Gehört die Tauschringidee in eine politische Diskussion?
(4. Juli 2005) Zu Füßen des Bremer Roland hat Dietlind Rinke unter dem Titel „Wir wollen nicht mehr die Zinssklaven des Geldkapitals sein!“ auf der Montagsdemo die vom „Verein für nachhaltiges Wirtschaften“ ausgegebenen „Roland“-Gutscheine vorgestellt. Sie sollen einen regionalen Aufschwung infolge beschleunigten „Geld“-Umlaufs bewirken, indem das Ersatzzahlungsmittel durch Gebühren beständig entwertet wird. Weil beim Sparen kein Zinsgewinn mehr möglich ist, hat jeder Währungsring-Teilnehmer das Bestreben, sein „rostendes Geld“ schnell gegen Waren oder Dienstleistungen einzutauschen.
Dieser Gedanke geht auf Silvio Gesell (1862–1930) zurück, gegen dessen „Zinsknechtschaftslehre“, einen „alternativökonomischen Denkansatz der Geld- und Bodenrechtsreform“, von Jutta Ditfurth („Entspannt in die Barbarei“), Joß Fritz („Eine Betrachtung der Freiwirtschaftbewegung aus antifaschistischer Sicht“), Elmar Altvater („Eine andere Welt mit welchem Geld?“) und Peter Bierl („Tauschringe“, „Schwundgeld, Menschenzucht und Antisemitismus“) der Faschismusvorwurf erhoben wird. Hierauf antworten Ralf Becker („Von einer Ideologie der Knappheit zu einer Realität des Genug für Alle“) und Werner Onken („Für eine andere Welt mit einem anderen Geld“, „Zum Gegensatz zwischen Geldreform und Antisemitismus“). Onken räumt ein, dass Altvaters Warnung vor einer „Vergötzung des Wettbewerbs“ ernst genommen werden sollte; die Bodenrechts- und Geldreform bedürfe der kontroversen Diskussion auch über ihr Menschen- und Gesellschaftsbild und ihren Naturbegriff.
Dietlind Rinke bezieht sich auf die Bücher „Geld ohne Zins & Inflation“ von Margrit Kennedy und „Das Geldsyndrom“ von Helmut Creutz sowie die Zeitschrift „Humonde“ von Thomas Seltmann und Hans Olbrich und betont in einer Stellungnahme: „Wir wollen ausschließlich eine Regionalwährung einführen, die hoffentlich immer effektiver wird für die Menschen in und um Bremen, die zwar Fähigkeiten besitzen, doch zu wenig Geld fürs Leben haben. Dafür allein wollen wir unsere Kräfte einsetzen! Ob jemand vor uns aus ‚seiner Zeit‘ das beherrschende Gedankengut aufgenommen hat oder nicht, interessiert uns nicht. Es interessieren uns nur die Ideen, die unserer Sache nützlich sind, und die sind frei.“
Demnach aus Achtlosigkeit, weil sie sich nicht für „seinerzeitiges Gedankengut“ und dessen politische Zusammenhänge „interessieren“ möchte, zitiert Frau Rinke über das Wort „Zinssklaven“, das auch aufgrund meiner Unbildung in das Redebuch der Bremer Montagsdemo hineingeraten ist, das Programm der Nationalsozialisten von 1920 herbei. Dieses fordert „Brechung der Zinsknechtschaft“, „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens“, „Enteignung jüdischer Grundstücksspekulations-Gesellschaften“, allgemeine Arbeitspflicht und die Todesstrafe für „Wucherer“. Von staatlichem Schutz für die Schwachen ist nicht die Rede, dagegen beinhaltet dieses Programm alles, was wir auf keinen Fall wollen, bis hin zur Vorbereitung von Angriffskrieg und Völkermord. Die Montagsdemo grenzt sich entschieden vom Faschismus ab – und von seinen Vertretern.
Im vergangenen Dreivierteljahr war in den Zeitungen die rhetorische Figur der „nicht gehaltenen Montagsrede“ im Schwange, womit die Bürger über die ihnen vorenthaltenen tatsächlichen Montagsreden hinweggetröstet wurden. Zu lesen gab es in diesen Texten, was nach Verlegermeinung den Demonstrierern hätte gesagt werden müssen. Legendär ist die sogar als ganzseitige Anzeige in der „Süddeutschen“ geschaltete, von Günter Grass, Michael Rogowski und anderen Berühmten, Begüterten, Einflussreichen und Mitteilsamen unterzeichnete Kahlschlagslobpreisung mit dem Titel „Auch wir sind das Volk!“. Auch auf der Roland-Regional-Homepage gibt es keinen Link zum Internet-Auftritt der Montagsdemo, vielmehr führt ein so beschrifteter Knopf nur zu einer weiteren Beschreibung des Gutscheinrings, die mit der Aussage endet: „Es wird die Zinswirtschaft abgelöst werden durch eine Fähigkeiten-Wirtschaft zum Nutzen aller Menschen und der Erde. Bis das erreicht sein wird, geht die Montags-Demonstration weiter!“. Ein Stopp des Sozialabbaus durch Hartz IV und Agenda 2010 wird nicht gefordert. Dieses Behaupten einer völlig anderen Zielsetzung unserer Bewegung bewerten Leser als Anmaßung oder rechtsextremen Unterwanderungsversuch.
Schon das bloße Verbreiten eines Vorschlags, wie sich „Befähigte“ aus allgemeinem Elend heraus zu Wohlstand emporschwingen könnten, ist nach meiner Einschätzung durchaus kein Anliegen der Montagsdemo-Bewegung. Dieser Vorschlag gehört auf eine Tagung für Unternehmensgründer oder Kleingewerbetreibende, deren Anteil unter den Demonstranten aber gering sein dürfte. Die Aufnahme eines Hinweises auf ein mögliches Versuchsfeld für eine solche angenommene Teilgruppe könnte noch hinnehmbar sein, aber außerhalb rein kaufmännischer Zusammenhänge, in politischen Debatten, weist dieser Vorschlag, weil auf staatlichen Schutz für die Schwachen verzichtet wird, den Weg in eine Welt, wo das Gesetz des Stärkeren gilt. Genau dorthin wollen wir nicht.
Gewiss ließen sich die Gebühreneinnahmen eines Tauschringes auch für wohltätige Zwecke verwenden, doch die Sicherung der Menschenwürde und des Daseins derjenigen, die keine wirtschaftlich verwertbaren „Fähigkeiten“ besitzen, darf nicht von Barmherzigkeit und Leistungsvermögen der übrigen betroffenen Bewohner einer Krisenregion abhängen. Die Forderung, soziale Gerechtigkeit herzustellen, richten wir nicht an unsere nächsten Mitmenschen, an uns selbst, sondern an die Regierung des ganzen Landes. Wir fordern einen auskömmlichen Mindestbetrag des gleichen Geldes, das auch alle anderen Staatsbürger verwenden, und zwar ohne Bettelei, Erniedrigung und Zwangsarbeit. Was wir nicht wollen, ist ein auf das Angebot vereinzelter Läden beschränkter Warenzugang und eine, wie Peter Bierl sagt, „Armutsselbstverwaltung, die dem Staat hilft, Geld und Ärger zu sparen“.