23.6.2009

Sozialgerichte rügen Bagis
Richter: Stromschulden müssen auch für Betroffene ohne Kinder bezahlt werden

Von Elke Gundel

 
 
Foto: Stoss
   
Bremen. Die Bagis muss Schulden für die Stromrechnung bei drohender Sperrung der Energie- oder Wasserversorgung auch bei Haushalten ohne Kinder als Darlehen übernehmen. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) jetzt entschieden. Geklagt hatte eine alleinstehende Frau aus Bremen-Nord, sagte Herbert Thomsen, Berater beim Bremer Erwerbslosenverband (BEV). Das Sozialressort prüft nun, ob die einschlägige Verwaltungsanweisung geändert werden muss, erklärte Ressortsprecherin Petra Kodré.

Die Klägerin hat laut Herbert Thomsen im Herbst von der swb AG ihre Jahresabrechnung für Strom erhalten. Es wurde eine Nachforderung von 614,74 Euro fällig. Die swb habe eine Ratenzahlung abgelehnt, und die Bagis habe der Frau ein Darlehen in Höhe der Schulden verweigert. Die Bremerin zog vor Gericht und bekam Ende März vor dem Sozialgericht Recht (Aktenzeichen S 23 AS 547/09 ER). Eine Wohnung ohne Strom, so die Argumentation des Gerichts, komme einer Notlage wie der Wohnungslosigkeit nahe. Daher sei Paragraph 22 des Sozialgesetzbuchs II so auszulegen, dass die Bagis eine Schuldenübernahme nur in atypischen Fällen ablehnen dürfe.

Die Bagis legte Beschwerde ein, zog aber auch in zweiter Instanz den Kürzeren (Aktenzeichen L 7 AS 546/09 B ER). Bei einer (drohenden) Sperrung der Energie- oder Wasserversorgung, so das Gericht, sei die Wohnung faktisch unbewohnbar. Daher müsse die Bagis das Darlehen gewähren.

Bislang, erklärte Herbert Thomsen, gewähre die Bagis Alleinstehenden oder Paaren ohne Kindern bei Stromschulden generell kein Darlehen. Grund sei eine Verwaltungsanweisung des Sozialressorts. Dort heiße es, die Übernahme von Stromschulden komme vor allem dann in Betracht, wenn Kinder im Haushalt leben. Ein strikt formuliertes Ausschluss-Kriterium für Leistungsempfänger ohne Kinder ist das zwar nicht. Es werde aber so ausgelegt, erklärte Thomsen. Daher müsse die Sozialbehörde die Verwaltungsanweisung ändern. Vergibt die Bagis ein Darlehen, kann sie anschließend bis zu zehn Prozent des monatlichen Regelsatzes einbehalten, um sich das Geld zurückzuholen, erklärte er.

Die Situation der betroffenen Frau aus Bremen-Nord sei typisch, betonte Thomsen: "Sehr viele Leute kommen in Schwierigkeiten, wenn nach der Jahresabrechnung eine Nachforderung fällig wird." Die Summe könne aus dem laufenden Regelsatz einfach nicht auf einen Schlag bezahlt werden. Egal, ob es um Schulden bei Gas-, Wasser oder Strom gehe - "in der Regel wird der Strom abgestellt. Das ist technisch am einfachsten". Swb-Sprecher Christoph Brinkmann bestätigte das. Im vergangenen Jahr, sagte er, habe die swb AG bei 7656 Haushalten in Bremen Sperrungen veranlasst. Auf die eigentlichen Schulden werde dann noch einmal eine Gebühr von 85,76 Euro erhoben (für die Sperrung und die spätere Entsperrung). Dazu kommen weitere 40,56 Euro Wegegeld: "Bevor wir sperren, kommt ein Mitarbeiter vorbei, um den Betroffenen die Chance zu geben, die Schulden an Ort und Stelle zu bezahlen."

Bagis-Sprecherin Katrin Kaufmann bestätigte die Darstellung des Erwerbslosenverbandes. Das Problem sei bekannt, die Bagis sei bereits mit dem Sozialressort im Gespräch. Zielrichtung: Eine klarere Fassung der Verwaltungsanweisung. Denn an diese Vorgabe, sagte Katrin Kaufmann, sei die Bagis gebunden. Ressortsprecherin Petra Kodré dagegen betonte, die Verwaltungsanweisung lasse durchaus Spielraum, um auch Betroffenen ohne Kindern ein Darlehen zu gewähren. "Da steht ja nicht, dass nur dann ein Darlehen möglich ist, wenn Kinder im Haushalt leben." Das Ressort werte derzeit die Gerichtsbeschlüsse aus. Es müsse genauer definiert werden, was "atypische" Fälle sind. Sei das klar, könne entschieden werden, ob die Verwaltungsanweisung geändert werden müsse.

© Bremer Tageszeitungen AG



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