SPIEGEL ONLINE - 08. September 2005, 11:56
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Nachwahl in Dresden
 
Endergebnis der Bundestagswahl verzögert sich um Wochen

Die Bundestagswahl wird zur Hängepartie. Wegen des überraschenden Todes einer NPD-Kandidatin wurde die Abstimmung im Dresdner Wahlkreis 160 verschoben - und damit das amtliche Endergebnis der Gesamtwahl. Ein vorläufiges amtliches Endergebnis wird in der Wahlnacht verkündet. Doch 219.000 Dresdner könnten zum Kanzlermacher werden.

Dresden - Die sächsische Landeswahlleitung teilte mit, die Wahl in dem betroffenen Wahlkreis 160 müsse nach dem Tod der NPD-Kandidatin Kerstin Lorenz abgesagt und neu angesetzt werden. Lorenz war nach Angaben ihrer Partei gestern im Alter von 43 Jahren gestorben, nachdem sie am Montag bei einer Wahlkampfveranstaltung einen Hirnschlag erlitten hatte und ins Koma gefallen war.

Wann die Wahl nachgeholt wird, steht noch nicht fest. "Wir wollen Zeitnähe, spätestens am ersten Oktober-Wochenende, vielleicht auch noch im September", sagte Sachsens Landeswahlleiterin Irene Schneider-Böttcher. "Das trifft in der Folge andere Entscheidungen wie die Wahl des Bundeskanzlers."

Womöglich steht der Sieger der Bundestagswahl bei einem knappen Resultat nach der Auszählung im übrigen Deutschland also erst später fest. Denn in dem Dresdner Bezirk sind rund 219.000 Menschen wahlberechtigt.

Ungeachtet der Nachwahl wird in der Nacht nach der Bundestagswahl jedoch ein vorläufiges amtliches Endergebnis veröffentlicht. "Es wird noch geprüft, in welcher Form in der Wahlnacht das vorläufige amtliche Endergebnis verkündet wird", sagte Heinz-Christoph Herbertz, Bürochef des Bundeswahleiters Johann Hahlen.

Bei der Bundestagswahl 2002 setzte sich im Wahlkreis 160 die CDU-Politikerin Christa Reichardt mit 33,8 Prozent vor der SPD (31,3) Prozent durch. Damals lag die Wahlbeteiligung dort bei 75,9 Prozent.

In den letzten Tagen sind die Spekulationen über den Ausgang der Wahl spannender denn je geworden. Nach den neuen Forsa-Zahlen hätten SPD, Grüne und Linkspartei eine Mehrheit. Da Kanzler Gerhard Schröder eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen hat, wäre derzeit eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD die wahrscheinlichste Lösung. Eine Umfrage des Instituts Emnid für die "Berliner Morgenpost" ergab ebenfalls einen deutlichen Aufwärtstrend für die SPD, danach würde es aber dennoch weiter ganz knapp für Union und FDP reichen.

Die NPD in Dresden müsse nun einen Nachfolger benennen, teilte die Landeswahlleitung mit. Zudem seien neue Wahlzettel nötig, auch die Briefwahl müsse neu anlaufen. Bereits abgegebene Briefwahl-Stimmen wurden für ungültig erklärt.

Dem Bundeswahlgesetz zufolge muss beim Tod eines Direktkandidaten spätestens sechs Wochen nach der eigentlichen Wahl eine Nachwahl stattfinden. Erst danach kann ein endgültiges Ergebnis veröffentlicht werden.
 


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SPIEGEL ONLINE - 08. September 2005, 16:10
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Dresdner Nachwahlen
 
Staatsrechtler warnen vor Verfassungsklage

Von Lars Langenau

Die Nachwahl in Dresden sorgt für Riesendurcheinander. Völlig unklar ist gegenwärtig, wann welches Ergebnis nach den Bundestagswahlen am 18. September verkündet wird. Staatsrechtler warnen vor verfassungsrechtlichen Fallstricken. Die Linkspartei will gegen die Nachwahl juristische Mittel prüfen.

