20.5.2008

Platzt nun der Brechmittelprozess?
Anwalt stellt Befangenheitsantrag / Richter hat sich vor Jahren in einem Fachaufsatz zu dem Fall geäußert

Von unserem Redakteur
Bernd Schneider

BREMEN. Unmittelbar in der Zielgeraden muss der Brechmittelprozess unter Umständen abgebrochen und neu aufgerollt werden. Grund ist ein Befangenheitsantrag gegen die beiden Berufsrichter. Unter dem Titel "Hauptstadt des organisierten Erbrechens?" hatte der Vorsitzende Richter Bernd Asbrock sich bereits im Jahr 2005 zu dem Fall geäußert - in einem Artikel für die juristische Fachzeitschrift "Verdikt".

Dem Verdächtigen, so schrieb er damals, sei "gewaltsam ein Brechmittel eingeflößt worden". Den Einsatz von Brechmitteln nannte Asbrock eine "fragwürdige Form der Beweissicherung" und zitierte "Vertreter der Ärzteschaft", die sie "als medizinisch nicht indiziert und unverantwortbar" verurteilten.

Diese Haltung warf ihm nun Verteidiger Erich Joester vor. Asbrock habe "das Vertrauen meines Mandanten in die Unvoreingenommenheit des Richters zerstört". Der Richter habe sich "in der Öffentlichkeit festgelegt, dass die Brechmittel gewaltsam eingeflößt" wurden. Als Richter im Prozess müsse er genau darüber nun unbefangen entscheiden. Dabei habe er sich "zum Sachverhalt und zur rechtlichen Würdigung" längst ein Urteil gebildet.

Den Anlass für den zweiten Befangenheitsantrag - gegen die Beisitzende Richterin Erika Segond sowie eine Laienrichterin - lieferte Richter Asbrock unmittelbar im Anschluss: Er führte aus, dass er das Problem einer möglichen Befangenheit mit seinen Kollegen in der Strafkammer beraten habe. Die Berufsrichterin Segond sowie eine Schöffin hätten das aber nicht als Belastung für das Verfahren angesehen. Der Verteidiger wirft ihnen nun genau das vor: Sie hätten bei einem "offensichtlichen Befangenheitsgrund" nicht reagiert und den Fall nicht abgegeben.

"Das überrascht jetzt sicherlich etwas", sagte Asbrock und wandte sich an Joester: "Ich bin davon ausgegangen, dass Sie das wissen." Schließlich erhalte auch seine Kanzlei die Fachzeitschrift "Verdikt", herausgegeben von der Gewerkschaft ver.di. Im Übrigen habe er lediglich allgemeine "rechtspolitische Erklärungen" zum Einsatz von Brechmitteln mit der Magensonde ("unter Zwang") abgegeben. Asbrock: "Ich habe mich zu der Maßnahme an sich geäußert. Das hatte hat mit dem Angeklagten überhaupt nichts zu tun."

Besonders überrascht zeigte sich der Richter über den Zeitpunkt des Befangenheitsantrags. "Seit April 2006 liegt die Anklage bei unserer Kammer", sagte er. Und gestern, dem letzten Tag der Beweisaufnahme, stelle Joester seinen Antrag. Befangenheitsgründe sind aber "unverzüglich geltend" zu machen, also unmittelbar nachdem sie bekannt werden.

Joester versicherte indes, von dem über drei Jahre alten Zeitschriften-Artikel erst gestern erfahren zu haben.

Bis zur Entscheidung über den Befangenheitsantrag durch eine andere Kammer ist die Beweisaufnahme ausgesetzt. Das Ergebnis wird am 28. Mai um 9 Uhr verkündet.

© Bremer Tageszeitungen AG



DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN