SPIEGEL ONLINE - 07. August 2005, 14:02
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,368694,00.html

Hartz IV
 
Zahlenkosmetik zeigt wenig Wirkung

Die Telefonaktion, mit der die Bundesregierung derzeit Hunderttausende Hartz-IV-Bezieher überprüft, dürfte für Rot-Grün eine herbe Enttäuschung werden: Sie wird die offizielle Arbeitslosenzahl nur geringfügig nach unten drücken können.

Demo vor Arbeitsamt in Duisburg: Für die Regierung Schröder drängt es
AP
Demo vor Arbeitsamt in Duisburg: Für die Regierung Schröder drängt es
Hamburg - Erste Ergebnisse der seit zwei Wochen laufenden Anrufe zeigen, dass nur knapp zehn Prozent der kontaktierten Hartz-IV-Empfänger als erwerbslos gezählt wurden, obwohl sie dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen.

Nach ersten Überprüfungen der Bundesagentur hatte SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement weit größere Hoffnungen: In den Stichproben seien "etwa 20 Prozent nicht arbeitslos im Sinne des Gesetzes". Um den Status der Hartz-IV-Empfänger zu kontrollieren, haben Call-Center im Auftrag der Bundesagentur in den vergangenen zwei Wochen bereits 170.000 Arbeitslose angerufen. Weitere 100.000 sollen in den kommenden 14 Tagen überprüft werden.

Nach Einschätzung der Nürnberger Zentrale kann die Aktion die Arbeitslosenzahl im August nach den jetzigen Daten lediglich um einige Zehntausend senken. Dabei eilt es für die Regierung Schröder: Die August-Zahlen sind die letzten, die vor der Bundestagswahl veröffentlicht werden. Insgesamt, so schätzen Experten, weist die Statistik im Gefolge der Hartz-IV-Reform bis zu 300.000 Arbeitslose zu viel aus.

Kritik an der Aktion kam in den vergangenen Tagen von Arbeitsloseninitiativen und Beteiligten. In den Call-Centern seien viele Mitarbeiter so dürftig ausgebildet, so ein ehemaliger Telefon-Prüfer, dass die Ergebnisse "in hohem Maße zweifelhaft sind".
 

© SPIEGEL ONLINE 2005
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH



SPIEGEL ONLINE - 11. August 2005, 14:12
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,369279,00.html

Telefonumfrage
 
Bundesagentur findet grobe Fehler in Arbeitslosenstatistik

Die deutsche Arbeitslosenstatistik könnte um mehrere zehntausend Arbeitslosengeld-II-Empfänger nach unten korrigiert werden. Das ergab eine umstrittene Telefonaktion der Bundesagentur für Arbeit, bei der rund 180.000 Langzeitarbeitslose befragt wurden.

Nürnberg - Bei fünf Prozent der Befragten hat sich gezeigt, dass diese dem Arbeitsmarkt gar nicht mehr zur Verfügung stehen und daher aus der Statistik herausfallen könnten", erklärte BA-Sprecher Ulrich Waschki heute. Nicht mehr statistisch aufgeführt werden demnach zum Beispiel allein erziehende Mütter ohne Kinderbetreuung oder Menschen, die einen Ein-Euro-Job oder ein Ehrenamt ausüben.

Bei weiteren 16 Prozent oder knapp 29.000 ALG-II-Empfänger habe die BA zudem "Klärungs- oder Änderungsbedarf", sagte Waschki, der damit einen Bericht der "Financial Times Deutschland" bestätigte. Die Betroffenen würden von örtlichen Job-Centern nun zum Klärungsgespräch eingeladen. Wenn sich ergebe, dass auch sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, sollten auch sie aus der Erwerbslosenstatistik genommen werden.

Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der knapp 2,8 Millionen als erwerbslos eingestuften ALG-II-Bezieher könnte die Erwerbslosenzahl bei einer Fehlerquote von fünf Prozent um maximal 140.000 abnehmen. Nimmt man noch jene 16 Prozent hinzu, bei denen die BA nach der Stichprobe Klärungsbedarf sieht, könnte die Arbeitslosenzahl rein rechnerisch um bis zu 500.000 sinken. Hintergrund ist eine stichprobenartige Erhebung der internen Revision der BA, die im Frühjahr ergeben hatte, dass bis zu 20 Prozent der Daten nicht mehr aktuell sind.

Der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein "Tacheles" übte scharfe Kritik an der aus ihrer Sicht rechtswidrigen Telefonaktion und riet Betroffenen dazu, einfach aufzulegen. "Viele Betroffene fühlen sich überrumpelt und unter Druck gesetzt. Von Freiwilligkeit kann da keine Rede sein", erklärte Harald Thomé von "Tacheles". Der Überraschungseffekt am Telefon könne missverständliche Aussagen geradezu provozieren. Es sei "fraglich, ob Betroffenen über die rechtlichen Zusammenhänge der Überprüfung und mögliche Konsequenzen bis hin zum Leistungsentzug hinreichend aufgeklärt werden", sagte er.
 


© SPIEGEL ONLINE 2005
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH