11. Bremer Montagsdemo
am 25. 10. 2004  I◄◄  ►►I

 

Wer hat schon den
Reformer-Knall gehört?

Ursula GatzkeEr kommt bestimmt, ich bin restlos empört! Der Reformer-Knall ist ein „menschliches Versagen“ mit Millionen von Opfern, für die keine Versicherung zahlt, denn hat es erst mal geknallt, war es eben höhere Gewalt!

Doch wie entsteht solch ein Reformer-Knall? Da schweben die hochbezahlten Köpfe oben im „siebenten Himmel“! Sie mischen in Windeseile ein teuflisches Gebräu ohne Verstand, und das wird eins zu eins angewandt!

Den Kranken nehmen sie das Geld aus dem Hemd, was man dann „Gesundheitsreform“ nennt! Den Rentnern klaut man das Rentengeld, die Alten leben in einer Armenwelt!

Der Heimbewohner wird abgezockt auf Brechen und Biegen, der alte Mensch kann ja im Bette liegen! Ein Euro wird für die Stunde Arbeitskraft gegeben, den Rest bezahlt die Agentur für ein Luxusleben!

Gespart wird vom Baby im Bauch bis zum Greis, da wird uns die Suppe ganz schön heiß! Gekürzt und gestrichen, verteuert, verschlampt, verschludert, vergeudet, verschleudert, verprasst, was alles noch in die „heiße Suppe“ passt!

Es brodelt die Suppe schon mächtig über! Die Menschen kriegen jetzt ein Fieber! Wer hat Agenda 2010 und Hartz IV in einem Topf geschmissen? Das geht auf keinen Fall! Dieser „heißen Suppe“ fehlt jedes Gewissen!

Peng, peng, peng! Das ist der Reformer-Knall! Politiker, wir sind für euch nur Schall und Rauch! Einmal in den Himmel heben könnt ihr uns auch! Wir würden so gerne schweben hoch oben auf „Wolke sieben“!

Agenda 2010 und Hartz IV könnten wir sehen aus dem All, und hören würden wir den Reformer-Knall! Es wird knallen, dass die Fetzen fliegen, und Deutschland wird am Boden liegen! Erst dann hören wir die Politiker schreien, dass ihre Reformen wohl ein Irrtum seien!

Ursula Gatzke (parteilos)

 

Wir brauchen ein anderes System

Wir demonstrieren heute hier zum elften Mal, weil wir Hartz IV weghaben wollen: Wer will schon „HIV“? Beides tötet langsam. Aber Hartz IV ist nur die Spitze des Eisbergs!

Dieses und andere Gesetze gehören zu einem globalen Vorhaben, die Welt anders aufzuteilen. Auch mit Hartz IV wird weiter geteilt, zwischen Arm und Reich! Wir müssen begreifen, dass wir nicht wirklich in einer Demokratie leben, sondern in einer Wirtschaftsdiktatur!

Welche Rechte hat denn das Parlament in Straßburg? Warum wird plötzlich nicht mehr EU-Recht „eins zu eins“ in Bundesrecht umgesetzt? Holen wir uns ein Stück der Definitionsmacht zurück! Arbeiten wir für eine hohe Steuer auf alle Luxusgüter! Wir brauchen ein anderes System, um aus den Klauen von Hartz IV, Banken und Konzernen herauszukommen!

Was tut die Regierung, um Ölspekulationsgewinne abzuschöpfen? Nichts! Sie ist eingebunden in die WTO-Verträge, die sie vor circa zehn Jahren unter Führung der USA selbst mit auf den Weg gebracht hat. Das sind kriminelle Knebelverträge, absolut undemokratisch zustandegekommen, an den Vereinten Nationen vorbei!

Wenn Gertrud Höhler, einst „Beraterin“ von Helmut Kohl, jetzt öffentlich erklärt, was mit Hartz IV vor sich gehe, sei unter Umständen verfassungswidrig, dann fragt man sich doch, was tun eigentlich unsere Politiker?

Auch Juristen lassen sich immer ein Hintertürchen offen, wir kennen doch die Sprüche: „Näheres regelt ein Bundesgesetz “ oder so ähnlich. Diese und die vorige Regierung verstoßen etwa fünf Millionen Mal gegen die Menschenrechtserklärung! Klagen wir auf Einhaltung vor dem Europäischen Gerichtshof! Wer nicht kämpft, hat schon verloren!

Roland Springborn (parteilos)
 
Angebliche Alternativlosigkeit: Putsch von ganz oben („Stern“)

 

„Lohnt es sich, die SPD zu retten?“

Angesichts der anhaltenden Proteste gegen die Agenda 2010 und Hartz IV wird die SPD-Parteibasis langsam, aber sicher nervös!

Gestern konnte ich im „Weser-Report“ lesen, dass die SPD-Ortsvereine Horn, Achterdiek, Borgfeld und Oberneuland am morgigen Dienstag eine öffentliche Diskussionsrunde zur aktuellen Sozialpolitik im Hotel „Deutsche Eiche“ veranstalten, mit einem Thema, das mir genüsslich auf der Zunge zergeht, nämlich: Lohnt es sich, die SPD zu retten?

Erich SeifertAbgesehen davon, dass ich spontan mit Nein antworten würde, stellt sich doch die Frage: Wie verzweifelt und verunsichert muss die SPD sein, wenn sie eine Veranstaltung mit solchem Titel versieht? Will sie auf diese Weise Vertrauen schaffen und Politikverdrossenheit bekämpfen?

Die Politik hat Angst vor der Montagsdemo, nicht weil wir den Protest auf die Straße tragen, sondern weil wir auch auf Veranstaltungen von Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbänden als Montagsdemonstranten und betroffene Bürger auftreten und die Vertreter solcher Organisationen auf deren asoziales Verhalten hinweisen!

Die Politik hat Angst vor der Montagsdemo, weil wir ihr Bild von einer heilen Gesellschaft zerstören, in der Probleme so weit weg oder zumindest so gut versteckt sind, dass ihre Wahrnehmung eine theoretische bleibt!

Deshalb ist es notwendig, dass wir auch weiterhin mit betroffenen Bürgern auf solche Veranstaltungen gehen, um den Protest in die Diskussion zu tragen, damit die Armut und der Widerstand in diesem Land ein Gesicht bekommen!

Ich kann nur alle von der gesetzlich verordneten Armut betroffenen Menschen auffordern: Geht in öffentliche Veranstaltungen und schildert dort die Folgen des Sozialkahlschlags für eure eigenen Lebensverhältnisse! Gebt den Auswirkungen von Hartz IV ein Gesicht: euer Gesicht!

Erich Seifert (parteilos)

 

Für soziale Gerechtigkeit,
weltweit und vor Ort!

„Eine Montagsdemonstration in Bremen – ist das nicht ein bisschen übertrieben?“, wird sich manch eine(r) fragen. Wir finden nein. Seit einigen Wochen breitet sich in Deutschland eine Protestwelle aus, die sich an den „Sozialreformen“ der Bundesregierung – insbesondere an Hartz IV – entzündet hat. Auch wer nicht unbedingt die Erwartung hat, dass diese Proteste zu einer kurzfristigen Rücknahme von Hartz IV führen werden, sollte sie doch als politische Chance begreifen. Als Chance dafür, klarzumachen, dass es so nicht weitergehen kann. Als Chance dafür, Politik nicht allein Parteien und Verbänden zu überlassen, sondern sie verstärkt in die eigenen Hände zu nehmen und gemeinsam darüber nachzudenken, wohin die Reise gehen soll.

Wir erleben eine Diktatur der Großaktionäre, Investmentbanker, Anleger und Vorstände. Es hat sich eine moderne Geldelite gebildet, deren einziger Wert der gefüllte Geldbeutel ist. Die Lobbygruppen dieser Geldelite bestimmen die öffentliche Diskussion darüber, wie Gesellschaftlichkeit und gesellschaftliche Entwicklung national und international auszusehen hat – vorgeführt jeden Sonntag bei Sabine Christiansen. Sie schaffen es erfolgreich, dringend notwendige Änderungen des globalen Wirtschaftssystems mit Verweis auf vermeintliche ökonomische Sachzwänge zu blockieren. Unter dem Stichwort „Entlastung der Wirtschaft“ widmen sie sich mit hohem Elan und großer Aggressivität dem Angriff auf die sozialen Verhältnisse.

So ist Hartz IV Teil und Kehrseite der Umgestaltung dieser Gesellschaft im Sinne des maximalen Gewinns der Aktionärs- und Vorstandscliquen. Anstatt ausschließlich über „die Politiker“ zu schimpfen, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir dem weiter zusehen wollen. Oder ob wir anfangen wollen, uns selbst einzumischen. Denn dass Vorständler wie die Herren Schrempp oder Ackermann es sich erlauben können, im Jahr elf Millionen Euro an Bezügen einstreichen, ist auch Teil unserer Schwäche und Nichteinmischung.

Wir erleben eine Entwicklung, die eine gnadenlose Konkurrenz aller gegen alle mit sich bringt. Bundesländer, Regionen und Staaten liefern sich einen Wettbewerb um die besten Rahmenbedingungen. Firmenstandorte werden gegeneinander ausgespielt, um eine Senkung der Standards im Unternehmen zu erreichen. Weltweit profitieren Gruppen von Reichen und Superreichen von dieser Entwicklung, während das Ganze überall auf der Welt für viele nichts anderes als eine stetige Abwärtsspirale ist. Wir müssen uns die Frage stellen, ob es eine Möglichkeit gibt, dieses weltweite Rattenrennen zu beenden. An eine nationale Lösung glauben wir nicht. Wir sind uns sicher: Ohne Nachdenken darüber, wie soziale Gerechtigkeit im internationalen Maßstab aussehen und umgesetzt werden kann, werden wir auch hier keinen Erfolg haben.

„Sparpolitik“ und der Versuch, den ständig wachsenden Reichtum für wenige zu reservieren, hat viele Gesichter: Für die einen bedeutet es eine gravierende Einschränkung bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, für die anderen hemmt es die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Für wieder andere bedeutet es die Vernichtung der bisherigen Existenz, wenn zum Beispiel die Abschiebung mit dem Hinweis auf knappe öffentliche Kassen begründet wird. Vielen tritt die Verteidigung des Reichtums in Gestalt eines Bollwerks, als Festung Europa, gegenüber. Und der Versuch, deren Mauern zu überwinden endet für Ungezählte tödlich.

Wir sind der Auffassung, dass diese Dinge zusammengehören und wir sie auch zusammen angehen sollten. Proteste gegen das, was uns als „Reform“ verkauft werden soll, sind richtig und notwendig. Sie sollten ein Anfang dafür sein, uns wieder mehr in Politik einzumischen, selbst aktiv zu werden und die Kursbestimmung nicht einer selbsternannten Elite zu überlassen.

Redebeitrag des „Antirassismusbüros Bremen“

 

Mehr Orte für
unseren Protest nutzen!

Zu unserer elften Montagsdemo kamen wieder etwa 150 Menschen. Von den Teilnehmern selbst recherchierte Beiträge fanden Gehör. Die ganze Kundgebung und Demonstration wird von einem aktiven Kreis selbst organisiert, und viele Aufgaben werden freiwillig übernommen. Diese neue Demokultur wird aktiv praktiziert und hat alle beteiligten Einzelpersonen und Organisationen im Bremer „Bündnis gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“ enger zusammengeführt.

Aber wir können uns damit nicht zufrieden geben: Die dunkle und bald auch kalte Jahreszeit verringert die Zahl der Straßenpassanten. Wir wollen deshalb noch mehr an andere Orte und in die „Säle“ gehen und mit Fragen und Protesten die Veranstalter, Betroffenen und Interessierten ansprechen. Eine erste gute Gelegenheit, unseren Widerstand gegen die Ein-Euro-Jobs auszudrücken, ist der Bundeskongress der Arbeiterwohlfahrt in Bremen am kommenden Wochenende.

Rote Fahne News

 

Einige Tausend Menschen
demonstrieren erneut

Einige Tausend Menschen haben am Abend erneut gegen die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen demonstriert. Der Zuspruch war damit weiter rückläufig. In Leipzig kamen nach Angaben der Polizei 500 Teilnehmer zu der Protestkundgebung. Auch in Berlin, Rostock, Schwerin und Chemnitz demonstrierten jeweils einige hundert Menschen gegen Hartz IV.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Teufel hat seinen Rücktritt angekündigt. Um die Nachfolge wollen sich die stellvertretende CDU-Bundes­vorsitzende, Landeskultusministerin Schavan, und der CDU-Fraktionschef im Landtag, Oettinger, bewerben. Teufel hatte heute in Stuttgart erklärt, er werde am 19. April kommenden Jahres sowohl das Amt des Regierungschefs als auch den CDU-Landesvorsitz niederlegen.

Der 65-jährige betonte, seine Partei sei nicht mehr geschlossen für ihn als Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl 2006. Daher wolle er gehen. Teufel kritisierte den innerparteilichen Umgang mit ihm. Eine neue Gruppe wolle endlich selbst an die Regierung. Dies sei legitim, rechtfertige aber nicht jedes Mittel.

In der baden-württembergischen CDU hatte es einen monatelangen Streit darüber gegeben, ob Teufel 2006 noch einmal antreten solle. Gestern kam es zu einem Eklat. Staatsminister Palmer, ein Vertrauter des Ministerpräsidenten, ohrfeigte den CDU-Bundestagsabgeordneten Pfeiffer und nannte ihn einen Verräter. Palmer trat heute zurück.

Die Freien Demokraten in Baden-Württemberg wollen das Bündnis mit der CDU auch nach dem angekündigten Rücktritt Teufels fortsetzen. FDP-Chef Westerwelle sagte, seine Partei werde der Union in Stuttgart ein verlässlicher Koalitionspartner bleiben. Die SPD-Landesvorsitzende Vogt erklärte, der Rückzug des Ministerpräsidenten sei Ergebnis einer – so wörtlich – gnadenlosen Demontage durch die eigene Partei.

Deutschlandradio“ am 25. Oktober 2004

 

Aktion bei AWO-Bundeskonferenz

Am Freitag, dem 29. Oktober 2004, fand im „Bremer Congress-Centrum“ der Bundeskongress der „Arbeiterwohlfahrt“ statt. Dabei kam es zu einer Protestaktion von gut 50 Personen in Bezug auf die Ein-Euro-Zwangsarbeit und die Beteiligung der AWO an der sogenannten „freiwilligen Rückkehr“. Gegen 17 Uhr trug diese Gruppe ihren Protest gegen die AWO in ihren Tagungsort. Dabei wurden die Rede des Ehrenvorsitzenden Manfred Ragati gestört und Flugblätter an die anwesenden Deligierten verteilt. Einige AWO-Anhänger(innen) versuchten, die Protestierenden aus dem Saal zu drängen, was allerdings kaum gelang.

Die Aktion richtete sich gegen die AWO, da diese als einer von mehreren Wohlfahrtsverbänden von den Ein-Euro-Zwangsjobs profitieren wird. Der damalige AWO-Vorsitzende Manfred Ragati (neuer Vorsitzender ist der Geschäftsführer der SPD Bundestagsfraktion Wilhelm Schmidt) beschrieb das Interesse der Wohlfahrtsverbände mit den Worten „Die Wohlfahrtsverbände scharren mit den Füßen“ (Frankfurter Rundschau, 7. September 2004).

Ferner richtete sich der Protest gegen die Mitwirkung der AWO an der sogenannten „freiwilligen Rückkehr“, einem Instrument der staatlichen Abschiebepolitik, das Freiwilligkeit vortäuscht, um die Rückkführungspolitik zu legitimieren und auszuweiten. Exemplarisch hierfür ist „Heimatgarten“, ein Ableger der AWO Bremerhaven, spezialisiert auf die Rückkehr alter und kranker Menschen.

Bericht von „egal“ für „Indymedia“
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz