23.5.2007 | |
Frage: Herr Schneider, Sie sind Chef einer großen Behörde. Werden Sie um Ihren Job oft beneidet? Thomas Schneider: Die Bagis ist die fünftgrößte Arge bundesweit. Wir haben mit einem völlig neuen Gesetz zu tun, mit neuen Zielsetzungen und Ansprüchen, zudem mit völlig neuen Strukturen und Mitarbeitern aus verschiedenen Behörden-Kulturen. Da ist es nicht ganz einfach, den wirklich gut gemeinten Kern dieser Reform umzusetzen. Ich kenne niemanden in der Verwaltung oder im Management, der mich um diesen Job beneidet. Vielleicht auch, weil Sie so wenig Erfolge vermelden können? Ich habe den Eindruck, dass wir - gemessen an den Rahmenbedingungen und der Kritik in der Aufbauphase - bereits zunehmend gute Arbeit leisten. Wenn man das mit Insidern bespricht, die solche Prozesse kennen und viele Arbeitsgemeinschaften vergleichen, dann wird uns bestätigt: Ihr seid da ein ordentliches Stück vorangekommen. Rechnungshof und Innenrevision haben die Bagis heftig kritisiert. 40 bis 60 Prozent aller Bescheide sind fehlerhaft. Tut das nicht weh? Doch, natürlich tut das weh. Aber auch deshalb, weil die Kritik nur teilweise berechtigt ist. Es hat keinen Insider gewundert, dass es Defizite in einzelnen Bereichen gibt. Aber: In allen Argen in Deutschland muss die Qualität besser werden. Bei fast allen regionalen Vergleichen schneiden wir besser ab als die meisten vergleichbaren Großstädte. Außerdem hat es mich geärgert, dass wir uns prüfen lassen mussten wie eine Einrichtung, die seit 40, 50 Jahren arbeitet. Das ist nicht ganz fair, und es wird den Rahmenbedingungen nicht gerecht, unter denen wir hier engagierte Aufbauarbeit geleistet haben. Wo liegen derzeit Ihre größten Baustellen? Wir haben immer noch Probleme mit der Transparenz der Bescheide und eine zu hohe Fehlerquote in manchen Leistungsbereichen. Die Vereinbarungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt mit unseren Kunden müssen zum Teil noch besser werden, stärker zugeschnitten auf den Einzelnen. Das klappt seit dem Start der Bagis im Jahr 2005 nicht. Wieso eigentlich? Vieles können wir von Bremen aus gar nicht beeinflussen. Zum Beispiel das Computerprogramm, mit dem wir arbeiten. Das ermöglicht uns nicht die Transparenz, die wir uns selber wünschen. Außerdem sind wir extrem gewachsen, von 400 Mitarbeitern auf 700. Mehr als die Hälfte hat vorher in ganz anderen Bereichen gearbeitet. Und: 28 Prozent sind befristet. Man braucht mindestens ein Jahr, um einen guten Job als Arbeitsvermittler zu machen. Und im nächsten Jahr arbeitet man schon seinen Nachfolger ein. So schaffen wir nicht die Qualitätsbasis, um den Menschen zu helfen, die unsere Hilfe dringend brauchen. Diese Erkenntnisse sind ja nicht neu. Warum passiert nichts? Im Gegenteil, es passiert sehr viel. Wir haben die Kritik sehr ernst genommen und gehandelt. Wir haben Arbeitsgruppen und Qualitätszirkel eingerichtet, wir haben Verfahren verbessert und das Thema Qualität nach der turbulenten Aufbauphase zum Schwerpunktthema auf allen Ebenen in 2007 gemacht... Also: Mehr Schaumschlägerei? Nein, wir sind ganz nah an der Praxis. Zum Beispiel haben wir das Vier-Augen-Prinzip eingeführt: Wo wir Menschen per Bescheid auffordern, ihre Wohnungskosten zu senken (meist durch Umzug, d. Red.), guckt jetzt neben dem Sachbearbeiter auch eine Führungskraft genau hin, ob wirklich alle Entscheidungsgesichtspunkte hinreichend abgeprüft und gewürdigt sind. Das ist aber nur ein winziger Teilaspekt. Wir schulen, schulen und schulen: Anrechnung von Einkommen, Vermögen und Unterhaltszahlungen, Berechnung von Miete und Nebenkosten, Vereinbarungen für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt - um nur die am stärksten kritisierten Bereiche zu nennen. Wir haben damit übrigens schon vor dem Bericht des Rechnungshofs angefangen. Aber wir können ja nicht alle Mitarbeiter gleichzeitig rausziehen. Außerdem freuen wir uns sehr über die Entscheidung der Stadt, bewährte befristete Mitarbeiter für weitere zwei Jahre zu übernehmen. Wie reagieren eigentlich Langzeitarbeitslose heute auf die Bagis? Bei über 40 000 Bedarfsgemeinschaften wird keine Arge beschwerdefrei arbeiten können. Wir haben ein Kunden-Reaktionsmanagement... ... ein was?... ... "Beschwerde-Management" klingt so negativ. Wir bekommen ja auch positive Rückmeldungen. "Mir wurde geholfen", "ich wurde sehr zuvorkommend behandelt". Aber es ist richtig: Meist kommen Beschwerden. Die Menschen fühlen sich ungerecht behandelt, verstehen Entscheidungen nicht, empfinden die Gesetzeslage als ungerecht. Meist ist es eine Mischung aus Frust mit einem sachlichen Hintergrund. Manche Beschwerde hat ihre Ursache auch in den unterschiedlichen Maßstäben: Was findet der Betroffene zumutbar, und was erachtet der Fallmanager als sinnvoll, der seine Entscheidung ja auch vor dem Steuerzahler rechtfertigen muss. Die Beschwerden aus den Anfangstagen - wir waren schwer erreichbar, es gab lange Wartezeiten - kommen heute nur noch vereinzelt. Immer wieder wird kritisiert, die Bagis steckt zu viel Geld in Ein-Euro-Jobs, die am Ende nur in die Arbeitslosigkeit führen. Wie lange soll das noch so gehen? Qualifizierung von Arbeitslosen hat für uns eindeutig Vorrang. Aber wir brauchen auch niederschwellige, einfache Qualifizierungen, die zu Beginn kaum verfügbar waren. Übergangsweise haben wir in Bremen gemeinsam stärker auf Integrationsjobs (Ein-Euro-Jobs, d. Red.) gesetzt, übrigens immer mit hohen Qualifizierungsanteilen. Für viele war das eine sehr gute Startmaßnahme: den Alltag bewältigen, Verantwortung übernehmen, Selbstvertrauen gewinnen, wieder Fuß fassen. Das erste Glied in unserer Förderkette. Jetzt kommen je nach Einzelfall Weiterqualifizierung und am Ende hoffentlich für viele die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, im Idealfall in der freien Wirtschaft. Im April hatten wir 45 Prozent mehr Fort- und Weiterbildung als vor einem Jahr - und 45 Prozent mehr Förderungen zur Einarbeitung in Betrieben. Qualifizieren Sie jetzt alle in den Arbeitsmarkt? Das vielleicht nicht. Die wichtigste Rolle beim Rückgang der Arbeitslosigkeit spielt die Konjunktur. Aber wir tragen dazu bei, dass sie qualifizierte Kräfte findet, wenn sie gebraucht werden: 30 Prozent unserer Kunden sitzen nicht zu Hause, sie sind in einer sinnvollen und wichtigen Maßnahme zur Aktivierung. Ständig. Das ist eine herausragende Quote, besser als in allen Vergleichsgroßstädten. Dort schafft man teilweise nur 13 Prozent. Da bin ich - auch für unsere engagierten Mitarbeiter - ein bisschen traurig, dass diese Dinge in der öffentlichen Wahrnehmung oft untergehen. |
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