Dresden: Kartons mit den Stimmzetteln für den Wahlkreis 160 werden aussortiertHamburg - Durch den Tod der NPD-Direktkandidatin Kerstin Lorenz werden 219.000 Menschen in Dresden bereits vor ihrer Stimmabgabe erfahren, ob das Ergebnis ihres Wahlkreises entscheidend für den Ausgang der Bundestagswahl ist oder nicht. "Stellen Sie sich einmal vor, die Wahl geht ganz knapp aus, würden Sie dann nicht strategisch wählen?", fragt der Berliner Staatsrechtler Christian Pestalozza.

Er hält die angekündigte Entscheidung von Bundeswahlleiter Johann Hahlen, trotz des Todes der NPD-Kandidatin das vorläufige amtliche Endergebnis der Bundestagswahl noch in der Nacht des 18. Septembers veröffentlichen zu wollen, für "keck". "Dann wird der Bundeswahlleiter Schwierigkeiten bekommen", prophezeit der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der FU Berlin im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Irgendjemand wird sich bestimmt finden, der dagegen klagen wird", fügt Pestalozza hinzu. "Ich habe mit dieser Entscheidung große Bedenken. Schließlich könnte der Ausgang der Bundestagswahl dadurch beeinflusst werden", sagt er.

Nicht ohne Grund dürfe es im direkten Vorfeld der Abstimmung keine Beeinflussung des Wählers mehr geben. Auch die rund 6,1 Prozent der Wahlberechtigten in Sachsen müssten eine freie und unbefangene Wahlentscheidung treffen können. "Auch wenn es verständlich ist, dass wir schnell ein Ergebnis haben wollen", empfiehlt Pestalozza deshalb, erst die Nachwahl in Dresden abzuwarten, bevor das Endergebnis der Bundestagswahl veröffentlicht wird. Nur so stehe der Bundeswahlleiter auf juristisch sicherem Boden.

Ulrich Battis, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, sagte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Natürlich ist das eine Wahlbeeinflussung; da wird in Dresden dann mancher anders wählen. Doch das nehmen wir hin. Denn so was kommt immer wieder mal vor." Auch der Düsseldorfer Parteienrechtler Professor Martin Morlok sagte dem Blatt: "Die Veröffentlichung der Resultate kann die Wähler in Dresden beeinflussen. Aber das muss man in Kauf nehmen." Wahlen seien ein Massenereignis, bei denen man nicht überall ganz gleiche Bedingungen garantieren könne.

Josef Isensee, Professor für öffentliches Recht an der Bonner Universität, bezeichnete die Situation im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE jedoch als "äußerst prekär". "Es ist ein Dilemma. Denn ist die Wahlgleichheit dann wirklich noch gewährleistet?", fragte er. Auf der anderen Seite sei "es praktisch undurchführbar, dass die Zusammensetzung des neuen Bundestages über Wochen geheim gehalten werden kann". So könne es nun in Dresden - bei einem knappen Ergebnis im gesamten Land - zu dem "heiklen Zustand" kommen, dass es hier zu einem "lokalen Zentralwahlkampf" kommen könnte.

Schon will die Linkspartei den Wahlgang in Dresden am 18. September notfalls mit juristischen Mitteln erzwingen. Entsprechende rechtliche Schritte lasse er gegenwärtig prüfen, sagte Wahlkampfchef Bodo Ramelow der "Thüringer Allgemeinen". Der Wahlkreis sei für seine Partei von strategischer Bedeutung, weil dort die sächsische Spitzenkandidatin Katja Kipping Aussichten auf ein Direktmandat habe.

"Eine äußerst schwierige Frage"

Tatsächlich prüft der Bundeswahlleiter noch, wie er in der Wahlnacht überhaupt das Ergebnis verkünden kann. Dass mehr als 200.000 Dresdner in Kenntnis des Wahlergebnisses wählen könnten, sei "eine äußerst schwierige Frage", sagte der Leiter des Büros des Bundeswahlleiters, Heinz-Christoph Herbertz, der "Sächsischen Zeitung". "Die Alternative wäre aber, in den anderen 298 Wahlkreisen keinerlei Ergebnis bekannt zu geben."

Die Bundeswahlordnung besage, dass durch die Wahlleiter ein vorläufiges Ergebnis festzustellen und mündlich oder in geeigneter Form bekannt zu geben sei. In welcher Form das vorläufige Ergebnis für den Bund veröffentlicht werde, "prüfen wir noch", sagte Herbertz. Darüber müsse man "noch mal in Ruhe nachdenken".

Der Bundeswahlleiter stehe vor dem Problem, "dass er ein vorläufiges Ergebnis für das Bundesgebiet bekannt geben muss, dass er aber von einem Wahlkreis kein Ergebnis hat". Die Bekanntgabe eines vorläufigen Ergebnisses ohne den Dresdner Wahlkreis 160 sei "eine Option", sagte Herbertz.

Vergleichbare Fälle in den sechziger Jahren

Ein wahrlich schwierige Frage. Schließlich lieferten sich 2002 in diesem Wahlkreis 160 SPD und CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Direktmandat in Dresden I eroberte die CDU-Politikerin Christa Barbara Johanna Reichard mit 33,8 Prozent der Erststimmen, ihre Konkurrentin von der SPD, Eva Marlies Volkmer, erhielt 31,3 Prozent. Damit durfte die sächsische CDU eine Abgeordnete mehr in den Bundestag schicken, als ihr nach dem landesweiten Zweitstimmenergebnis zustand. Dieses Überhangmandat kam zu Stande, weil die CDU sich in Sachsen durch Zweitstimmen nur zwölf Sitze sicherte, aber 13 Wahlkreise gewann. Stärkste Partei im Wahlkreis wurde jedoch die SPD mit 32,9 Prozent der Zweitstimmen. Die CDU landete mit 30,5 Prozent an zweiter Stelle. Die PDS folgte mit 17,7 Prozent, die Grünen mit 7,9 und die FDP mit 7,0 Prozent.

Pestalozza äußerte die Vermutung, dass sich der Bundeswahlleiter mit seiner heutigen Entscheidung einfach nur an ähnlichen Fällen aus den sechziger Jahren orientiert hat. So musste 1961 im Wahlkreis 151 im rheinland-pfälzischen Cochem eine Nachwahl angesetzt werden, weil der Direktkandidat der SPD kurz vor dem eigentlichen Wahltag, dem 17. September, verstorben war. Zwei Wochen später, am 1. Oktober, setzte sich der CDU-Kandidat Paul Gibbert gegen seine Kontrahenten durch und gewann das Direktmandat.

1965 standen erst am 3. Oktober, zwei Wochen nach der Bundestagswahl am 19. September, die beiden letzten Direktkandidaten fest: Im Obertaunuskreis (Wahlkreis 135) wurde der CDU-Kandidat Walther Leisler Kiep direkt gewählt, im Wahlkreis Schweinfurt (236) der CSU-Bewerber Max Schulze-Vorberg.

Die Nachwahlen in diesen beiden Kreisen waren notwendig geworden, weil im Wahlkreis Schweinfurt der Kandidat der Deutschen Friedensunion kurz vor der Wahl verstorben war. Im Obertaunuskreis hatte der Bewerber der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher vor dem Wahltermin Selbstmord verübt.
 


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SPIEGEL ONLINE - 08. September 2005, 17:25
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Nachwahl in Dresden
 
Parteien wollen pausieren - vorerst

Von Jens Todt und Benjamin Triebe

Nach dem Tod der Dresdner NPD-Kandidatin Kerstin Lorenz vereinbarten die Kandidaten der übrigen Parteien eine zweitägige Unterbrechung des Wahlkampfes. Doch danach wird weiter um Stimmen gerungen - im möglicherweise entscheidenden Wahlkreis Deutschlands.

Berlin - Die Kandidaten der Parteien im Wahlkreis 160 (Dresden I) reagierten bestürzt auf den plötzlichen Tod ihrer NPD-Konkurrentin Lorenz. "Ein furchtbares menschliches Schicksal", sagte Stadtrat Stephan Kühn, der für die Grünen antritt. "Die Umstände sind bedauerlich", kommentierte PDS-Kandidatin Katja Kipping. Auch Andreas Lämmel (CDU) und Marlies Volkmer (SPD) äußerten sich betroffen über das Ableben von Lorenz, die am Montag bei einer Wahlkampfveranstaltung einen Hirnschlag erlitten hatte.

Für heute und morgen haben die Parteien bis Samstag alle Wahlkampfveranstaltungen abgesagt. "Ein Todesfall muss respektiert werden. Ich werde den Wahlkampf jetzt prinzipiell nicht weiter führen", sagte CDU-Kandidat Lämmel. Sein Kreisverband hatte den Stopp aller Auftritte angeregt. Alle Parteien werden sich daran halten. Nur Bundesumweltminister Jürgen Trittin wird heute Abend bei einer Veranstaltung der Grünen auftreten, allerdings in dem anderen Dresdener Wahlkreis.

Für heute und morgen ist alles abgesagt - "aber am Samstag stehe ich wieder auf der Straße", so der CDU-Kandidat Lämmel. "Wenn man sich das Wahlergebnis von vor drei Jahren anschaut, kann dieser Wahlkreis zum Zünglein an der Waage werden," sagt er. Damals hatte die SPD bundesweit mit rund 6000 Stimmen Vorsprung bei den Zweitstimmen vor der Union gelegen, im Wahlkreis 160 jedoch knapp gegen die CDU verloren. Lämmel ist optimistisch, dass der Wahlkreis auch diesmal nicht an den politischen Gegner fällt: "Die SPD wird ihr Ergebnis von 31,3 Prozent nicht wiederholen können", ist sich der Christdemokrat sicher.

SPD-Kandidatin Marlies Volkmer sieht in der Verschiebung des Wahltermins eine Chance für ihre Partei: "Die SPD ist gerade im Aufwind - jetzt haben wir die Möglichkeit, unsere Argumente besser darzustellen. Viele haben früher beklagt, dass der Wahlkampf zu kurz ist." Natürlich sei es eine Kraftanstrengung, nochmals mehrere Wochen um Stimmen zu kämpfen. Der Verzicht auf Wahlkampf in den kommenden Tagen fiele ihr leicht - es sei sowieso in dieser Zeit nicht viel geplant gewesen. Auch bei den Grünen sieht man eine mögliche Verschiebung positiv: "Dass die Wahl in Dresden einige Wochen später stattfindet, bringt uns mehr Zeit, für grüne Ideen zu werben", so Stephan Kühn.

"Die inhaltliche Auseinandersetzung muss weitergehen", forderte hingegen Katja Kipping, Kandidatin für die Linkspartei. Die Bundestagswahlen seien eine Volksabstimmung über Hartz IV, sie werde in den kommenden Tagen nur auf eine direkte Auseinandersetzung mit den übrigen Kandidaten verzichten.

Weiterhin offen ist die Frage, ob das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl vom 19. September bereits veröffentlicht werden darf, wenn im Wahlkreis 160 noch nicht abgestimmt wurde. "Klar ist, dass die Dresdner Wähler vom Ergebnis im übrigen Bundesgebiet beeinflusst würden", stellt FDP-Kandidatin Peggy Bellmann fest. Aus diesem Grund spricht sich ihr CDU-Kollege Lämmel dafür aus, die Stimmresultate der bundesdeutschen Wahl vorerst nicht zu veröffentlichen.

In Kerstin Lorenz' eigener Partei, der NPD, bezeichnet man die Entwicklungen nach dem Tod der Dresdener Kandidatin als "sehr spannende Angelegenheit". "Die 219.000 Wähler aus dem Wahlkreis können eine sehr wichtige Rolle spielen", sagte NPD-Sprecher Klaus Beier. Schließlich seien bei den letzten Bundestagswahlen bereits 6000 Stimmen ausschlaggebend gewesen. Der Kreisvorstand der NPD wird sich am Sonntag zu einer Sitzung treffen, auf der Vorschläge für die Nachfolge der 43-jährigen Kerstin Lorenz angenommen werden. Am kommenden Dienstag werden die NPD-Mitglieder dann über ihren neuen Kandidaten für den Wahlkreis Dresden I abstimmen.
 


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