VW-Affäre
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Hartz
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat in der VW-Affäre jetzt auch gegen den früheren VW-Personalchef Peter
Hartz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Verdacht: Untreue.
Braunschweig - Die Überprüfung seiner Aussage habe "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür erbracht, dass Herr Hartz entgegen seinen
Angaben Kenntnis von Art und Inhalt" der Spesenmachenschaften bei VW gehabt hätte, sagte Staatsanwalt Klaus Ziehe. Der Verdacht werde nun weiter geprüft. Heute seien deshalb auch die Arbeitsräume von Hartz bei VW durchsucht und Beweismaterial sichergestellt worden.
VW-Affäre Berlin - Bei der Überprüfung der Zeugenaussagen von Hartz hätten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er unter anderem Kenntnis von einem möglichen Spesenbetrug gehabt und diesen gebilligt oder unterstützt haben könnte, erklärte heute ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Die Behörde bestätigte ferner, dass auch Gebauer zu den Vorwürfen gegen Hartz gehört wurde. Er habe in einer fünfstündigen Vernehmung ausführlich Stellung genommen. Dabei ging es vor allem um angebliche
Luxus- und Lustreisen von VW-Managern und Betriebsräten.
Nach der Durchsuchung erklärte ein VW-Sprecher, der Konzern werde alles zur Aufklärung der Affäre tun. Vorstandschef Bernd Pischetsrieder habe "mehrfach betont, dass alle Hintergründe der Affäre ohne Rücksicht auf Personen und Positionen aufgeklärt werden". Dazu habe VW die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG beauftragt.
Fehler schon vorher eingestanden
Bisher ermittelte die Staatsanwaltschaft lediglich gegen Gebauer, gegen Ex-Skoda-Chef Helmuth Schuster und gegen den zurückgetretenen Betriebsratschef Klaus Volkert. Die Ermittlungen gegen Hartz kommen wenig überraschend. Erst Ende September war der ehemalige VW-Personalvorstand sechs Stunden lang vernommen worden. Danach hatte die Staatsanwaltschaft zwar noch erklärt, dass "mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte weiterhin kein Anfangsverdacht" bestehe.
Hartz hatte aber während des Verhörs schon Fehler eingeräumt. Aufgrund der zwischen den Beteiligten ebenso wie zwischen anderen führenden Mitarbeitern und Topmanagern bestehenden Vertrauensgrundlage hätten "Kontrollen der Verwendung von Geldmitteln zeitweise offenbar nicht in dem erforderlichen Umfang stattgefunden hätten", gestand er damals ein.
Durch die Ermittlungen ergibt sich nun erstmals der Verdacht, dass auch Hartz selbst in die VW-Affäre verstrickt war. In der Öffentlichkeit ist der Ruf des einstigen Vorzeige-Personalers freilich schon lange ruiniert.
Vom Vorzeigemanager zum Lustmolch
Schon der Rückzug Hartz', der im Rahmen des Bekanntwerdens der Affäre seinen Posten als Personalvorstand freiwillig aufgegeben hatte, wurde von vielen als stilles Schuldeingeständnis gewertet. Immer neue pikante Details über Edelprostituierte, Lustreisen und Bordellbesuche für Betriebsratsmitglieder, die aus der Konzernkasse beglichen wurden, versetzten seinem Image immer mehr Kratzer.
Nicht zuletzt überschüttete Ex-Personalmanager Gebauer Hartz mit schwersten Vorwürfen. In einem Interview mit dem "Stern" beteuerte er, Hartz sei in ein System der organisierten Selbstbedienung eingebunden gewesen. Hartz habe ihn unter anderem angewiesen, dem ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert "jeden Wunsch zu erfüllen". Über "Ersatzbelege" seien Prostituierte, Fernreisen und "Handgelder" für Betriebsräte bezahlt worden. Auch Hartz selbst habe sich Prostituierte organisieren lassen: Bei einer Tagung des Weltbetriebsrats habe er Gebauer "in den Ohren gelegen" wegen einer Brasilianerin, die er schon kannte und sich schließlich ein anderes Mädchen aus einem Bordell mitgenommen.
Dabei galt Hartz bis zum Bekanntwerden der Affäre als deutscher Vorzeigemanager par Excellenze. Der Betriebswirt, der sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hatte, handelte als Personalvorstand bei Volkswagen das viel gelobte 5000x5000-Projekt aus, das die Neueinstellung von neuen Mitarbeitern zu etwas schlechterer Bezahlung ermöglichte.
Mit seiner innovativen Personalpolitik beeindruckte Hartz Bundeskanzler Gerhard Schröder so sehr, dass der ihm ohne Weiteres zutraute, was bis dahin niemand geschafft hatte: Hartz sollte eine Kommission zur Ausarbeitung umfassender Arbeitmarktreformen leiten und so den gordischen Knoten der deutschen Marktwirtschaft lösen - das Problem der Arbeitslosigkeit. Das Image der nach dem heute 64-Jährigen benannten Reformen ist inzwischen genauso ramponiert, wie sein eigenes.
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SPIEGEL ONLINE - 07. Oktober 2005, 15:15
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Der tiefe Fall des Peter Hartz
Er galt als großer Innovator der bundesdeutschen Arbeitswelt, entwarf Kernpunkte von Schröders Agenda 2010 und sorgte als Personalvorstand lange Jahre für Frieden bei Volkswagen. Jetzt stellt die Staatsanwaltschaft Peter Hartz im Zusammenhang mit der VW-Affäre nach.
Möglicherweise ist Hartz also tiefer in die Affäre verstrickt als bisher angenommen. Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben Anzeichen dafür gefunden, dass er bei seiner Vernehmung nicht die Wahrheit gesagt haben könnte.
Mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gelangt eine Karriere an ihren Tiefpunkt, die vor wenigen Monaten noch als Musterbeispiel im Nachkriegsdeutschland galt. Als Sohn eines Hüttenarbeiters im Saarland hatte sich Peter Hartz bis an die Spitze vorgearbeitet. Hoch geachtet nicht nur wegen seiner Leistungen als Manager, sondern auch seiner politischen Visionen. Hartz erfand Formeln, wie die "Ich-AG", den "Job-Floater", oder die "atmende Fabrik", in der sich Arbeitszeit und Entlohnung der jeweiligen Auftragslage anpassen. Die Ideen, ursprünglich für Volkswagen und das Umfeld entwickelt, nahm schließlich Bundeskanzler Gerhard Schröder auf. Seither ist der Name Hartz untrennbar verbunden mit einer wichtigen Reform am Arbeitsmarkt.
Seine Karriere begann der Saarländer auf dem zweiten Bildungsweg. Nach dem Abitur studierte er Betriebswirtschaft und heuerte danach in der Stahlindustrie an. Als Mitglied in der IG Metall fand er früh seinen Arbeitsschwerpunkt: Personalfragen. Bei Volkswagen brachte er es nach kurzer Zeit zum Arbeitsdirektor, bis ihn der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch 1993 zum Personalvorstand des Autokonzerns ernannte. Eine glückliche Wahl, wie es schien: Hartz war genau der Mann, der zwischen "denen da oben" und "denen da unten" vermitteln konnte. War unkonventionell, konnte Mitarbeiter mitziehen, hatte diese Mischung aus Eleganz und Kumpelhaftigkeit, die glauben macht, dass der Mensch jeden Aufstieg schafft, wenn das Team funktioniert.
Solche Qualitäten waren gefragt im Vorstand von VW, denn 1993 beschäftigte Europas größter Autobauer deutlich zu viel Menschen. Hartz aber gelang es, Massenentlassungen zu vermeiden, indem er mit der Belegschaft die Einführung der Vier-Tage-Woche aushandelte.
Acht Jahre später beschritt der Personalchef erneut tarifpolitisches Neuland. Gemeinsam mit der IG Metall setzte er nach langen Verhandlungen das Tarifmodell "5000 x 5000" durch. 5000 Arbeitslose sollten unter Umgehung des VW-Haustarifvertrags für einen Bruttolohn von 5000 Mark (2556 Euro) eingestellt werden. Nach anfänglichem Widerstand der Gewerkschaft soll seinerzeit Kanzler Schröder persönlich bei den Tarifpartnern interveniert haben. Heute entstehen nach dem Modell täglich rund 800 VW Touran, ab der zweiten Jahreshälfte 2007 auch der neue Golf-SUV.
Hartz-Kommission als Karrierehöhepunkt
Auf dem Höhepunkt seines öffentlichen Ansehens war der 64-Jährige angelangt, als Schröder ihn im März 2002 an die Spitze einer Kommission zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit und des Arbeitsmarkts berief. Nach dem Skandal um gefälschte Arbeitsvermittlungsstatistiken in der Nürnberger Behörde erarbeitete die 15-köpfige Kommission bis zum Sommer 2002 Vorschläge. Kernpunkte waren die Personal-Service-Agenturen, die Einführung der Ich-AG zum Abbau der Schwarzarbeit und nicht zuletzt die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, dem sogenannten "Hartz IV".
Viele seiner Ideen wurden anschließend im politischen Tagesgeschäft zerrieben. Am Ende galt er bei den einen als Reformer, der die Verkrustungen des Arbeitsmarktes aufbrechen half, bei den anderen stand sein Name für vermeintlichen Sozialabbau und soziale Ungerechtigkeit.
Doch Hartz' Ansehen als Reformer ist inzwischen praktisch vollständig in den Hintergrund getreten. Immer drängender werden die Fragen, was der Manager vom VW-System wusste. Der geschasste VW-Personalmanger Klaus-Joachim Gebauer hat ihn bereits öffentlich beschuldigt, Schmiergeldzahlungen, Luxusreisen mit Prostituierten und Vergünstigungen von Betriebsräten nicht nur geduldet, sondern aktiv daran teilgenommen zu haben.
Michael Kröger
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