DER SPIEGEL 28/2005 - 11. Juli 2005
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Konzerne
Im Netz der
Spinne
Der Rücktritt von Peter Hartz ist der bislang
spektakulärste Paukenschlag in der großen VW-Affären-Operette um Bordellbesuche
und gekaufte Betriebsräte, korrupte Manager und ein Geflecht dubioser
Tarnfirmen. Im Zentrum steht die Personalabteilung in Wolfsburg.
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DPA
VW-Vorstand
Hartz |
Der Tag, an dem Peter Hartz
oben angekommen war, ganz oben, das war der 16. August 2002. Der Sohn eines
Stahlarbeiters war nicht nur Vorstand in Europas größtem Autokonzern und bekannt
für seine Arbeitszeitmodelle. Er galt auch als großer Reformer, der nun im
Französischen Dom in Berlin zusammen mit SPD-Kanzler Gerhard Schröder sein
Projekt präsentieren durfte, mit dem er Deutschland Wege aus der
Arbeitslosigkeit weisen wollte.
Der Tag, an dem Hartz wieder unten ankam,
ganz unten, wurde der 8. Juli 2005. Es war der vergangene Freitag - und Hartz
schon ein gebrochener Mann. Die Arbeitsmarktreformen, auf denen trotz vielfacher
Verwässerungen noch immer sein Name klebt, gelten mittlerweile als Flop. Nun
musste Hartz auch noch seinen Rücktritt als VW-Vorstand anbieten. Niedersachsens
CDU-Ministerpräsident Christian Wulff, Vertreter des größten VW-Aktionärs,
sagte, man nehme den Rücktritt sofort und dankend an.
Hartz ist das
bislang prominenteste Opfer einer Affäre, die scheinbar harmlos mit einer
kleinen Firma namens F-BEL in Prag anfing und dann zunächst zur Entlassung des
Skoda-Personalvorstands Helmuth Schuster und des Wolfsburger Personalmanagers
Klaus-Joachim Gebauer führte. Schließlich zwang das Skandalgewitter auch Klaus
Volkert, den einst mächtigsten Betriebsratschef Deutschlands, zum kaum noch
geordneten Rückzug. Nun ist auch für Hartz Schicht.
Es geht um Tarnfirmen
von Managern und Lustreisen für Betriebsräte. Prostituierte in Brasilien und
Indien spielen ebenso eine Rolle wie eine Dame aus dem Edelbordell "Elefante
Branco", dem Weißen Elefanten, in Lissabon.
Es geht aber auch um das
Modell VW, in dem Betriebsräte und Personalvorstand stets aufs Engste
miteinander kungelten. Und es geht generell um die Mitbestimmung der
Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, die durch die neue VW-Affäre einen ähnlich
schlimmen Rückschlag erleidet wie durch den Fall Mannesmann, in dem der damalige
IG-Metall-Chef Klaus Zwickel Millionenzahlungen an Manager mittrug und sich
dafür später vor Gericht verantworten musste.
Die Wolfsburger Belegschaft
ist verärgert und verunsichert. VW steckt in der Krise. Auf wichtigen Märkten
bricht der Absatz ein. Die Marke Volkswagen ist in die roten Zahlen gerutscht,
und ihr neuer Chef Wolfgang Bernhard kündigt einen harten Sanierungskurs
an.
Doch gerade in dieser schwierigen Situation, in der die Beschäftigten
auf starke Interessenvertreter angewiesen sind, geraten Betriebsräte unter
Generalverdacht: Sie müssen sich fragen lassen, ob sie käuflich
waren.
Das ganze Konzerndrama begann damit, dass die Commerzbank auf der
Computerfestplatte eines entlassenen Mitarbeiters seltsame Dokumente entdeckte.
Danach hatte ihr Mitarbeiter zusammen mit Skoda-Vorstand Schuster und anderen im
Schatten des VW-Konzerns ein internationales Firmengeflecht gesponnen, über das
Aufträge mit den Wolfsburgern abgewickelt werden sollten. Die Bank gab die
Unterlagen an die VW-Revision weiter, die ihre Ermittlungen aufnahm und den
Sicherheitsdienst mit dem ehemaligen Reemtsma-Fahnder Dieter Langendörfer
einschaltete.
Schnell stellten sie fest, dass Skoda-Manager Schuster an
der Firma F-BEL beteiligt war, die sich um den Auftrag für den Bau einer kleinen
Autostadt der tschechischen Marke in Prag beworben hatte. Außerdem soll er
versucht haben, die Generalimporteursverträge für Indien und Angola zu
verschieben.
Ins Blickfeld der VW-Ermittler geriet dabei auch
Personalmanager Gebauer, der Schuster aus dessen vorherigem Job in der
Wolfsburger Personalabteilung gut kennt. Er soll an dessen Unternehmungen
beteiligt gewesen sein und erhielt, wie Schuster, von VW dafür die fristlose
Kündigung.
Damit nahm Affäre eins ihren Lauf, in der es darum geht, wie
Schuster, Gebauer und andere Mitarbeiter Geschäfte mit dem eigenen Konzern
machen wollten. Bei den Recherchen kam zudem heraus, dass ausgerechnet
Betriebsratschef Volkert sich ebenfalls an der Firma F-BEL beteiligt
hatte.
Als Volkert merkte, dass dieses geplante Privatgeschäft an die
Öffentlichkeit kommen würde, trat er vorvergangene Woche schnell zurück - aus
Altersgründen, wie er zunächst versicherte.
Zu diesem Zeitpunkt
allerdings tickte bereits eine andere Zeitbombe. Gebauer musste sauer sein, dass
all die Unternehmensmächtigen, denen er im Laufe der Jahre so oft einen
diskreten Gefallen erwiesen hatte, seinen Rausschmiss nicht verhindert hatten.
Und mit dem FDP-Politiker und Juristen Wolfgang Kubicki hatte er sich einen
Anwalt genommen, der über sich selbst sagt, Leute wie ihn verpflichte man
"vielleicht für den Krieg, aber nicht, um ein Altenpflegeheim zu
leiten".
So begann Affäre zwei - noch schmuddeliger, unübersichtlicher
und gefährlicher. Und so zog das Duo Gebauer/Kubicki mit einem Koffer alter
Akten und Spesenbelegen in den Krieg, ihren Krieg.
"VW-Vorstand soll
Betriebsrat gekauft haben", titelte die "Süddeutsche Zeitung" am vergangenen
Dienstag. "Teure Lustreisen des Betriebsrats per Firmenjet seien vom Vorstand
genehmigt worden. Dazu habe 'das Einfliegen von Luxus-Nutten gehört'." Der Fall
könnte die gesamte Arbeiterbewegung in die Luft sprengen, schrieb das Münchner
Blatt, das als Quelle nur einen anonymen "Insider" zu bieten hatte.
Der
Nachfolger Volkerts an der Betriebsratsspitze, Bernd Osterloh, schäumte über
"pauschal geäußerte Vermutungen", wonach der Betriebsrat gekauft worden sein
soll. Das kann - gleichfalls pauschal - auch niemand behaupten.
Natürlich
gibt es die redlichen Betriebsräte, die sich nicht ins Bordell einladen lassen.
Die es bei Ausflügen, auf denen die Ehefrauen sie begleiten, auch abgelehnt
haben, wenn Gebauer die Gattinnen mit Einkaufsschecks von 1000 bis 2000 Euro
ausstatten wollte.
Aber es gibt auch die anderen. Und sie wurden durch
das System fürsorglicher Belagerung, das unter Vorstand Hartz in Wolfsburg über
die Jahre entstand und bislang existierte, in Versuchung geführt.
Hartz
hatte die Anweisung gegeben, dass dem Betriebsrat ein Budget zur Verfügung
steht, dessen Verwendung nicht kontrolliert wird. Im Zentrum des Systems saß
Personalmanager Gebauer wie die Spinne im Netz. Mehr als ein Jahrzehnt war er
für die Organisation der Treffen des Welt- und des Europabetriebsrats sowie die
Reisen des Betriebsausschusses in alle Welt verantwortlich.
Er konnte
über das Geld verfügen und war mit Vollmachten ausgestattet, die sonst wohl kein
anderer Manager in Europas größtem Autokonzern genießt.
Gebauer hatte
kein Limit für seine Kostenabrechnungen der Betriebsratsreisen. Und wenn er mal
keine Quittungen parat hatte, weil es für bestimmte Dienstleistungen eben keine
gibt, konnte er Eigenbelege über mehrere zehntausend Euro ausfüllen. Binnen zwei
Jahren wurden nach Erkenntnissen der Revision insgesamt Eigenbelege in Höhe von
einer Million Euro eingereicht. Das Geld wurde vom Unternehmen stets anstandslos
überwiesen. Die Gewerkschafter interessierte das wenig. Brüder, zur Wonne, zur
Freiheit!
Eine derart unkontrollierte Verfügungsgewalt übers große Geld kann Gebauer
nur durch den zuständigen Personalvorstand erhalten haben. Der ermöglichte es
ihm, als "Chefanimateur für VW-Betriebsräte" ("Frankfurter Allgemeine")
aufzutreten.
Mehrere Betriebsräte bestätigen dem SPIEGEL, dass Gebauer,
der auf den Konferenzen in Brasilien, Portugal, Indien und in anderen Ländern
meist dabei war, Arbeitnehmervertreter in einschlägige Etablissements gelotst
und die Rechnungen dann beglichen habe.
Das war, rein juristisch, keine
Bestechung. Ein Unternehmen kann nicht die eigenen Mitarbeiter bestechen. Es war
allenfalls eine Begünstigung der Betriebsräte, die nach dem
Betriebsverfassungsgesetz verboten ist.
Doch in diesem Teil der Affäre
geht es weniger um juristisch greifbare Fakten, sondern um höhere Güter: um
Moral, Anstand und die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Wie sollen
Betriebsräte, die sich von ihrem Unternehmen sogar Bordellbesuche bezahlen
lassen, den Vorstand noch kritisch kontrollieren? Machen sie sich nicht im
Gegenzug erpressbar?
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AP
Ex-Betriebsratschef
Volkert |
Die Frage stellt sich aus
anderem Grund auch beim abgetretenen Betriebsratsboss Volkert. Die Brasilianerin
Adriana B., zu der Volkert ein ganz persönliches Verhältnis hatte, bekam vom
Konzern Aufträge für Werbefilme. Sie erhielt First-Class-Flüge nach Europa. Und
ihr wurden zudem pro Quartal 23.008 Euro überwiesen.
Aber seit wann gibt
es für Werbefilme vierteljährliche Zahlungen? Seit wann vergibt die
Personalabteilung solche Aufträge, die eigentlich in der Marketingabteilung
angesiedelt sind? Und warum hat sich der deutsche Personalvorstand Hartz
persönlich für einen entlassenen Mitarbeiter bei Volkswagen do Brasil
eingesetzt, der zuvor stets die Flüge für Adriana B. abgezeichnet
hatte?
Hartz und Volkert verbindet mehr als gemeinsam ausgehandelte
Tarifprojekte wie die Vier-Tage-Woche oder die Auto 5000 GmbH. Beide haben einst
ganz unten angefangen.
Hartz arbeitete sich über eine kaufmännische Lehre
und Abendgymnasium auf den Arbeitsdirektorenposten in der Stahlindustrie hoch,
bis das IG-Metall- und SPD-Mitglied 1993 in den VW-Vorstand berufen wurde. Der
gelernte Schmied Volkert kam über die Betriebsratsschiene nach oben, bis er 1990
den Vorsitz des Gremiums übernahm und fortan vom damaligen VW-Chef Ferdinand
Piëch und anderen Vorständen behandelt wurde, als sei er einer der Ihren.
Genosse und Bosse verstanden sich hervorragend.
So wurden Volkert und
Hartz fleischgewordene Symbole für das Wolfsburger Harmoniemodell. Beide waren
jahrelang häufig miteinander unterwegs. Beide waren Aufsichtsratsmitglieder bei
Volkswagen do Brasil und flogen deshalb vier-, fünfmal pro Jahr nach Südamerika.
Hartz kennt auch Adriana B., die Volkert bei Werkbesichtigungen im Ausland oft
begleitete.
Mehr als ein Jahrzehnt saß Volkert zudem im Präsidium des
VW-Aufsichtsrats. Affären wie die um den einstigen Einkaufschef José Ignacio
López und Missmanagement wie bei den Milliardenbaustellen Bugatti, Bentley und
Lamborghini blieben für den damaligen VW-Chef Piëch auch deshalb folgenlos, weil
Volkert ihm in kritischen Situationen stets den Rücken stärkte. Dass der
einstige Betriebsratschef nun in den Verdacht gerät, nicht mehr unabhängig
gewesen zu sein, muss er sich selbst zuschreiben.
Für VW-Chef Bernd
Pischetsrieder ist die Affäre schlimm, weil das Image des Konzerns nun scharfe,
tiefe Kratzer bekommt. Pischetsrieder und sein Vorgänger Piëch, der nun
Aufsichtsratschef ist, müssen sich auch fragen lassen, ob sie die
Selbstbedienungsbudgets in der Personalabteilung stillschweigend duldeten, weil
sie ihnen Ruhe an der Arbeitnehmerfront verschafften.
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DER
SPIEGEL |
Doch der Skandal ist
zugleich eine Chance. Ministerpräsident Christian Wulff, der das Land
Niedersachsen im Aufsichtsrat vertritt, will seit langem das dichte Beziehungs-
und Abhängigkeitsgeflecht zerschneiden, das den VW-Konzern überwuchert und oft
dafür sorgte, dass wirtschaftliche Erwägungen erst an zweiter Stelle eine Rolle
spielten.
Deshalb soll der neue Personalchef nicht mehr im
Konzernvorstand sitzen und dort auch Einfluss auf Investitionen und
Modellpolitik üben. Er soll nur noch im Vorstand der Marke Volkswagen
angesiedelt sein und sich um die Belange der Belegschaft kümmern. Einen zweiten
Hartz soll es nicht mehr geben.
Für den ersten, den einzigen Hartz aber,
über den Bundeskanzler Schröder am Freitag sagte, er habe sehr viel für das
Unternehmen VW und "auch für Deutschland" getan, entwickelte sich die Affäre
Ende vergangener Woche zu einem ganz persönlichen Drama. Hartz wusste, dass er
ein hohes Risiko eingegangen war, als er der Entlassung Gebauers zugestimmt
hatte.
Der hatte alle Abrechnungen selbst erstellt. Und der wusste, was
da im Laufe der Jahre alles auf Konzernkosten abgerechnet worden war. Aber Hartz
stand auf dem Standpunkt, vermutlich kriminelle Machenschaften eines VW-Mannes
könne er nicht decken - ganz gleich, wie hoch der Preis dafür am Ende sein
könnte.
Am Donnerstag hatte "Bild" dann berichtet, Gebauer habe im
Dezember 2003 eine Dame aus dem Edelbordell "Elefante Branco" aus Lissabon nach
Paris einfliegen lassen. Sie sollte dort einen hohen VW-Manager, der sie bei
früherer Gelegenheit kennen und schätzen gelernt hatte, in dessen Hotelsuite
besuchen. Fortan durfte jeder rätseln, um welchen Manager es sich dabei
gehandelt haben könnte.
Zugleich durfte man sich darüber wundern, wie ein
VW-Manager sich mit einer solchen Aktion in die Abhängigkeit von Gebauer begeben
konnte, der im Unternehmen selbst längst einen zweifelhaften Ruf hatte. Aber die
Spinne, die in ihrem Netz aus Freundlichkeiten und Geschenken vorher schon
manchen Betriebsrat umsponnen hatte, fing auch einen VW-Vorstand
ein.
Wenn der die Dienste der Dame privat bezahlt hat, ginge der Vorgang
niemanden etwas an. Der VW-Manager sagt, er habe Gebauer alle Auslagen in bar
bezahlt. Das könne er eidesstattlich versichern. Und der Rest sei
Privatsache.
Doch Gebauer hat zumindest den Flug der Prostituierten von
Lissabon nach Paris über den VW-Konzern abgerechnet, wie die Revision inzwischen
herausfand.
Hartz wusste, dass "Bild" in seiner Ausgabe am vergangenen
Samstag behaupten wollte, er selbst sei jener VW-Manager in Paris gewesen. Und
wie soll Hartz beweisen, dass er die Dienste der Dame aus eigener Tasche bezahlt
hat und Gebauer die Gelegenheit möglicherweise nutzte, um den Flug doppelt
abzurechnen?
Auch wer sich abhängig macht, macht einen Fehler. So blieb
am Ende nur sein Rücktritt.
DIETMAR HAWRANEK, MARION
KRASKE, SVEN RÖBEL, ANDREAS ULRICH
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