Linkspartei
"Es geht nur um
ihn"
Von Markus Deggerich und Gunther Latsch
Gregor Gysi ist in den letzten Wochen des Wahlkampfs zum Dulder mutiert: Für seinen Traum von der Westausdehnung dient er Oskar Lafontaine - und erträgt dessen Machtanspruch.
Der Kandidat residiert im
Wohnmobil: Oskar Lafontaine sitzt auf einem weißen Campingstuhl, vor ihm auf dem
Klapptisch liegen Äpfel, Trauben und Hohes C im Tetrapak. Auf dem Kölner
Roncalliplatz, geschützt durch Absperrgitter und seine Leibwächter, hört er mit,
was der Mann auf der großen Bühne vorn so redet. Lafontaine nippt an einem
Plastikbecher. Hin und wieder lächelt er.
Als Gregor Gysi fertig ist,
stehen hinter der Bühne alle Parteiarbeiter auf, um zu klatschen und ihren
Ostmatador zu empfangen. Nur Lafontaine bleibt sitzen. Gysi kommt die Treppe
runter, alle gratulieren - er aber sucht den direkten Weg durch die Menge zu
Oskar, der immer noch sitzt. Lafontaine erhebt sich erst, als Gysi direkt vor
ihm steht. "Gute Rede", sagt er. Und Gysi lächelt, als hätte er gerade vom
Oberlehrer eine Eins bekommen.
Das ungleiche Duo verteilte am Mittwoch
vergangener Woche in Köln frohe Botschaften wie Kamellen ans Volk: weg mit Hartz
IV, weg mit der Agenda 2010, weg mit den Lohnnebenkosten und ran an das
Großkapital. "Wir bringen den Bundestag zum Tanzen", verspricht Lafontaine
später unter dem Jubel der Zuhörer. Er lässt aber auch keinen Zweifel daran, wer
bei diesem Tanz führt: er selbst.
Wenn das Dream-Team mit der Kraft der
zwei linken Herzen zur Wahlkundgebung ruft, sind die Plätze voll - in Ost und
West. Die beiden brauchen sich: der Saarländer die PDS für sein Comeback; und
der Anwalt aus Berlin den übergelaufenen Sozialdemokraten für seinen alten
Traum: die Westausdehnung der PDS.
Ist das eine Männerfreundschaft?
Politik und private Beziehungen, das sei eine schwierige Sache, sagt Gysi,
"jedenfalls haben wir uns gegenseitig noch nicht beschissen". Das sei schon viel
in der Politik.
Und Gysi tut einiges für seinen großen Bruder aus dem
Westen. Er hat alles unternommen, um Lafontaine vor den eigenen Genossen in
Schutz zu nehmen. Als etwa der Parteistratege André Brie den Neuzugang als
"Luxus-Linken" beschimpfte, hat Gysi seinen alten Freund Brie angerufen und
zusammengefaltet, bis dieser seine Kritik widerrief.
Doch für Gysi bleibt
Lafontaine letztlich undurchschaubar. Mehrfach hat er Lafontaine um eine Art
Treueschwur gebeten, in gemeinsamen Nachtsitzungen im Intercity-Hotel in Berlin.
Gysi will nicht, dass der Saarländer die PDS nur als Plattform benutzt, von der
aus er zur Rückoberung der SPD antritt. Lafontaine hat erklärt, er wolle alles
tun für das neue Projekt.
Aber Gysi bleibt skeptisch. Ob Oskar letztlich
nicht doch von einer Fusion von SPD und Linkspartei träumt? Ob er am Tag nach
der Wahl ein Angebot an seine alte Partei richten wird, ein Signal für eine
Zusammenarbeit? Lafontaine sagt immer, er sei Sozialdemokrat geblieben. Nicht
allen von der alten PDS gefällt das.
Gysi jedoch nimmt es auch in Kauf,
dass er zwar nominell auf Augenhöhe mit Lafontaine die neue Linke in den
Bundestag führt, tatsächlich aber die ungewohnte Rolle des Adjutanten
eingenommen hat. "Wir telefonieren jeden Tag", sagt Gysi.
Der neue
Partner kommt in Lafontaines Welt hingegen kaum vor: Von der Linkspartei, der
WASG oder gar der PDS redet Lafontaine so gut wie nie. Auch seinen Co-Piloten
Gysi, der auf dem Wahlplakat so devot zu ihm aufschaut wie der Kellner eines
kleinen Ausflugslokals zum prominenten Gast, erwähnt er bei den meisten seiner
Soloauftritte mit keinem Wort.
