1.3.2007

"Der 10. Oktober war wie ein Albtraum"
Untersuchungsausschuss befragt die frühere Sozialsenatorin Karin Röpke und ihren Ex-Staatsrat Arnold Knigge

Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler

 
 
Oben: Bremens frühere Sozialsenatorin Karin Röpke. Unten: Ex-Staatsrat Arnold Knigge. Fotos: Koch
   
BREMEN. Bei der Frage nach dem 10. Oktober 2006, dem Tag, an dem Kevins Leichnam im Kühlschrank seines Ziehvaters gefunden wurde, droht die Stimme der Zeugin im Ausschuss zu brechen. "Das war ein Albtraum", sagt Bremens frühere Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) schließlich und quält sich dann durch die Erinnerungen an einen Tag, an dem ihre Kolleginnen sie morgens weinend im Büro begrüßten. Eine Stunde zuvor hatten Sozialarbeiter und Polizisten den zweijährigen Kevin aus der Wohnung seines Ziehvaters an der Kulmer Straße in Gröpelingen holen wollen.

Doch sie kamen zu spät. Nicht Tage, sondern Monate. Dass das tote Kind aus dem Kühlschrank der kleine Junge war, bei dessen Fall Karin Röpke Anfang Januar 2006 auf Bitten von Bürgermeister Jens Böhrnsen persönlich nachgehakt hatte, wurde der Senatorin nach ihren gestrigen Aussagen erst im Laufe des 10. Oktober klar - der zweite Schock nach der bitteren Erkenntnis, dass ein Kind unter staatlicher Vormundschaft grausam zu Tode gekommen war.Vor dem Untersuchungsausschuss "Kindeswohl" schildert die 51-jährige Sozialdemokratin, wie sie am späten Nachmittag den Entschluss fasste, zurückzutreten.

"Bis heute bin ich fassungslos, dass so etwas passieren konnte, obwohl der Amtsleiter und die Senatorin an dem Fall dran waren." Doch der Fallmanager habe falsche Berichte angefertigt. Darin sei unter anderem von Hausbesuchen die Rede gewesen, die nie stattgefunden hätten, nennt Karin Röpke ein Beispiel. Die direkten Vorgesetzten wiederum hätten den Fallmanager nicht kontrolliert. Nach ihrer Überzeugung gab es nämlich gleich mehrere Gründe, warum Kevin aus der Familie hätte genommen werden müssen.

"Die Eltern hatten mehrfach getroffene Vereinbarungen mit dem Amt nicht eingehalten." Im gleichen Atemzug bricht Karin Röpke eine Lanze für ihre früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Die große Mehrheit hat in dem Spannungsfeld zwischen Hilfe, Kontrolle, Unterstützung und vor dem Hintergrund des Spardruck sehr engagiert gearbeitet." Und dann fügt sie hinzu: "Ebenso wie Amtsleiter Jürgen Hartwig. Der hatte einen unheimlich schwierigen Job." Rund 90 Prozent des Budgets im Sozialressort seien nicht verhandelbar, sondern müssten aufgrund gesetzlicher Ansprüche ausgezahlt werden.

"Dennoch musste ich mich wiederholt öffentlich dafür rechtfertigen, dass ich angeblich meine Hausaufgaben nicht gemacht und nicht genug gespart habe", sagt die Ex-Senatorin bitter.Dabei hatte Karin Röpke gemeinsam mit ihrem damaligen Staatsrat Arnold Knigge abenteuerliche Spardebatten abzuwehren. Angeblich 93 Millionen Euro könnte die Senatorin einsparen, hieß es in dem Papier einer Projektgruppe."Völliger Unsinn", urteilt der frühere Staatsrat Arnold Knigge, der gestern ebenfalls als Zeuge geladen war. Auch die 40 Millionen Euro, die seine Senatskollegen wenig später immerhin noch zu entdecken meinten, seien aus der Luft gegriffen gewesen. "Das lief so ähnlich wie beim Schlachter. Darf es gerne noch etwas weniger sein?".

Sein früheres Ressort habe unter größten Anstrengungen zwölf Millionen Euro, gestreckt über zwei Jahre, als gerade noch machbar errechnet. Da andere Ressorts im Haushaltsnotlageland ebenso zu kämpfen gehabt hätten, sei oft heftig im Senat gestritten worden. "Das war nicht vergnügungssteuerpflichtig", beschreibt der ehemalige Staatsrat das Klima in der Runde.Der Tod des kleinen Jungen habe jedoch nichts mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu tun gehabt, ist Arnold Knigge überzeugt. Die Kontrolle im Sozialzentrum Gröpelingen allerdings habe versagt - wie auch der Fallmanager des Jungen.

Mit seinem Fazit, dass er im Amt keine "systemischen Schwächen oder strukturelle Fehler" erkennen könne, ruft Arnold Knigge den heftigen Protest der Ausschussmitglieder hervor. Klaus Möhle (Bündnis 90 /Die Grünen) erinnert den Zeugen daran, dass keine vernünftige Vertretungsregelung existierte. Hermann Kleen (SPD) zählt auf, dass es bei Risikomeldungen kein Vier-Augen-Prinzip und kein geordnetes Berichtswesen gegeben habe. Auch die Fachaufsicht sei nicht geregelt gewesen.Rita Mohr-Lüllmann (CDU) stellt fest, dass das System "immerhin kollektives individuelles Fehlverhalten" zugelassen habe, und der Ausschussvorsitzende Helmut Pflugradt resümiert: "Es gab strukturelle Fehler im Amt."

© Bremer Tageszeitungen AG



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