32. Bremer Montagsdemo
am 04. 04. 2005  I◄◄  ►►I

 

Backe, backe
Kuchen!

Ursula GatzkeDie Politiker haben gerufen: „Wer hilft uns aus diesem Schlamassel raus? Wer fegt die vielen Arbeitslosen aus der Statistik heraus?“

Der noch arbeitende Mensch kann noch so viel schuften: Die Firmenbosse sacken „Steuergeschenke“ ein und verduften! Zwölfhundert Arbeitsplätze werden tagein, tagaus vernichtet, doch darüber wird schon gar nicht mehr berichtet!

Die Erbschaftssteuer wird den „Bossen“ nun auch noch erlassen! Mit dem armen „Häuslebauer“ mag sich keiner befassen! Nein, groß sollen die Geschenke sein! Mit dem „kleinen“ Menschen macht sich doch niemand gemein!

Der „kleine“ Mensch kann das Motzen und Jammern nicht lassen, doch damit wollen sich „Gutbetuchte“ nicht befassen! „Es reicht doch, wenn wir den Wählern alle vier Jahre viel versprechen! Es reicht doch, wenn wir all unsere Versprechen dann wieder brechen!“

Der „Job-Gipfel“ ist Gipfel der Verhöhnung gewesen: Als könnte ein Arbeitsloser nicht mal lesen! Nicht ein Arbeitsloser mehr kommt in Lohn und Brot! Nur noch größer werden im ganzen Land Hunger und Not!

Der „Gipfel der Dummheit“ hat getagt! Bloß an die Armut hat sich keiner gewagt! Die Armut ist kein Ruhekissen! Von ihr wollen „Gutbetuchte“ nichts wissen!

Ihr raubt dem Volk das, was es sich erschaffen, derweil die reichen Konzerne noch mehr erraffen! Nur haltet das Volk nicht immer für Affen, so werdet ihr nie und nimmer den Aufschwung schaffen!

Ursula Gatzke (parteilos)

 

Die richtige Mutti

Hermann SiemeringBundesarbeitsminister Clement hat uns Menschen in Deutschland zu mehr „Mobilität und Flexibilität“ aufgefordert, schreiben die „Bremer Nachrichten“ heute.

„Es besteht zu wenig Bereitschaft, sich zu verändern, um an einen neuen Arbeitsplatz zu kommen. All dies geht so natürlich nicht weiter“, sagt er. Wenn es um Clement geht, scheint mir das Wort „un­ent­wickelt“ zu stimmen. Es wird wirklich Zeit, dass sich bei ihm etwas verändert, damit er an einen anderen Arbeitsplatz kommt!

Doch zu jedem Pott passt auch ein Deckel, deshalb erzählt uns seine Gattin Karin: „Wer einen Job wirklich will, der kriegt auch einen!“ Ihre fünf Töchter hätten es alle zu etwas gebracht und nie Probleme gehabt, eine Stelle zu finden. „Die Basis ist ein liebes Elternhaus“, sagt sie den Arbeitslosen, die nicht alle eines besaßen.

Seine Töchter hatten eben die richtige Mutti, denn an seinem guten Namen und all den guten Beziehungen lag es natürlich nicht. Wolfgang Clement hat wirklich genau die Frau, die er verdient!

Hermann Siemering (Verdi)

 

Die Statistik wird umbenannt

Hans-Dieter BinderDie Statistik der Bundesregierung hat einen neuen Namen, sie heißt jetzt „Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt in Deutschland“. Sie hat auch neue Zahlen, es ist schließlich ein anderer Stichtag. Außerdem hat die Bundesagentur für Arbeit auf die Vorläufigkeit der Zahlen hingewiesen und wieder einmal die gleichen Fehlermöglichkeiten aufgezählt.

Per 15. Februar 2005 war die Zahl „Nichtarbeitslose Leistungsempfänger, § 428 SGB III, 58er-Regelung“ mit 394.063 für Februar und 398.972 für Januar angegeben. Per 15. März 2005 hat sich diese Zahl stark verändert, auf 232.039, somit eine Differenz von 162.024 Köpfen. Dies wäre eine erhebliche Verminderung innerhalb eines Monats!

Auch die Angabe per 15. Februar 2005 hat sich verändert: Für den Vormonat stehen dort 226.717, ein Minus von 167.346 Köpfen, aber die Überschrift ist gleich geblieben. In den Erläuterungen zur Statistik ist der Text zu dieser Position unverändert, es gibt keinen Hinweis auf eine Korrektur oder andere Ursache!

