dann immer so erleichtert. Doch ärgert es mich, wenn ich lesen muss, dass laut Statistischem Bundesamt deutsche Eltern im Schnitt circa 357 Euro für Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder ausgäben. Ich möchte wirklich mal wissen, was das eigentlich für 1.000 Frauen waren, die da für diese ominöse Statistik befragt worden sind!

„ALG-II-Mütter“ können kaum darunter gewesen sein, weil sich dieser hohe Durchschnittswert sonst niemals hätte ergeben können. Wie sollten sie wohl von den 207 oder 276 Euro, die sie für ihre Kinder – je nach Alter gestaffelt – monatlich erhalten, 357 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgeben können? So lieb diese Mütter ihre Kinder auch haben: Solche Summen sind im „abgehängten Prekariat“ noch nicht einmal denkbar! Sie lassen sich beim besten Willen nicht ansparen. Wovon denn auch, wenn die 60 Prozent des Bedarfsregelsatzes, die einem Kind lediglich zugebilligt werden, bereits zuvor für nichts ausreichen?

Elisabeth GrafIch bin selbst eine von diesen „ALG-II-Müttern“ und habe mir bei meinen beiden Kindern im Alter von 17 und 19 Jahren ein Limit von je 40 Euro gesetzt, welches sich dann zu „wunschorientierten“ 56 Euro pro Nase ausgewachsen hat. Auf den Wunschzetteln waren Kleidung, Bücher und CDs notiert. Soll ich jetzt vielleicht ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn ich „nur“ gut ein Siebtel der „Durchschnittssumme“ zur Erfüllung jugendlicher Weihnachtswünsche ausgegeben habe? Das lasse ich mir nicht einreden!

Scheinbar berücksichtigt niemand die Habenseite auf dem Konto der Eltern! Will deren Realität von öffentlicher Seite keiner wahrhaben? Bestimmt können sich die meisten Wohlstandsbürger nicht in das Vegetierenmüssen von Hartz-IV-Empfängern hineinversetzen. Zum Teil ist dieser Umstand den Medien vorzuwerfen, die mit absichtlicher Manipulation – oder auch schlicht aus Unwissenheit – sachlich falsche Informationen mit ihren Reportagen auf den Markt werfen.

Sogar der vielzitierte Professor Sinn glaubt daran, dass ALG-II-Empfänger immer noch einen Anspruch auf zusätzliche Sachleistungen wie etwa einen Kühlschrank hätten, und bestreitet deswegen ernsthaft, dass diese Personengruppe tatsächlich von Armut betroffen sein könnte, obwohl sie es schlicht und ergreifend definitiv ist. Bedauerlicherweise wird Herrn Sinn unüberprüft viel Raum für seinen Unsinn gewährt! Wir Betroffenen und Nachdenklichen, die wir rechnen können, wissen das besser!

Selbst von der Kirche kommt endlich ein weihnachtlicher Aufschrei, in dem von der Politik verlangt wird, sich doch stärker den Arbeitslosen und Armen zuzuwenden. Durch die Massenarbeitslosigkeit wird eine Verfestigung der Armut hervorgerufen! Die durch Hartz IV staatlich verordnete und produzierte Familienarmut betrifft im eigentlich reichen Deutschland immer mehr arme Kinder! Inzwischen ist schändlicherweise bereits jedes siebte Kind auf Sozialhilfe angewiesen! Die niedersächsische Landesbischöfin Margot Käßmann hob hervor, dass Kinder in vielerlei Hinsicht ein himmelschreiendes Unrecht mitten unter uns erleiden. Sie beklagte auch eine „Armut an Achtsamkeit“.

Mir stieß es auf, wie Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen allerliebst lächelnd die Schirmherrschaft über die „Tafeln“ übernimmt und die Verkös­tigung von ungefähr einer halben Million bedürftiger, armer und hungriger Menschen durch die „Tafel“-Bewegung für ein „Musterbeispiel“ hält. Offenbar hat sie nicht verstanden, wie sehr die Würde der ALG-II-Empfänger, wenn diese sich wöchentlich für Almosen in Form von Lebensmitteln anstellen müssen, permanent mit Füßen getreten wird. Wir wollen über ausreichend Geld verfügen, um genauso wie alle anderen in normalen Supermärkten einkaufen zu können. Keine Armut an Achtsamkeit eben!

Auch durch sinkende Reallöhne bei rasantem Anstieg der Mieten und explodierenden Energiepreisen können viele Mieter ihre Wohnungskosten nicht mehr zahlen und suchen händeringend nach günstigerem Wohnraum. In den Großstädten ballt sich die Armut, vertieft sich die Kluft zwischen Arm und Reich. Immer mehr Familien mit prekärem Einkommen müssen sich die heruntergekommenen Siedlungen am äußersten Stadtrand mit den „ALG-II-Familien“ teilen. Dauerhafte materielle Armut birgt die Gefahr von Angst als Grundgefühl, von permanenter Reizbarkeit, zunehmender Sprachlosigkeit unter den Familienmitgliedern und Resignation durch das tägliche Erleben gesellschaftlichen Ausgegrenztseins!

Hier werden denkbar schlechte Bedingungen für ein Leben in Würde, ein Aufwachsen von Kindern im behüteten Umfeld ihrer Familien geschaffen. Ich möchte sogar behaupten, dass es auf diese Weise nahezu verunmöglicht wird! So verwundert es mich überhaupt nicht, dass sich die Zahl der Kindesmisshandlungen laut Statistik des Bundeskriminalamtes in den vergangenen zehn Jahren um 50 Prozent verdoppelt hat. Es gibt immer mehr Menschen, die in Deutschland – aus Armut an Achtsamkeit – auf der Schattenseite des Lebens vegetieren müssen.

Zur Weihnachtszeit sollten wir uns bewusst machen, dass Maria und Joseph mit ihrem herzigen Jesulein in Deutschland, ebenso wie die anderen 95 Prozent der asylsuchenden Antragsteller, abgewiesen und abgeschoben worden wären! Den Medien obliegt eine genauso große Verantwortung gegenüber den Ärmsten der Armen und in besonderem Maße ihren unschuldigen Kindern wie den Politikern selbst. Statt dramatische Einzelfälle aufreißerisch von allen Seiten zu beleuchten und sich um die medienwirksamsten Schlagzeilen zu bemühen, sollten sie lieber an einer gesellschaftlichen Neuverteilung mit mehr Gerechtigkeit mitwirken!

Elisabeth Graf (parteilos)
„Zeitbombe tickt“: Zahl der Einsprüche gegen Hartz IV
steigt immer weiter an („Tagesspiegel“)
 
Einseitige Interessenausrichtung: Die Inhalte der Politik
sind ein Desaster („Nachdenkseiten“)
 
Wohnnebenkosten um 7,2 Prozent gestiegen : Größte Preistreiber 2006 waren Gas mit +17,2 und Heizöl mit +10,8 Prozent („Immobilien-Zeitung“)
 
Fakten zurechtgerüttgert: Die Aufmerksamkeit des Publikums
wird mit Reden und Gesten auf Nebensächlichkeiten gelenkt,
damit es die Gaukelei nicht bemerkt („Nachdenkseiten“)

 

Vier Stunden Wartezeit für das Vertröstungsschreiben

Hans-Dieter BinderÜber den E-Mail-Verteiler erreichte uns die Mitteilung, dass in Wiesbaden nicht alle Hartz-IV-Betroffenen eine Überweisung ihrer Leistungen zum 1. Januar 2007 erhalten haben. Bei ihnen konnten Überweisungen von Miete und Strom nicht durchgeführt werden. Das Wiesbadener Stadtparlament habe anscheinend vor circa drei Monaten eine diesbezügliche Entscheidung getroffen, dass zu Neujahr nicht ausgezahlt werde. Möglicherweise seien die verspäteten Auszahlungen ein Trick für die Statistik, damit ein Teil der Gelder nicht 2006 verbucht werde und somit vorerst nicht in der Jahresbilanz auftauche.

Auch für Bremen wurden zwischen Weihnachten und dem Jahresanfang keine Folge- oder Anfangsbescheide erstellt. Die Erwerbslosen haben somit kein Geld erhalten. Auf Verlangen wurde bar ausgezahlt und für den Vermieter ein „Vertröstungsschreiben“ erstellt, Wartezeit: circa vier Stunden! Der darin genannte Grund lautet, die elektronische Datenverarbeitung in Nürnberg sei ausgefallen. Darunter hat auch die Statistik gelitten!

Hans-Dieter Binder (WASG)
 
Weise droht Zwangshaft: Bundesagentur verweigert Übermittlung der Daten offener Stellen an die Kommunen („Spiegel-Online“)
 
Bund verantwortlich für Armutsbekämpfung: Aber CSU hetzt
gegen Selbsthilfeinitiativen, die „Tipps zur Erschleichung
von Sozialtransfers“ gäben („MV Regio“)
 
„Schlicht peinlich“: Bearbeitungschaos bei der Bagis („Weser-Kurier“)
 
ALG-II-Kürzung gefordert: Landesminister Haseloff vermisst „Anreize“
zur Heizkostensenkung („Mitteldeutscher Rundfunk“)
 
Sparwahn mit Selbstüberlistung: Sozialamt muss nach Umzugsaufforderung 3.000 Euro Renovierungskosten übernehmen („Focus“)
 
Verarmungspolitik: Geplante Stellen für Landzeitarbeitslose
sind nur Hartz-Propaganda („Berliner Umschau“)
 
„Lebenslüge“: Vollbeschäftigung ist nicht durch Entlastung
von Unternehmen zu erreichen („Spiegel-Online“)
 
„Kleineres Übel“: Revolutions-Engel analysiert Knechtschaft der
Gewerkschaften unter der Großen Koalition („Rote Fahne“)
 
Ist doch gar nicht so schlimm: Schäuble will Sie
alle abknallen lassen („Spiegel-Online“)
 
Per Transrapid durch den Flughafen: Stoiber macht
Satiriker arbeitslos („Süddeutsche Zeitung“)
 
Besucherrekord: Im Dezember durchschnittlich 339 “Visits”
(1.825 “Hits”) pro Tag auf der Homepage der Bremer Montagsdemo

 

VIPs an Silvester
in den Mund geschoben

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Reformkurs festhalten und dabei vor allem die Arbeitslosen in den Würgegriff bekommen. Die damit verbundenen Anstrengungen und Härten zahlten sich „nach einiger Zeit der Verfolgungsbetreuung“ aus, wie die 2006 um fast zweieinhalb Millionen manipulierte Erwerbslosenzahl zeige, sagte die Kanzlerin am Sonntag in ihrer vorab verbreiteten Neujahrsansprache. „Statistik“ heiße das Zauberwort für dieses seit Monaten zu beobachtende Phänomen, wobei „famoserweise“ die offizielle Zahl der Arbeitslosen sinken könne, während gleichzeitig die der Leistungsempfänger bei den Arbeitsämtern steigt.

„Wir wollen mehr Chancen am Arbeitsmarkt insbesondere auch für diejenigen eröffnen, die es schwerer als andere haben“, sicherte Merkel zu. Das seien die Älteren, geringer Qualifizierte und Langzeitarbeitslose. „Dazu wollen wir einen Teil der Ein-Euro-Stellen in 100.000 neue Jobs umwandeln, die nun keiner zeitlichen Begrenzung mehr unterliegen, sondern nur noch einer monetären.“

Allen solle die Chance geboten werden, aus der Arbeitslosenstatistik entfernt zu werden. Neben weiteren Arbeitsmarktmaßnahmen müssten zugleich die Erziehungskraft der Familien gestärkt und die hart umkämpfte Gesundheitsreform vorangebracht werden. Diese Kraft messe sich bisher vornehmlich an der Zahl der gemeldeten Kindesmisshandlungen, die in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen ist. Durch das neue Elterngeld würden von jetzt an nur noch die potentiell richtigen Eltern zum Kinderkriegen ermuntert und finanziell unterstützt. „Die Rede ist natürlich von den Besserverdienenden! Armut muss man ausbluten lassen.“

Der SPD-Vorsitzende und Mainzer Regierungschef Kurt Beck sowie führende Kirchenvertreter betonten in ihren Ansprachen zum Jahreswechsel vor allem den asozialen Aspekt ihrer Reformen. Arbeitslose müssten mehr daran erinnert werden, wie sehr sie der Gesellschaft mit ihrer individuellen Problematik auf der Tasche lägen. Auch wenn die Belastungen für die Kommunen durch höhere Heizkosten von den Energiekonzernen zu verantworten seien, müssten sie selbstverständlich bereitwillig von den Arbeitslosen übernommen werden. Deren Wohnräume dürften nur noch „bis zu maximal 13 Grad warm“ beheizt werden.

Beck rief in seiner Neujahrsansprache zu mehr sozialer Verantwortung auf. „Jede und jeder in unserem Land – gleich welcher Herkunft – muss die Chance erhalten, am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand teilzuhaben“, sagte der SPD-Politiker. „Darum verkünden wir voller Stolz, dass es uns gelungen ist, die Zahl der in Armut aufwachsenden Kinder auf nur 2,5 Millionen zu verdoppelt zu haben! Es hätte ja auch zu einer Vervierfachung kommen können.“

Die Chance, Bildung zu erwerben und am gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben, dürfe nicht von der Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern abhängen. „Deswegen hat bei uns ein Akademikerkind immerhin viermal so große Chancen, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben, wie ein Facharbeiterkind! Das ist doch schon mal was.“ Trotz der Erfolge auf dem Arbeitsmarkt bleibe es das wichtigste Anliegen, Arbeitsplätze zu schaffen. Denn nur durch einen Arbeitsplatz könne sich ein jeder als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft empfinden. Die Bezahlung sei „eher nebensächlich“. Schließlich könne sich jeder in die Mühlen von Hartz IV begeben und seinen Lohn auf ALG-II-Niveau aufstocken lassen.

Beck hatte zuvor eine Debatte über den weiteren Reformkurs der Großen Koalition ausgelöst und gefordert, über die geplanten Rechtsänderungen wie auch die Gesundheits- und Rentenreformen hinaus den Bogen in der sozialen Frage nicht zu „überspannen“. Wenn zum Beispiel ein Oberlandesgericht entschieden habe, dass ein gewerblicher Mieter weniger Miete bezahlen muss, weil sich unter den Besuchern in seinem Bürohaus eine große Anzahl von Hartz-IV-Empfängern befindet, sei daraus nur die Notwendigkeit einer „Institutionalisierung“ der Gettobildung für Langzeitarbeitslose abzuleiten, um den Vermietungswert von Häusern und Grundstücken nicht zu gefährden.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, forderte in seiner Silvesterpredigt im Mainzer Dom, einige „Schwächen“ und „Entgleisungen“ des Sozialsystems zu korrigieren. „Wir haben zu viele Aufgaben dem Staat aufgebürdet, und der hat dann ja teilweise ziemlichen Mist verbockt“, sagte der Mainzer Bischof. Der Sozialstaat sei umzubauen. Arm und Reich klafften oft weit auseinander.

„Die Rede von einer Zweidrittelgesellschaft ist nicht nur ein Gespenst, sondern eine ganze Parallelgesellschaft voller Nachtmahre“, so Lehmann. Mit der hohen Arbeitslosigkeit dürfe sich die Politik nicht abfinden, sondern müsse sie für sich benutzen, das heißt klar auf Seiten der Unternehmer zu sein. Noch seien nicht alle Reformen bewältigt. „Manches, was sich ändern muss, wird noch schmerzlich bleiben oder werden, besonders für die Arbeitslosen, weil nur sie den Gürtel enger schnallen müssen.“

Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, forderte „mehr Menschlichkeit“ im Umgang mit sozialen Problemen wie der Arbeitslosigkeit. Bei jedem Arbeitslosen gehe es um eine Lebensgeschichte, um Hoffnungen und Sehnsüchte. Weiter sagte Wetter, er habe nicht den Eindruck, dass sich Arbeitslose „nur zu waschen oder zu rasieren“ bräuchten, um sofort wieder in eine Arbeit vermittelt werden zu können. Schließlich müssten sie sich „auch noch kämmen“. Damit kritisierte er Beck, der es im Dezember unterlassen hatte, einem pöbelnden Arbeitslosen diesen Rat zu geben.

Merkel sagte zum Reformkurs, Europa gelinge gemeinsam nur, wenn alle zu Hause im eigenen Land ihre „Hausaufgaben“ machten. Die wirtschaftliche Belebung dürfe nicht wie oft in früheren Jahren nur zum „Strohfeuer“ werden, sonst werde alles „nur noch schwieriger“. Die Reformpolitik bleibe unverzichtbar, dazu gehörten auch Änderungen bei Pflegeversicherung, Unternehmensbesteuerung und am Arbeitsmarkt.

Sie wisse sehr wohl, welche Lasten für die Bürger mit manchen Entscheidungen verbunden seien. Um die gelungene Diskrepanz zwischen Unternehmensprofiten und Reichtumsverteilung in Deutschland zu erhalten, dürften die Macht und die politischen Entscheidungen in unserem Land konsequenterweise nur noch von großen wirtschaftlichen Interessen und ihrer neoliberalen Ideologie bestimmt werden. Die Kanzlerin schloss mit den Worten: „Prosit Neujahr, nicht wahr!“

Elisabeth Graf (parteilos)
 
Pogromstimmung: Deutschlands „frechstem Arbeitslosen
soll die Unterstützung gekürzt werden („Bild“-Zeitung)
 
Einmal Waschen und Rasieren, bitte: 50 Erwerbslose
machen sich vermitelbar („DDP“, „Tageszeitung“)
 
„Fahr zur Hölle“: Saddam zurück im Erdloch („Bild“-Zeitung)
 
„Hausfrauisierung“: Nichtlohnarbeit wird mit
Ein-Euro-Jobs ausgeweitet („Junge Welt“)
 
Manipulation: Obwohl die Zahl der ALG-II-Empfänger immer wieder nach oben korrigiert wird, sinkt die offizielle Arbeitslosenzahl („Tageszeitung“)
 
Nötigung: Sachbearbeiter fordern unter Kürzungsandrohung sofor­tige Zustimmung zu unerbringbaren Aktivitäten („Tageszeitung“)
 
Hartz-Mythen geplatzt: Für echten Aufschwung
sorgt nur das milde Wetter („Tageszeitung“)
 
Fingerabdrücke abgenommen: Magdeburgerin redet
am Offenen Mikrofon („Rote Fahne News“)
 
Druck der Straße wird größer: 3,2 Millionen Franzosen
sind „schlecht untergebracht“ („Spiegel-Online“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz