5. Bremer Montagsdemo
am 13. 09. 2004  I◄◄  ►►I

 

Mit Hartz IV wird
gegen die Wand gerannt!

Ursula GatzkeDas haben unsere Politiker noch nicht erkannt! Hartz IV macht die Menschen wütender, ängstlicher, ärmer, kränker, manche sogar krimineller! Das „Armenkarussel“ dreht sich immer schneller! Hartz IV macht die Reichen noch fröhlicher, gesünder, satter und reicher! Reichtum macht blind, Armut macht bleicher!

Wir stehen hier, haben „nicht alle Tassen im Schrank“, denn wir sind wegen Hartz IV herbeigerannt! Nun bin ich hier wieder und schrei ganz laut: Die Politiker haben mit Hartz IV auf Sand gebaut!

Man kann nicht nur kürzen und streichen, hier und dort, denn außerdem nimmt man uns den Arbeitsplatz fort! Her mit Arbeit und gutem Geld, nur so wird eine bessre Welt!

Was bringen Ein-Euro-Arbeitsplätze uns nun? Wer noch eine Stelle hat, kriegt nichts mehr zu tun! Wir steigen alle tiefer ins „Armenloch“, genau dazu haben wir Hartz IV ja doch!

Hartz IV soll uns retten aus aller Not, doch immer noch schlechter wird unser Brot! Gebt mir doch ein Pöstchen für ein Euro zehn, ich würde so gern am „Hartz-IV-Knöpfchen“ drehn! Und wär ich ab morgen ein Schuster, ich machte Hartz IV schnell ganz duster!

Ursula Gatzke (parteilos)

 

Wie solidarisch sind unsere Gewerkschaften?

Das zur Goethezeit aus dem Französischen übernommene Wort „Solidarität“ bedeutet „Zusammengehörigkeitsgefühl, Gemeinsinn, enge Verbundenheit“. „Solidarisch“ ist ursprünglich ein Rechtsbegriff und heißt „gemeinsam, miteinander übereinstimmend, füreinander einstehend, eng verbunden“.

Bettina FenzelHauptziel der Gewerkschaften in den westlichen Ländern sind laut bürgerlichem Lexikon „neben Einrichtung und Erhaltung der Vollbeschäftigung die Vergrößerung des Arbeitnehmeranteils am Sozialprodukt, die soziale Sicherung der Arbeitnehmer und die Mitbestimmung. Durch Abschluss von Tarifverträgen werden Verbesserungen der Arbeits- und Lohnbedingungen sowie Arbeitszeitverkürzungen angestrebt.“

Im Buch von Olga Worolbyowa und Irma Sinelikawa „Die Töchter von Marx“ heißt es über die englischen Gewerkschaften: „Der Aufschwung der Arbeiterbewegung in den 1870er Jahren in England führte dazu, dass Tausende von Arbeitern in die einzigen zu jener Zeit in England existierenden Organisationen des Proletariats, die Gewerkschaften, strömten. Diese erfassten damals jedoch nur qualifizierte Arbeiter. Gegen Ende der achtziger Jahre entstanden neue Trade-Unions, die auch ungelernte Arbeiter aufnahmen und einen kämpferischeren Geist bewiesen als die alten Gewerkschaften, die den Kapitalismus und seine Ordnung anerkannten und legendlich einige Zugeständnisse von den Unternehmern erstrebten. Die neuen Trade-Unions erhoben viel radikalere Forderungen: Sie kämpften um den Achtstundentag, und das nicht mehr auf dem Weg von Kompromissen mit den Fabrikanten, sondern durch Streiks und Ausstände. So strebten sie danach, die Lage der Arbeiter zu verbessern.“

Solidarität, Beistand und gegenseitige Hilfe sind nicht einzuklagen, da sie aus dem Herzen kommen. Unsere Aufgabe ist es, über die unsolidarische Politik aufzuklären, die Gewerkschaftsführungen und rot-grüne Regierung gemeinsam betreiben, wodurch sie den Beschäftigten Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen und Arbeitsplatzverlust bereiten und uns in Sklavenarbeiterverhältnisse treiben. Seit uns die Globalisierung des Kapitals aussaugt, ist es Aufgabe der Gewerkschaften und aller Kritiker dieser Entwicklung, international dagegen anzugehen. Alle Menschen, die ein besseres Leben wünschen, sollen aufstehen!

U. Niemöller aus Dresden hat ein Gedicht verfasst: „Als man ihnen sagte, es wird niemand mehr eingestellt, schwiegen alle, denn sie hatten ja ihren Arbeitsplatz. Als man ihnen sagte, die Befristeten werden nicht verlängert, dachten sie, die finden schon wieder etwas. Als man ihnen sagte, die Auszubildenden werden nicht übernommen, dachten sie, wenigstens haben wir eine Ausbildung. Als man ihnen sagte, die Hälfte der Belegschaft wird entlassen, atmeten sie tief durch, denn es war ja nicht ihr Arbeitsplatz. Und als man ihnen sagte: Ihr seid entlassen! war keiner mehr da, der sich mit ihnen gegen das Unrecht wehren konnte“. Kämpfen wir solidarisch miteinander, um dies nicht wahr werden zu lassen!

Bettina Fenzel (parteilos)

 

Alle gemeinsam gegen
Sozialkahlschlag!

'Es reicht!'Der Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme hat in Deutschland verschiedene Namen: Agenda 2010, Hartz, Rürup und Gesundheits-„reform“. Damit betreibt die Schröder/Fischer-Regierung die größten Angriffe auf die Rechte, Lebens- und Arbeitsverhältnisse seit dem Zweiten Weltkrieg. Nahezu alle sind betroffen: Menschen in ungesicherten oder in Normalarbeitsverhältnissen, Erwerbslose, Illegalisierte, Frauen, Flüchtlinge, Jugendliche und Rentner(iinnen).

Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes macht sie Millionen von Erwerbslosen zu Sozialhilfebezieher(inne)n. Das Hartz-Konzept bereitet Lohnsenkungen den Weg, höhlt Tarifverträge aus – wie die Streichung von Weihnachtsgeld im öffentlichen Dienst – und fördert den Arbeitszwang. Für Zahnersatz und Krankengeld sollen wir in Zukunft selbst aufkommen, Eintrittsgeld beim Arzt und höhere Zuzahlungen für Medikamente sind geplant: Wir sollen 20 Milliarden Euro mehr zahlen!

Die Renten sollen so abgesenkt werden, dass die meisten Rentner(innen) in Zukunft nicht mehr haben als Sozialhilfe und die Altersarmut steigt. Flächentarifverträge sollen abgeschafft, der Kündigungsschutz gelockert und das Streikrecht der Gewerkschaften beschränkt werden. Die Arbeitsbelastungen steigen, mit gravierenden Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten.

Geld und Reichtum sind da. Den Unternehmerverbänden und einer großen Koalition aus SPD, Grünen, CDU und FDP geht es nur darum, den Banken und Konzernen auf unsere Kosten höhere Gewinne zuzuschieben. Sie sind es, die für Arbeitslosigkeit, leere Staatskassen und Krisen verantwortlich sind. Tatsächlich hat sich die Produktivität in den letzten zehn Jahren verdoppelt, und der private Reichtum von wenigen ist enorm gewachsen.

Die Senkung der Steuern auf Gewinn und Vermögen ab 2001 spülte bisher 30 Milliarden Euro jährlich in die Kassen der Unternehmen. Der Verzicht auf die Vermögenssteuer belässt den Reichen jährlich 16 Milliarden Euro mehr auf ihren Konten. Die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes von 48,5 auf 42 Prozent wird in gleicher Höhe durch Kürzungen bei Erwerbstätigen und Erwerbslosen von sechs Milliarden Euro finanziert.

Der Ausbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee, für Auslandseinsätze wird mit 130 Milliarden Euro bis 2015 betrieben, während mit Antiterrorpaketen die „Innere Sicherheit“ verschärft durchgesetzt werden soll. Der internationale Standortwettbewerb der großen Konzerne führt auch in anderen Ländern durch die Regierungen zu „Strukturanpassungen“, Senkung von Unternehmersteuern, Kürzung von sozialen Leistungen, Löhnen und Gehältern.

In Frankreich, Spanien und Österreich hat diese Politik große, erfolgreiche Proteste und Streiks ausgelöst. Auch wir dürfen diese dreisten Angriffe nicht länger hinnehmen! Wir dürfen uns nicht spalten lassen und müssen unsere Interessen in die eigenen Hände nehmen! Wir lehnen alle Angriffe auf den Lebensstandard der Masse der Bevölkerung ab! Wir fordern die umfassende Heranziehung der Unternehmensgewinne und hohen Vermögen zur Finanzierung menschenwürdiger Lebensverhältnisse für alle!

Flugblatt des „Bremer Sozialplenums

 

Wir lassen uns vom
Landesvorsitzenden der SPD
nicht die Butter vom Brot nehmen!

Auf dem Marktplatz waren wir um 17:30 Uhr mit rund 300 Teilnehmern etwas weniger als bei den vorangegangenen Treffen. Eingeleitet wurde die Auftaktkundgebung mit offenem Mikrofon durch einen der Moderatoren, der, ausgehend von den Schwierigkeiten der Schröder/Fischer-Regierung, die Proteste gegen Hartz IV mit verschiedenen Mitteln (bundesweite Lagezentren beim Verfassungsschutz, Ausrichtung der Presse- und Medienarbeit, Hochjubeln der Faschisten, Spitzengespräche zwischen Gewerkschaften und Kanzler) zu kontrollieren, über die Konferenz in Berlin berichtete, wo, unter Führung von „Attac“ mit Hilfe von PDS und anderen wenig Legitimierten, die Einheit der Montagsdemonstrationen gespalten und eine völlig andere Stoßrichtung mit windelweicher „sozialer Gerechtigkeit“ durchgesetzt worden war.

Viele zeigten sich schockiert von dieser Entwicklung und richtig wütend, hatten wir doch vor 14 Tagen auf der Montagsdemonstration bei ganz wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen der Leipziger Resolution vom 28. August zugestimmt. Die Erhaltung der Selbständigkeit der Montagsdemonstration ist den Beteiligten wichtig und wird immer mit großem Beifall bedacht. So trauten sich einzelne Vertreter von PDS und SAV nur, den Moderator für seinen Beitrag leise persönlich zu kritisieren, nicht aber am Offenen Mikrofon den Kurs der Spalter zu vertreten oder zu verteidigen. Zu einer Diskussion und Entscheidung über den weiteren Kurs der Bremer Montagsdemonstration kam es nicht.

Ein Beitrag verglich die geplanten Zwangsmaßnahmen und die Einschränkungen der persönlichen Rechte und Möglichkeiten, die Hartz IV den Betroffenen zumutet, mit dem scheinbar „harmlosen“ Beginn der Nazi-Gesetzgebung und forderte auf, jetzt dagegen vorzugehen.

Die anschließende Demonstration führte durch die Haupteinkaufsstraße und weiter zum SPD-Büro in Findorff. In diesem Stadtteil und vor dem Parteibüro wurden Protestzug und Kundgebung von vielen Menschen beachtet. Der SPD-Landesvorsitzende Carsten Sieling stellte sich den Demonstranten. Er wollte uns mit gespielt großzügigem Eingehen auf unsere Fragen die Butter vom Brot nehmen. Da war er aber bei uns genau bei den Richtigen! Buhrufe und Pfeifkonzert schallte seinem arroganten Ton entgegen. Mehrere Beiträge von Betroffenen nahmen die SPD-Argumentation und den Bruch von Wahlversprechen aufs Korn. Landen konnte er mit seinen Antworten bei uns nicht. Auf unsere Forderung, dass Hartz IV komplett weg müsse, meinte er nur, dass man für die Schwächsten die Gesetze nochmals durchgucken könne, wo vielleicht noch etwas korrigiert werden müsste, ansonsten sei Hartz IV aber richtig. Das verstärkte unseren Willen, noch mehr zu tun, noch mehr Menschen zu mobilisieren und in den Kampf einzubeziehen, damit Hartz IV, die Agenda 2010 und, wenn erforderlich, die ganze Regierung gekippt wird.

Das Ziel, das SPD-Parteibüro zu besuchen und „denen mal ordentlich Bescheid zu stoßen“, war genau richtig und machte uns kämpferisch. So wuchs der Protestzug auch zahlenmäßig noch an. Einheitliche Rufparolen, vom Lautspecherwagen verstärkt, machten einen viel entschlosseneren Eindruck als bei den Demonstrationen zuvor.

Zu unserem breit bekannt gemachten Auswertungs- und Vorbereitungstreffen kamen noch mehr Menschen, die erstmals dabei waren, als vor einer Woche. Keine einheitliche Meinung gab es zur Terminfrage des Sternmarsches am 2. oder 3. Oktober nach Berlin. Die dahinter stehenden inhaltlichen Differenzen konnten noch nicht geklärt werden. Von allen wurde aber bekundet, dass die Gemeinsamkeit und das vereinheitlichte Handeln der Montagsdemonst­ration erhalten und gewahrt werden muss. Als immer wichtiger wurde erachtet, bei der gegebenen Mediensperre die Mobilisierung in den Stadtteilen anzupacken und Ideen für kulturelle Aktivitäten zu entwickeln.

Gleich zu Beginn hagelte es von PDS, SAV und Wahlalternative Kritik an der Einleitungsrede des Moderators, er habe mit seinem „MLPD-lastigen“ Beitrag die Neutralitätspflicht als Moderator verletzt. Es müsse überlegt werden, ob er diese Funktion noch ausüben dürfe. Der Moderator verteidigte sich und stellte klar, dass er mit seinem Beitrag nur die Montagsdemonstranten über die aktuellen Vorgänge informiert habe. Das Recht der Menschen sei es, alles zu erfahren, damit sie selber über den Weg entscheiden könnten.

Für die vielen parteilosen Aktiven war die geäußerte Kritik völlig unverständlich. Gleiches gilt für den von SAV oder anderen erhobenen Vorwurf, „völ­kisch“ zu sein. Dass hier im „stillen Kämmerlein“ Kritiken auftauchen, die deren Vertreter sich nicht trauen, auf dem Marktplatz vorzubringen, zeigt das geringe Vertrauen in die Massen. Die Wahlalternative startete mit Appellen und Resolutionen immer wieder Versuche, Teilnahme und Führung durch die örtlichen Gewerkschaftsvertreter anzustreben. Als das bei den Teilnehmern nicht ankam, verschwand die Wahlalternative. Von der Kritik am Moderator blieb am Ende nichts übrig, und er wurde einstimmig für das nächste Mal wiedergewählt.

Rote Fahne News

 

Carsten Sieling stellt sich den Montagsdemonstranten

Anthony YoungAm 13. September 2004 versammelten sich mit etwa 300 Teilnehmern etwas weniger Menschen auf dem Bremer Marktplatz als beim letzten Mal.

Die DGB-Landesvorsitzende Helga Ziegert, die sich am letzten Montag zwar „solidarisch“ erklärt hatte, aber aus Termingründen „entschuldigen“ ließ, fand offenbar erneut keine Zeit dafür, zu den Forderungen der Demonstranten und großer Teile der Gewerkschaftsmitglieder nach Rücknahme von Hartz IV Stellung zu nehmen.

Glücklicherweise verbergen nicht alle Bremer Gewerkschaften ihre Meinung über dieses Thema, das seit Wochen Hunderttausende auf die Straße treibt, so konsequent wie Frau Ziegert: Eine Vertreterin der GEW äußerte am Offenen Mikrofon die Solidarität ihrer Gewerkschaft und ermutigte die Demonstranten, in ihrem Engagement nicht nachzulassen.

Eine der größten Einzelgewerkschaften in Bremen unterstützt nun öffentlich die Montagsdemonstrationen. Auf der Verdi-Homepage heißt es: „Steht auf! Nehmt teil an den Montagsdemonstrationen gegen Agenda 2010 und Hartz IV“. Wichtig wäre nur, dies nicht bloß im Internet, sondern beim nächsten Mal auch auf der Kundgebung und vor allem in den Betrieben bekannt zu machen!

Nach den Diskussionsbeiträgen zogen die Demonstranten zum Parteibüro der Bremer SPD in Findorff. Der Landesvorsitzende Carsten Sieling ließ sich keineswegs verleugnen und kam mit einem weiteren Parteisekretär heraus auf die Straße. Ein Mitglied der WASG fragte ihn, ob er zu einer Stellungnahme bereit sei und bat dann bei der Demonstrationsleitung und vor den Kundgebungsteilnehmern darum, ihn sprechen zu lassen.

Auch wenn ihm dabei Wut und Enttäuschung entgegenschlug und diese sich immer wieder in empörten Zwischenrufen Luft machte: Die Demonstranten wollten hören, was der SPD-Vorsitzende zu ihren Forderungen zu sagen hatte. Carsten Sieling äußerte Verständnis für die Unzufriedenheit mit Hartz IV und versprach, sich über die bisher angekündigten Korrekturen hinaus für Verbesserungen im Gesetz zu engagieren.

Mehrere Demonstranten erklärten, dass sie mit kosmetischen Änderungen nicht zufrieden seien und sprachen sich erneut für eine vollständige Rücknahme von Hartz IV aus. Ein Mitglied der WASG zitierte anschließend aus dem Wahlprogramm der SPD, in dem sie sich ausdrücklich gegen eine „Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau“ ausgesprochen hat, und fragte Herrn Sieling unter dem Beifall der Demonstranten, ob die Zustimmung zu Hartz IV dann nicht ein klarer „Wahlbetrug“ sei.

Herr Sieling antwortete ausweichend, dass die SPD schon vor den Wahlen eine „Zusammenlegung“ von Arbeitslosen- und Sozialhilfe angekündigt habe. Einen entsprechenden Hinweis, dass dies im Wahlkampf zwar ein Thema war, aber die Absenkung auf Sozialhilfeniveau damals noch abgelehnt wurde, nahm Herr Sieling nicht weiter auf.

Nachdem die Kundgebung mit Sprechchören „Wir kommen wieder!“ abgeschlossen war, fragten wir Herrn Sieling, ob er zum weiteren Dialog mit den Montagsdemonstranten und zur Beantwortung eines präzisen Fragen- und Forderungskataloges bereit sei. Der Landesvorsitzende begrüßte diesen Vorschlag ausdrücklich. Auf die Frage, ob er außerdem für eine gemeinsame Diskussions- oder Podiumsveranstaltung zu diesen Problemen mit Vertretern der WASG zur Verfügung stehe, bekundete er sein Interesse, meinte aber, er müsse das zunächst in den Gremen seiner Partei diskutieren.

Nach der Demonstration nahm eine Delegation von vier Mitgliedern der WASG am Treffen des Sozialplenums (30 Anwesende) zur Vorbereitung der Montagsdemonstrationen teil. Eine Beschlussfassung über einen mündlich vorgetragenen Resolutionsvorschlag der WASG, der die Fortsetzung der Diskussion mit der SPD sowie mit dem DGB in Bremen präzisierte, wurde auf das nächste Treffen verschoben.

