SPIEGEL ONLINE - 12. Juli 2005, 16:55
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NS-Vergleich
SPD lehnt Stieglers Rücktritt
ab
Von Carsten Volkery
SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler hat seine Assoziation des
Union-Wahlprogramms mit dem Nazi-Slogan "Arbeit macht frei" bekräftigt. Die
Union fordert erbost seinen Rücktritt. Stieglers Parteifreunde nehmen ihren
weißblauen Wadenbeißer in Schutz.
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DDP
Ludwig Stiegler: "Südkurve nicht
entmutigen" |
Berlin - Ludwig
Stieglers loses Mundwerk ist legendär. "Neuer schwerer Pöbelanfall", titelte die
"Bild" im Wahlkampfjahr 2002. Da hatte Stiegler gerade die Deutschen als
"verzogene Fratzen" beschimpft. Normalerweise richten sich die Attacken des
leidenschaftlichen Sozialdemokraten aber gegen den politischen Gegner. Sein
Intimfeind ist Edmund Stoiber, den er mal als "fleischgewordenen Aktendeckel"
bezeichnete.
"Man darf die Südkurve nicht entmutigen", lautet das Motto
des SPD-Fraktionsvizes, dessen Markenzeichen neben der flinken Zunge der rote
Pullunder ist. Wann immer ein knackiges Zitat gebraucht wird, ist der
"Oberschimpfer" ("Focus") zur Stelle. Selbst seinem Computer hat Stiegler schon
seine Vorlieben antrainiert: Wenn er giftige Pressemitteilungen verfasst, dann
lässt ihm das Rechtschreibprogramm angeblich sogar Worte wie "hundsverreckte
Bauernsau" anstandslos durchgehen.
Bisher wurden Stieglers verbale
Entgleisungen meist mit Amüsement, allenfalls mit einer Rüge aufgenommen. Der
Oberpfälzer genießt den Bayern-Bonus, der auf der anderen Seite auch dem
CSU-Kollegen Michael Glos eingeräumt wird. Einmal fing Stiegler sich den
öffentlichen Tadel des Kanzlers ein, nachdem er die Ratschläge des
Regierungsberaters Bert Rürup als "Ejaculatio Praecox" (vorzeitiger Samenerguss)
bezeichnet hatte.
Diesmal jedoch könnte er den Bogen überspannt haben.
Heute Morgen hatte er mit zwei weiteren SPD-Fraktionsvizes, Joachim Poß und
Nicolette Kressl, zur Pressekonferenz geladen. Es ging um das Wahlprogramm der
Union, das nach Meinung der SPD-Politiker in der Presse zu gut weg gekommen ist.
Stiegler redete als Erster, und er tischte kräftig auf. Nachdem er sich über die
"Verlogenheit" von Merkel und Stoiber erregt hatte, fielen die Worte, die die
versammelten Journalisten aufhorchen ließen.
Der Satz aus dem
Unions-Programm "Sozial ist, was Arbeit schafft" erinnere ihn an die Parole
"Arbeit macht frei", sagte Stiegler. Die Parole stand an mehreren
Konzentrationslagern des Dritten Reichs, unter anderem über dem Eingangstor des
Vernichtungslagers Auschwitz.
Stiegler kritisierte auch die gestrige
Versicherung Stoibers, er und Merkel seien keine Neoliberalen. "Ich bin mir
nicht sicher, ob Stoiber weiß, was neoliberal ist", giftete er. Vor allem sei
Stoiber ein "Neo-Brüning", weil die geplante Mehrwertsteuererhöhung Deutschland
in die Rezession stürzen werde. Brüning war Reichskanzler in der Weimarer
Republik. Sein Sparkurs fand damals keine parlamentarische Mehrheit und wurde
schließlich mit Notverordnungen durchgesetzt.
Unionspolitiker forderten
umgehend eine Entschuldigung oder den Rücktritt Stieglers. "Dieser Mann ist
nicht mehr tragbar als führender Repräsentant einer demokratischen Partei",
erklärte CSU-Generalsekretär Markus Söder. Sein CDU-Kollege Volker Kauder
forderte SPD-Chef Franz Müntefering auf, sich von Stieglers Äußerungen zu
distanzieren. Er erwarte auch "Konsequenzen".
Müntefering erreichte die
Nachricht bei einem Wahlkampfauftritt in Bremen. "Demokratische Parteien sollten
sich untereinander nicht mit Sprüchen rechtsextremer Parteien oder gar des
Nationalsozialismus überziehen", sagte der SPD-Chef knapp. Dies sei "nicht
angebracht und nicht unsere Sprache". Von Konsequenzen sprach er
nicht.
Der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, lehnt eine
Entschuldigung oder Rücktritt ab. "Stiegler ist bekannt dafür, dass er drauf
haut", sagte Kahrs zu SPIEGEL ONLINE. "Manchmal haut er eben auch daneben."
Historische Vergleiche sollte man grundsätzlich bleiben lassen. Stiegler sei
aber lernfähig, sagte Kahrs.
Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian
Edathy nimmt Stiegler in Schutz. "Der wortgewaltige Kollege hat sicher schon
glücklichere Formulierungen verwendet", sagte Edathy zu SPIEGEL ONLINE. Der
Vergleich sei "vollkommen unangebracht". Aber die Rücktrittsforderungen der
Union seien überzogen.
Stiegler, der häufig mit Franz Josef Strauß
verglichen wird, bekräftigte seine Äußerungen jedoch später noch einmal. "Damals
war Arbeit zynisch entwertet. Ich sehe im Unionsprogramm auch eine zynische
Entwertung der Arbeit", sagte Stiegler. Die Assoziation sei ihm gekommen, weil
die Union "Arbeit ohne faire Bezahlung, ohne Arbeitsrechtsschutz, ohne
Kündigungsschutz und Tarifautonomie und Arbeit im Niedriglohn" plane.
Es
ist nicht das erste Mal, dass Stiegler mit einem NS-Vergleich auffällt. Im
Februar 2002, während des NPD-Verbotsverfahrens, hatte er der Opposition
zögerliches Handeln vorgeworfen und die Geschichte bemüht. CDU/CSU und FDP
stünden in einer "historischen Schuld", Rechtsextremismus zu bekämpfen, weil
ihre "Vorläuferparteien" 1933 für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hätten,
hatte er damals gesagt.
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