Interview mit Henning Scherf
"Große Koalition ist eine Chance"
Von Ampeln und Schwampeln will Bremens Bürgermeister Henning Scherf nichts wissen. Der SPD-Politiker plädiert im Interview mit SPIEGEL ONLINE massiv für eine Große Koalition, die seit zehn Jahren auch an der Weser praktiziert wird.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind in Bremen Chef eines rot-schwarzen Bündnisses. Würde eine Große Koalition auch auf Bundesebene funktionieren?
Scherf: Die Große Koalition ist nach Lage der Dinge die einzige plausible Chance für ein trag- und handlungsfähiges Regierungsbündnis. Für uns in Bremen ist sie seit zehn Jahren eine große Hilfe. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das auch auf Bundesebene funktioniert.
SPIEGEL ONLINE: Aber weder Gerhard Schröder noch Angela Merkel wollen in einem solchen Bündnis der Juniorpartner sein. Wie soll das funktionieren?
Scherf: Eine solch komplizierte Angelegenheit muss man mit Geduld angehen und nicht aus der Hüfte heraus lösen wollen. Aus meiner Sicht muss man zunächst die Sachthemen angehen. Wenn man dort zu tragfähigen Kompromissen kommt, die Deutschland voranbringen, sollte man sich anschließend mit Personalfragen beschäftigen - und nicht umgekehrt.
SPIEGEL ONLINE: Sollte sich Schröder an diese Regel halten und sich gegebenenfalls zurückziehen?
Scherf: Gerhard Schröder hat die SPD aus einem tiefen Tal der Meinungsumfragen herausgekämpft. Das ist eine Riesenleistung. Und trotzdem müssen jetzt alle miteinander aus der Polarisierung des Wahlkampfs wieder herausfinden und sich auf eine gründliche inhaltliche Beratung konzentrieren. Wenn man verhandelt, muss man ganz viel im Kopf haben, sonst kommt man nicht zu einem konstruktiven Ergebnis.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich eine Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit Angela Merkel vorstellen?
Scherf: Auch hier sollten zuerst nicht die Personen im Vordergrund stehen. Es geht darum, zunächst eine Einigung bei den großen Sachthemen des Landes zu schaffen - ob man wirklich eine Steuerreform zustande bringt, einen Konsolidierungspakt für die öffentlichen Haushalte schafft, ob man die großen Probleme auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen zusammen lösen kann. Das sind große, wichtige Projekte, die das Land bitter nötig hat und die nur im Konsens zu lösen sind. Da ist die große Koalition eine Chance.
SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie davon, dass der Kanzler nach israelischem Vorbild nach zwei Jahren vom Juniorpartner abgelöst wird?
Scherf: Das ist einer von vielen Vorschlägen, die es zurzeit gibt. So etwas anzudenken lohnt sich erst, wenn man weiß, dass das Fundament eines solchen Bündnisses trägt.
SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von den anderen Koalitionsmöglichkeiten, von Ampel und Schwampel?
Scherf: Gar nichts. Die Gegensätze zwischen den Parteien und den Akteuren sind so groß, dass daraus nichts werden kann.
SPIEGEL ONLINE: Und wie stehen Sie zur Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung, wie es Egon Bahr angeregt hat?
Scherf: Das ist inakzeptabel und unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Man würde Oskar Lafontaine doch ein viel zu großes Erpressungsmaterial an die Hand geben.
SPIEGEL ONLINE: Weil Sie so große Erfahrungen mit einer großen Koalition haben: Würden Sie in Berlin antreten?
Scherf: Nein, nein, nein. Das muss ein eigenes Projekt derjenigen werden, die in Berlin verhandeln - und da bin ich nicht dabei. Wenn die Verhandlungen gut verlaufen, gibt es auch Chancen für eine personelle Erneuerung. Für mich gibt es in Bremen genug zu tun.
Das Interview führte Alwin Schröder
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