Lieber spricht der ehemalige
SPD-Vorsitzende über sich und wie er als Finanzminister 1999 "einen tödlichen
Fehler gemacht" habe: "Ich habe die Banken und Versicherungen zur Kasse
gebeten." Deren Vorstände seien daraufhin im Kanzleramt "Sturm gerannt" - mit
verheerendem Ergebnis: "Nicht mehr Parteien machen die Politik, sondern die
Wirtschaftsverbände."
Warum er sich dagegen nicht gestemmt, sondern
einfach alles hingeworfen hat, sagt er nicht. Wichtig ist nur, dass er wieder da
ist. Er, der Oskar, der "noch immer in der Tradition Willy Brandts" steht und
damit haushoch über jener Partei, die er verlassen hat - und über jenen, denen
er jetzt die Gnade der späten Kandidatur erweist.
Ein Volkstribun für
soziale Gerechtigkeit ist er, der nur das große Ganze im Auge hat: den
historischen Um- und Aufbruch, die "europaweite Bewegung", die "Idee, deren Zeit
gekommen ist" - die "neue Linke".
Klar, dass es nicht im Dunstkreis der
Plattenbauten von Marzahn oder Hoyerswerda gewesen sein kann, wo Lafontaine
erkannt haben will, dass der Wind der Geschichte sich dreht. Es war "in Paris",
wie er seine Zuhörer mit pathetischem Tremolo in der Stimme wissen lässt, "auf
der Place de la Bastille, jenem berühmten Platz der Französischen
Revolution".
Dort nämlich hat Oskar, mit "französischen Freunden", am
Abend des Referendums die Ablehnung der Europäischen Verfassung gefeiert und
"gespürt", dass "das Volk die Dinge wieder selbst in die Hand genommen
hat".
Dass ein Mann mit so viel Gespür, angesichts der historischen
Tragweite der neuen Entwicklung, der Bewegung einzig als Lokomotivführer und
nicht etwa als Heizer dienen kann, bekommt vor allem Gysi immer wieder zu
spüren.
Am Absperrgitter in Köln drängeln sich die Fans, drinnen geben
die beiden Galionsfiguren Interviews in Serie, und immer wieder huscht ihr Blick
zum anderen, um zu sehen, wer gerade mit wem spricht, wer mehr Aufmerksamkeit
auf sich zieht.
Gysi trägt Bücher, Wahlkampfzeitungen und Flugblätter hin
und her, damit Oskar sie signiert. Dazwischen auch immer wieder dieses
Plakatmotiv des buckelnden Gysi im Postkartenformat: "Dieses blöde Foto",
rutscht es Gysi heraus. "Wenn ich es vorher gesehen hätte, wäre es nicht
genehmigt worden." Wahlkampfleiter Bodo Ramelow hatte verschiedene Motive vor
Publikum getestet. "Das Bild hatte die stärksten Reaktionen, da ging eine Welle
durch den Saal", begründet er seine Entscheidung. Dennoch wird es seit voriger
Woche bundesweit überklebt. Im Westen ist fortan nur Lafontaine und im Osten nur
Gysi zu sehen.
In Wahrheit spiegelt das Foto die Gefühlslage vieler
PDS-Anhänger wider: Sie fürchten die freundliche Übernahme ihrer ganzen Partei
durch Lafontaine. Als zum Wahlkampfauftakt auf dem Frankfurter Opernplatz
vorvergangene Woche Lafontaine auf die Bühne ging, flankierten ihn Ramelow und
der hessische Spitzenkandidat Wolfgang Gehrcke. Hinter der Bühne standen die
PDS-Politikerinnen Gesine Lötzsch und Katja Kipping. Die Moderatorin drängte
sie, auch auf die Bühne zu gehen. "Wir sind doch keine Statisten", zischte
Kipping und weigerte sich, als dekoratives Element hinter Revolutionsführer
Lafontaine rumzustehen.
Wenn sie allein wahlkämpfen, spricht Gysi viel
über Lafontaine. Er nimmt ihn in Schutz gegen den Vorwurf des Verrats: "Nicht
Lafontaine ist sich untreu geworden, sondern die SPD." Lafontaine hingegen
erwähnt "meinen Freund" Gysi nur, wenn der auch dabei ist.
Gysi aber springt gern bei
Veranstaltungen ein, wenn Lafontaine unpässlich ist, Gysi mimt den Lafontaine in
Talkshows, Gysi trägt ihm Autogrammkarten hinterher, und Anwalt Gysi hat immer
ein Plädoyer parat: "Man muss nicht arm sein, um links zu sein" ist sein
Standardsatz - damit Lebemann Lafontaine sich nicht ständig Fragen nach
Privatjets und Luxusurlaub anhören muss. "Ich mache das gern", versichert Gysi.
Alles für ein Ziel, eine neue politische Kraft links von der SPD.
"Das
geht nach der Wahl keine zwei Monate gut", sagt Peter Leipziger. Er war
Mitbegründer der nun mit der Linkspartei kooperierenden "Wahlalternative für
Arbeit&soziale Gerechtigkeit" (WASG) - und ist wieder ausgetreten: "Es geht
doch nur um ihn", sagt er und deutet auf die Bühne, auf der Lafontaine gerade
mit hochrotem Kopf den Menschen seine Welt erklärt.
Gysi steht
währenddessen neben der Bühne und kommentiert launig Lafontaines Rede, als wären
alle gerade in einer Rhetorikschule und hörten einem Meister zu: Wie bringe ich
eine Menschenmenge auf meine Seite? Als der Saarländer wieder mal "jedem eine
goldene Uhr" verspricht, der es schafft, ihn und seine Haushaltsrechnungen zu
widerlegen, kichert Gysi: "Soll ich mir eine holen?"
Lafontaines Hang zum
Populismus ist Gysi suspekt - er beneidet ihn aber auch darum. "Auf solche Sätze
muss man erst mal kommen", sagt er.
Wo Gregor Gysi ironisch das
rhetorische Florett einsetzt, arbeitet Oskar Lafontaine mit dem
Baseballschläger. Wenn er die "faktisch regierende Allparteienkoalition"
attackiert, ist von "Irren" die Rede, die entweder "nicht bis drei zählen"
können oder "die Prozentrechnung nicht beherrschen". Dass "äh, äh, Edi Stoiber"
und "Ääinschie Merkel" überdies "Brutto und Netto durcheinander bringen", gehört
ebenso zu den Standards wie der Hinweis, dass "Kirchhof bei uns im Saarland
Friedhof heißt".
Anders als Lafontaine geht Gysi auch in die Etappe und
kämpft im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick um sein Direktmandat. 20 Termine
absolviert er in seinem Wahlkreis. So sitzt er auf einem Barhocker vor 50
Rentnern im Innenhof eines Pflegezentrums und sagt lieber gleich, dass "ich mich
hier ja nicht als Bezirksbürgermeister bewerbe", sondern um Bundespolitik zu
machen. Und dann redet er vor 70-Jährigen über Studiengebühren - bis drei Meter
neben ihm eine ermattete Dame an Krücken zusammensackt.
Mit Reden im
kleinen Kreis hält sich Lafontaine hingegen nicht auf. Er zielt auf die große
Masse, auf all jene, die nicht mehr mithalten können und vom Radarschirm der
neuen Mitte verschwunden sind. Begeistert rufen sie "genau", wenn der
Sonnenkönig von der Saar Mallorca-gebräunt gegen "die Schande der Demütigung
älterer Arbeitnehmer" und "die Enteignung ihrer Sozialversicherungsbeiträge"
durch Hartz IV ins Feld zieht.
Selbst der Verkäufer der
Obdachlosenzeitschrift "Bodo", dessen Geschäfte während der Lafontaine-Rede in
Dortmund bestens laufen, nimmt den Kandidaten in Schutz: "Dat is' der einzigste
Reiche, der auf unsere Seite is'. Wenn der nich' is', dann is' gar nix mehr."
Der Kandidat, den es mit Macht zu seiner Limousine zieht, dankt mit huldvollem
Lächeln und winkt leutselig in die Menge.
Bei kritischen Fragen aber kann
Oskar ganz anders werden. Als in Siegen ein Fernsehreporter fragt, ob es stimme,
dass er als Oberbürgermeister von Saarbrücken jungen Sozialhilfeempfängern die
Stütze gestrichen habe, wenn sie gemeinnützige Arbeiten verweigert hätten, kann
man sehen, wie ihm das Blut in den Kopf schießt.
Dann schlägt er dem Mann
das Mikro aus der Hand - den Rest erledigen seine Leibwächter, sie schubsen den
Journalisten zurück in die Menge. Im Zeitalter der neuen Linken wird
Majestätsbeleidigung sofort geahndet.
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