1. Meine Freundin Lorena führt neuerdings regelmäßig Lamas aus. Nein, sie wohnt nicht in den südamerikanischen Anden und auch nicht in der Nähe eines norddeutschen Zoos. Obwohl sie sich privat keine Lamas hält, braucht sie keine Angst davor zu haben, von einem verärgerten Lama angespuckt oder getreten zu werden, denn Lorena kennt sich mit der Körpersprache von Lamas aus und weiß genau, dass es ihm gut geht, wenn die Ohren aufgerichtet sind und der Schwanz entspannt nach unten hängt.
Wenn hingegen die Ohren angelegt sind und der Schwanz hoch steht, fühlt sich das Lama äußerst unwohl, und es könnte dann tatsächlich mit hoch aufgerichteter Nase einen Warnschuss spucken. Nein, Lorenas Lama legt die Ohren nach hinten, den Schwanz nach unten und signalisiert so seine Unterordnung unter die ihn führende Menschenfrau. Nein, Lorenas Lama ist nicht mit einem geflügelten Pferd zu verwechseln, auch wenn dieses im Wappen des Templerordens als Zeichen der Armut abgebildet ist.
Doch seit in einer Folge der Reportagereihe „Team Wallraff“ von RTL auf die desaströsen Zustände in deutschen Jobcentern aufmerksam gemacht wurde, ist der Ausdruck „Lamas ausführen“ sozusagen zu einem geflügelten Wort für sinnlose Maßnahmen geworden. Günther Wallraff nahm selbst an einer Maßnahme des Jobcenters für Erwerbslose in Süddeutschland teil, bei der Lamas spazieren geführt werden mussten. Meine Freundin wird von der Behörde üblicherweise nur zur langzeitarbeitslosen Hilfsbedürftigen degradiert und muss als solche schon wieder ein Bewerbungstraining ertragen.
Verdammt noch mal, Lorena ist nicht nur eine gestandene Frau, eine liebenswerte, lebenskluge Mittfünfzigerin, die sowohl ein abgeschlossenes Studium als auch diverse zusätzliche Ausbildungen absolvierte! Nun muss sie 30 sinnlose Tage bei einem Maßnahmeträger absitzen, der an ihrer „Teilnahme“ verdient, und wird dort bestimmt nichts Neues über Bewerbungen lernen, was sie nicht schon aus dem Effeff könnte. Meine Freundin Lorena braucht kein erneutes Bewerbungstraining, kein Zeittotschlagen, kein Löcher-in-die-Luft-starren, sondern wünscht sich „einfach nur“ eine anständige Arbeit, von der sie gut leben kann!
Stattdessen muss sie monatlich für das Jobcenter eine bestimmte Anzahl sinnloser Bewerbungen vorlegen, oft Initiativbewerbungen, weil sich aus dem Arbeitsmarkt nun einmal nicht genügend Stellenausschreibungen herauswringen lassen. Nicht bloß Wallraff hält Maßnahmen wie Bewerbungstrainings, Motivationscoachings und Lama-Wanderungen größtenteils für sinnlose Veranstaltungen. Für den Wirtschaftswissenschaftler Stefan Sell, der früher selbst ein Arbeitsamt leitete, stellen sie „eine Art vorsätzliche Körperverletzung, die man an den Leuten begeht“, dar.
Solche absurden Maßnahmen ergeben für Erwerbslose keinen Sinn. Sie fühlen sich durch die Verfolgungsbetreuung nur genötigt, diesen Quatsch mitzumachen, weil sie andernfalls – ihre materielle Existenz extrem bedrohend – sanktioniert werden. Nur die Jobcenter stehen besser da, weil die Erwerbslosen auf diese Weise aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden und sie dementsprechend ganz herzallerliebst verniedlichen, schön „kleinrechnen“. Ältere Hilfsbedürftige oder Krankgeschriebene werden ebenso aus der offiziellen Statistik „herausoperiert“. Laut Wallraff tauchen zudem weitere 294.000 Personen ohne Job aus unbekannten Gründen nicht in der Statistik auf.
2. Bremens Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe legt die Fakten auf den Tisch und beklagt, dass nur zwei von drei erwerbsfähigen Frauen in Bremen einen bezahlten Arbeitsplatz haben. Sie bekämen im Schnitt ein Viertel weniger Geld für ihre Arbeit als Männer und, als ob das nicht schon genug wäre, eine im Alter um schier unglaubliche 60 Prozent niedrigere Rente. In den vergangenen vier Jahren seien in Bremen zwar verstärkt Frauen in Aufsichtsräte gewählt worden, doch rutsche die Stadt zugleich immer mehr in die Armut ab.
Hauffe fordert, dass der Kampf gegen Frauenarmut bei allen politischen Entscheidungen mitgedacht werden muss. Sie ist überzeugt davon, dass der Senat sehr konkret etwas tun kann, um Frauenarmut zu bekämpfen. Zum Beispiel könnte der Wirtschaftssenator nur noch Unternehmen fördern, die auf sozialversicherungspflichtige Stellen statt auf Minijobs setzen. Minijobber seien mehrheitlich Frauen. Bremen habe sich zu einer Hochburg der Minijobs entwickelt, weil dafür in der Vergangenheit Anreize geschaffen worden seien. Doch sei es nicht richtig, prekäre Jobs zu organisieren, weil sie die Armut verstärkten.
Weiterhin will die Frauenbeauftragte erstens die Finanzierung von Frauenhäusern sichern und verlangt, dass sich deren Arbeit nicht mehr über Pflegesätze finanziert, weil dies bedeutet, dass nur eine Frau, die geschlagen wird, dem Frauenhaus Geld einbringt. Es werde wieder ein fester Bremer Förderposten für Frauenhäuser gebraucht, wie es ihn früher gegeben habe. Zweitens müsse bei der „Jugendberufsagentur“ die Geschlechterfrage ein zentrales Thema werden. Berufsberater sollten Mädchen nicht mehr so häufig Ausbildungen für die meist schlechter bezahlten sozialen Berufe nahelegen und sie in ihrem eigenen Wunsch danach bestärken, statt sie auf andere Ideen zu bringen. Drittens müsse Bremen mehr für Alleinerziehende tun. Außer in Berlin sei nirgends in Deutschland der Anteil von Alleinerziehenden so hoch wie in Bremen. Unternehmen müssten sich mehr auf Single-Mütter einstellen, die Stadt eine flexiblere Kinderbetreuung anbieten und mehr Ausbildungen, die sich auch in Teilzeit absolvieren ließen.
3. Laut „FAZ“ bleibt die Arbeitslosigkeit zwar niedrig, doch hinterlasse der Mindestlohn tiefe Spuren: Würden umstrittene „Horrorprognosen“ Realität, fielen Zehntausende Stellen weg. Neuerdings gehe die Zahl der Minijobs stark zurück, es gab bundesweit 255.000 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse weniger als noch im Dezember. Die Gesamtzahl der Minijobs im gewerblichen Sektor sei um fast vier Prozent auf 6,6 Millionen zurückgegangen. Na, aber das ist doch mal eine großartige Nachricht! Der Mindestlohn wird also höchstens die prekären Jobs beseitigen, die überhaupt erst durch die vorherige Vernichtung der früheren Vollzeitstellen entstanden waren.
Seit Monaten jammern Bundesregierung und die „Bild”-Presse über „zu viele Flüchtlinge in Deutschland”. Zwar nimmt die Bundesrepublik in Europa gegenwärtig zahlenmäßig die meisten Flüchtlinge auf, allerdings ist es auch das Land mit der größten Bevölkerungszahl der EU. Gemessen an der Einwohnerzahl folgt Deutschland 2013 (mit 1,6 Flüchtlingen pro 1.000 Einwohner) weit abgeschlagen hinter Schweden, Schweiz, Norwegen, Österreich und Belgien. Auch im internationalen Vergleich müssen andere Länder wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Während die Bundesregierung „großzügig” zugesagt hat, 20.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, sind es im Libanon mit vier Millionen Einwohnern über 1,1 Millionen, also mehr als tausendmal so viele. Jetzt wärmt Innenminister Thomas de Maizière (CDU) eine alte Idee Otto Schilys aus dessen Zeit als Innenminister der Schröder/Fischer-Regierung wieder auf und schlägt vor, in Nordafrika sogenannte „Willkommenszentren” zu errichten. Dort, so seine Erklärung, könnten Flüchtlinge ihren Asylantrag einreichen, und da werde entschieden, wer legal nach Europa kommen darf und wer in seine Heimat zurückkehren muss.
Die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl” rechnet mit gigantischen Zeltstädten mit Hunderttausenden Menschen und spricht von einer „apokalyptischen Vision”. Sie kritisiert, außerhalb Europas gebe es keine rechtlichen Garantien für die Prüfung von Asylanträgen. Mit den „Willkommenszentren” werde vor allem das Ziel verfolgt, die Masse der Flüchtlinge zurückzutreiben und Fachkräfte zu suchen – das spart nach der zynischen Rechnung der Herrschenden Ausbildungskosten im eigenen Land. Aber wer soll diese gigantischen Lager bewachen? Wer soll von dort die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückschicken? Was sollen dort abgewiesene Asylbewerber dann anders machen, als wieder die Hilfe von Schleusern übers Meer zu suchen?
Schon in den jetzigen Flüchtlingslagern in Europa, auch in der Bundesrepublik, leben die Menschen oft unter unwürdigsten Bedingungen. Letztes Jahr berichtete das UN-Flüchtlingswerk, dass es weltweit 50 Millionen Flüchtlinge gibt, so viel wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1. Januar 2000 sind laut „Le Monde diplomatique” 23.258 Flüchtlinge aus Nordafrika im Mittelmeer ertrunken, ungezählte Tausende starben an Hunger oder Durst, an Kälte oder Unterkühlung, erstickten in Lkws oder verdursteten beim Durchqueren der Sahara.
Mit den „Willkommenszentren” würde die Festung Europa, die sich jetzt schon mit paramilitärischen Verbänden der Grenzschutzagentur „Frontex” gegen „unerwünschte” Flüchtlinge abschirmt, um ein Festungsbollwerk „reicher”. In einer aktuellen Erklärung von „Pro Asyl” heißt es dazu: „Der Evergreen ‚Asylzentren irgendwo in Afrika‘ wird revitalisiert zu einer Zeit, in der Europa die Seenotrettung bewusst zurückgefahren hat und damit die Todesrate im Mittelmeer noch weiter steigen lässt. Über 400 Flüchtlinge sind bereits in den letzten Wochen auf dem Weg nach Europa gestorben, über 4.000 im letzten Jahr.”
Gegen diese reaktionäre Politik und ihre Folgen richtet sich eine wachsende Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen. Immer mehr Menschen sagen: „Herzlich willkommen!”, leisten uneigennützige Hilfe und kämpfen gegen Abschiebungen. Immer mehr rücken auch die Fluchtursachen – Krieg, Ausbeutung, Umweltzerstörung, Gewalt und Unterdrückung – ins Zentrum der Kritik und der Proteste. Wir brauchen eine Wende in der Flüchtlingspolitik: Für die Anerkennung der Rechte von Flüchtlingen in einer internationalen Konvention! Für ein Asylrecht für alle Unterdrückten auf antifaschistischer Grundlage!
1. Ich drücke uns für Griechenland die Daumen! Das Land will eine fällige Zahlung nicht leisten, wenn die Troika das vereinbarte Darlehn sperrt. Dies wird Draghi und Schäuble freuen, hat der Finanzminister doch bereits vor längerer Zeit gesagt, sobald eine Rate nicht pünktlich eingeht, sind sie automatisch raus!
Eine Frau schrieb mir als Reaktion auf die Filmdokumentationen, auf die ich letzte Woche hingewiesen hatte: „Ich habe das auch gesehen, und mir war das Ausmaß der Schweinereien nicht bekannt. Dass es dabei niemals um das Wohl der Menschen ging, war mir schon klar, aber dies übertrifft noch meine schlimmsten Befürchtungen – vor allem, wenn man sieht, dass Presse und ein Großteil der Menschen in unserem Lande mal wieder alles schlucken.“
Spätestens durch diese Dokumentationen ist klar geworden, dass die Staaten die Bankschulden übernommen haben und dass die dadurch entstandenen Staatsschulden durch tiefe Einschnitte in den sozialen Bereich zurückgezahlt werden sollen, zulasten der Menschen. Gleichzeitig läuft in Luxemburg weiterhin die legale Reduzierung der Steuerschuld durch einen Vertrag mit Luxemburg, egal wo diese Gewinne erwirtschaftet wurden! Aus den Filmberichten ergibt sich auch, dass die Troika nichts veranlasst hat, was den Interessen der Reichen schaden könnte, im Gegenteil.
Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel fordert für Griechenland „ein Programm gegen Armut, eine Reduzierung des Kapitaldienstes, den Aufbau wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen und eine Politik der Bekämpfung von Korruption, Steuerhinterziehung und Kapitalflucht“. Zur Troika sagt er: „Das waren ein paar arrogante Lümmel. Wenn ich Beamter gewesen wäre in Griechenland, ich hätte die rausgeschmissen. So autoritär und so brutal, wie die aufgetreten sind.“
Es bleibt die Frage, über Griechenland hinaus: Sind diese Institutionen gut für die Völker Europas? Ist die Bundesregierung eigentlich bereit, Entscheidungen für die Not leidenden Menschen in Griechenland zu unterstützen? Sahra Wagenknecht meint: „Merkels Starrsinn kostet deutsche Steuerzahler Milliarden. Nur bei einer radikalen Abkehr von der gescheiterten Bankenrettungs- und Kürzungspolitik wird Griechenland irgendwann wenigstens einen Teil seiner Schulden zurückzahlen können.“
Welche Auswirkungen die Armut per Gesetz in Griechenland hat, geht auch aus Gregor Gysis Rede vor dem Deutschen Bundestag hervor. Die Zwischenrufe zeigen die Einstellungen der anderen. Festzustellen ist, dass die Hetze der Völker gegeneinander ad absurdum geführt wurde. Wer noch immer nicht überzeugt ist, komme einfach zum weiteren Austausch zur Bremer Montagsdemonstration, das nächste Mal in der Woche nach Ostern!
2. Um das Finanzgebaren ging es auch in dem Fernsehbeitrag „Geld regiert die Welt“. Dort wurden die Finanzverflechtungen rund um den Globus geschildert, etwa die Macht von Black Rock durch Verwaltung eines Geldvermögens von über 4.000 Milliarden US-Dollar. Die Praxis der Geldverwalter akzeptiert keinen Spielraum für soziales Verhalten.
Am Umgang mit der WMF werden der Abbau der Arbeitsplätze, die Verlagerung ins Ausland und die Versteuerung im Steuerparadies aufgezeigt. Deutlich wird auch, was die Menschen dabei empfinden, warum sie innerlich längst gekündigt haben: Die Unternehmenskultur ist nicht mehr vorhanden. Offen geblieben ist, wann und wie die Regierungen auf diese Gefährdung unserer Werte reagieren wollen.
Im Film „Betongold – Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam“ wurden die Empfindungen von Mietern herausgearbeitet: Wie überstehe ich den Druck eines Immobilienverwerters? „Aus den Mietwohnungen sollen luxuriöse Eigentumswohnungen werden. Und leere Wohnungen verkaufen sich am besten. Mehr als zwei Jahre begleitete die Regisseurin den Umwandlungsprozess mit der Kamera aus der Perspektive der Hausbewohner. Sie alle wollten bleiben und sich gegen Luxussanierung und Verdopplung der Mieten wehren.“ Nebenbei zeigt dieser Film, dass auch die neue Mietpreisbremse gerade dieses Vorgehen nicht bremst!
3. Die „Jugendberufsagentur“ soll Jugendlichen helfen. Ich hoffe, es geschieht mit viel Fingerspitzengefühl! Die Vorbereitung war speziell bremisch, obwohl Hamburg bereits seit September 2012 eine „Jugendberufsagentur“ hat. Seit Jahren ist Bremen Spitzenreiter bei den Schulabbrechern und hat eine Mangelverwaltung für die Bildung. Bremen hat die Einstellung der Schulsoziallehrer hinausgezögert und sie frühzeitig gefeuert, siehe 172. und 429. Bremer Montagsdemonstration. Bremen hat, obwohl Träger der „Roten Laterne“, die Erwachsenenschule zusammengestrichen.
Der damalige Bildungssenator Herr Lemke hat dies sinngemäß so kommentiert: Wer es im ersten Anlauf nicht schafft, hat Pech gehabt! In Bremen fehlen einfach Lehrer und auch Unterrichtsmaterial, seit Jahren! Die Aussicht auf Einsicht wird auch hier durch die Schuldenbremse beeinträchtigt. Das Tun scheitert am Haushalt, entsprechend den Vorgaben des Sparkommissars, siehe 445. Bremer Montagsdemonstration. Obwohl Bremen ohne Unterstützung für die Altschuldentilgung keinesfalls einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann, wird am Notwendigsten gekürzt!
4. Günther Wallraff hat erkunden lassen und „unglaubliche Machenschaften in Jobcentern aufgedeckt“ Die Bundesagentur für Arbeit war bereits vor der Sendung besorgt und erinnerte ihre Mitarbeiter daran, jeden Kontakt mit Journalisten zu melden. Anschließend schrieb sie: „Gestern Abend wurde die RTL-Sendung ‚Team Wallraff‘ zum Thema Jobcenter ausgestrahlt. Wir nehmen die dort geschilderten kritischen Sachverhalte sehr ernst. Wo systematisch Fehler und Mängel vorliegen, wollen wir gemeinsam mit Ihnen nach guten Lösungen suchen.“
Die Antwort des Personalrats Hannover zeigt, dass der Vorstand die Angelegenheit nicht ernst nimmt: „Abgesehen davon erscheint ein Vorstand, der nicht weiß, was in dem von ihm zu verantwortenden Bereich vor sich geht, nicht gerade in einem guten Licht. Das wäre auch nicht besser, wenn man annehmen müsste, er wolle die Realität gar nicht zur Kenntnis nehmen.“ Was das „Team Wallraff“ aufgedeckt hat, ist tiefgreifend, aber für uns nichts Neues. Es ist trotzdem sehr gut, dass der Sachverhalt auch von Nichtbetroffenen erneut bestätigt wird.
Die „Huffington Post“ schreibt: „Einem RTL-Reporter gelang es als erstem TV-Journalisten, über einen längeren Zeitraum undercover in mehreren Jobcentern zu recherchieren. Er war als Praktikant getarnt. Sein Fazit: Die angestaute Wut und der Stress der Mitarbeiter seien riesig, der Wunsch nach Veränderungen groß. Dies würden drei Aussagen von Mitarbeitern belegen, die stellvertretend für viele stehen: ‚Da wird nur Arbeitslosigkeit verwaltet‘, ‚letztlich ist das Jobcenter eine Institution, die so viel mit sich selbst zu tun hat, dass wir gar keine Kunden brauchen‘, ‚aus meiner Sicht sind Jobcenter heute immer noch Geldverbrennungsmaschinen mit einer völlig desolaten Personalstruktur‘.
Auch Teamleiter Wallraff erlebte hautnah, wie Hartz-IV-Empfänger in völlig sinnlose Maßnahmen gesteckt werden. Als Tourist getarnt, führt er zusammen mit Langzeitarbeitslosen Lamas in Süddeutschland spazieren.“ Auf „Altona bloggt“ steht unter „Verheizt und aufgeladen“ die Schlussfolgerung: „Agiert werden muss auf beiden Seiten. Das System ist in meinen Augen nicht reformierbar, und Konsequenzen, auch personell, müssen folgen. Es gehört abgeschafft.“
5. Sozialrechtler Harald Thomé mailt: „Das Bundessozialgericht urteilte mit Datum vom 23. Juli 2014 (Aktenzeichen B8 SO 14/13 R), dass für volljährige Menschen mit Behinderung im Elternhaus und in Wohngemeinschaften der 100-Prozent-Regelsatz zu zahlen ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat unter anderem mit Erlass vom 8. August 2014 und in späteren Schreiben die Nichtanwendung der Umsetzung der BSG-Rechtsprechung angeordnet. Durch den öffentlichen Druck konnte das BMAS zurückgedrängt werden. Zwei Jahre Rückwirkung ohne Extra- Überprüfungsantrag ist auch eine Hausnummer! Daher sollte öfters mal Druck ausgeübt werden.“ Also ran! Ohne Überprüfungsantrag den 100-Prozent-Regelsatz rückwirkend für zwei Jahre beantragen, und nicht auf die „lange Bank“ schieben, denn das Ministerium erwägt eine erneute Ignoranz der Bundessozialgerichtsurteile!
Thomé schreibt weiter: „In Krefeld kam es zu einem Hausbesuch zur Ermittlung einer Einstehensgemeinschaft. Es wurden ein Fragebogen im Krefelder Selbstlaborat verwendet, Daten über einen angetroffenen Hund ermittelt und weitergegeben und vieles mehr. Den Kollegen der Krefelder Erwerbslosenberatung hat es gereicht, und sie haben den Vorgang zur Prüfung an den Bundesdatenschutzbeauftragten vorgelegt. Ich rate an, vergleichbare Vorkommnisse zur fachaufsichts- und datenschutzrechtlichen Prüfung vorzulegen.“ Auch diese Entgleisung des Jobcenters passt zu den Ermittlungen vom „Team Wallraff“!
6. Was passiert eigentlich mit Jobcentermitarbeitern, die Erwerbslosen die Zahlung sperren? Nichts. Wenn der Erwerbslose sich daraufhin nicht mehr meldet, wird die Akte geschlossen und ein „Vermittlungserfolg“ verbucht. Wenn der Erwerbslose sich meldet, war es oftmals ein „unerklärlicher Programmfehler“, und die Auszahlung erfolgt bei Hartnäckigen sofort, über den Kassenautomaten in bar. Angefallene Mahn- und Bankgebühren will das Amt nicht übernehmen. Es wird mündlich abgewimmelt. Das ist aber nur erfolgreich, wenn Sie nicht die Erstattung beantragen und bei einer Ablehnung notfalls die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen!
Das Jobcenter Grützburg ist wegen solcher Zahlungsstreichungen in die Schlagzeilen geraten. Die geschilderten Sachverhalte ergänzen sich bestens mit den Feststellungen vom „Team Wallraff“! In Bremen wurde einem Erwerbslosen, der dem Amt als Drogenabhängiger bekannt war, die Regelleistung nur tropfenweise und in unregelmäßigen Abständen ausgezahlt, obwohl unstrittig war, dass er ein Kleinkind zu versorgen hatte. Trotzdem wurden seine Vorsprachen nicht ernst genommen. Er wurde durch die Instanzen geschickt, statt dass die verschieden Ämter den Anspruch und die Verrechnung intern geklärt hätten. Wussten die Sachbearbeiter nicht, dass Drogenabhängige besonders auf einen geregelten Tagesablauf angewiesen sind?
Ein unregelmäßiger Geldeingang ist da bereits ein großes Problem. Die Bagis, Vorläuferin des Jobcenters, hat die Zahlungen absichtlich nicht ausgeführt und als Druckmittel gegen den Erwerbslosen eingesetzt. Wie das mit den Überweisungen et cetera in diesem Amt genau lief, ist im Untersuchungsbericht festgehalten und vom „Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe“ treffend kommentiert. Für die Sachbearbeiter der Bagis blieb dieses Fehlverhalten folgenlos!
Donnerstag, der 16. April 2015 ist bundesweiter dezentraler Aktionstag im Rahmen der Kampagne „Auf Recht bestehen“, die wir dieses Jahr fortsetzen und zu der wir gemeinsam mit anderen Erwerbslosen-Netzwerken aufrufen. Bitte macht mit und beteiligt euch! Besprochen wird dies auf der nächsten Bremer Montagsdemonstration am 13. April 2015. – Noch Fragen? In Bremen gibt es ein gutes Netz von Beratungsstellen, und wir sind jeden Montag ab 17:30 Uhr in Bremens „guter Stube“. Wir haben ein offenes Mikrofon – für Lob und Tadel, nicht für Nazis und nicht für Rassisten. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!
Warum hat sich bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft in den letzten 30 Jahren der Anteil der Nichtwähler verdoppelt? Der rot-grüne Senat weiß die Antwort und wird in diesem Jahr die Trendwende schaffen: 50.000 Euro hat er zusammengekratzt, um die landesweit versandten Wahlbenachrichtigungen in „leichte Sprache“ zu „übersetzen“. Mit diesem Geld hätten freilich auch 100 neue Computer für Bremer Schulen oder 5.000 Schülerduden für Hartz-IV-Kinder angeschafft werden können. Der Versuch, umständliches Amtsdeutsch zu vermeiden, wäre ja noch zu loben, doch das Ergebnis ist eine Beleidigung für alle, die sich die Mühe gemacht haben, zur Schule zu gehen und lesen zu lernen.
Welcher Legastheniker surft zum Statistischen Landesamt, nur um sich durch die dortige kleine Bleiwüste in Deppendeutsch zu quälen? Warum werden ihm falsche Schreibungen wie „Staats-Bürger“ gezeigt? Es müsste „Staat-Bürger“ heißen, denn das Fugen-s soll ja den Bindestrich ersetzen, nicht ergänzen. Aprilscherzwürdig ist auch der Gedanke, das überflüssige Einfügen des Verhältniswortes „von“ in die Wendung „Wahl ‚von‘ der Bürgerschaft“ für eine Vereinfachung zu halten, weil das folgende Geschlechtswort „der“ dann nicht mehr im „schwierigen“ Wesfall, sondern im „einfachen“ Wemfall steht.
Fast wünsche ich mir, die Wahlbeteiligung möge noch weiter absinken, um zu zeigen: Nein, es liegt nicht daran, dass wir zu doof wären, wenn wir die Sparpolitik von euch allen scheiße finden! Spart euch diese blöden Ersatzhandlungen, die als Grund fürs Nichtwählen einen „Analphabetismus der Unterschicht“ behaupten, wo Ausgrenzung durch Verarmung vorliegt! Weitere 125.000 Euro kostet übrigens der Vierfarbdruck der Parteilogos in den Wahlunterlagen, damit sich der jeweils vertretene Neoliberalismus wenigstens in der Farbe unterscheidet.
„Alle klagen über die niedrige Wahlbeteiligung, aber wenn man daran etwas ändern will, muss man auch was tun“, sagt SPD-Innensenator Ulrich Mäurer. Was tut sein Senat? Macht er sich bundesweit stark für bedarfsdeckende Regelsätze? Für ein Ende der amtlichen und medialen Demütigung und Entwürdigung der Erwerbslosen? Für eine Abschaffung der meist willkürlich verhängten existenzvernichtenden Sanktionen aus nichtigstem Anlass? Weist er das Bremer Jobcenter an, nicht ständig neue Bestrafungsrekorde zu feiern? Tritt er dafür ein, dass Hartz-IV-Eltern endlich ihr Kindergeld behalten dürfen? Nichts dergleichen!
Obwohl in Bremen deutlich erkennbar wird, dass die Wahlbeteiligung gerade in jenen Stadtteilen besonders niedrig ist, wo sehr viele Menschen mit Hartz IV auskommen müssen, weigert sich der Senat, im Nichtwählen ein politisches Signal zu sehen. Stattdessen singt er das Lied von der Bildungsferne, rührt die Hartz IV beziehenden Nichtwähler(innen) mit Demenzkranken und geistig Behinderten in einen Topf und gibt 175.000 Euro aus, um den Bürger(inne)n zu suggerieren: „Diese Leute können ja nicht mal den Wahlzettel lesen. Wie sollen sie dann einen Arbeitsplatz finden?“
Geblendet vom fünfstelligen Honorar für ihre dürftigen Infoblätter und berauscht von der eigenen Bedeutung, schwadroniert Elisabeth Otto vom „Büro für leichte Sprache“ der „Lebenshilfe“ von einem „wegweisenden Projekt“, das „in die Annalen der Geschichte eingehen“ werde. Auch sie muss wissen, dass die Eingliederung aller gesellschaftlich Ausgeschlossenen um Größenordnungen teurer sein wird und zunächst einmal ernsthaftes Nachdenken über Existenzsicherung und Steuergerechtigkeit erfordert. Der versuchte Nichtwählerfang mit Deppendeutsch ist weniger als eine Alibi-Maßnahme. Es ist ein kostspieliger Missbrauch des Inklusionsgedankens, um das Scheitern der deutschen Sozialpolitik in Bremen zu vertuschen.