1. Bremer Montagsdemo
am 16. 08. 2004  I◄◄  ►►I

 

Massenprotest gegen Hartz IV

Mehrere zehntausend Menschen haben am Abend gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung protestiert. Schwerpunkt der Demonstrationen war Sachsen-Anhalt. In der Hauptstadt Magdeburg gingen nach Polizeiangaben rund zwölftausend Menschen auf die Straße. In Halle und Dessau waren es jeweils etwa dreitausend. Weitere Aktionen gab es unter anderem in Aschersleben, Halberstadt, Rostock, Gera und Dresden. In Leipzig demonstrierten rund zehntausend Menschen. Kundgebungen gab es ebenfalls in Hamburg, Köln und Frankfurt am Main. Kritisiert wurde vor allem die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Dadurch würden Hunderttausende in die Armut getrieben, hieß es.

Die Bundesregierung kündigte eine Informations-Kampagne an, um ihre Vorhaben besser zu vermitteln. Ihr Sprecher Langguth äußerte zudem Verständnis für die Proteste. Er bezeichnete sie aber zugleich als Ergebnis einer Verunsicherungskampagne. Unterdessen geht der Streit weiter, ob für die Kundgebungen der Begriff Montagsdemonstrationen, der an die Proteste gegen das DDR-Regime erinnert, verwendet werden sollte. Die Befürworter argumentieren, auch 1989 seien die Menschen auf die Straße gegangen, weil sie keine Perspektive mehr gesehen hätten. Die Gegner führen an, es gebe einen qualitativen Unterschied zwischen der Situation in der früheren DDR und der jetzigen Bundesrepublik.

Deutschlandradio“ am 9. August 2004

 

„Bündnis Montagsaktion gegen Hartz IV“ meldet Kundgebung an

Am 10. August 2004 meldet Architekt Thomas Toussaint (parteilos) für ein noch zu bildendes „Bündnis Montagsaktion gegen Hartz IV“ beim Bremer Stadtamt eine Kundgebung am Montag, dem 16. August, zwischen 18 und 19 Uhr unter Verwendung einer Lautsprecheranlage fürs „Offene Mikrofon“ an. Als Ort wünscht er den Grasmarkt am Rathaus, die Teilnehmerzahl schätzt er auf 100. Als Versammlungsleiter benennt er Industriearbeiter Wolfgang Lange.

 

'Anmeldung'

 

Auch in Bremen
Demos gegen Hartz IV

Auch in Bremen sind sogenannte Montagsdemonstrationen gegen das umstrittene Sozialgesetz Hartz IV geplant. Dazu aufgerufen hat die Bremer Bürgerbewegung „Aufrechter Gang“. Sie erwartet für die erste Kundgebung am kommenden Montag rund 100 Teilnehmer. Mit Transparenten und Sprechgesängen will die Bürgerbewegung ihrem Ärger Luft machen.

„Es ist ein Sprung ins kalte Wasser. Keine Ahnung, wie viele sich uns anschließen“, sagt Mathias Henkel, der Vorsitzende der Initiative. Er geht aber davon aus, dass sich auch in Bremen viele Menschen gegen Hartz IV mobilisieren lassen. „Das Gesetz ist eine Ungerechtigkeit hoch drei“, kritisiert Henkel. Es treffe alle, die arbeitslos sind, ganz gleich, ob sie arbeiten wollen oder nicht.

Henkel, der seit Mai an der Spitze der Bürgerbewegung steht, war bis 2003 Abgeordneter der CDU in der Bremischen Bürgerschaft. Kurz vor der letzten Bürgerschaftswahl trat er der Schill-Partei bei.

Radio Bremen“ am 11. August 2004

 

Montagsdemo auch in Bremen

Arbeitsplätze fehlen nicht nur in den östlichen Bundesländern, sondern auch in Bremen mit einer Arbeitslosigkeit von über 13 und in Bremerhaven von über 19 Prozent (offiziell geschönte Zahlen). Diejenigen, die noch Arbeit haben, werden mit der Drohung des Arbeitsplatzverlustes zum Lohnverzicht erpresst. Dagegen soll auch in Bremen demonstriert werden – findet die Initiative „Bürgerbewegung für Bremen und Bremerhaven“. Und zwar am kommenden Montag, dem 16. August, ab 17 Uhr auf dem Bremer Marktplatz.

Tageszeitung“ vom 12. August 2004 mit Verweis
auf die Homepage von „Aufrechter Gang

 

Aufgrund der Berichte, eine Gruppe „Aufrechter Gang“ werde am 16. August 2004 ab 17 Uhr auf dem Bremer Marktplatz eine „Montagsdemonstration“ veranstalten, beantragt Thomas Toussaint eine Verlegung der von ihm angemeldeten Kundgebung an denselben Ort und die vorangehende Stunde ab 16 Uhr.

 

Kundgebung des „Bündnisses Montagsaktion“ wird genehmigt

'Genehmigung'
Am 15. August 2004 stimmt das seit 2003 bestehende „Bündnis gegen Sozial­kahl­schlag“ („Sozialplenum“) dem Vorschlag von Thomas Toussaint zu, die ihm zwischen­zeitlich bewilligte Kundgebung zu „übernehmen“.

 

Aufrechter Gang

Wir sind eine Gruppe politisch interessierter und engagierter Bürger, die etwas bewegen möchte und deshalb eine Wählerinitiative für das Bundesland Bremen aufbaut, um dem rot-schwarzen Filz der viel zu großen Koalition, aber auch grünen oder anderen Ideologen ein vernünftiges und bürgernahes Konzept entgegenzustellen. Unsere Grundsätze: Politik hat sich – wie jeder andere Lebensbereich auch – den in unserer Gesellschaft geltenden moralischen und ethischen Normen zu fügen. Kein Zweck heiligt unanständige Mittel.

'Weser-Kurier vom 8. Mai 2005'HenkelPolitik hat Kundendienst am Bürger zu sein, das heißt Politiker(innen) haben sich vorrangig am Interesse ihrer Wähler(innen) zu orientieren und nicht nur am eigenen. Dafür werden sie von uns allen bezahlt (nicht schlecht übrigens). Der/die Politiker(in) hat dem/der Bürger(in) zu dienen – und nicht umgekehrt! Das Gemeinwohl hat Vorrang vor der Raffgier Einzelner (selbst wenn sie „Sponsoren“ sind).

Freiheit und Sicherheit sind kein Gegensatz, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Nur ein starkes Gemeinwesen – das Sicherheit für jede(n) seiner Bürger(innen) gewährleistet – ist auch ein freiheitliches Gemeinwesen, weil nur dann die Freiheit des/der Einzelnen keine Frage von Reichtum und Vermögen ist. Darum fordern wir eine leistungsfähige Polizei und eine Justiz, die entschlossen gegen Kriminalität vorgeht.

Wenn gespart werden muss, muss es gerecht und mit Verstand zu gehen. Geliehenes Geld zum Fenster hinauszuwerfen für unsinnige und unwirtschaftliche Prestigeobjekte (wie Spacepark, Musicaltheater, Zerstörung der Uniwildnis) und dafür wichtige Zukunftsaufgaben zu vernachlässigen (wie Bildung, Kindergärten, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Erhalt und Ausbau von ÖPNV und Straßen), lehnen wir strikt ab.

Käuflichkeit und Bestechlichkeit zerstört jedes Vertrauen in Politik und Staat. Ob Politiker(innen) oder Beamte Schmiergelder kassieren, ungerechtfertigte Vergünstigungen in Anspruch nehmen (Vorteilsnahme) oder – etwas geschickter – „Sponsoren“ für ihre privaten Geschäfte bemühen: Alle müssen dafür konsequent zur Rechenschaft gezogen und aus allen öffentlichen Funktionen entfernt werden.

Der Staat und die öffentlichen Kassen sind keine Beute, sondern unser aller Eigentum. Politische Ämter sind keine Auffangeinrichtung für beruflich an eigener Unfähigkeit Gescheiterte, sondern eine anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe. Deshalb wollen wir dort keine Schwätzer und Dilettanten mehr sehen, sondern ausschließlich charakterlich und fachlich zuverlässiges Personal. Darum wollen wir auch mit den etablierten Parteien und deren Machenschaften nichts mehr zu tun haben.

Weil diese jedemmann und jederfrau einleuchtenden Grundsätze im Lande Bremen von keiner Partei konsequent verfolgt werden, haben wir uns zur Selbsthilfe entschlossen, denn spätestens im Jahre 2007 wird wieder gewählt im Lande Bremen – und dann mischen wir mit! Wenn Sie dazu auch Lust haben und unter Politik etwas anderes verstehen als Postenjagd, dann sind Sie bei uns richtig aufgehoben.

Selbstdarstellung von „Aufrechter Gang – Weser-Kurier“ vom 8. Mai 2004

 

Keinen Fußbreit den Rechten!

Auch nicht in den Protesten gegen Sozial­kahlschlag! Am nächsten Montag, dem 16. August 2004, ruft die aus der rechten PRO („Schill-Partei“) hervorgegangene Bürgerinitiative „Aufrechter Gang“ zu einer „Montagsdemo“ um 17 Uhr auf dem Marktplatz auf. Die Demo richtet sich gegen den von der Bundesregierung betriebenen Sozialkahlschlag und anderes durch Hartz IV. Dieser Versuch der Instrumentalisierung sozialer Proteste durch rechte Populist(inn)en darf nicht unwidersprochen bleiben! Am Montag den Widerstand gegen den Sozialkahlschlag organisieren! Keinen Fußbreit den Rechten!

Flugblatt des „Bremer Sozialplenums

 

Montagsdemos unter
ungewisser Flagge

Die geplanten Protestkundgebungen gegen Hartz IV in Bremen und Bremerhaven tun sich schwer mit politischen Bekenntnissen. Gegen Hartz IV wird heute um 17 Uhr auf dem Bremer Marktplatz demonstriert. Weitgehend offen ist indes mit wem: Angemeldet hat die Protestkundgebung der Verein in Gründung „Aufrechter Gang“. Der bezeichnet sich als „Bürgerbewegung für Bremen und Bremerhaven“, ist bislang aber noch kaum in Erscheinung getreten.

In Bremerhaven rufen indes „drei Vereinigungen“ dazu auf, ab dem 23. August „im Armenhaus des Landes Bremen Flagge zu zeigen“. Noch allerdings ohne sie selbst zu hissen: Die Anonymität sei „bewusst gewählt“, so Ansprechpartner Karl-Heinz Hoffmeyer. „Wir wollen ein möglichst breites Spektrum erreichen.“ 1999 war Hoffmeyer Kandidat der später aufgelösten Gruppierung „Arbeit für Bremen“. Für die jüngste Wahlrunde hatte er die „Unabhängige Wählervereinigung BHV“ mitbegründet. Der „Tageszeitung“ sagte er, „rechtslastige Gruppierungen“ würden „von uns ausgeschlossen – auch Schill“.

Bei „Aufrechter Gang“ fällt diese Abgrenzung schwerer: Vereins-Vorsitzender Matthias Henkel, einst „DKPist“, war später Vorsitzender der christdemokratischen Gewerkschaft CDA in Bremen und bis Anfang 2003 CDU-Bürgerschafts­abgeordneter. Kandidiert hat Henkel auch für die laufende Legislaturperiode – allerdings für die „Partei Rechststaatliche Offensive“ – Nickname: Schill. Das sei für Henkel „ein abgeschlossenes Kapitel“, so Initiativen-Sprecher Norbert Kück. „Wir wollen gerade mit den gängigen Parteien und den Ideologien von rechts und links nichts zu tun haben.“

Demonstrieren werde man heute, „um den Sozialabbau zu stoppen“. Das im Internet dokumentierte „Aufrechter-Gang“-Programm benennt als eigenes sozialpolitisches Hauptziel indes, „den Missbrauch“ staatlicher Leistungen „als soziale Hängematte zu bekämpfen“. Auch schwebt der Initiative „ein starker, wehrhafter Staat“ vor, dessen Polizei bei Drogenfahndungen „selbstverständlich“ vor dem „Einsatz von Brechmitteln“ nicht zurückschreckt.

Tageszeitung“ vom 16. August 2004
 
PDS geht mit, DGB zögerlich: Hartz-Gegner einigen sich
auf große Montagsdemo („Tageszeitung Berlin“)
Weg mit Hartz IV
Künftige Hartz-IV-Betroffene protestieren vor dem Bremer Roland

 

'Radio Bremen' interviewt einen WASG-Demonstranten
„Radio Bremen“ interviewt einen WASG-Demonstranten
 
10.000 Demonstranten auf dem Magdeburger Domplatz: Gehen Menschen auf die Straße, die nicht genügend über Hartz IV informiert sind? („Tageszeitung“)

 

Das Mikrofon ist jetzt offen!

Liebe Bremerinnen und Bremer! Im Namen des Bündnisses „Montagsaktion gegen Hartz IV“ eröffne ich die heutige Kundgebung. Wir reihen uns damit ein in die wachsende Zahl von Montagsaktionen. Letzte Woche waren es bundesweit an die 60.000 Menschen, die gegen die Politik der Bundesregierung auf die Straße gingen, in Magdeburg allein 15.000, und es werden immer mehr!

Schröder zetert: „Volksfront! Abartiges Bündnis!“ Doch ist nicht gerade die Politik von Schröder abartig? Mit den Hartz-IV-Gesetzen, die im Januar 2005 in Kraft treten sollen, werden 600.000 Menschen aus jeglichem Leistungsbezug herausfallen und Millionen in die Armut gedrückt. Mit sechzehnseitigen Fragebögen sollen die Leute ausgeforscht und zu „gläsernen Menschen“ werden. Gegen all das setzen wir uns zur Wehr!

Wolfgang LangeUnd die Angst der Berliner Politiker, die geglaubt hatten, uns ungestraft um die Früchte unseres Schaffens bringen zu können und Arbeitende gegen Arbeitslose gegeneinander ausspielen zu können, ist nicht unbegründet! Wenn Schröder von „Volksfront“ spricht, hat er genau davor Angst: dass der Zorn des Volkes auf der Straße sich mit den Kämpfen in den Betrieben vereinigt und ihn und seine Regierung hinwegspült. Schon einmal musste eine Regierung erfahren, was Montagsaktionen bewirken können! Weg mit Hartz IV! Das Volk sind wir!

Wir treffen uns heute schon früh am Nachmittag, weil der Marktplatz um 17:30 Uhr für eine andere Kundgebung reserviert ist, die sich frecherweise ebenfalls Montagsdemonstration nennt. Ich erkläre im Namen des Bündnisses gegen Hartz IV, dass wir nichts zu tun haben mit dieser Sache, die von einem Mitglied der Schill-Partei betrieben wird! Was diese Ultrarechten wollen, hat mit den Montagsdemos, wie sie deutschlandweit stattfinden, nicht das Geringste zu tun: Diesen Leuten geht Hartz IV nicht weit genug! Sie wollen noch rigoroser gegen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger vorgehen und versuchen, uns zu spalten!

Hier bei der Kundgebung kann jeder das Wort ergreifen, sofern er sich an die Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten hält und auf antifaschistischer antirassistischer Grundlage steht. Für Leute, die sich an die Montagsaktionen hängen wollen, um ihr braunes Süppchen zu kochen, ist hier kein Platz! Doch ansonsten ist das Mikrofon jetzt offen!

Wolfgang Lange (MLPD) als gewählter Moderator und Versammlungs­leiter der 1. Montagsdemo (Foto: Bücherstand am 1. Mai 1999)

 

Die Montagsdemo geht uns alle an!

Warum gibt es eine Montagsdemo auch in Bremen? Weil die katastrophalen Auswirkungen von Hartz IV und Agenda 2010 alle Teile der Bevölkerung treffen! Die Regelsätze für Arbeitslosengeld-II- und Sozialgeld-Empfänger sowie der Grundsicherung für Rentner liegen mit 345 Euro weit unter dem Existenzminimum!

Jörg MorsteinVon den früheren Arbeitslosenhilfe­beziehern erhalten 71 Prozent künftig weniger oder gar keine Geldleistungen mehr! Hiervon sind hauptsächlich Frauen betroffen: ein politischer Offenbarungseid! Kinderbetreuungskosten müssen aus dem viel zu niedrigen Regelsatz bezahlt werden: Alleinerziehend zu sein, bedeutet also Armut!

Durch die Einführung der Ein-Euro-Jobs werden in den Betrieben reguläre Arbeitsplätze vernichtet! Dieses Schicksal kann jeden Erwerbstätigen treffen! Die systematische Vernichtung der Massenkaufkraft bedroht Kleingewerbetreibende in ihrer Existenz!

Aber unsere Montagsdemo ist nicht nur Ausdruck des Protestes, sondern organisiert auch Hilfestellung für Betroffene! Wehrt euch für eine menschenwürdige Zukunft! Wehrt euch gemeinsam mit uns, bevor es zu spät ist! Wir sind das Volk! Hartz IV und Agenda 2010 müssen weg!

Jörg Morstein (parteilos)
 
25.000 ostdeutsche Montagsdemonstranten: DGB-Vize Engelen-Kefer hofft, dass die Demos zu deutlichen Korrekturen bei Hartz IV führen („Tageszeitung“)
PDS-Stand

 

SAV-Stand

 

Politiker der großen Macht

Ursula GatzkeWas habt ihr bloß aus uns gemacht! Das Maß habt ihr schon längst verloren, dabei hattet ihr doch Gutes geschworen!

Die Wahrheit ist euch abhanden gekommen, da­rum werdet ihr nicht mehr ernst genommen! Früher zogen Ritter ins Land hinaus, heute raubt man vom Sessel aus!

Die Jahrhundertreform mit Brechen und Biegen wird euch noch lange im Magen liegen! Ihr denkt bloß noch an euren Bauch, das ist bei euch schon lange Brauch!

Doch das ist nicht des Volkes Wille, es brodelt schon in aller Stille! Mein Fass ist lange schon übergelaufen, ich konnte so viel gar nicht saufen!

Die Rente ist mir viel zu klein, ich sitze jetzt nur noch daheim! Zu viel wollt ihr den Kleinen nehmen, ihr solltet euch gewaltig schämen!

Seid ihr so dumm, dass ihr nicht seht, wie’s wirklich unten um uns steht? Elite-Unis bringen unten kein Essen, habt ihr das vielleicht vergessen?

Zehn Euro Arztgebühr ist dumm gewesen! Die Menschen können doch schon lesen: Was ihr verbockt in kurzer Zeit, gab’s früher nirgends weit und breit!

Die Zuzahlungen werden uns schröpfen, bis es qualmt aus allen Köpfen! Eine Brille sollen wir uns auch nicht mehr gönnen, damit wir nichts über das große Chaos lesen können!

Essen werden wir, solange die Zähne halten! Was sollen damit auch die Alten? Viele haben jetzt schon wenig zu beißen, darum könnten sie den Euro zerreißen!

Zur Krönung hat man nachgedacht und uns die Renten-Nullrunde gebracht! Das Geld, das ihr vom Volk bekommen, wird uns nun noch einmal genommen!

Wo habt ihr nur das Geld gelassen? Vergeudung ist, was wir so hassen! Die Mehrheit ist nun voller Sorgen: Was wählen wir denn übermorgen?

Gewiss nicht diese Sauerei, davon wird niemals ein Volk frei! Politiker, die „Peitsche und Zuckerbrot“ verteilen, bei denen werden wir nicht lange verweilen! Wir geben euch die rote Karte, da könnt ihr sehen, was euch erwarte!

Bald werdet ihr rennen, ein Lichtlein wird brennen! Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier: Schaut, Politiker, hier sind wir!

Sollte euch ein Licht aufgehen, seht: Zehn-Euro-Eintrittsgeld müssen nicht stehen! Solltet ihr sogar eine Leuchte sein, dann holt ihr auch gleich die Nullrunde rein!

Und überdenkt noch einmal euren Mist, weil der kleine Mensch es nie mehr vergisst! Wir würden uns schon daran gewöhnen, wird gesagt, um das Volk zu verhöhnen!

Ich werde mir nicht alles gefallen lassen, darum geh ich fleißig auf die Straßen! Unten zu sein ist nur das Eine, wir kriegen schon was auf die Beine!

Die Jahrhundertreform ist noch längst nicht vorbei! Es gibt dieses Jahr noch mächtig Geschrei! Lasst uns gemeinsam etwas bewegen, dafür wünsch ich mir, uns und euch Gottes Segen!

Gott wird es lenken, wenn wir mitdenken, und die Kraft zu kämpfen uns dann schenken! Viele werden auf die Hoffnung setzen, denn Hoffnung lässt sich niemals zerfetzen!

Ursula Gatzke (parteilos)

 

Alles für alle!

Der alten Leier von leeren Kassen, vermeintlichen Sachzwängen und angeblich alternativlosen notwendigen Reformen zum Umbau des Sozialstaates – wie zum Beispiel Hartz IV – entgeht mensch nirgends. Dass der staatliche Geldmangel allerdings einhergeht mit Geschenken an die „Wirtschaft“ und dass die Profite großer Unternehmen und die Privatvermögen einiger weniger in Milliardenhöhe liegen, wird seltener erwähnt. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Das Geld ist da, es wurde von unbezahlt und bezahlt arbeitenden Menschen erwirtschaftet, vielfach in Ausbeutung von Menschen in anderen Ländern. Diesen wird bei ihrer Suche nach besseren Lebensbedingungen in der Bundesrepublik größtenteils eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt.

Wenn behauptet wird, die Arbeitslosenversicherung und die Renten-, Ge­sundheits- und Bildungssysteme seien nicht mehr zu bezahlen, dann liegt das daran, welche Prioritäten gesetzt werden. Es muss nicht überlegt werden, wie und wo der Staat einsparen, kürzen oder privatisieren kann, um eine „mitgestaltende Rolle in einer multipolaren Weltordnung“ spielen zu können, sondern: Wir wollen überlegen, was zu tun ist, damit Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung allen Menschen kostenlos zur Verfügung stehen. Dafür ist grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung nötig!

Unter den derzeitigen Bedingungen brauchen wir ein klares und bewusstes „Nein, es reicht!“ Nicht Schluss mit diesem, Schluss mit jenem, sondern Schluss mit Schluss! Es geht darum, dass die soziale Frage in dieser Stadt von denen zur Sprache gebracht wird, die von Sozialkürzungen, Ausgrenzung und steigenden Lebenserhaltungskosten betroffen sind. Also nahezu allen: Alten und Jungen, Gesunden und Kranken, Menschen in (noch) gesicherten und ungesicherten Arbeitsverhältnissen, Erwerbslosen und unbezahlt Arbeitenden, Migrant(inn)en und Illegalisierten.

Hartz IV in die Tonne! Wir fordern alles für alle! Das heißt zunächst freien Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Schwimmbädern, zu (Aus-)Bildung und Kultur, zu Gesundheits- und Altersversorgung, ein Bleiberecht für alle und vieles mehr. Das heißt zudem: Umverteilung von Arbeit durch radikale Arbeitszeitverkürzung, Existenzsicherung für alle, solidarische Umverteilung des Reichtums weltweit!

Vorschriften, Schikanen und miese Arbeitsbedingungen machen uns nicht nur das Leben zur Hölle, sondern nehmen uns auch die Zeit für Reflexion und Kritik und damit die Möglichkeit, Gesellschaft als Ganzes zu erkennen. Das ist in Schule, Ausbildungsbetrieb und Hochschule genauso ein praktisches Problem wie „auf Arbeit“ oder im Amt: Je mehr Menschen durch reale Zwänge und Meinungsmache diszipliniert werden, umso mehr soziale Verhältnisse als unabänderlich erscheinen, desto weniger engagieren sie sich verbindlich, politisch und praktisch.

Es ist wichtig, sich selbst zu organisieren und das Gemeinsame zwischen den Kämpfen zu herauszustellen! Persönliche Kontakte, Menschen, die miteinander diskutieren und sich über ihre Erfahrungen und Kämpfe austauschen, sind Voraussetzung dafür, dass sich gegen die herrschende Entwicklung (wieder) ein politisches Geschichts- und Emanzipationsbewusstsein herausbildet! Das befähigt uns, gemeinsam praktisch einzugreifen.

Redebeitrag von „Andiamo-Projekt Linke Basis
'Solid'-Fahnen

 

Montagsdemonstration erkämpft sich den Kundgebungsplatz

Heute fand in Bremen die erste Montagsaktion gegen „Hartz IV“ statt. Kurzfristig hatte sich ein Bündnis gebildet, in dem außer vielen Parteilosen Attac, Antirassismusbüro, Friedensforum, Andiamo, Kassiber, MLPD, Rebell, PDS, Sozialplenum, SAV sowie Vertreter der IGM teilnahmen. Das klappte deswegen so kurzfristig, weil das Bremer „Bündnis gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“, das in Bremen unter anderem die Teilnahme an der Demo am 1. November 2003 organisiert hatte, nie aufgelöst, sondern nur „auf Eis“ gelegt war. Besondere Brisanz entstand, da ein gewisser Herr Henkel, Anhänger der ultrarechten Schill-Partei, ebenfalls zu einer Kundgebung aufgerufen hatte und diese in „Weser-Kurier“ und „Bild“-Zeitung breit bekannt gemacht worden war.

An der Kundgebung nahmen rund 300 Leute teil, darunter viele, die sonst nie zu Demos gehen. Es gab zahlreiche Redebeiträge, obwohl entgegen der Absprache der Lautsprecherwagen nicht rechtzeitig da war. Um 17 Uhr wurde die Kundgebung offiziell beendet, aber kaum einer der inzwischen circa 400 Teilnehmer verließ den Marktplatz. Um 17:30 Uhr versuchte dann der Schill-Mann seine „Kundgebung“ anzufangen. Das ließen die 400 aber nicht zu, und er ging in gellendem Pfeifkonzert und „Aufhören!“-Rufen vollständig unter. Höchstens vier Leute wollten ihm zuhören.

Vom Marktplatz zogen dann die rund 400 Hartz-Gegner in einer spontanen Demonstration die Obernstraße auf und ab. Erst gegen 19 Uhr war die Montagsaktion beendet. Wie vom Bündnis festgelegt, wurde auf der Kundgebung mehrfach verkündet, dass nächste Woche wieder eine Montagsdemonstration stattfindet wie auch an allen weiteren Montagen, und zwar nicht mehr in den Nachmittagsstunden, sondern um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz. Diesen Platz und diese Uhrzeit will man sich nicht mehr streitig machen lassen. Die Stimmung der Teilnehmer war ganz überwiegend: Das war ein guter Anfang! Wir machen weiter, bis Hartz IV vollständig vom Tisch ist!

Das nächste Treffen des Bremer „Bündnisses gegen Sozialkahlschlag“ findet am Mittwoch, 18. August 2004, um 20 Uhr im „Freizi“, Geschwornenweg, statt. Dort soll dann die heutige Montagsaktion ausgewertet und die weiteren geplant werden.

Rote Fahne News
 
Spaltung: Attac und Gewerkschaften fordern von Ex-DDR-Bürgerrechtler
Fred Schirrmacher, alle Berliner Montagsdemo-Anmeldungen ans
„Sozialbündnis“ abzutreten („Tageszeitung“)
PDS-Stand

 

Die Bremer Montagsdemo
gegen Hartz IV am 16. August 2004

Innerhalb weniger Tage wurde von verschiedenen linken Bremer Gruppen zu einer Demonstration gegen Sozialkahlschlag um 16 Uhr auf dem Marktplatz aufgerufen. Hintergrund dieser kurzfristigen Demo-Ansetzung war weniger die bundesweite Welle von Montagsdemos als vielmehr der Aufruf zu einer Kundgebung auf eben diesem Marktplatz um 17:30 Uhr von einer mehr als suspekten Gruppierung namens „Aufrechter Gang“.

Diese Gruppierung, gegründet von einem ehemaligen Mitglied der „Partei Rechtstaatliche Offensive“ („PRO-Partei“, „Schill-Partei“), rief zum Kampf gegen Hartz IV auf. Es handelte sich um einen der Versuche von rechts, die Stimmung gegen den Sozialabbau für die Verbreitung autoritärer Denkmuster zu benutzen. Unsere Kundgebung, die dummerweise anfänglich ohne Lautsprecher auskommen musste, hat trotz der minimalen, eigentlich nur auf Mund-zu-Mund- und E-Mail-Verteiler-Propaganda beruhenden Mobilisierung etwa 250 Menschen aus verschiedenen linken Spektren erreicht.

Möglich war das sicherlich nur auf Basis der lange bestehenden Zusammenarbeit von verschiedenen Gruppen im „Bremer Sozialplenum“ und dem aus Anlass des Aktionstages am 20. Oktober 2003 gegen die Agenda 2010 ins Leben gerufenen breiten „Bündnisses gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“.

Nach den Redebeiträgen „warteten“ fast alle Anwesenden auf die Rechten auf dem Marktplatz. Diese kamen pünktlich zur angemeldeten Zeit mit einem Auto samt Lautsprecher-Anlage, etwa fünf Personen mit einem Transparent, das ausschließlich Namen und Logo der Gruppierung zeigte. Nach unserer Einschätzung waren etwa ein Dutzend weitere Sympathisant(inn)en anwesend, zeigten sich aber nicht offen als solche.

Glücklicherweise war nun auch endlich unser Lautsprecherwagen eingetroffen. Schon gleich nach Auftauchen des „Aufrechten Ganges“ haben wir einige unserer Transparente in kurzer Entfernung vor die Rechten gehalten, später blockierten wir das Grüppchen komplett zum Marktplatz ab. Ihre Rückseite hatte sich inzwischen mit einigen Polizeiwagen gefüllt. Diese „Abriegelung“ unsererseits geschah, als sich der Vorsitzende der „Aufrechten“ per Mikrofon zu Wort meldete.

Unsere Rufe wie „Haut ab“ und Trillerpfeifen verhinderten, dass irgendetwas verstanden werden konnte. Nach einer halben Stunde dieses Geplänkels (auf stärkere Konfrontation mit der die Kundgebung der Rechten schützenden Polizei wurde verzichtet) fiel die Entscheidung, die Rechten nun alleine zu lassen und eine kurze Spontan-Demonstration durch die Einkaufsstraße durchzuführen. Getroffen wurde diese Entscheidung von einigen Mitgliedern des „Bündnisses gegen Sozialkahlschlag“, getragen von allen.

Es war hier die Entscheidung, sich nicht von den Rechten diktieren zu lassen, welche Inhalte unsere Aktion dominieren sollten. Den Schwerpunkt setzten wir hier also doch auf den Kampf gegen Sozialabbau. Unserer Einschätzung nach wurde unsere Demonstration/Aktion/Kundgebung von den Teilnehmenden als Erfolg bewertet. Die Ansage, nächste Woche, am 23. August, wieder um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz gegen Hartz IV zu demonstrieren, wurde schon auf der Kundgebung gemacht.

Eine Auswertung und Entwicklung weiterer Strategien im Rahmen des „Bündnisses gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“ wird noch in dieser Woche erfolgen. Das Bündnis trifft sich dafür am Mittwoch, dem 18. August, um 19 Uhr im Freizeitheim Geschwornenweg 11, Bremen-Neustadt.

Bericht einiger Bremer(innen) und Bilder („Indymedia“)
'Alles für alle!'
„Hartz IV im Kern richtig“: Bremer FDP beteiligt sich
nicht an der Montagsdemo („Tageszeitung“)

 

Bei der „Bürgerbewegung Aufrechter Gang“ handelt es sich um eine aus Anhänger(inne)n der Schill-Partei gegründeten Organisation. Diese hatte um 17 Uhr auf dem Marktplatz eine Kungebung angemeldet. Linke Gruppen mobilisierten für 16 Uhr dorthin und verließen den Platz dann nicht. Die Kundgebung der „Bürgerbewegung“, die mit etwa zehn Leuten erschienen war, wurde lauthals und erfolgreich gestört. Die ohnehin peinliche Rede ging in Pfiffen und „Haut-ab“-Rufen völlig unter. Die „Bullen“ schützten daraufhin die Rechten vor dem starken Andrang der Gegendemonstrant(inn)en. Nach einer Weile zogen diese ab und nahmen an der Demo teil.

Ergänzung von „Youth against Hartz“
 
„Wir sind nicht für Hartz verantwortlich“: PDS-Sozialsenatorin Knake-Werner begrüßt Montagsdemos, will aber nicht daran teilnehmen („Tageszeitung“)
Flaggen

 

PDS in Bremen macht Front
gegen Arbeitslose

Nach einer entsprechender Aufforderung der Demonstrationsleitung der PDS haben am Montag (16. August 2004) deren Demonstranten in Bremen erfolglos versucht, durch ohrenbetäubenden Lärm und tätliche Angriffe auf Mitglieder der Bürgerbewegung „Aufrechter Gang“ deren Kundgebung gegen Hartz IV und die Arbeitslosigkeit zu verhindern und zu sprengen. Gelungen ist es der PDS allerdings nicht. Dass die ehemalige DDR-Staatspartei auf Montagsdemonstrationen immer noch allergisch reagiert, versteht der Vorsitzende des „Aufrechten Ganges“, Mathias Henkel, durchaus, leiteten solche Kundgebungen doch das Ende des SED-Regimes ein:

„Im Grunde müssen wir der PDS dankbar sein. Zum einen hat sie als Partei, die in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern an der Regierung und selbst an massivem Sozialabbau beteiligt ist, Flagge gezeigt, auf wessen Seite sie im Konflikt zwischen Regierung und Arbeitslosen wirklich steht. Zum anderen hat die Empörung unbeteiligter Bürger über den PDS-Versuch, freie politische Meinungsäußerung in bester DDR-Manier zu verhindern, uns als Bürgerbewegung weitere Mitglieder und Sympathisanten gebracht. Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern unserer Kundgebung, dass sie sich nicht haben provozieren lassen. Wir rechnen mit weiterer Unterstützung dieser Art durch die PDS am kommenden Montag, dem 23. August 2004, in Bremen. Selbstverständlich lassen wir uns in einem freien Land von Kommunisten nicht daran hindern, für die Arbeitslosen auf die Straße zu gehen.“

Pressemitteilung von Norbert Kück („Aufrechter Gang“)
Solid

 

Montags: Kotzen!

Manchem wird richtig schlecht, wenn er sieht, wer gegen Hartz IV alles demonst­rieren will. Dem Kanzler zum Beispiel. Der hat laut DPA eine „gnadenlos populistische Volksfront“ entdeckt. Schröder wörtlich: „Da kann einem richtig übel werden“. Richtig. Das liegt aber in der Natur der Sache: Demonstrieren heißt, die eigene Meinung auf eine massenkompatible Botschaft zu kürzen.

Wer sich fragt, was seine Mitkundgeber noch denken, dem wird immer das Kotzen kommen, weil er sich mit ihnen gemein gemacht hat. So gibt es in der Öko-Szene jene, die eine fanatisiert-katholische Haltung zur Abtreibung einnehmen. Und andere, die mit völkischem Gedankenmüll hantieren. Wetten, dass die auch bei Anti-AKW-Demos dabei waren?

Das Problem der Montagsdemos: Jene gesellschaftlichen Gruppen, die üblicherweise Protest organisieren, sind an Hartz IV entweder – das betrifft sämtliche Parteien, die Fraktionen im Bundestag haben – beteiligt oder haben, wie der DGB, den Widerstand für beendet erklärt. Also ist das Feld offen für ernsthaft Bürgerbewegte ebenso wie für schillernde Polit-Abenteurer. Eine bunte Mischung. Zu bunt? Die Gefahr ist eher, dass hässliche Schattierungen überwiegen. Vielfältig hingegen ist die Farbe der Demokratie.

Benno Schirrmeister in der „Tageszeitung“ vom 16. August 2004
Obernstraße

 

Protest weitet sich aus

Die Proteste gegen die Arbeitsmarkt-Reformen der Bundesregierung haben sich ausgeweitet. In vielen deutschen Städten gingen am Abend etwa 85.000 Menschen auf die Straße. In der vergangenen Woche war es etwa die Hälfte gewesen. Die größten Kundgebungen gab es in Leipzig, Berlin und Magdeburg. In Westdeutschland fanden die Protestaufrufe dagegen nur geringen Zuspruch.

In zahlreichen Städten Ostdeutschlands haben mehrere zehntausend Menschen erneut gegen die Arbeitsmarktreform Hartz vier protestiert. In Leipzig gingen nach Angaben der Veranstalter rund 10.000 Bürger auf die Straße, in Magdeburg waren es 15.000. Demonstrationen und Mahnwachen gab es außerdem in Dresden, Halle, Rostock, Schwerin und Eisenach sowie in anderen Städten. Auch in Berlin folgten etwa 15.000 Menschen dem Aufruf zu Protesten. Auf Plakaten forderten sie die Rücknahme des Hartz-IV-Gesetzes. Bundesweit gab es Kundgebungen an insgesamt rund 100 Orten, darunter Köln, Düsseldorf und Frankfurt am Main.

Die Bundesregierung machte noch einmal deutlich, dass es keine weiteren Änderungen an der Reform geben werde. Trotz der anhaltenden Proteste schloss sie weitere Änderungen aus. Ihr Sprecher Anda bekräftigte in Berlin, die beschlossenen Regelungen würden umgesetzt. Bundeskanzler Schröder hatte am Wochenende abermals vor Panikmache gewarnt. Schröder rechnete vor, dass ein Ehepaar mit zwei Kindern nicht nur Haus und Auto, sondern auch bis zu 47.000 Euro Erspartes behalten könne, ohne dass es Leistungseinschränkungen beim Arbeitslosengeld II geben werde.

Für die Union erklärte der stellvertretende Fraktionschef Bosbach, man dürfe jetzt nicht den Eindruck erwecken, als wolle man das Gesetz generell in Frage stellen. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Böhmer, erklärte, wenn das Gesetz als Ergebnis der Proteste auf der Straße aufgehoben würde, wäre damit das gesamte demokratische System der Entscheidungsfindung in Frage gestellt. Das hätte weitreichende Konsequenzen, die er gar nicht zu Ende denken wolle, sagte der CDU-Politiker der „Leipziger Volkszeitung“. Er warf Bundeskanzler Schröder vor, mit seiner Äußerung über eine Volksfront aus PDS und CDU die Grenzen des Erlaubten überschritten zu haben. Damit habe Schröder den teilweisen Verlust seiner Wahrnehmungsfähigkeit demonstriert, meinte Böhmer.

Deutschlandradio“ am 16. August 2004
 
Segelurlaub im Eismeer: Henning Scherf (SPD) will auch 2007
wieder Bremer Bürgermeister werden („Tageszeitung“)
Seitentransparent

 

In Bremen zwei einander feindliche Montagsdemonstrationen

Auf dem Bremer Marktplatz standen sich Montagsdemonstranten aus zwei Lagern unversöhnlich gegenüber. Rund 300 Vertreter eines linken Aktionsbündnisses pfiffen und schrien mit ihrer überwältigenden Mehrheit eine winzige Kundgebung der Wählervereinigung „Aufrechter Gang“ nieder, die sich um den früheren Schill-Vertreter Matthias Henkel gruppiert hatte. Dabei lehnten beide Gruppierungen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als sozial ungerecht ab. „Millionen werden in die Armut gedrängt“, sagte Wolfgang Lange vom „Bündnis Montagsaktionen gegen Hartz IV“. Matthias Henkel sagte, die Reform komme einer Enteignung von Arbeitslosen gleich, die Rücklagen gebildet hätten. Beide Gruppierungen wollen weiter montags demonstrieren.

Weser-Kurier“ vom 17. August 2004

 

Montagsdemo


Jeden Montag 17:30 Uhr
Treffpunkt Marktplatz
 
Hartz IV und Agenda 2010
müssen weg!
 
Lasst uns gemeinsam gegen
den Sozialkahlschlag antreten
wie in Magdeburg, Köln,
Leipzig und 160 Städten!
 
Bremer Bündnis gegen
Sozialkahlschlag
und Bildungsabbau

Flugblatt des
Bremer Sozialplenums

 

Pastoren rufen zur Montagsdemo

Evangelische Pastoren in Bremen haben zur Teilnahme an den Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-IV-Reform aufgerufen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe benachteilige und entwürdige Erwerbslose, heißt es in einem Protestaufruf. Erstunterzeichner sind die Pastoren Hartmut Drewes, Hans-Günter Sanders und Friedrich Scherrer. Die nächste Demo findet montags ab 17 Uhr auf dem Marktplatz statt.

Tageszeitung Bremen“ vom 21. August 2004
CDU ohne Mitleid: In Bremen geborener „Taliban“ Murat Kurnaz hat
keine Aufenthaltserlaubnis mehr („Tageszeitung“)
'Verordnete Armut, nein danke!'

 

Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz

Am 16. August 2004 fand zunächst von 16 bis 17 Uhr eine genehmigte Kundgebung gegen die Hartz-IV-Gesetze statt. Veranstalter und Teilnehmer war ein Bündnis verschiedener Gruppen, allesamt ruhige und teilweise ältere Demonst­ranten, deren Zahl bei circa 100 Personen lag. Der Versammlungsleiter, ein Herr Wolfgang Lange, wurde kontaktiert und mit ihm problemlos die Verfahrensweise abgesprochen.

In unmittelbarer Nähe des Herrn Lange befand sich von Beginn an der Beschuldigte B. Wie zu beobachten, war Herr B. offenbar einer der Organisatoren dieser Kundgebung, denn alle diesbezüglichen Fragen sprachen der Versammlungsleiter Lange und Herr B. gemeinsam ab. So stellte sich für beide auch die Frage, wo denn ihre Verstärkeranlage blieb. Als der für die Kundgebung genehmigte Lautsprecherwagen nicht erschien, wandten sich beide ratlos an die Beamten und wollten Polizeimittel ausleihen. Dieser Bitte konnte mangels Gerätschaft nicht nachgekommen werden. Herr Lange führte die Kundgebung schließlich, indem er lautstark seine Zuhörerschaft ansprach.

Ab 17:30 Uhr sollte durch den Verein „Aufrechter Gang“ eine weitere genehmigte Kundgebung gegen Hartz IV stattfinden. Es handelte sich um eine Gruppe von acht älteren Personen, die ebenfalls mit Lautsprecherdurchsagen gegen die Hartz-IV-Gesetze demonstrieren wollten.

Bereits zum Ende der ersten Kundgebung erschienen gegen 17 Uhr deutlich erkennbar sowohl PDS-Anhänger mit Plakaten als auch eine Gruppe Autonome. Hierbei waren circa 40 bis 50 offensichtlich aggressive und gewaltbereite jüngere Teilnehmer, die nun eine „spontane Gegendemonstration“ gegen diese vermutete „Kundgebung der rechten Seite“ veranstalteten. Lautstark wurde der Abbruch der zweiten Veranstaltung gefordert, wobei sich ein älterer Deutscher als lautstarker Agitator hervortat und die durchweg jüngeren Autonomen regelrecht aufstachelte. Aufgrund der geringen Polizeikräfte drängten die Störer immer dichter vor die Gruppe der zweiten Kundgebung. Zu diesem harten Kern der Bremer Autonomen gesellten sich auch Teilnehmer der ersten Kundgebung, sodass es sich um eine Teilnehmerzahl von schließlich circa 350 Personen handelte.

Hiervon zeigten sich nur die vordersten 40 bis 50 Störer gewaltbereit. Ihr lautstarkes, geschlossenes und aggressives Verhalten wirkte jedoch mehr als bedrohlich. Ziel dieser Gruppe Autonomer war offenbar, die Kundgebungsteilnehmer der zweiten Veranstaltung dort zu vertreiben, wie sie lautstark skandierten. Wegen dieser erheblichen Bedrohungslage stellten sich drei Beamte zwischen beide Gruppen. Nun kamen die Autonomen hinter einem breiten grünen Stofftransparent im Gleichschritt auf die kleine Kundgebungsgruppe „Aufrechter Gang“ zu, wobei lautstark und rhythmisch der Text „Haut ab, haut ab“ gebrüllt wurde.

Als nur noch ein Zwischenraum von knapp einem Meter herrschte, kam es schließlich aus der Gruppe der Autonomen heraus zu körperlicher Gewaltanwendung gegen die Teilnehmer der zweiten Kundgebung. Es wurde gestoßen und geschubst, ein Lautsprecherkabel wurde weggerissen und zerstört. Gleichzeitig wurden laute und wirklich bedrohliche Parolen skandiert, dass diese Gruppe und die sie schützenden Beamten endlich abhauen sollten. Zur Durchsetzung der Demonstrationsfreiheit wurde mit zuvor angeforderten und nun eintreffenden Polizeikräften eine Kette zwischen den Gruppen eingenommen. Die Autonomen konnten einige Meter weggedrängt werden.

Trotz entsprechender Aufforderungen der Beamten rückte diese Gruppe Autonomer, die allesamt das Stofftransparent hielten und sich zum Teil dahinter verbargen, nicht weiter weg. Mit weiteren angeforderten Polizeikräften wurde offen eine zweite Einsatzgruppe postiert, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Durch nimmermüde Diskussionen konnten die Beamten die Situation insoweit entspannen, dass keine weiteren Handgreiflichkeiten mehr erfolgten. Verletzte gab es bislang nicht zu verzeichnen.

Gegen 18:20 Uhr entschlossen sich die „Gegendemonstranten“ um die Herren Lange und B., die zweite Kundgebung nicht mehr weiter zu blockieren, und führten einen unangemeldeten Aufzug durch die Obernstraße bis zur Brillkreuzung und zurück durch. Die Abwesenheit der Störer wurde durch die kleine Veranstaltungsgruppe des „Aufrechten Gang“ zum vorzeitigen Ende und schnellem Abbau ihrer Kundgebungsgeräte genutzt. Klar erkennbar waren die Teilnehmer heilfroh, dieser doch erheblichen Bedrohungslage entkommen und nicht ernsthaft verletzt worden zu sein. Als Genehmigungsdauer für die angemeldete Kundgebung galt der Zeitraum von 17:30 bis 19 Uhr. Ende und Abbau der Veranstaltung war bereits um 18:30 Uhr.

Ob Herr Lange seine erste Demonstration offiziell und lautstark beendete, kann von den Beamten nicht gesagt werden. Ein erkennbares Ende der ersten Veranstaltung wurde von ihnen jedenfalls nicht bemerkt. Keiner der Teilnehmer ging oder verhielt sich anders. Zum eigentlichen Ende dieser ersten Kundgebung traf mit den zusätzlichen Demonstranten der PDS und Autonomen nun auch der anfangs erwartete Lautsprecherwagen, ein weißer Fiat-Kastenwagen des „Asta Bremen“, ein. Sofort managte Herr B. sowohl den Aufstellungsort als auch den Aufbau der Verstärkeranlage dieses Fahrzeuges, indem er immer wieder Anweisungen erteilte. Diese Anlage war erheblich lauter als die der zweiten Kundgebung des „Aufrechten Gang“ und wurde nach Aufforderungen durch Herrn B. immer wieder zur Störung der zweiten Kundgebung benutzt.

Als Herr B. von den Beamten angesprochen und bereits gegen 17:15 Uhr zum Entfernen dieses Fahrzeuges aufgefordert wurde, ignorierte er dies und meinte mehrfach sinngemäß: „Ich habe so lange auf den Wagen gewartet, jetzt werden wir ihn auch nutzen. Ich konnte ihn die ganze Zeit nicht einsetzen, also machen wir es jetzt im Anschluss. Was Sie mir sagen, interessiert mich nicht. Ich bin Bürger dieses Landes und demonstriere, wie es mir gefällt, da können Sie gar nichts machen! Den Wagen entferne ich hier nicht, damit machen wir sogar gleich noch eine Demo durch die Obernstraße. Was wollen Sie denn mit Ihren paar Leuten gegen uns ausrichten?“

Aufgrund der Baumaßnahmen im Bereich Domsheide hätte eine Absperrung der Obernstraße zum Zusammenbruch des kompletten Verkehrs im Innenstadtbereich geführt. Daher wurde Herrn B. mehrfach die Benutzung des Lautsprecherwagens in der Obernstraße untersagt, zumal dieser Demonstrationszug nicht angemeldet war, was er jedoch nur mit einem Lächeln und der Antwort „Wir machen hier, was wir wollen!“ quittierte. So wurde das Fahrzeug tatsächlich auch während des Aufzuges durch die Obernstraße für lautstarke „Parolen“ und „Forderungen“ benutzt und der Straßenbahnverkehr durch die Demonstration sehr stark behindert. Da die wenigen Polizeikräfte die Kundgebungsteilnehmer der zweiten Veranstaltung schützten, konnte dies nicht unterbunden werden.

Es wurden diverse Fotoaufnahmen der Versammlungsteilnehmer angefertigt, insbesondere der Autonomen. Abgebildet ist auch einer der nachweislich schlimmsten Agitatoren. Drei Personen, die hinter dem grünen Transparent standen, wurden nur mit erheblicher Kraft weggedrängt und verweigerten sich den Anordnungen der Polizei. Die Personaldaten der übrigen Personen konnten wegen der angespannten Lage und der geringen Polizeikräfte nicht festgestellt werden. Gegen die circa 50 Personen aus dem „Bündnis“, die die Kundgebung der „Bürgerbewegung Aufrechter Gang“ störten und versuchten, diese vom Kundgebungsort zu drängen, wurde eine gesonderte Anzeige gefertigt.

Der verantwortliche Leiter, Herr Wolfgang Lange, geboren 1952 in Stuttgart, wurde schriftlich für Mittwoch, den 1. September 2004, zur Vernehmung vorgeladen. Der Beschuldigte erschien jedoch nicht zum vereinbarten Termin, daher wurde eine schriftliche Stellungnahme erbeten. Am 4. Oktober 2004 erhielt die Kriminalpolizei die schriftliche Mitteilung einer Anwaltskanzlei, dass der Beschuldigte Lange vorerst keine Angaben zur Sachen machen beziehungsweise sich von seinem Rechtsanwalt vertreten lassen wird. Beigefügt wurde die Vollmachtsvorlage.

Über die Montagsdemonstration in Bremen wurde unter anderem im Internet berichtet. Es liegen diverse Fotos vor. Auf einigen ist zu erkennen, dass der Straßenbahnverkehr in der Obernstraße in Höhe Rathaus durch die Demonstranten behindert wurde und zeitweise zum Erliegen kam. Zu der Montagsdemonstration vom 16. August 2004 wurde durch „Radio Bremen“ am Folgetag in der Sendung „Buten un binnen“ ein Bericht ausgestrahlt.

Darin kann festgestellt werden, dass diverse Demonstrationsteilnehmer vom „Bündnis Montagsaktion gegen Hartz IV“ die angemeldete Kundgebung und Rede von Herrn Henkel beziehungsweise vom „Aufrechten Gang“ durch lautstarke Trillerpfeifen und Aufforderungen „Haut ab“ störten. Außerdem ist das Einschreiten der Polizei zu erkennen. Herr Lange als verantwortlicher Leiter vom „Bündnis“ und Herr Henkel als verantwortlicher Leiter vom „Aufrechten Gang“ nehmen in diesem TV-Bericht Stellung.

Die polizeilichen Ermittlungen sind vorerst abgeschlossen. Der Vorgang wurde mit Bitte um weitere Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Bremen übersandt.

nach Angaben der Polizei
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz