SPIEGEL ONLINE - 28. Juli 2005, 15:45
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Analyse
Der Verheerer von
Möhringen
Von Thomas Hillenbrand
Zehn Jahre lang hat Jürgen Schrempp versucht, aus "dem Daimler" ein
weltumspannendes Vorzeigeunternehmen zu machen. Mit diesem Plan ist der
ehemalige Kraftfahrzeugmechaniker spektakulär gescheitert. Es könnte Jahre
dauern, bis sich der Stuttgarter Autokonzern von Schrempp erholt.
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REUTERS
Jürgen Schrempp: Der Breisgauer wollte großes
und hat sich verzettelt |
Hamburg -
Vielleicht begann das ganze Elend auf der Herrentoilette. Dort, so will es eine
nie offiziell bestätigte Legende, habe Daimler-Boss Jürgen Schrempp seinem
Chrysler-Pendant Robert Eaton eine Fusion angeboten. Gut sieben Jahre ist es
her, dass die Stuttgarter den drittgrößten amerikanischen Autohersteller
schluckten.
Vor dem Zusammenschluss war die Bilanz von JES, wie er intern
genannt wird, gar nicht so übel gewesen. Seit seinem Amtsantritt als
Vorstandschef im Mai 1995 sanierte der Freiburger den taumelnden
Daimler-Konzern. Sein Vorgänger Edzard Reuter hatte einen ziemlichen
Scherbenhaufen hinterlassen. Und Schrempp hatte die Trümmer beherzt und ohne
Mitleid zusammengefegt. Dafür wurde der "Cowboy aus dem Schwarzwald" ("New York
Times") von der Presse gefeiert.
In den letzten Jahren hat Schrempp nur
noch selten lobende Worte gehört. Allein Wirtschaftminister Wolfgang Clement
(SPD), der des öfteren Dinge sieht, die sonst niemand sehen kann, hält Schrempp
immer noch für einen herausragenden Unternehmer. Der überwiegenden Mehrheit galt
er bereits seit längerem als egomanischer "Manager des Misserfolgs", als
tölpeliger "Rambo", der "alles versiebt". Die renommierte "Business Week" kürte
ihn 2004 zum "Schlechtesten Manager des Jahres".
Napoleon der
Autobranche
Zu Recht. Mit einer Expansionsstrategie von
napoleonischen Ausmaßen hat Schrempp dafür gesorgt, dass es in der "ersten
deutsche Welt AG" (Schrempp) an allen Ecken kokelt und brennt. Da wäre zunächst
die US-Tochter Chrysler. Das von Spöttern lange auch "Krisler" genannte
Unternehmen hat Schrempps designierter Nachfolger Dieter Zetsche unter
erheblichem Einsatz von Managern, Material und Moneten wieder halbwegs
wettbewerbsfähig gemacht. Ob die Sanierung dauerhaft tragfähig ist, muss sich
noch zeigen.
Definitiv gefloppt ist das Engagement bei Mitsubishi Motors,
wo sich DaimlerChrysler 2003 eingekauft hatte. Hier hat Schrempp über zwei
Milliarden Euro versenkt, inzwischen ist Stuttgart ausgestiegen. Auch die
strategische Allianz mit dem koreanischen Autohersteller Hyundai erwies sich als
kostspielig und erfolglos.
Während Schrempps beste Manager in Tokio,
Seoul oder Detroit kernsanierten, scheint sich kaum jemand um die heimische
Vorzeigemarke Mercedes-Benz gekümmert zu haben. Die ist inzwischen selbst ein
Sanierungsfall. Im ersten Quartal musste die Mercedes Car Group, zu der neben
Mercedes auch die Marken Smart und Maybach gehören, einen operativen Verlust von
954 Millionen Euro ausweisen.
Zu dem desaströsen Ergebnis trägt vor allem
die defizitäre Kleinstwagenmarke Smart bei. Das Schrempp-Projekt hat sich seit
dem Start als Fass ohne Boden erwiesen. Bisher hat Smart über drei Milliarden
Euro verschlungen. Eine Trendwende ist trotz eines Sanierungsplans bisher nicht
in Sicht. Kritische Analysten sind seit längerem der Ansicht, dass Dichtmachen
die beste Lösung wäre. Und die Luxuskarosse Maybach ist nicht der Renner, den
sich die Autoleute ursprünglich erträumt hatten.
Sinkender
Stern
Schrempps größte Fehlleistung jedoch ist, dass er Mercedes-Benz
heruntergewirtschaftet hat, einst zu Recht die deutsche Marke mit dem höchsten
Ansehen. An die 1,3 Millionen Fahrzeuge musste Daimler in diesem Jahr wegen
Mängeln in die Werkstatt zurückrufen. Kostenpunkt: 500 Millionen Euro. Die
wichtige E-Klasse bietet nach Meinung führender Tester bestenfalls zweitklassige
Qualität. Die Staatsanwaltschaft ermittelt im Zusammenhang mit
Graumarktgeschäften gegen zahlreiche Mercedes-Manager. Der Karikaturist Jamiri
frotzelte unlängst,
Mercedes solle zur Verbesserung der Qualität doch einfach Innereien von Toyota
einbauen.
Das Asien-Abenteuer, die Smart-Pleite oder den Chrysler-Flop -
man könnte Deutschlands wohl bestbezahltem Manager etliche seiner Fehler
vergeben. Man könnte ihm auch verzeihen, dass er mit Wolfgang Bernhard einen der
talentiertesten Manager der Branche aus dem Unternehmen drückte.
Was
Schrempp aber mit dem Herzstück des Konzerns angestellt hat, ist unverzeihlich
und rechtfertigt die jetzt erfolgte Höchststrafe: den vorzeitigen Abgang ohne
Abfindung. Dass Schrempp-Duzfreund und Aufsichtsratschef Hilmar Kopper diesen
De-Facto-Rausschmiss heute als von langer Hand vorbereiteten Wechsel zum
"optimalen Zeitpunkt" zu verkaufen suchte, verleiht dem Vorgang eine Prise
unfreiwilliger Komik.
Wie einst Schrempp selbst wird der neue
Daimler-Chef Zetsche zunächst mit Aufräumarbeiten beschäftigt sein. Dabei ist
unklar, wie schnell sich Schrempps verheerende Strategie rückgängig machen
lässt. Es könnte Jahre dauern, bis der angeschlagene Stuttgarter Autoriese zu
seiner alten Stärke zurückfindet.
Jürgen Schrempp hinterlässt eine Spur
der Verwüstung - und ernüchternde Zahlen. In seiner Amtszeit ist der Börsenwert
von DaimlerChrysler um 50 Milliarden Euro gesunken. Schrempps Einkünfte im
gleichen Zeitraum werden auf etwa 80 Millionen Euro taxiert. In einem heute an
mehrere Chefredakteure versandten Brief, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, schreibt
Schrempp rückblickend: "Eine schöne und wertvolle Zeit ist .. zu
Ende."
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