Bericht von Anthony Young (WASG) und anderen bei „Indymedia“

 

Vom Ende der Bewegung in Bremen

Schon die letzten Male zeichnete es sich ab: Die sogenannte „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ versucht massiv, die Montagsproteste zu übernehmen. Diese starteten in Bremen aber nicht von der WASG, sondern vom „Bündnis gegen Sozialkahlschlag“, an welchem unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen beteiligt sind. Die WASG trieb es erst auf die Straße, als die Bewegung bereits entstanden war.

'Den Herrschenden die Zähne zeigen'Es ist nichts Neues, dass Zentralgewerkschaften und Parteien erst tätig werden, wenn die Basis schon aktiv geworden ist. Die WASG ist wie die Zentralgewerkschaften eine sozialdemokratische Organisation, welche die Proteste nicht fördern will, sondern vor nichts mehr Angst hat, als dass Betroffene sich selber organisieren und selbständig ohne Stellvertreter agieren. Der soziale Protest wird hierbei immer auf die politische Ebene gehievt: Statt Klassenkampf in den Betrieben soll Druck auf die Parteien ausgeübt werden.

Dabei wissen wir doch, dass die Parteien und ihre Vertreter nur das befolgen, was die Wirtschaft ihnen vorgibt, und nicht das, was wir wollen. WASG und Zentralgewerkschaften – nun wohl Verdi – sind sich darin einig, die Proteste möglichst schnell unter ihre Kontrolle zu bekommen, um dann in ihrem Namen verhandeln zu können – zulasten der Betroffenen natürlich. Wir erinnern uns noch sehr genau an die schändlichen Tarifverhandlungen der IG Metall in Ostdeutschland!

Parteien und Zentralgewerkschaften sind die Vorposten der Wirtschaftselite. Sie spielen dabei die „Guten“, denen wir vertrauen sollen, an die wir unsere Wut und Energie delegieren sollen, weil wir uns zu schwach fühlen oder einfach nicht das Selbstvertrauen haben. Wer aber die Lösung seiner Probleme an Institutionen wegdelegiert, wird zum Spielball ihrer Interessen. Ihr Ziel ist der Machterhalt, nicht die Lösung unserer Probleme.

Um unsere Angelegenheiten müssen wir uns daher selber kümmern, das macht niemand außer wir selber. Dabei sollten wir uns auch organisieren, aber niemals unsere Macht an andere wegdelegieren. Föderalistische Organisation tut gut! Den zentralistischen Strukturen von Parteien und herrschenden Gewerkschaften sollten wir nicht nur misstrauen, sondern ihnen auch entgegentreten, statt uns von ihnen verarschen lassen! Auf deren Unterstützungsangebote sollten wir mit Erich Kästner antworten: „Nie dürfen wir so tief sinken, von dem Kakao, durch den man uns zieht, auch noch zu trinken.“

Der Protest in Bremen wird jetzt durch das Wegdelegieren an Verdi und DGB (Helga Ziegert) in die falschen Hände kanalisiert, in die Hände, die uns schon so oft verschaukelten. Der Protest wird „gedeckelt“, eingedämmt und schließlich erstickt werden. Die Selbstbestimmung weicht der Indoktrination der Partei- und Zentralgewerkschaftsredner(innen). Immer aggressiver reißt dabei die WASG die Initiative an sich: mit zahlreichen gut getimten Wortmeldungen am Offenen Mikrofon, langen Vorträgen und taktisch gut inszenierten „Resolutionen“ an die „Politik“.

Geschickt verstehen sie es dabei, mit plumper und undifferenzierter Stimmungsmache viele Jas zu erheischen. Wer stimmt anschließend schon gegen eine bereits angeheizte „Ja!“-jubelnde Menge? Nur noch diejenigen, welche dieses Politikantenspielchen durchschauen. Das waren in Bremen nicht mal eine Handvoll von 400 Menschen. Die Proteste haben somit keinen kämpferischen und selbstbewussten Charakter, sondern lediglich einen appellativen: „Bitte, ihr Politiker, seid doch wieder gut zu uns!“

Als die deutsche Nationalversammlung infolge der Revolution 1849 dem König demütig ihre Anliegen vortrug, ließ dieser die protestierenten Politikanten der Nationalversammlung niederkartätschen, während diejenigen, die tatsächlich kämpften, von König und Nationalversammlung gleichermaßen bekämpft wurden. Dieses Prinzip zieht sich durch die ganze Geschichte, wobei heute die Sozialdemokratie mit den Wirtschaftsbossen sogar regelrecht verwachsen ist.

Was die WASG macht, ist auch nicht neu. Sie ist eine sozialdemokratische Abspaltung von ihrer Mutterpartei, der SPD. Sie hat dabei die Aufgabe, frustrierte und enttäuschte Mitglieder letztlich wieder ins Parteiboot zurückzuholen. Dabei treten ihre Sprecher wie gewohnt verbalradikal auf, polemisieren sich in die Herzen der Verzweifelten, beruhigen sie – und werden dann in einigen Monaten oder Jahren wieder mit der SPD fusionieren oder als eigene Partei dasselbe bittere Spielchen mit uns treiben wie die alte SPD.

Das gab es schon einmal, und zwar während des Elends der Weltkriegs- und Nachkriegjahre von 1917 bis 1922 in Form der „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“. Diese bildete sich aufgrund der Proteste gegen die kriegsbefürwortende SPD – nicht um Elend und Hunger zu beenden, sondern um die Proteste wieder in parteipolitische Bahnen zu lenken.

Sie bekämpfte jeden selbstorganisierten Ansatz von Betroffenen, sich von ihren Peinigern aus Wirtschaft, Militär und Politik zu befreien. Sie trat dabei so verbalradikal auf wie heute die WASG. Sie beherzigte dabei genau dieselben intriganten Politikspielchen und versuchte sich ebenso über die Betroffenen zu stellen und sie schließlich zu bevormunden wie heute die WASG. Die WASG wird diejenigen, die an sie glauben, genauso wieder an die herrschenden Verhältnisse ausliefern, wie es damals die USPD tat.

Meiner Meinung nach hat die Sozialdemokratie ausgedient, wie sie sich auch präsentiert: als Zentralgewerkschaft wie Verdi oder IG-Metall, als „Wahlalternative“, als kommunistische Partei – generell als zentralistische Organisation. Ein effektiver und langer, kontinuierlicher Widerstand ist nur möglich, wenn wir, die von den Sozialkürzungen Betroffenen, uns eigenständig selber organisieren und uns nicht von den oben beschriebenen Politikanten verunsichern lassen.

Eine Möglichkeit hierzu bietet die föderalistisch organisierte „Freie Arbei­terinnen- und Arbeiter-Union“, die in Deutschland in allen Bundesländern vertreten und auch international in der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ organisiert ist. Wir denken, dass gegen die international agierende Wirtschaft eine internationale Vereinigung der Betroffenen erforderlich ist, damit sich die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht gegeneinander ausspielen lassen wie aktuell bei Daimler-Chrysler. Wir setzen auf gegenseitige Hilfe und Solidarität, statt auf Stellvertreterpolitik und Kuhhandel!

Stellungnahme von Max Hilse („Freie Arbeiter(innen)-Union“) bei „Indymedia“

Was mich an einigen Ortsgruppen der FAU stört, ist eine gewisse Selbstherrlichkeit. Da wird das revolutionäre Subjekt – der Arbeiter, die Arbeiterin – verklärt dargestellt, als ob es die „Bild“-Zeitung als Arbeiter(innen)bildungsinstitution, verblödende Medien oder den Einfluss rechtsextremer Rattenfänger auf die Arbeiterschaft nicht gäbe.

Eine anarchosyndikalistische Organisation sollte mehr Anspruch haben als zu erreichen, dass Lohnabhängige – in einem der reichsten Länder der Erde – sich selbst organisieren und ihre Pfründen retten. Zudem sollte es die FAU nicht mit der Arroganz gegenüber anderen aktiven Gruppen übertreiben. Es langt aus, mit sachlichen Argumenten die Vorteile des Anarchismus aufzuzeigen. Wichtiger als sich auf die Geschichte der Sozialdemokratie zu berufen, ist die Beschreibung des Hier und Jetzt. Auch die Geschichte der FAU ist nicht immer ruhmreich.

Anmerkung von „Fauista“

Die WASG versucht sich als Haupttreiber der Bewegung in Bremen darzustellen. Seit sie im „Bündnis gegen Sozialkahlschlag“ mitmacht, werden die dort gefällten Beschlüsse von ihr ignoriert. Die WASG versucht, durch basisdemokratische Gruppen als Spinner(innen) abzutun. Als Konsequenz sind in dem Bremer Bündnis fast alle basisdemokratischen Gruppen weggeblieben. Auch das Verhalten der Kleinstparteien hat dafür gesorgt.

Anmerkung von Bernhard Koch

 

Proteste geringer
als in den Vorwochen

Aus Protest gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV sind am Abend vor allem in Ostdeutschland wieder mehr als zehntausend Menschen auf die Straßen gegangen. Die Beteiligung fiel nach Polizeiangaben geringer aus als in den Vorwochen. In Leipzig, einem Schwerpunkt der Demonstrationen, zählte die Polizei 6.000 Teilnehmer, in Berlin waren es mehr als 3.000. Bundesweit waren rund 230 Kundgebungen und Aktionen angemeldet.

Die Diskussion über die Äußerungen von Bundespräsident Köhler zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen in Deutschland hält an. Der Kritik vor allem von ostdeutschen Politikern aller Parteien schloss sich der Vorsitzende von „Bündnis90/Die Grünen“, Bütikofer, an. Er bezeichnete die Äußerungen als bedauerlich. Bei den Ostdeutschen komme die Botschaft an: „Gebt euch zufrieden, mehr Gleichheit gibt es nicht“, sagte Bütikofer der „Berliner Zeitung“.

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Stiegler nannte Köhlers Worte eine Aufforderung zur Resignation. FDP-Chef Westerwelle meinte dagegen, Köhler habe Recht. Die Politik müsse für Chancengleichheit sorgen, könne aber nicht gleiche Ergebnisse garantieren. Die CDU-Vorsitzende Merkel betonte, es stimme nun einmal, dass es Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen gebe.

Deutschlandradio“ am 13. September 2004

 

Nix über Montagsdemos

Als langjähriger Leser der „Tageszeitung“ wundere ich mich schon seit einigen Wochen darüber, dass die Bremer Montagsdemos gegen Hartz IV und die Agenda 2010 überhaupt nicht erwähnt werden. Was ist aus meiner ehemals linken und kritischen Bremer Tageszeitung geworden? Es besteht kaum noch ein Unterschied zur neoliberalen Lobhudelei der anderen „normalen“ Tageszeitungen. Es scheint, dass ihr euch genau wie diese zu einem reinen neoliberalen Werbeblatt für Sozialabbau entwickelt habt! Aus welchen Grund soll mann/frau euch dann noch lesen? Ich werde es mir ab jetzt genau überlegen, ob ich am Kiosk noch zu eurer Zeitung greife, und bin froh darüber, dass ich kein Abo habe!

Leserbrief von Roland Maréchal an die „Tageszeitung Bremen
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz