SPIEGEL ONLINE - 09. Dezember 2005, 13:43
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Ostsee-Pipeline
 
Schröder übernimmt Führungsjob bei Gazprom-Konsortium

Schon in seiner Amtszeit als Kanzler fiel Gerhard Schröder wegen seiner guten Kontakte zum Kreml auf. Nun übernimmt er eine führende Rolle in dem Konsortium, das die umstrittene Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland baut.

Babajewo - Der Altbundeskanzler werde Aufsichtsratschef des Pipeline-Konsortiums NEGP Company tätig, sagte der Chef des russischen Gaskonzerns Gazprom, Alexej Miller, heute in Babajewo am Rande der Zeremonie zum Baubeginn der Pipeline. Er solle die Interessen der Aktionäre vertreten. Weder Schröders Büro in Berlin noch das Bundeswirtschaftsministerium konnten die Angaben zunächst bestätigen.

Das Bau-Abkommen zwischen Gazprom und den deutschen Konzernen BASF und E.on war im September im Beisein von Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Berlin unterzeichnet worden.  An dem Betreiberkonsortium hält Gazprom die Mehrheit von 51 Prozent. BASF und E.on teilen sich den Rest je zur Hälfte. Das Projekt ist für weitere Partner offen.

Kritik aus Polen und dem Baltikum

Ab 2010 wollen der russische Gasriese und die deutschen Konzerne sibirisches Gas nach Westeuropa pumpen. "Deutschland erhält durch die neue Pipeline eine direkte und zuverlässige Anbindung an die riesigen russischen Erdgasvorkommen", sagte E.on-Chef Wulf Bernotat heute bei der Zeremonie.

Die russischen Gasreserven machten mit rund 48.000 Milliarden Kubikmetern gut ein Viertel der weltweiten Gasreserven aus.     Um das russische Gas wird angesichts des steigenden Energiebedarfs weltweit gebuhlt. Aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder China konkurrieren darum inzwischen mit Westeuropa.     

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos bezeichnete die Pipeline als einen Meilenstein in der Zusammenarbeit beider Länder im Energiesektor. "Ich betrachte es als eine wichtige gemeinsame Aufgabe, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Unternehmen unserer beiden Länder diese Energiepartnerschaft ausbauen können", sagte der Minister. Glos war auf seiner ersten Auslandsreise als Wirtschaftsminister am Vortag bereits mit Putin zusammengetroffen. Die neue Pipeline sei über die deutsch-russische Bedeutung hinaus auch wichtig für die Energieversorgung Europas, sagte Glos.     

Vor allem Polen und die baltischen Staaten kritisieren das Ostsee-Projekt heftig, die neue, dritte Pipeline von Russland nach Europa sollte ursprünglich über ihre Territorien laufen. Das hätte diesen Staaten erhebliche Transitgebühren eingebracht. 

Für BASF-Chef Jürgen Hambrecht ist die neue Pipeline aus Gründen der Versorgungssicherheit in Europa dringend nötig. "Europas Erdgasbedarf wächst, seine Eigenproduktion sinkt. Für die nächsten zehn Jahre ist allein für den nördlichen Teil Europas mit einer Verdoppelung der notwendigen Importe auf 290 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu rechnen", sagte Hambrecht.     

Schröders umstrittene Russland-Nähe

Die Pipeline durch die Ostsee soll vom russischen Hafen Wyborg unweit von St. Petersburg über gut 1200 Kilometer bis nach Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern verlaufen. Zunächst ist ein Leitungsstrang mit einer Transportkapazität von 27,5 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr geplant. Später soll eine zweite Trasse folgen. Insgesamt werden die Investitionen auf rund vier Milliarden Euro veranschlagt. Deutschland ist der größte Exportmarkt für den weltgrößten Gaskonzern.

Die Deutschen decken über ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland. Das Gas, das durch die Ostsee-Pipeline fließen soll, kommt größtenteils aus dem westsibirischen Juschno Russkoje, dessen Reserven auf 700 Milliarden Kubikmeter Erdgas geschätzt werden. BASF hat mit Gazprom bereits eine Beteiligung an der Ausbeutung dieses Gasfelds vereinbart, E.on verhandelt noch darüber.

Bereits vor der Bundestagswahl hatte es Gerüchte gegeben, Schröder könne Berater für den staatlich kontrollierten Gazprom-Konzern werden. Damals waren diese kategorische dementiert worden. Gazprom gilt als verlängerter Arm des Kreml und besitzt neben dem Energiegeschäft auch eine Medien-Sparte, die unter anderem den früher regierungskritischen Nachrichtensender NTW übernommen hat.

Wie die "Berliner Zeitung" berichtet, geht Schröders Ernennung auf Initiative der russischen Seite zurück.
 


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SPIEGEL ONLINE - 09. Dezember 2005, 19:23
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Russland-Connection
 
Empörung über Schröders neuen Posten

Das Zustandekommen der Ostsee-Pipeline hat Gerhard Schröder während seiner Kanzlerschaft selbst vorangetrieben. Jetzt steigt er in den Aufsichtsrat der Betreiberfirma ein, die das deutsch-russische Großprojekt baut. Opposition und SPD sind empört.

Berlin - Reinhard Bütikofer ist normalerweise selten um Worte verlegen. Doch auf die Nachricht vom Karrieresprung Schröders macht selbst den Grünen-Chef sprachlos: "Der Vorgang verschlägt mir ein bisschen die Sprache", sagte Bütikofer. Der ehemalige Kanzler profitiere beruflich von einer Entscheidung, die er selbst in seiner Amtszeit wesentlich vorangetrieben habe. Gazprom gehöre zum Kern der neuen Nomenklatura in Russland, auf die sich die zunehmend autoritäre Regierung Putin stützt.

Schröder soll Aufsichtsratschef der North European Gas Pipeline (NEGP) werden. Die Gesellschaft für Entwicklung und Bau der Pipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee gehört dem russischen Gasriesen Gazprom und den deutschen Konzernen E.ON und BASF. Ab 2010 soll sibirisches Gas durch die Pipeline nach Europa gepumpt werden. Schröder hatte die Energiepartnerschaft mit Russland stark gefördert. In russischen Energiewirtschaftskreisen hieß es, Russlands Präsident Wladimir Putin habe sich für die Berufung Schröders eingesetzt.

Der Sprecher der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, Stephan Hilsberg, sagte dem "Kölner Stadtanzeiger": "Da zieht jemand persönlichen Nutzen aus seinen eigenen politischen Entscheidungen." Schröder habe Gazprom den Weg geebnet. "So entsteht der Eindruck, dass jemand durch sein politisches Handeln im Nachhinein Geld verdient." Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle erklärte, falls Schröders Engagement nicht ehrenamtlich sei, dränge sich der Verdacht auf, dass der russische Präsident seinem Kumpel Schröder einen Versorgungsposten verschaffe.

Schröder hatte das milliardenschwere Pipeline-Geschäft dank seiner guten Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin während seiner Amtszeit selbst eingefädelt. An dem Pipeline-Konsortium mit dem Namen Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP) sind Gasprom mit 51 Prozent und die deutschen Konzerne Eon und die BASF-Tochter Wintershall mit je 24,5 Prozent beteiligt. Die Berufung Schröders sei eine Entscheidung aller Projektpartner, sagte ein Sprecher von E.on.

Honorar nicht bekannt

Wann Schröder seine neue Aufgabe antritt und wie viel Geld er dafür bekommen soll, wurde zunächst nicht gesagt. Berichten zufolge verdankt der Alt-Kanzler den Job einem Vorschlag der russischen Seite. Er wird im Januar zudem als Berater beim Schweizer Ringier-Verlag anfangen. Noch im Oktober hatte der Sprecher der abgelösten rot-grünen Bundesregierung, Bela Anda, Berichte über eine mögliche künftige Beratertätigkeit von Schröder für Gazprom dementiert.

Unterdessen wurden in Babajewo rund 400 Kilometer nordöstlich von Moskau im Beisein von Wirtschaftsminister Michael Glos bei winterlicher Kälte die ersten Rohre verschweißt. Die Pipeline soll jährlich 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Sibirien nach Deutschland und Westeuropa transportieren und über 1200 Kilometer unter der Ostsee verlaufen. Die Kosten für das gesamte Unterwasser-Projekt werden auf rund vier Milliarden Euro geschätzt. In Deutschland endet die Pipeline in Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern.

Deutschland ist vom russischem Gas abhängig: Im vergangenen Jahr kamen 35 Prozent der gesamten deutschen Gasversorgung aus Russland. Gazprom ist der größte Gaskonzern weltweit. Die Grünen übten heftige Kritik an dem Projekt. Die Ostseepipeline sei ein Milliardengrab, kritisierten der energiepolitsche Sprecher Hans-Josef Fell und Europaexperte Rainder Steenblock. Einziger Profiteur sei Russland, das künftig direkt und zu höheren Preisen Gas an Deutschland liefern kann, an Polen, Ukraine, Belarus und dem Baltikum vorbei. Dadurch könnten diese Länder einem höheren politischen Druck ausgesetzt werden.

Die Regierungen Polens und der Baltischen Staaten fühlen sich durch den Vertrag zwischen Deutschland und Russland regelrecht düpiert. Die Verlegung über Land hätte ihnen erhebliche Einnahmen aus den Transfergebühren beschert.

Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE ließ der polnische Premier Kazimierz Marcienkiewicz durchblicken, was er von der Personalie hält: Mit gepresster Stimme verweigerte er jeden Kommentar. Sein unterlegener Konkurrent Donald Tusk wurde schon deutlicher: "Der Zusammenhang ist auffällig und er wird die Atmosphäre nicht eben verbessern", sagte er.
 


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