Positiv hat sich der Wirtschaftsminister zu diesen Zahlen geäußert. Er hat den Rückgang der Arbeitslosen von 5.216.434 auf 5.175.577 begrüßt, mit minus 40.857 Köpfen. Sollen wir es glauben? Gestiegen und somit unerwähnt ist die Gesamtzahl der Arbeitssuchenden von 6.801.002 auf 6.827.419, also plus 26.417 Köpfe! Bundesweit wurden 114.167 Ein-Euro-Jobs besetzt. Diese Arbeitnehmer zählen nicht als arbeitslos, gemäß dieser ehrlichen Statistik.

Die Zahl der offenen Stellen wurde um die Position „sofort zu besetzen“ erweitert, somit sind hier alle gemeldeten offenen Stellen ausgewiesen. In den offenen Stellen sind auch die geförderten, sprich Ein-Euro-Jobs, enthalten. Für Bremen werden 2.768 offene Stellen genannt, davon 330 Ein-Euro-Jobs. Sofort zu besetzen: 1.926. Arbeitssuchende: 79.182. Sofort zu vermittelnde Arbeitslose: 56.930.

Auch bei einer schnelleren Vermittlung wird sich die Situation nicht bessern, besonders wenn man bedenkt, dass die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse in Bremen mit 275.000, so die neueste Zahl vom Januar 2005, angegeben wird.

Die viel geforderte Beweglichkeit, der Wille zum Umzug, wird daran nichts ändern, denn auch am Zielort gibt es zu viele Arbeitssuchende. Wenn ich nur an die Prämien und Sonderleistungen für den Umzug aus den neuen Bundesländern in die alten denke! Insofern war ich angenehm überrascht, dass Herr Clement dieses Thema bei der Kommentierung der Arbeitslosenzahlen nicht angesprochen hat. Das hatte ja auch Frau Clement einige Tage vorher erledigt: „Wer einen Job wirklich will, kriegt ihn auch“. Dem ist nichts hinzuzufügen! Die Meinung ist zu weit von der Realität entfernt, aber gemäß Herrn Müntefering von der Meinungsfreiheit gedeckt.

In der Bremer Statistik findet sich unter „ALG-II-Empfänger“ noch immer kein Eintrag, aber in der Bundesstatistik ist klargestellt, dass für Bremen keine Zuschätzung vorgenommen wurde.

Zur Ausbildungslage sagt ein Berufsberater der Bundesagentur für Arbeit in Bremen laut „Weser-Kurier“ vom 30. März, eine „Null-Bock-Stimmung“ unter Jugendlichen gebe es nicht, es fehlten einfach die Ausbildungsplätze. Herr Jens Hermann sagte weiter: „Die Jugendlichen wollen gerne arbeiten“.

Inzwischen habe ich die Gegenposition für die verschwundenen Köpfe gefunden, nicht zu 100 Prozent, aber um immerhin 40.209 Personen, von 2.133.273 auf 2.093.064, ist die Zahl der Leistungsempfänger gesunken, jeweils Stichtag 15. Februar 2005, jedoch beim ALG I, also allein im Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit.

Die Arbeitserlaubnisse für Ausländer sollen es jetzt bringen: 870.000, eine hohe Zahl, aber darin sind wahrscheinlich auch die Arbeitserlaubnisse für Menschen enthalten, die seit Jahren bei uns leben, aber zum Teil nicht in der Arbeitslosenstatistik erscheinen. Sie erhalten Leistungen nach einem anderen Rechtskreis, und noch weniger. Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden!

Hans-Dieter Binder

 

Die Bänder stehen still!

Heute haben bei uns im Bremer Mercedeswerk ab 12 Uhr die Bänder in der SL-Produktion stillgestanden, für zweieinhalb Stunden! Es fehlten die Innenverkleidungen, die bei Dräxlmaier in Achim gefertigt werden, denn dort haben gut 50 Kollegen die Arbeit niedergelegt!

Sie streiken für die Durchsetzung eines Haustarifvertrags und einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Dräxlmaier ist nicht im Arbeitgeberverband und lässt 40 Stunden arbeiten, bei Löhnen, die unter dem Tarifvertrag liegen und nach Nasenfaktor gezahlt werden! Als nun weitere Arbeitsplätze abgebaut und Kollegen in andere Werke versetzt werden sollten, war für viele klar, dass es jetzt reicht!

