SPD
Arm und sexy
Von
Stefan Berg und Roland Nelles
Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit drängt es in die erste Reihe der Partei - und seine Chancen steigen tatsächlich.
"Bielefeld, Hamburg,
Düsseldorf!" Sonnengebräunt und demonstrativ gelassen sitzt Klaus Wowereit, 51,
in dem Ledersofa seines Amtssitzes im Roten Rathaus und zählt die Städte auf, in
denen er demnächst im Wahlkampf auftreten wird. Vor wenigen Tagen hat ihn
Kanzler Gerhard Schröder als Kommunalpolitiker abgewatscht, nur weil er
langfristig ein Bündnis mit der Linkspartei nicht ausschließen mochte. Doch ein
Mann wie er - das ist seine Botschaft - lasse sich nicht einfach zusammenfalten.
Erst recht nicht von einem, der schon fast a. D. ist.
Etwas kokett und
ganz begeistert von sich, zählt er noch ein paar weitere Orte auf, in denen er
notleidenden Sozialdemokraten beistehen wird. "Ein Hauptstadtbürgermeister",
erklärt er genüsslich, "hat wohl eine gewisse Attraktivität."
An
Selbstsicherheit hat es Berlins ranghöchstem Sozialdemokraten noch nie
gemangelt. Eiskalt hat er vor vier Jahren die Große Koalition der Hauptstadt
platzen lassen und alle Warnungen vor einem Pakt mit der PDS in den Wind
geschlagen. Ausgelacht hat er jene, die ihm einen kaum gewinnbaren Hahnenkampf
mit seinem damaligen Stellvertreter im Bürgermeisteramt, Gregor Gysi,
vorhersagten.
Vier Jahre später ist Wowereit, den sein spektakuläres
Outing ("Ich bin schwul, und das ist gut so") schlagartig bekannt gemacht hatte,
offenbar zum nächsten Schritt bereit. Unverhohlen drängt es ihn in die
Bundespolitik und an die Spitze der Partei. Sein Kalkül scheint einfach:
Verliert Schröder die Bundestagswahl und gewinnt er, Wowereit, die Wahl zum
Berliner Abgeordnetenhaus 2006, könnte er - fast ohne eigenes Zutun - zum
Glanzlicht in der Partei werden, eine Kanzlerkandidatur 2009 nicht
ausgeschlossen.
Tatsächlich sind seine Chancen für einen Aufstieg nicht
schlecht: Nach einem Machtverlust der Partei im Bund würden die
SPD-Ministerpräsidenten automatisch an Bedeutung gewinnen. Und nur zu genau weiß
der Machtmensch von der Spree, wie es um die gelichtete Landesvater-Riege steht,
aus der früher meist die Kanzlerkandidaten der SPD gekürt wurden: Bremens
Rathauschef Henning Scherf, 66, und Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef
Harald Ringstorff, 65, sind Männer von gestern. Kurt Beck, 56, aus
Rheinland-Pfalz, zugleich Parteivize, ist bundesweit kaum bekannt, Brandenburgs
Landesvater Matthias Platzeck, 51, wiederum gilt als wenig ehrgeizig. Dessen
Lieblingssatz lautet: "Mein Platz ist Brandenburg."
So kann Wowereit das
tun, was er schon tat, als in der Berliner Landespartei um die Macht gekämpft
wurde: auf die eigene Chance lauern, ein paar Duftmarken setzen und Strippchen
ziehen.
Längst hat er damit begonnen, sich zu einem der neuen
Meinungsmacher in der SPD aufzuschwingen. Penibel registrieren führende
Genossen, dass der Mann aus dem Roten Rathaus seit einigen Monaten nicht nur
regelmäßig an den montäglichen Sitzungen des SPD-Präsidiums teilnimmt, sondern
sich dort inzwischen weit häufiger und ausgiebiger äußert als früher.
Der eigenen
Profilbildung diente auch Wowereits Wink Richtung Linkspartei. Er wolle eine
Zusammenarbeit mit der umbenannten PDS nur für die nächste, nicht aber für die
darauffolgenden Legislaturperioden ausschließen, gab der Regierende zu Protokoll
- und versetzte damit die Parteifreunde in helle Aufregung.
Vor allem die Genossen
der Parteiführung, die eine Zusammenarbeit mit ihrem verhassten Ex-Parteichef
Oskar Lafontaine kategorisch ablehnen, fielen über ihn her. "Wowereit ist zwar
ein erstklassiger Bürgermeister, doch hier liegt er gründlich falsch", kanzelte
Schröder das Stadtoberhaupt ab.
Bei einer Telefonschaltkonferenz mit den
Mitgliedern des Präsidiums empörte sich SPD-Chef Franz Müntefering über den
renitenten Regierenden: "Wir reden über Wahlkampf und nicht über Koalitionen."
Stellvertreterin Heidemarie Wieczorek-Zeul fragte genervt, warum es "manchen
Herrschaften" eigentlich nicht möglich sei, bei einem solchen Thema "die Klappe
zu halten".
Nur den Gescholtenen scheint diese Wutwelle kaum zu kümmern.
Er wisse gar nicht, was die Empörung solle, wundert sich Wowereit, der auch im
Rathaus als selbständige politische Einheit gilt, gespielt. Er glaube nicht,
dass seine Aussagen dem SPD-Wahlkampf schaden könnten. Zwar verstehe er die
"Gefühle über jemanden, der die Partei verraten hat". Er sei aber gegen die
Tabuisierung einer Partei, die dieser nur nutze - und mit der er ja erfolgreich
regiere.
Zudem ist Wowereit geprägt durch die Erfahrungen seiner
Landespartei mit der Großen Koalition in der Stadt, in der sich die Partner
gegenseitig blockierten. Jahrelang konnte die CDU in Berlin ihre Macht sichern,
weil sie das Schreckgespenst vom Comeback der Kommunisten an die Wand gemalt
hatte, und die SPD so an sich fesselte. Von "Denkverboten" halte er deshalb
nichts, erklärt Wowereit, erst recht nichts davon, sich eine strategische
Mehrheit jenseits der Union selbst zu verbauen.
Lange Zeit galt der
Berliner in seiner Partei nicht gerade als Stratege, eher als schräger Typ mit
starkem Drang zum Nachtleben. Kaum hatte er die Macht an der Spree gesichert,
wurde er mehr auf Partys und in Fernsehshows gesichtet als in
Polit-Talks.
Stur wie er ist, kümmerte sich Wowereit jedoch kaum um die
Kritik. Andere wären froh, so oft ins Fernsehen eingeladen zu werden, wiegelte
er ab und legte noch eins drauf: "Arm, aber sexy", das sei sein Motto für die
Stadt Berlin.
Wowi ist inzwischen Kult in Berlin. Wenn er abnimmt,
erfährt es die ganze Stadt, Boulevardblätter drucken seine Reisetagebücher,
Bürgermeister aus anderen Bundesländern reißen sich um Fototermine mit
ihm.
Entspannt sieht er deshalb seinem Wahljahr 2006 entgegen, in dem er
auf die Fortsetzung der rot-roten Koalition oder jenes Dreierbündnis setzt, das
seine sozialdemokratischen Vorleute derzeit im Bund für alle Ewigkeit
ausschließen wollen: aus SPD, Linkspartei und Grünen. Ein ernsthafter
Gegenkandidat der Union ist noch nicht in Sicht. Wowereit aber freut sich schon
auf seine Vorstellung als Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft: Da wird er
auf jeder Bühne der Stadt stehen und den Berliner Gute-Laune-Bär
geben.
Dabei verbirgt sich hinter seiner Glamourfassade ein
Machtpolitiker und Reformer. "Wir haben hier", protzt er, "Agenda 2020 gemacht."
Als Bund und Länder vor gut zwei Jahren mit der Ver.di-Führung um einen neuen
Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst verhandelten, kündigte Wowereit
kurzerhand die Mitgliedschaft Berlins im Kommunalen Arbeitgeberverband.
Wochenlang ließ er die Proteste der Gewerkschaften genauso über sich ergehen wie
die Warnungen seiner Kollegen Ministerpräsidenten vor einem Dauerkonflikt im
Öffentlichen Dienst. Wieder einmal schaltete er auf stur - bis die
Gewerkschafter der Hauptstadt in drastische Lohnkürzungen
einwilligten.
"Berlin", meint Wowereit, "hat eine Modellfunktion für den
Mentalitätswechsel." Und er weiß: Nur mit den Postkommunisten war dieser
Sanierungskurs möglich, nicht gegen jene Partei, die mit ihrer Massenbasis in
der Opposition die Kraft gehabt hätte, Ost-Berlin gegen das Rote Rathaus
aufzuwiegeln. Auch deshalb vermag er die Erregung um die Linkspartei nicht
nachzuvollziehen.
Mit der ihm eigenen Schnodderigkeit hat er vergangenen
Dienstag die PDS Berlins für "erledigt" erklärt. Am Ende der Senatssitzung hat
er die Senatoren des Koalitionspartners mit Spott verabschiedet. Er wünsche
ihnen viel Glück für die Zukunft, erklärte er, ein PDS-Problem gebe es ja nun
nicht mehr in der Stadt. Zur nächsten Sitzung werden die drei Senatoren nach der
Umbenennung des Berliner Landesverbands als Mitglieder der Linkspartei
erscheinen.
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