Fischers bedingter Abschied
"Ich will die Freiheit zurück"
Von Yassin Musharbash
Zwei Jahrzehnte war Joschka Fischer eine der prägnantesten Figuren der deutschen Politik. Jetzt will er sich auf die hinteren Bänke zurückziehen - falls die Grünen nicht doch noch an der nächsten Regierung beteiligt sein sollten. "Ein Lebensabschnitt ist zu Ende gegangen", sagt Fischer.
Berlin - Den entscheidenden Satz sagte Joschka Fischer hinter verschlossenen Türen: "Ich will die Freiheit zurück, die ich vor 20 Jahren gegen die Macht getauscht habe", erklärte er den insgesamt 67 versammelten Mitgliedern der alten und der neuen grünen Bundestagsfraktion. Zuvor hatte er seine Prognose mit ihnen geteilt, dass die Grünen wohl oder übel in die Opposition zurück müssten. Fischer wäre dann nicht mehr Außenminister - und heimlicher Chefgrüner mag er dann auch nicht länger sein.
Joschka Fischer, ein einfacher Abgeordneter? So gut wie jeder bei den Grünen hat noch bis gestern gesagt: Er macht es, er wird Fraktionsvorsitzender, er will die großen Redeschlachten gegen Lafontaine/Gysi/Westerwelle für uns schlagen. Doch daraus wird nun nichts. Fischers raue Stimme wird, wenn er erst Hinterbänkler ist, nicht mehr so häufig durch den Bundestag schallen. Es ist auch eine parlamentarische Frontschwein-Karriere, die mit Fischers Ankündigung zu Ende geht. Wer wird nun für die Grünen so treffsichere sprachliche Bilder wie jenes vom Umfragen-Soufflee der Union finden? Auch die grünen Abgeordneten reagierten überrascht auf die Rückzugsansage von "Joschka".
Doch ist dessen Schritt wirklich so überraschend? Fischer ist mittlerweile 57 Jahre alt, sieben Jahre Durch-die-Welt-Fliegen als Außenminister sind nicht nur anstrengend, sie bedeuten auch einen weitgehenden Verzicht auf Privatleben. Gerade letzteres, heißt es von Fischer-Getreuen, habe ihm zuletzt zugesetzt. Fischer will mehr Zeit, mehr Ruhe, das Leben mehr genießen. Er war Vizekanzler, über zwanzig Jahre heimlicher Chef der Grünen, hat sie von der Realpolitik überzeugt und vom unbedingten Pazifismus abgebracht, hat sie für das bürgerliche Lager salonfähig gemacht, hat x-mal in jeder Talkshow gesessen, zuletzt einen sechs Wochen langen Marathon-Wahlkampf geführt, den er körperlich gerade noch bewältigt hat.
Warum soll ausgerechnet er jetzt noch einmal für die Grünen, die mit 8,1 Prozent die kleinste Oppositionspartei werden und die kürzeste Rede- und Sendezeit haben dürften, den großen Zampano machen? Man kann verstehen, dass das nicht mehr die aufregendste Aussicht für Joschka Fischer ist.
Kleine Bosheit zum Abschied
"Es ist eine Zäsur", sagte Fischer heute trotzdem. Und in der Tat, das ist es, für ihn wie für seine Partei. "Wenn nicht jetzt, wann dann?", fügte er sogleich hinzu. Auch das ist eine berechtigte Frage. Denn so, wie die Dinge stehen, wird Fischer wohl nicht der einzige Spitzenpolitiker der Republik bleiben, von dem man künftig weniger sieht. Gut denkbar, dass weitere Protagonisten in naher Zukunft die politische Bühne verlassen. Schröder? Merkel? Westerwelle? Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wo in der nächsten Legislaturperiode ihr Platz sein wird. Aber Fischer ist der erste, und er zieht sich freiwillig zurück. Er bestimmt den Zeitpunkt selbst.
"Es ist Zeit für eine Neupositionierung", sagte er heute über seine Fraktion und Partei. Ob er damit meinte, dass die Grünen künftig auch für die Union zum Koalitionspartner werden könnten und er nicht der richtige ist, diesen Schritt zu begleiten, ließ er offen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass er sich selbst zurücknimmt, vielleicht hat er auch einfach die Schnauze voll vom Polit-Zirkus und sich in Gedanken schon aufs Memoiren-Schreiben oder Bücherlesen eingestellt.
In jedem Fall ließ Fischer heute keinen Zweifel daran, dass er mit seiner Entscheidung im Reinen ist. Kein bisschen bedrückt wirkte er, eher erleichtert. Es ist ja auch kein Rücktritt, den er verkündete, nur ein Nicht-Schritt. Er versagt es sich, noch einmal an entscheidender Stelle in das Räderwerk der Grünen einzugreifen. Er überlässt die Partei jetzt anderen - das Angebot gereifter Spitzenpolitiker ist ja auch nicht so schlecht: Von Künast bis Sager und Kuhn, von Trittin bis Göring-Eckardt gibt es erfahrene Kräfte, die heute schon den Schritt ankündigten, den Fischer für sich ausschloss: Sie alle wollen Fraktionschefs werden. Fischer dagegen sagte, andere Dinge stünden ab sofort im Vordergrund seines Lebens - vorausgesetzt, seine Prophezeiung erfüllt sich und die Grünen gehen in die Opposition, muss man hinzufügen. Weil man bei Fischer nie weiß.
"Jetzt gehe ich nach Hause, tschüss!", rief er den Journalisten am Rande der Fraktionssitzung zu, als alles noch
einmal gesagt und erklärt war. Es mag am Augenblick gelegen haben, aber es klang nach mehr als einer lapidaren Ankündigung seiner nächsten Reiseroute. Dafür, dass es nicht pathetisch wurde, sorgte Fischer dann allerdings ebenso zielsicher selbst - mit einer kleinen, an die Presse gerichteten Bosheit: "Das Schönste an meiner Entscheidung ist, dass ich Sie jetzt auch alle hinter mir habe!"
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH
Fischer-Interview
"Ich will hinten sitzen, nachdenken und schweigen"
In seinem ersten Interview nach der Rückzugsankündigung spricht Noch-Außenminister Fischer über das Leben danach. Er sei der letzte "Live-Rock'n'Roller" der deutschen Politik, sagte er der "taz". Jetzt komme die Playback-Generation.
Berlin - Am Dienstag rief er den versammelten Journalisten noch launig zu: "Und ihr liegt jetzt auch hinter mir". Keine zwei Tage später gibt Fischer schon wieder ein Interview. Ausführlich erläuterte er in der "taz" seine Zukunftspläne und was er von den Koalitionsverhandlungen erwartet.
Eine Regierungsbeteiligung der Grünen hält Fischer für äußerst unwahrscheinlich. "Nach Lage der Dinge wird es auf eine große Koalition hinauslaufen", sagte der Grünen-Politiker. Eine Ampel-Koalition mit der SPD habe die FDP abgelehnt. Wie eine Koalition zwischen Union, FDP und Grünen funktionieren sollte, wisse er nicht. "Aber das wird die grüne Partei entscheiden müssen, ich bin da nicht mehr dabei." Fischer hatte am Dienstag seinen politischen Rückzug bekannt gegeben.
Diese Entscheidung habe nichts mit Kanzler Gerhard Schröder zu tun gehabt, sagte Fischer in dem Interview. Er habe Schröder frühzeitig über seine Zukunftspläne informiert. Das rot-grüne Kapitel, das seine Generation geschrieben habe, sei "unwiderruflich zu Ende". Wenn irgendwann ein neues Rot-Grün entstehe, werde es ein anderes sein, "eingebettet in eine andere Normalität".
"Kultureller Fortschritt"
"Das neue Kapitel müssen die Jüngeren schreiben, vor allem die Unter-40-Jährigen." Die Vorstellung, er hätte etwas dazu beizutragen, sei absurd. "Ich kann aus meiner Geschichte und meiner Haut nicht heraus." Die neuerdings freundlichen Worte von Unionspolitikern über die Grünen seien "ein kultureller Fortschritt, ein Abbau von Feindbildern", sagte Fischer. Das heiße aber noch lange nicht, dass die inhaltlichen Differenzen deswegen wegfielen.
Der Grundsatz müsse sein: "Die politischen Inhalte ziehen die Machtfrage nach sich - und niemals umgekehrt." Nach seinem Rückzug sagte Fischer der "taz", er brauche weder Privilegien noch Leibwächter oder Dienstwagen. Er habe eine faszinierende Zeit erlebt, die er keinesfalls missen wolle. Er habe aber auch unter der Politik gelitten, sagte Fischer. "Wer an der Macht ist, wer politisch gestalten will, ist immer in bestimmte Zwänge eingebunden. Dafür zahlt man einen hohen Preis." Es gebe sicherlich Leute, die sich in den Zwängen wohler fühlen als er. "Ich habe die Politik auch immer genossen. Aber jetzt ist Schluss."
Künftig werde er "hinten im Bundestag sitzen und nachdenken und schweigen". Fischer bezeichnete sich als einen der letzten "Live-Rock'n'Roller" der deutschen Politik. Jetzt komme in allen Parteien die Playback-Generation.
Fischer ließ erkennen, dass er am liebsten schon jetzt "den ganz großen Schnitt" gemacht hätte und sich vollständig aus der Politik zurückziehen würde. Er habe aber fest zugesagt, sein Bundestagsmandat anzunehmen. Ob er allerdings für die volle Legislaturperiode im Parlament sitzen wolle, ließ er offen: "In meinem Alter kann man nicht mehr alles als selbstverständlich voraussetzen."
"Ich liebe mein Land"
Mit Blick auf das Wahlergebnis sagte Fischer, die Anti-68er hätten die Wahl verloren. Das Wahlergebnis finde er großartig: "Ich sage es hier öffentlich: Ich liebe mein Land." Die politische Hauptstadt sei hinweggefegt worden. Alle selbst ernannten Experten hätten falsch gelegen, freute sich Fischer. Dann rechnete er mit den Medien ab: "Für sie gab es einen Satz rote Ohren. Wumm! Diese konservativen Jungchefs in den Chefredaktionen von Spiegel, Zeit und sonst woher, die Journalismus mit Politik verwechseln, müssten sich nach ihrem eigenen konservativen Ehrenkodex eigentlich in das Schwert stürzen - politisch, natürlich."
Er habe nie ein Problem damit gehabt, sich als Linken zu bezeichnen, sagte Fischer weiter. "Der strategische Fehler der Linken war ja, die PDS in den 90er-Jahren nicht integriert zu haben, was die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit einschließt." Auch wenn er wenig von dem teile, was Gysi oder Bisky sagen. "Sie gehören zu dieser Gesellschaft, sie gehören zur Einheit dazu."
In die anstehenden Personalentscheidungen bei den Grünen werde er sich nicht einmischen, sagte Fischer. "Es gibt in der Demokratie keine Entscheidung des alten Leitwolfs, wer ihm wann nachfolgt. Das müssen die Jüngeren untereinander selbst ausbeißen." Er habe sich von seinen Parteifreunden schon in der Vergangenheit mehr Durchsetzungskraft gewünscht. "Die jungen Grünen hätten mich stürzen sollen." Für eine schnellere Erneuerung der grünen Partei wäre sein Sturz "der Preis gewesen, den ich hätte zahlen müssen".
Nun sei er mit sich im Reinen, sagte Fischer. Er bastele an keinem Bild für die Geschichte und sei nicht sein eigener Historiker.
"Dazu liebe ich zu sehr das Leben." Auf die Frage, ob er einen neuen Job habe, sagte Fischer: "Ich habe gar nichts - außer gute Laune."
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH