Fremdarbeiter-Debatte
"Lafontaine sollte
sich historisch weiterbilden"
Ulrich Herbert hat ein
Standardwerk zum Thema Fremdarbeiter verfasst. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE
wirft er dem früheren SPD-Politiker Lafontaine einen eklatanten Mangel an
historischen Kenntnissen vor. Wer die Nazis für nicht fremdenfeindlich halte,
sollte besser schweigen.
SPIEGEL
ONLINE: Herr Herbert, Oskar Lafontaine hat behauptet, die
Nationalsozialisten seien rassistisch und nicht fremdenfeindlich gewesen und
Beweise gefordert, dass der Begriff des Fremdarbeiters nationalsozialistisches
Vokabular sei.
Herbert: Der Begriff "Fremdarbeiter" kommt in
nationalsozialistischen Dokumenten dauernd vor, es gibt allein 600 Einzelerlasse
zu dem Thema. Er meint die ausländischen Arbeitskräfte, die während des Zweiten
Weltkriegs millionenfach und überwiegend zwangsweise nach Deutschland zum
Arbeitseinsatz gebracht wurden. Lafontaines Äußerung, die Nationalsozialisten
seien nicht fremdenfeindlich, sondern rassistisch gewesen, ist vollkommen
abstrus. Die Nationalsozialisten waren die fremdenfeindliche Partei schlechthin;
der Rassismus war nichts anderes als eine biologistische Überformung der
Fremdenfeindlichkeit. "Deutschland den Deutschen", das war die Naziparole.
Lafontaines Argumentation zeugt von eklatantem Mangel an historischen
Kenntnissen und einem Bild vom NS-Staat, das man so bislang nur ganz rechts
kannte. Es ist nicht zu glauben.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutete der
Begriff "Fremdarbeiter" in der Nazizeit genau?
Herbert: Der
Begriff bezeichnete seit Ende des 19. Jahrhunderts die ausländischen Arbeiter,
die nach Deutschland zur Arbeit kamen. Er wurde dann 1939 beibehalten, auch als
die Rekrutierung zunächst von Polen, dann von Angehörigen fast aller von
Deutschland besetzten europäischen Länder immer weiter ausgedehnt wurde und
wurde so der übliche, in der Bevölkerung verbreitete beschönigende Begriff für
die ausländischen Arbeiter. Zu den "Fremdarbeitern" gehörten die
unterschiedlichsten Gruppen: Zivilarbeiter, Kriegsgefangene,
Militär-Internierte. Der Begriff verharmloste sowohl die immer rabiater
werdenden Formen der Zwangsrekrutierung und die Bedingungen, unter denen diese
Menschen in Deutschland leben mussten. Wobei die aus Osteuropa viel schlechter
behandelt wurden als die aus dem Westen. 1944 waren etwa acht Millionen
ausländische Zwangsarbeiter aller Kategorien in Deutschland, die in riesigen
Lagern unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen lebten. Allein in Berlin
gab es etwa 1000 solcher Lager, die der Russen und Polen waren mit Stacheldraht
umzäunt.
SPIEGEL ONLINE: Ist der Begriff ein originär
nationalsozialistischer Begriff?
Herbert: Nein, er war ja schon
seit der Jahrhundertwende in Gebrauch. Nach 1945 wurde er einfach weiterbenutzt,
was zeigt, dass der Zwangsarbeitereinsatz von den Deutschen nicht als Verbrechen
angesehen wurde. Erst in den sechziger Jahren wurde er dann durch die
freundlicher klingende Bezeichnung des "Gastarbeiters" ersetzt. In der Schweiz
wird noch heute von ausländischen Arbeitern als "Fremdarbeitern" gesprochen.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sagen, man kann den Begriff noch
unschuldig benutzen?
Herbert: Nein. Der Begriff ist in Deutschland
durch die NS-Zeit kontaminiert und kann von dieser Bedeutung nicht mehr getrennt
werden. Nun ist der Gebrauch von NS-Begriffen und -Vergleichen bei deutschen
Politikern ohnehin eine heikle Angelegenheit. Und allein der Begriff
"Fremdarbeiter" wäre vielleicht noch als Ausrutscher zu interpretieren. Durch
seine nachgelegten Äußerungen von den nicht fremdenfeindlichen Nazis aber hat
Lafontaine sich doch in erheblichem Ausmaß disqualifiziert. Dabei hatte er ja
ursprünglich durchaus auf ein wichtiges Problem hinweisen wollen.
SPIEGEL
ONLINE: Meinen Sie Lafontaines Satz bei seiner Rede in Chemnitz, dass der
Staat verpflichtet sei "zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos
werden, weil Fremdarbeiter mit zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze
wegnehmen"?
Herbert: Hier muss man festhalten: Gegenüber den
beschäftigungspolitischen Auswirkungen von EU-Erweiterung und Globalisierung hat
sich in der deutschen und in der europäischen Bevölkerung ein erhebliches
Abwehr- und Angstpotential angestaut, das man nicht ignorieren oder als
"fremdenfeindlich" disqualifizieren kann. Durch die EU-Erweiterung einerseits,
durch illegale Einwanderung andererseits ist es in Deutschland und den alten
EU-Staaten zu starken sozialen Verwerfungen in den unteren Lohnschichten
gekommen. Auch die massive Unterbietung von Löhnen etwa von Handwerkern ist ja
kein Hirngespinst. Diese Fragen haben bei der Diskussion in Frankreich vor dem
Referendum über die EU-Verfassung eine große Rolle gespielt und in starkem Maße
zu deren Ablehnung beigetragen.
SPIEGEL ONLINE: Ein
Problembereich, den nicht erst Oskar Lafontaine entdeckt
hat.
Herbert: Man muss aber feststellen, dass diese Problematik
von den großen Parteien kaum aufgegriffen wird, weil die Befürchtung besteht,
eine solche Diskussion würde die Aversionen gegen die Europäische Union noch
verstärken. So ist ein politisches Vakuum entstanden, in das Lafontaine und
seine Linkspartei jetzt hineingestoßen sind. Ich würde daher dafür plädieren,
dies jetzt als Anlass zu nehmen, sich diesen Problemen endlich zu widmen. Den
Zulauf zu Lafontaine allein mit dessen demagogischen Qualitäten zu erklären, ist
zu kurz gedacht.
SPIEGEL ONLINE: Was würden Sie Herrn Lafontaine
vorschlagen? Sollte er sich für seine Äußerungen
entschuldigen?
Herbert: Ich bin nicht Herrn Lafontaines Berater.
Er sollte sich sicherlich historisch weiterbilden. Obwohl: Wer die Nazis für
nicht fremdenfeindlich hält, sollte als deutscher Politiker besser gar nicht
mehr auftreten.
Das Interview führte Anne Seith
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