Die Kollegen haben ihren Streik von Anfang an mit einer Torblockade und Patrouille des Geländes verbunden, weil die Geschäftsleitung ein Loch in den Werkszaun geschnitten hat, um Lastwagen zu beladen. Es sollen notfalls Hubschrauber eingesetzt werden, um die Produktion wieder laufen zu lassen! Die Geschäftsleitung hat Polizei angefordert und will per Eilverfahren einen Gerichtsbeschluss erreichen, dass am Dienstag um 15 Uhr die Torblockade beendet werden muss. Sonst sollen die Streikenden den Hubschrauber bezahlen!

Die Kollegen streiken selbständig, und wie ich höre, ist die Stimmung aufgewühlt und kämpferisch. Sie sind zum größten Teil IG-Metaller und werden von den örtlichen Funktionären beraten, doch sie entscheiden selbst. Sie verlangen die Durchführung einer Urabstimmung, damit ihnen die Gewerkschaft Streikgeld bezahlt. Sie wollen aber so oder so weitermachen, bis ein akzeptabler Haustarifvertrag zustande gekommen ist, denn die bisherigen Angebote der Geschäftsleitung sind einfach zu schwammig!

Es gibt ungefähr 20 Streikbrecher und einige Leiharbeiter, die zu diesem Zweck eingestellt wurden. Denen wurde versprochen, im Falle einer betriebsbedingten Kündigung den Lohn ein Jahr weiter bezahlt zu bekommen! Doch wenn der Lagerbestand auf dem Werksgelände aufgebraucht ist, wird bei Mercedes auch ohne Torblockade wieder die Produktion stillstehen!

Ein Montagearbeiter von Daimler-Chrysler

 

Wohnen mit ALG II

Es gibt kaum Wohnungen in Bremen, die mit ALG II bezahlbar sind und in Annoncen angeboten werden. Die vorgegebenen Höchstmieten, die ALG-II-Empfängern erstattet werden, sind sozial nicht haltbar, das ist das Fazit aus dem „1. Bremer Mietspiegel 2004/05“. Aus den Bremer Montagdemos ging der frisch gegründete „Soziale Lebensbund“ hervor, dessen Mitglieder Matthias Brittinger und Ralph Mels für die Mietpreis-Übersicht seit Oktober Inserate für 3315 Bremer Wohnungen ausgewertet haben.

Das Ergebnis: Durchschnittliche Kaltmieten für kleine Wohnungen in Bremen liegen um 25 bis 45 Euro über dem erstatteten Regelsatz von 245 Euro (inklusive Wasser und Gebühren) für alleinstehende ALG-II-Bezieher. Selbst in Bremen-Nord liegt die Durchschnitts-Kaltmiete (mit 248 Euro für Wohnungen bis 50 Quadratmeter) über diesem Satz. Natürlich schließt die hohe durchschnittliche Miethöhe nicht einzelne preiswertere Wohnungen aus.

Ein echter Mietspiegel ergibt sich aus den Inseraten nicht, schon weil gerade vermietete Wohnungen nicht berücksichtigt sind. Es gebe außerdem aufwendige, wissenschaftlich abgesicherte Verfahren für offizielle Mietspiegel, erklärt Reinhard Josties, Geschäftsführer des Mietervereins Bremen. Die Kosten, schätzungsweise 500.000 Euro, würden alle zwei Jahre anfallen, da der Mietspiegel aktualisiert werden muss. Für den politischen Protest gegen die ALG-II-Mietregelung taugt der derzeitige Test allerdings, auch ohne die rechtliche Funktion eines echten Mietspiegels erfüllen zu können.

Die billigere Alternative zu einem Mietspiegel ist ein Mietkataster. Vor einigen Jahren sei versucht worden, so etwas in Bremen einzurichten. Das Projekt scheiterte am Datenschutzrecht, so Josties, der es generell nicht für sinnvoll hält, da die Datenbasis in einem solchen freiwilligen Kataster unsicher sei. Dadurch werde es manipulationsanfällig, etwa um hohe ortsübliche Vergleichsmieten als Argument für Mieterhöhungen zu gewinnen.

Als einzige deutsche Stadt, sagt der Mieterverein-Geschäftsführer, habe Hannover ein solches Mietkataster. In Bremen müsse im Zweifelsfall weiterhin vor Gericht von Gutachtern entschieden werde, was eine ortsübliche Vergleichsmiete ist.

Unterdessen hält Matthias Brittinger nicht für ortsüblich, worauf er in seiner Recherche als Höchstpreise stieß: ein 15-Qudratmeter-Zimmer für 270 Euro oder 75 Quadratmer für 1.100 Euro – kalt, versteht sich. Brittinger kündigt an, der „Soziale Lebensbund“ wolle die Statistik an Bausenator und Sozialsenatorin überreichen, um darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der vorläufigen ALG-II-Miethöhe nur vereinzelte Wohnungen, vor allem in Randbezirken, zu finden seien.

Auch Reinhard Josties findet, dass „für Alleinstehende die von der Bagis veranschlagten Mietkosten zu niedrig sind“. Er macht das am Eigenbeitrag Bedürftiger im Sozialen Wohnungsbau fest: der liege bei angemessener Größe bereits bei etwa 255 Euro Kaltmiete. Die zugespitzte Konsequenz: „Sozialwohnungen dürfen von alleinstehenden ALG-II-Empfängern nicht bewohnt werden“. Entscheidend sei jetzt die Handhabung: Die Bagis müsse Spielräume im Einzelfall „mit Augenmaß“ ausloten.

M. K. R. in der „Tageszeitung Bremen“ (taz) vom 31. März 2005

 

Wie sich die Schröder-Clement-Regierung ihre Zahlen zurechtstutzt

PfingstjugendtreffenBei Sonne und warmem Wind bauten wir unsere 32. Kundgebung der Montagsdemo in Bremen um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz auf. Zwischen Roland und Laternen wurden Wäscheleinen gespannt und mit Texten in Klarsichthüllen zur Situation der Rentner und anderer Betroffener der unverschämten Regierungspolitik behängt. Viele blieben stehen, um die Texte richtig durchzulesen.

Kämpferische Songs verschiedener Gruppen, vermischt mit alten gewerkschaftlichen und internationalen Liedern, leiteten ein und füllten die Zeit zwischen den Redeblöcken.

Gleich zu Anfang gab es auch den Paukenschlag: Die Statistik der Bundesregierung, die sich jetzt „Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt in Deutschland“ nennt, ändert ohne jede Begründung und jeden Hinweis Zahlen in ihren monatlichen Berichten, damit Clement seine „Trendwende“ herausposaunen kann!

Zum Beispiel lauteten per Stichtag 15. Februar 2005 die Zahlen der „Nichtarbeitslosen Leistungsempfänger nach § 428 SGB III (58er-Regelung)“ für Januar 398.972 und für Februar 394.063. Zum 15. März 2005 hat sich diese Zahl stärk verändert, auf 232.039 Personen, ein Minus von 167.346 Köpfen. Nur wer alle Zahlen auch aus der Vergangenheit nachprüft, findet heraus, dass diese rückwirkend geändert oder gefälscht (wie soll man es nennen?) wurden. Klar wird nur eines: Keiner Aussage dieser Regierung kann man mehr glauben!

Da stimmte es richtig froh, dass es heute durch einen Warnstreik bei einem Automobil-Zulieferer hier in Bremen zu Produktionsstillstand bei Daimler-Chrysler kam. Die Streikposten konnten auch verhindern, dass Produkte durch ein in den Zaun geschnittenes Loch den Betrieb verließen. Auch freute es uns zu hören, dass die Kollegen der Dr.-Heines-Klinik nach neunwöchigem Streik die Bezahlung nach BAT durchsetzen konnten!

GelsenkirchenMit 60 bis 80 Teilnehmern waren wir wieder etwas mehr als vor zwei Wochen. Da passte es auch gut, für das Pfingstjugendtreffen und eine große De­monst­ration am 14. Mai in Gelsenkirchen gegen Hartz IV und die Agenda 2010 zu werben. Einige überlegen sich bereits, dorthin mitzukommen. Wir wollen eine Fahrgemeinschaft organisieren, auch für Teilnehmer, die am gleichen Tag zurückkehren möchten. Anmeldungen nimmt unser Moderator entgegen.

Mit Hohn und Spott quittierten wir die flapsig-dummdreisten Kundgebungen der Karin Clement, die den Arbeitssuchenden empfahl, sich ein liebevolleres Elternhaus zu suchen. An Freiheit und Gerechtigkeit erinnernd, sangen wir zum Schluss der Kundgebung die „Marseillaise“ und zogen dann mit einer kleinen Fußwegdemo zum Ziegenmarkt. Auf dem Weg blieben einige Passanten stehen, fragten nach der Montagsdemo oder lächelten uns ermutigend zu.

Auf dem Nachbereitungstreffen werteten wir die heutige Aktion als Erfolg. Es wurden wieder neue Ideen überlegt. Unser geplantes Frühlingsfest müssen wir etwas nach hinten in den Juni-Anfang schieben. Einladungen an benachbarte Montagsdemos werden noch folgen.

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz